NEW YORK DOLLS

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Dancing Naked Monkeys

Die heilige Dreifaltigkeit des US-Proto-Punks, das sind STOOGES, MC5 und NEW YORK DOLLS. Ohne die Bands um Iggy Pop, Rob Tyner und David Johanssen wäre Punk 1976/77 in England nie möglich gewesen, hätte auch ein Malcolm McLaren nie die SEX PISTOLS erfunden. 1971 in New York gegründet, nahm die Band, bestehend aus Sänger David Johansen, die Gitarristen Johnny Thunders und Sylvain Sylvain, Bassist Arthur Kane und Drummer Billy Murcia (nach dessen Tod ersetzt durch Jerry Nolan), mit "New York Dolls" (1973) und "Too Much Too Soon" (1974) gerade mal zwei Alben auf. Die aber waren angefüllt waren mit Hits respektive Klassikern wie "Personality crisis", "Vietnamese baby", "Lonely planet boy", "Jet boy", "Trash", "Who are the mystery girls?", "Babylon", "Stranded in the jungle" oder "Puss'n'boots", gespielt im eigenwilligen, snotty Glam-Rock-Sound der Band aus der Lower East Side, die schon rein optisch eine Provokation darstellten: bunte Frauenkleidung und hochhackige Schuhe gehörten damals nicht gerade zum normalen Erscheinungsbild einer Rockband, Männer hatten hart zu sein und nicht auf Drag Queen zu machen.

Marty Thau sah die Band in ihrer Frühphase, wurde ihr Manager und später von McLaren abgelöst, der sie nach seinen Vorstellungen zu formen versuchte, doch da hatten die Dolls bereits ihre beste Zeit hinter sich, und 1975 war dann erstmal irgendwie Schluss, obwohl die Bandmitglieder teilweise weiter zusammenarbeiteten. Johnny Thunders, Sylvain Sylvain und David Johansen schafften es jedenfalls, eigenständige Karrieren aufzubauen, doch die von vielen erhoffte Reunion schien mit jedem neuen Todesfall in weitere Ferne zu rücken: Nachdem Murcia einen frühen Rock'n'Roll-Tod gestorben war, folgten ihm 1991 bzw. 1992 Thunders und Nolan, und kurz nachdem die verbliebenen Originalmitglieder Sylvain, Johansen und Kane sich 2004 von ihrem großen Fan Morrissey zu einem Auftritt beim Meltdown-Festival hatten überreden lassen, schlug das Schicksal erneut zu: Arthur Kane starb überraschend an zu spät diagnostizierter Leukämie. Johansen und Sylvain ließen sich nun aber nicht mehr aufhalten, und mit neuer Besetzung entstand das im Juli veröffentlichte dritte Album "One Day It Will Please Us To Remember Even This", das alles andere als ein schwächliches Spätwerk ist. Ein paar Wochen zuvor waren die beiden in Köln gewesen, um Interviews zu geben, und ich sprach mit dem 1949 in Kairo geborenen Sylvain Mizrahi alias Sylvain Sylvain. Alles weitere über die NEW YORK DOLLS findet sich in Nina Antonias Buch "The New York Dolls - Too Much Too Soon".



Fangen wir doch mal bei Malcolm McLaren an: Der hat Punkrock erfunden, die SEX PISTOLS und irgendwie auch die NEW YORK DOLLS, zumindest seiner Meinung nach. Wie ist deine Erinnerung an den Kerl?

Also ... die NEW YORK DOLLS haben sich selbst erfunden, das hat nichts mit McLaren zu tun. Und ihr Ende, das war eine Implosion. Wir waren immer "the real thing", wir lebten diese Band, wir hatten nie Diskussionen darüber, ob wir jetzt musikalisch in diese oder jene Richtung gehen sollten. Es war alles unsere Erfindung, und der Name ist von mir.

Und wie kamt ihr dann mit McLaren in Kontakt?

Ich war damals im Modegeschäft tätig, wie McLaren auch. Ich hatte seit Ende der Sechziger mit meinem späteren Bandkollegen Billy Murcia zusammen eine Firma namens "Truth & Soul Sweaters", wir verkauften Pullover und ähnliches. 1971 waren wir in New York City auf einer großen Messe, und da hatten Malcolm McLaren und Vivienne Westwood ihren Stand im gleichen Gang, so lernten wir uns kennen. Ihr damaliges Programm trug den Namen "Let it rock" und war typische Rockabilly-Mode - in den USA nennen wir das zumindest Rockabilly, in England war das als Ted- oder Teddyboy-Stil bekannt. Die Messe lief von Freitag bis Sonntag, und am letzten Tag rief ich David und Johnny Thunders an, damit sie meine neuen Freunde kennen lernen können, und außerdem war der letzte Messetag immer eine gute Gelegenheit, günstig Ausstellungsstücke zu erstehen. Und so machte ich die anderen Jungs in der Band mit Malcolm und Vivienne bekannt, wobei Vivienne ganz klar diejenige von den beiden war, die das Talent hatte und die Arbeit machte - Malcolm war gut im Reden. Wir waren gute Freunde, er wurde so was wie ein persönlicher Manager, und als sich die Dolls dann 1975 in Florida quasi auflösten, blieben wir in Kontakt. Wir fuhren zusammen nach New Orleans, ich zeigte ihm das Allan Toussaint-Studio, wir zogen durch die Magazine Street, wo er sich all die alten Platten kaufte - er war so begeistert, ihm ging beinahe einer ab, hahaha. Und er erzählte mir die ganze Zeit, ich solle mir keine Sorgen machen, er habe schon neue Ideen. Er sagte, vor seinem Laden in London hingen jede Menge cooler Typen ab, mit denen man eine neue Band gründen könne. "Gib mir deine Gitarre, ich verkaufe sie, mit dem Geld kaufe ich dir ein Flugticket, damit du rüberkommen kannst". Ich gab ihm dann meine weiße Gibson-Gitarre, die auch Steve Jones spielte, damit er mir ein Flugticket nach London bezahlen kann, und, na ja, auf das verdammte Flugticket warte ich bis heute ... Und ich habe das sogar schriftlich, er schrieb mir dazu einen siebenseitigen Brief, der heute in Cleveland in der "Rock'n'Roll Hall Of Fame" zu sehen ist, hehe. Er gab mir jede Menge schlaue Ratschläge, etwa ich solle auf keinen Fall mit David nach Japan gehen, er könne diesen Typen nicht leiden. Und er schickte mir auch ein paar Automatenfotos mit, unter anderem von einem Typen, der sich Johnny Rotten nennen wolle und zwar nicht singen könne, aber das immerhin noch besser als Johansen. Hahahahahaha, so war Malcolm. Wer sich das alles mal im Original anschauen will, der sollte nach Cleveland fahren. Ich hatte das alles bei meiner Mutter im Haus gelagert, all die Jahre.

Es wird ja immer wieder behauptet, McLaren sei für die rote Kleidung und den Hammer-und-Sichel-Look verantwortlich.

Also die rote Bekleidung hatte was mit einem unserer Songs zu tun, mit "Red Patent Leather". Das entwickelte seine eigene Dynamik: Erst hatte einer von uns ein paar rote Schuhe, dann zwei, dann kam einer mit einer roten Hose an, und dann trugen wir alle rot. Und dann haben Malcolm und David auch noch die rote Fahne aufgehängt, hahaha. Das sollte wohl ihre "Communist Party" werden, hehehe, du verstehst? Im Englischen bedeutet "party" sowohl Partei als auch Party.

Vor McLaren war Marty Thau euer Manager.

Ja, Marty ist ein netter Typ, er hat uns damals im Mercer Arts Center gesehen, und nach dem Konzert sprachen er und seine Frau Betty uns an. Kurz zuvor hatte er zu ihr gesagt, er sei sich nicht sicher, ob er eben die beste oder schlechteste Band der Welt gesehen habe. Na ja, und so fing er an, sich um uns zu kümmern. Er lud uns damals zu sich nach Hause ein, wohl auch, um uns etwas mit seinem Haus zu beeindrucken, und er hatte echt die Goldene Schallplatte für "96 tears" von ? & THE MYSTERIANS an der Wand hängen, das fand ich cool. Ich hätte sie am liebsten geklaut.

Seid ihr ihm zu Dank verpflichtet?

Nein, wir haben alles aus eigener Kraft erreicht - und die Kids haben uns zu dem gemacht, was wir wurden. Die Kids waren es, die unsere Platten gekauft haben, nur das zählt, auf alles andere kannst du scheißen. Den meisten Leuten geht es nur darum, sich hervorzutun. Wann immer jemand behauptet, er habe irgendwas erfunden, werde ich sofort misstrauisch und beginne zu zweifeln, denn niemand erfindet wirklich irgendwas. Kennst du den Song "Rip off" von T.REX? Der sagt alles.

Ihr werdet neben den STOOGES und MC5 immer wieder als "Proto-Punk", als Miterfinder des Punks bezeichnet. Davon kann man halten, was man will, aber mich interessiert vielmehr, wie ihr euch damals gesehen habt, ob da "Punk" als Begriff schon irgendwie existierte und von euch mit eurer Band in Verbindung gebracht wurde.

Okay, dann lass mich dir dazu mal was erzählen. Erstens: Ich hasse solche Schubladen. Zweitens: Es ist immer nur Rock'n'Roll, aber irgendwer muss sich neue Namen ausdenken, damit es sich verkaufen lässt. Die Industrie will das eben so. Es fängt bei den Kids downtown an, und zum Schluss wird es eine Modewelle der Industrie. Was uns anbelangt, so mochten wir MC5 und Iggy Pop, aber sowohl MC5 wie die STOOGES waren Bands aus den Sechzigern, MC5 hatten schon 1968 auf der Democratic Convention in Chicago gespielt. Das waren Bands aus einer anderen Generation, wir selbst begannen ja erst 1971. Das erste Mal, dass der Begriff "punk music" verwendet wurde, war aber zur Beschreibung eines Konzertes der NEW YORK DOLLS. Punks an sich hatte es ja schon vor uns gegeben, also Punks im ursprünglichen Wortsinne: Der frühe Elvis Presley war irgendwie punkish, oder die frühe Ronnie Spector, wenn du verstehst, was ich meine. In gewisser Weise schätze ich es, dass wir mit diesem Titel "erste Punk-Band" belegt werden, dass wir Ground Zero für Punk an sich waren, und wir haben wohl viel von den auch heute noch verwendeten Begrifflichkeiten geprägt, die gebraucht werden, um Musik zu verkaufen, aber letzten Endes ist und bleibt es doch einfach nur Rock'n'Roll. Unsere Version mag etwas verrückter gewesen sein als das bis dahin bekannte, aber wir waren eben jung und verrückt, und wenn du jung bist und verrückt, kommst du mit so was eben durch. Ansonsten mache ich mir nichts aus Titeln wie "1. Punkband", wobei es aber schon schön ist zu wissen, dass sich die Leute an dich erinnern. Wenn du so einen Begriff wie Punk verwenden willst, ist das völlig okay, für mich jedoch ist und bleibt es Rock'n'Roll. Wobei ich aber durchaus Wert lege auf die Unterscheidung zwischen Rock und Rock'n'Roll, denn der Unterschied ist ein großer. Rock'n'Roll ist das, was allem zu Grunde liegt, und manchmal ärgert es mich, wie locker die Leute mit dem Begriff umgehen, etwa wenn jemand sagt "Hey, let's rock'n'roll", um auszudrücken, dass man sich wirklich beeilen muss. Das zeigt nur, dass die gar nicht wissen, was das eigentlich bedeutet.

Die ursprüngliche Bedeutung liegt ja eher im Sexuellen ...

Genau, die Schwarzen verwendeten in den Zwanzigern und Dreißigern des letzten Jahrhunderts in Harlem den Begriff als Synonym für Sex. "Honey, tonight we're gonna rock and roll", sagte er zu ihr, und sie antwortete wahrscheinlich "Ooooh, my goood!", hahaha. Ich bin auf diese Bedeutung in alten Jazz-Magazinen gestoßen, es war eines dieser "hip cat"-Worte, cooler Szene-Slang eben.

In Biografien steht bei dir als Geburtsort Kairo. Was hat dich in die USA verschlagen?

Meine Eltern waren in den Fünfzigern aus Ägypten vertrieben worden, weil sie Juden sind. Wir gingen dann zuerst nach Frankreich, und meine erste Sprache war auch Französisch, denn ich besuchte schon in Kairo das "Lycée Français". Dann zogen wir nach Paris, wo wir alle zusammen in einem Hotelzimmer wohnen mussten, nachdem wir zuvor in Kairo in einem schönen Penthouse gewohnt hatten. Durch eine jüdische Organisation konnten wir dann in die USA auswandern.

Wieso gingt ihr in die USA und nicht nach Israel?

Andere Verwandte waren nach Israel gegangen, andere Onkels landeten sonst wo in der Welt, in Brasilien, Belgien, Kanada, England ... Ich fragte meinen Vater später auch, warum er nicht mit uns nach Israel gegangen sei, und er antwortete, dass religiöse Kriege ewig anhalten. Das ist der Grund, weshalb ich mich jeder Religion entledigt habe. Ich glaube an Gott, aber an keine Religion. Religion ist die Wurzel aller Kriege, von Tod und Mord. Im Namen Gottes bringen sie sich gegenseitig um, als ob der was damit zu tun hätte.

Hat es für dich mit deiner jüdischen Herkunft eine Bedeutung, in Deutschland zu sein?

Nein, man muss vergeben können. Und die Juden in Israel machen derzeit einen sehr großen Fehler damit, wie sie die Palästinenser behandeln. Die Israelis verhalten sich wie ziemliche Arschlöcher derzeit, und scheinbar hat jedes Volk so eine Arschlochphase in seiner Geschichte. Auf jeden Fall dürfen wir die Geschichte niemals vergessen, sonst sind wir gezwungen, sie zu wiederholen. Deutschland ist ein sehr schönes Land, doch nach Ägypten werde ich niemals zurückkehren, außer sie geben mir das Vermögen meines Vaters zurück, mit Zinsen. Die haben uns als schmutzige Juden beschimpft, stellten meinen Vater unter Hausarrest, ließen ihn nicht mehr arbeiten. Aber ich würde auch niemals nach Israel gehen, daran reizt mich rein gar nichts.

Auch nicht, um mit der Band da zu spielen?

Nicht, wenn es sich irgendwie vermeiden lässt.

Wie war es dann für dich, in die USA zu kommen?

Ha, wir hatten eine Liste bekommen von Städten und sollten uns eine aussuchen. Cleveland war auf der Liste, Boston, Philadelphia, und Buffalo, New York. New York, das klang gut für meinen Vater, denn ich hatte eine Tante in Brooklyn, doch er war sich leider nicht bewusst, dass Buffalo, NY hunderte Kilometer von New York City entfernt an der kanadischen Grenze liegt. Und so kamen wir aus der ägyptischen Wüste ins eiskalte Buffalo. Ich hatte dünne braune Schuhe, wir selbst waren braun - und um uns herum waren alle schwarz. Meine ersten englischen Worte waren dann "Fuck you": Ein paar Kinder kamen auf mich zu, fragten, ob ich Englisch spreche, ich sagte "Non", und bekam als Antwort den Mittelfinger und "Fuck you!". American scumbags! So musste ich mich von Anfang an durchkämpfen, und deshalb legte ich mich direkt mit dem stärksten Typen in der Schule an, haute ihm aufs Maul - und er mich. Das ersparte mir, mich langsam von unten hochzuarbeiten, haha. Das war wie im Knast, du begibst dich in "survival mode", hoffst irgendwie zu überleben. Und das ist auch der Grund, warum ich so guten Rock'n'Roll mache, hahaha. Und ja, es ist letztlich immer nur Rock'n'Roll, egal wie sie es nennen.

Und dazu eine Fuck you-Attitüde.

Haha, die NEW YORK DOLLS waren die BEATLES der Attitüde.

Wie meinst du das?

Na, du weißt ja wohl, wie groß die BEATLES waren, oder? Und in Hinblick auf unsere Attitüde waren wir mindestens genauso groß, hahaha. Aber wir hatten ja auch allen Grund dazu, denn was sonst in der Musiklandschaft passierte, war alles Müll. Der ganze Stadionrock, das war totaler Mist. Du willst eine Band sehen, doch alles, was du bekommst, sind kleine Männchen auf einer weit entfernten Bühne. Ich rede von LED ZEPPELIN und so weiter, ehrlich, die boten eine Scheiß-Show. Außer Effekten war da nix, und dann noch halbstündige Schlagzeugsoli. Ganz toll, wie der sich da einen abwichste ... Und dann macht der Gitarrist weiter, und dann der Sänger, schreckliches Geheule. Und alle denken, weiß Gott wie toll sie sind, haben ein riesiges Ego und denken, alle Girls stehen auf sie, die relevante Frage ist allein noch, welches dir heute Nacht einen bläst. Es war eine schreckliche Zeit. Es war die Zeit, in der Rock'n'Roll so richtig von den großen Plattenfirmen übernommen worden war. Die Industrie hatte alles im Griff, hatte sich an Stelle der Kids in die Garage gedrängelt.

Und dann kamt ihr.

Und dann kamen wir. Wir dachten, wir existieren sowieso nicht länger als ein paar Wochen, also legten wir uns voll ins Zeug, gaben auf der Bühne absolut alles. Das traf die Leute völlig unvorbereitet: Keine Effekte, keine Lichtshow, Songs von höchstens drei Minuten, keine Soli. Und die Kids in New York standen drauf, wir hatten da einen Nerv getroffen, waren in eine Lücke gestoßen, wurden zu ihrer Band. Das Problem war, dass wenn etwa LED ZEPPELIN in New York spielten, kamen die ganzen Leute aus den Vorstädten zu den Shows, aus Long Island, Connecticut, New Jersey und so weiter, aber da war niemand aus New York City. Wir dagegen hatten die ganzen Locals bei unseren Konzerten, die Kids, die Künstler, die Dichter. Doch als wir anfingen, gab es die ganze Szene, die sich später im CBGB's oder Max' Kansas City traf, existierte noch nicht. Das Max' Kansas City existierte natürlich schon, aber das war noch nicht wirklich ein Laden, um da zu spielen. Klar, VELVET UNDERGROUND hatten da einst gespielt, aber das alles schon Jahre her. Wir hatten es echt schwer, Auftrittsorte zu finden. Eines unserer ersten richtigen Konzerte - wir bekamen unglaubliche 400 Dollar Gage - spielten wir in Park Slope, Brooklyn in einem Männer-Badehaus namens "Man's Country", kein Scherz. Wir spielten direkt am Pool, und um uns herum nackte Männer mit Handtüchern um die Hüfte. Natürlich waren wir laut, und so riefen sie, wir sollten leiser spielen, und so schalteten Johnny und ich unsere Verstärker gleich ganz ab. Egal, wir bekamen unsere 400 Dollar, konnten unsere Miete bezahlen - damals musstest du in der Lower East Side 75 bis 100 Dollar im Monat zahlen - und waren zufrieden. Wir wohnten alle in der Ecke Avenue A und so, und weiter wagten wir uns auch nicht vor, dahinter wurde es wirklich fies, derbe Heroinszene und so. Und wir gingen nach Soho, bevor es als solches bekannt war, es war einfach die Gegend südlich der Houston Street. Damals konntest du da ein riesiges Loft für 300 Dollar mieten, und dann bist du auf den Müllplatz gefahren, hast eine ganze Einbauküche aus den Fünfzigern für 50 Dollar gekauft und da reingestellt. Eines der Lofts, die wir hatten, war so groß, dass ich darin Fahrradfahren konnte, ohne Scheiß. Das war eine sehr intensive Zeit damals. Später kamen dann die ganzen Künstler nach, und heute kannst du so ein Loft vielleicht gerade mal für drei Millionen Dollar kaufen.

Auf den Fotos von damals habt ihr einen Look zwischen Glamrock und Drag Queens. Wie kam es dazu, wer hatte dazu die Idee?

Das war nicht geplant. In den Neunzigern sprach man im Zuge des Techno-Booms von den "Club Kids", und wir waren eben die "Club Kids" der frühen Siebziger. Wir trugen Make-up auf, um besser auszusehen, es war eben Teil der Show.

Trotzdem war das doch sicher eine in der konservativen US-Gesellschaft nicht gerade allgemein akzeptierte Verhaltensweise.

Klar, aber mit Konformität hatten wir noch nie was am Hut. Wir zogen unser eigenes Ding durch, klauten unseren Freundinnen das Make-up aus der Handtasche und schmierten es uns selbst ins Gesicht, um so noch mehr Girls aufreißen zu können. Alles, was wir wussten und konnten, trugen wir auf die Bühne, wir wollten nichts, aber auch gar nichts auslassen. Das Ganze freilich zu analysieren und zu erklären, das ist Sache von Journalisten wie dir. Es gab nie ein Round-Table-Meeting der Band, bei dem wir beschlossen, uns im Drag-Stil zu kleiden! Wir spielten mal im 82 Club, der war in der East 4th Street, Hausnummer 82, daher der Name. Das war so ein Kellerclub, der geführt wurde von einer richtig schweren Lesbe namens Tommy und schon seit den Fünfzigern existierte. Unser Spiel war es, ständig neue Läden aufzutun, in denen wir auftreten können, um sie dann eventuell mit unserer Anhängerschaft komplett zu belagern. Und der Auftritt im 82 Club, einem richtigen Drag-Laden, das war das einzige Mal, wo wir uns ganz bewusst im Drag-Look gekleidet haben: David hatte sich bei seiner Freundin Sachen ausgeliehen, das sah richtig gut aus. Jerry Nolan wiederum hat das alles nie so richtig mitgemacht, er war ja sechs, sieben Jahre älter als wir anderen, und er brachte die Band mit seinem Schlagzeugspiel wirklich voran, er hatte mehr Erfahrung als wir, er kannte das Business. Und Johnny, der war ein kleiner Macho, der stellte auch mit Frauenkleidung sicher, dass man klar erkennen konnte, dass er ein Mann ist. Ich selbst trug Teile einer französischen Schulmädchenuniform, und Arthur Kane riss alles raus mit seinem Tutu, seinem Ballettröckchen. Arthur und ich hatten richtig Spaß bei so was, es war einfach nur Herumalbern, mehr steckte für uns nicht dahinter, wir glaubten ja sowieso nicht daran, dass die Band länger als zwei Wochen existieren würde. Ansonsten hat sich das alles so ergeben: Wenn wir Frauenhosen trugen, dann deshalb, weil die schicker waren als Männerhosen, ja, keine Männerhosen in diesem Design zu bekommen waren. Frauenmode ist der Männermode normalerweise fünf bis sieben Jahre voraus. Viel von unserem Look hatte also einfach damit zu tun. Und es gab aber auch Leute in der Band, die sich selbst für "flamboyant" hielten, die es gerne eher grell und auffällig hatten. Es war eben auch ein Spiel, das viel mit unserem schrägen Humor zu tun hatte.

Der Spaß hört aber auf, wo Menschen - Schwule, Drag Queens - für so einen Look verprügelt werden. Musstet ihr solche Erfahrungen machen?

Oh ja. Es gab auf dem Weg zu Konzerten immer wieder mal unliebsame Erfahrungen dieser Art. Und einmal spielten wir in Denver, Colorado, das war 1973. Da fand draußen auf der Straße eine Frauen-Demonstration gegen die NEW YORK DOLLS statt, wir wurden beschuldigt, uns über Frauen lustig zu machen. Das war natürlich totaler Quatsch, denn ich bin schon immer ein Kämpfer für all jene gewesen, die irgendwie unterdrückt wurden, schon aufgrund meiner eigenen Erfahrung mit der Vertreibung meiner Familie. Und wenn man die Möglichkeit hat, aus seiner Position heraus für sein Anliegen Werbung zu machen, dann sollte man das auch tun, dann sollte man für seine Freiheit kämpfen. Wenn nicht, stecken sie uns eines Tages alle in den Knast, und irgendwer muss immer der Erste sein, der anfängt, den Mund aufzumachen. Die NEW YORK DOLLS waren in vielerlei Hinsicht solche Frontkämpfer, sowohl musikalisch wie in geschäftlicher Hinsicht. Die ganzen Plattenbosse nahmen damals unsere Platten, hörten sie sich an, sagten uns, so eine Band könnten sie auf gar keinen Fall unter Vertrag nehmen, und spielten die Platte dann ihren Bands vor: "Hört die an und schaut euch an, wie die aussehen - das ist der neue Stil, orientiert euch daran, aber nur ein bisschen". Ich vergleiche uns immer mit dem unglücklichen Favoriten eines Pferderennens: Vom Start an geht er einsam in Führung, doch dann, kurz vor dem Ziel, stürzt er, bricht sich das Bein und alle anderen ziehen an ihm vorbei.

Über die NEW YORK DOLLS gibt es ein immer wieder zitiertes Standardwerk, "Too much too soon" von Nina Antonia. Wie stehst du zu diesem Buch, siehst du euch darin korrekt beschrieben?

Auf der ganz persönlichen Ebene halte ich sie für eine wirklich coole Schreiberin. Sie war damals mit dabei, hat uns in den Siebzigern persönlich erlebt. Sie hat uns alle und viele Leute aus unserem Umfeld interviewt, mit Ausnahme von David Johansen, und ich finde, das Buch ist eine recht gute Beschreibung dessen, was damals so geschah. David freilich mag das Buch nicht, er ließ sich auch nicht interviewen, so dass sich im Buch über David nur Aussagen anderer finden. David ist, und so empfindet er es wohl auch selbst, also nicht ganz so dargestellt, wie er das gerne hätte. Abgesehen davon ist es eine verdammt gute Darstellung der NEW YORK DOLLS und ihrer Geschichte, und außerdem war Nina die erste, die überhaupt ein Buch über uns schrieb. Es gibt unzählige Bücher über Bands, über manche gleich mehrere, doch bis zu ihrem gab es keines über die NEW YORK DOLLS, es schien beinahe, als ob man uns vergessen hat. Viele Kids konnten mit Hilfe dieses Buches nachvollziehen, dass die Bands, die sie heute verehren, selbst von einer Band angespornt wurden: Die NEW YORK DOLLS traten eine musikalische Bewegung in New York los, die den Punk in England erst möglich machte.

Wie war und ist eigentlich euer Verhältnis zu den DICTATORS, einer Band, die sich nur wenige Jahre nach euch gründete und auch immer in diesem Proto-Punk-Kontext genannt wird?

Die kamen ja wirklich Jahre nach uns, die waren dann Teil dieser CBGB's-Szene und so. Es waren ja die NEW YORK DOLLS, die für alle Bands nach ihnen die Türen aufgestoßen hatten. Die DICTATORS waren keine Band, die mich irgendwie begeistern konnte, und ihre Songs gefielen mir nicht, sie waren mir immer etwas zu kindisch, ihnen fehlte es an Tiefgang. Mir ist bei meinen Liedern ein gewisses intellektuelles Niveau wichtig, die Musik muss irgendwie clever sein, ich will nicht sofort erraten können, was der nächste Akkord sein wird. Doch bei den DICTATORS sehe ich für mich keines dieser Kriterien erfüllt. Dazu kommt, dass ihr Sänger, Dick Manitoba, einst eine heftige Auseinandersetzung mit der Drag Queen von New York hatte, mit Wayne County, aus dem später nach einem kleinen "Unfall" Jayne County wurde. Die beiden bekamen jedenfalls richtig Streit, und er/sie trat ihm so richtig in den Arsch. Die Sache ging vor Gericht, Wayne musste auch in den Knast, und ich habe bis heute einen kleinen Button mit dem Slogan "Jayne County not guilty". Für mich war also ganz klar, auf wessen Seite ich da stehe, und ich besitze bis heute keine DICTATORS-Platte.

Euer neues Album wurde von Jack Douglas produziert, mit dem ihr auch schon euer Debüt aufgenommen hattet. Wie kam es dazu?

Er ist ein guter Freund von David, und so ergab sich das. Ich hatte ihn über die Jahre auch immer wieder mal getroffen, und als wir uns dann an die Aufnahmen machten, war mein erster Satz an ihn "Ich hoffe, unsere neue Platte klingt nicht wie der Soundtrack zu ?Sgt. Pepper's Lonely Hearts Club Band', hahaha", denn der Soundtrack, für den er auch verantwortlich war, ist wirklich schrecklich. Er meinte, ich solle mir keine Sorgen machen, das sei damals ein großer Fehler gewesen. Immerhin brachte es ihm eine Menge Geld ein. Jack war bei unserer ersten Platte der Toningenieur, der eigentliche Produzent war Todd Rundgren. Jetzt wieder mit Jack zu arbeiten, war vor allem für David wichtig, er brauchte dieses Vertrauensverhältnis, er hatte lange Zeit keine neuen Songs geschrieben und da war es wichtig, sich gut aufgehoben zu fühlen. Wir haben auch mit ein paar anderen Produzenten gesprochen, aber die hatten zum Teil nicht den Hauch einer Ahnung, wer wir sind. Das Beste an meinem Verhältnis zu Jack ist, dass wir kaum reden müssen, er kann beinahe meine Gedanken lesen. Sein erster Satz, als er in den Raum trat und ich gerade auf meiner Gitarre herumspielte, war: "You still have one foot in the Brill Building". Das Brill Building, das muss man wissen, ist dieses legendäre Musiker-Haus in New York, am Broadway nahe des Times Squares, in dem unzählige legendäre Songwriter ihre Büros hatten, und das Haus gibt es bis heute. Das waren also keine Proberäume damals, das waren einfach Zimmer mit einem Piano darin, und Bands wie die COASTERS oder die SHANGRI-LAS nahmen dort ihren Anfang. Und so war Daves Kommentar einfach ein sehr nettes Kompliment bezüglich meiner songwriterischen Fähigkeiten - und er hatte damit den Produzentenjob sicher. Ich wusste einfach, dass er mich verstanden hatte, dass er weiß, worauf es mir ankommt. Wenn du Musiker bist, kannst du selber kein Buch darüber schreiben, du kannst jemand anderem nicht erklären, was du machst und was du willst, sondern dein Gegenüber muss dich verstehen. Es muss einfach klicken.

Morrissey, der sich selber einer Reunion der SMITHS verweigert, hat als großer NEW YORK DOLLS-Fan die Reunion seiner Lieblingsband ermöglicht. Wie kam es dazu?

Ich hatte bemerkt, dass ich immer wieder Autogramme in ein Buch geben musste, das Morrissey 1981 über uns zusammengestellt hat. Ich fand das beeindruckend, und dabei hatte ich bis dahin eigentlich nie was von den SMITHS gehört. Verdammt, ich wohnte irgendwie in Queens, New York, und hatte mit solchen Bands nichts zu tun. Jahre später dann spielte ich in Los Angeles in einem kleinen Club, in Al's Bar, und da kam dann Morrissey, um sich mein Konzert anzuschauen. Er lud mich und Arthur Kane ein, uns seine Show im Santa Monica Civic Center anzuschauen, und dann erst bemühte ich mich, mehr über ihn zu erfahren, ließ mir von Freunden seine Platten aufnehmen. Ich stellte dann fest, dass er live meinen Song "Trash" covert, und ich bekam auch mit, dass er der selbst ernannte Präsident unseres englischen Fanclubs ist. Das fand ich beeindruckend, und eines Tages bekam ich dann angeblich eine eMail von ihm, doch erstmal schrieb ich zurück, er solle beweisen, dass er wirklich Morrissey ist. Er bewies es dann, indem er mir die Gitarre beschrieb, die er gekauft hatte und die einst Johnny Thunders gehörte, und das genügte mir dann.

Und dann habt ihr euch von ihm zur Reunion von 2004 überreden lassen.

Ja, aber ich dachte nicht, dass daraus wirklich was wird.

Warum?

Wegen David Johansen. Wir hatten immer wieder Angebote bekommen, und es ging da nie um wirklich große Summen - auch der Auftritt beim Meltdown-Festival machte uns nicht zu Millionären -, seit den späten Achtzigern schon, und da lebte auch Johnny noch. Aber David wollte nie. Das hatte nichts damit zu tun, dass er solo so erfolgreich war - was ja nicht der Fall war -, sondern wohl eher, dass er das mit sich selbst irgendwas ausmachen musste. Doch als er dann auf der Bühne stand, liebte er es, und am liebsten wäre er mit runtergelassener Hose über die Bühne gelaufen, hahaha.

Was?!

Ach, das ist so eine Redewendung. Richtig guter Rock'n'Roll macht das mit dir, das kennst du doch, oder? Als ich ein Kid war, sah ich den Film "The Girl Can't Help It", und da spielt Little Richard "Tutti frutti" auf dem Piano, und ich war so begeistert, dass ich mich nackt auszog und so durch mein Zimmer tobte. Tja, und dann kam meine Mutter zur Tür herein und verpasste mir eine Ohrfeige, haha. Guter Rock'n'Roll bringt dich eben dazu, so was Verrücktes zu tun. Wenn das nicht der Fall ist, ist es kein echter Rock'n'Roll, so einfach ist das.

"One Day ..." ist der Titel des neuen Albums.

Ja, und der Titel ist von David. Mein Vorschlag wäre gewesen "Dancing Naked Monkeys", dazu eine große Gorilla-Mama, die ihrem Jungen eine Ohrfeige verpasst für nackiges Herumtanzen, hahaha.

Außer dir und David ist kein Originalmitglied mehr übrig. Wie habt ihr eure Mitmusiker ausgesucht?

Ich sah keinen Sinn darin zu versuchen, irgendjemand zu ersetzen: Einen Johnny Thunders oder Jerry Nolan kann man eben nicht ersetzen. Und so haben wir versucht, die "neuen" NEW YORK DOLLS zusammenzustellen, und meine Wahl fiel da ganz schnell auf Sam Yaffa von HANOI ROCKS. Ich kenne ihn seit Jahren, und er ist meiner Meinung nach ein echter New York Doll. Er hat seinen eigenen Stil, er kopiert niemanden, und das macht Evolution möglich - alles andere wäre Devolution gewesen. Wir mussten uns weiterentwickeln, nicht zurückschauen, und alles mit Liebe machen, und ich denke, das merkt man.

Was hast du all die Jahre gemacht? Es gab die ein oder andere Soloplatte von dir, aber sonst ...?

Na ja, in den Neunzigern kam mein letztes Soloalbum, das hieß im Original "Sleep Baby Doll" und kam dann 2000 in Spanien auf Munster noch mal raus. Die Platte war meine Verbeugung vor den NEW YORK DOLLS, vor meinen Bandmates. Vom Gefühl her war es für mich so, dass die NEW YORK DOLLS mich mit der Auflösung verlassen hatten - ich dagegen hatte die Band nie verlassen. Alles, was ich seitdem gemacht habe, "schmeckt" irgendwie nach NEW YORK DOLLS. Darin unterscheide ich mich von den anderen. Johnny Thunders etwa, als der die HEARTBREAKERS hatte, war das eine ganz andere Sache. Das klang vor allem nach Johnny Thunders auf Heroin. Ich kann auch jedem nur diese neue DVD "All Dolled Up" empfehlen, das ist eine sehr gute Doku. Da kann man Johnny sehen, 1973, ohne Heroin - was für ein verdammter Unterschied, er war so hübsch, so ein cooler Typ.

Too much junkie business ...

Genau ... He was the coolest fuckin' cat. Und er hatte ein riesiges Ego. Ich hatte ihm damals gezeigt, wie man Gitarre gespielt. Eigentlich wollte er Bass spielen, weil der nur vier Saiten hat und er dachte, das sei einfacher. Später machte er dann den Lauten, weil er ja der Lead-Gitarrist war und ich "nur" der Rhythmus-Gitarrist, haha. Dabei hatte er ein sehr geringes Selbstwertgefühl, was seine musikalischen Fähigkeiten anbelangt. Aber er war ein sehr guter Songwriter.

Nun wurden und werden Drogen in der Musikszene von jeher glorifiziert. Wie gehst du damit um?

Nun, es gibt einen Ort, eine Zeit und einen Grund für Drogen, doch Heroin, die Nadel, ist gnadenlos. Damit spielt man nicht, denn ab dem ersten Mal hängst du an dem Zeug: A first time user is an instant junkie. Ich habe das oft genug mitbekommen, und dann kannst du ohne die Droge keine Songs mehr schreiben, kannst ohne sie nicht mehr tanzen, ficken, irgendwas machen. Und es ist einfach verdammt dumm, diese Droge in irgendeiner Weise zu romantisieren.

Aktuell hat man ja das Beispiel von Pete Doherty von den LIBERTINES und BABYSHAMBLES, der als Junkie die Welt bereist und zumindest partiell immer noch als cool wahrgenommen wird.

Die Romantisierung des Drogengebrauchs ist das eine, aber vor allem garantiert dir ein angekündigter Selbstmord ausverkaufte Konzerte. Die Medien lieben Skandale, und die Zeitungen verkaufen sich gut, wenn sie über Skandale berichten, und nicht, wenn sie schreiben, dass einer ein netter Kerl ist, denn nette Kerle sind langweilig: ein netter Typ wird nicht verhaftet, er wird nicht flachgelegt. Und eigentlich sollte ja die Musik das Wichtigste an einer Band, an einem Musiker sein, doch die tritt in so einem Fall völlig in den Hintergrund. Und noch viel schlimmer ist die Botschaft, die solche Typen an die Kids da draußen aussenden, nämlich dass es cool ist, Heroin zu nehmen. Ich weiß, dass Johnny Thunders immer noch mit "knocking on heaven's door" beschäftigt ist, aber sie lassen ihn nicht rein, denn er sang all die Songs über Drogen, "I'm living on chinese rocks" - und weißt du, wie viele Kids das umgebracht hat, die genauso "cool" sein wollten wie Johnny? Oder Sid Vicious, genau der gleiche Fall.

Wie gehst du damit um, dass mittlerweile vier deiner Mitmusiker gestorben sind? Billy Murcia gleich 1972 zu Beginn, Johnny Thunders 1991, Jerry Nolan 1992 und schließlich auch noch der überraschende Tod von Arthur Kane im July 2004 kurz nach der Reunion.

Tja, was willst du tun? Dein eigenes Leben geht weiter, du musst weitermachen. Es macht mir keine Angst, es ist kein neues Gefühl, denn mit den NEW YORK DOLLS war es immer schon so, dass wir entweder ganz oben waren oder ganz unten. So ist eben das Leben, und man darf über das alles nicht zu sehr grübeln, sonst kannst du keine Musik mehr machen. Aber ich habe meine toten Freunde im Herzen, sie sind immer bei mir. Sie waren alle Sweethearts, auch wenn sie Fehler gemacht haben. Johnnys Fehler war dabei ganz klar, dass er mit Heroin angefangen hat. Mit dem Zeug, mit der Nadel, damit spielt man nicht. Du kannst das Zeug nicht kontrollieren, es hat dich an den Eiern, es macht dich zum Tier, du bist nur auf der Jagd nach dem nächsten High, und als Musiker kannst du kaum auf Tour gehen, du musst ja in der Nähe deiner Drogenquelle bleiben. Oder du tourst nur da, wo auch Heroin ist, etwa in Paris, hahaha. Wo du deine "Medizin" bekommen kannst.

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Exakt, danke, das bringt es auf den Punkt. Den ganzen Tag denkst du an nichts anderes, als wo du dein Zeug bekommen kannst, wie du das Geld dafür auftreiben wirst. Später, nicht lange vor seinem Tod, kam Johnny mal zu einem meiner Konzerte in New York, und ich habe erst später kapiert, dass er sich damals von mir verabschiedet hat. Er wusste, dass er sterben wird, und das Geschwätz, dass ihn jemand umgebracht hat, ist Bullshit. Sein Körper hatte schon 15 Jahre vor seinem eigentlichen Tod aufgegeben, so war es. Jedenfalls kam er zu diesem Konzert, sagte, dass er es sehr vermisse, mit mir zu spielen, wie dankbar er mir sei, dass ich ihm das Gitarrespielen beigebracht habe. Er erzählte das auch all seinen Freunden, doch ich hatte ihm eigentlich nur gezeigt, wie man den Blues spielt, hatte ihm Barre-Chords gezeigt, diese klassischen Chuck Berry-Griffe, dieses Gadeng-Gadeng-Gadeng-Gadeng. Ich erklärte ihm dann, es ganz einfach zu machen, nur die Power-Chords zu spielen, und das hatte er dann schnell kapiert. Das kriegst du mit einer ganz simplen Gitarre schon richtig gut hin, mit einer primitiv ausgestatteten Les Paul Junior.

Beim zweiten NEW YORK DOLLS-Album "Too Much Too Soon", da kannst du auf dem Cover Johnny mit einer Gibson Les Paul TV-Gitarre sehen, die ich mir aus meinem Studio-Budget für 300 Dollar gekauft hatte. Da er aber der Lead-Gitarrist war, hatte er 800 Dollar zur Verfügung, und er kaufte sich davon eine Black Beauty - die ich auf dem Foto in der Hand halte. Eines Tages kam er dann zur Probe, ich hatte meine TV in einen Marshall-Combo-Verstärker eingestöpselt und holte da so einen irren Sound raus, dass er unbedingt meine Gitarre gegen seine eintauschen wollte, haha. Und so haben wir die Gitarren getauscht, was wir sowieso ständig gemacht haben - mehr noch als Frauen, hahaha. Wobei ich das in Bezug auf Frauen nicht wirklich empfehlen kann, hehe, das bringt nur Ärger. Aber wir waren jung, was willst du machen. Und so hatte ich seine teure Lead-Gitarre und er meine billige Rhythm-Gitarre. Na ja, das war nur ein Beispiel für Johnnys manchmal sehr starkes Ego, und wenn du so was mit Heroin mischst, ist das nicht wirklich gut.

Eure Platten waren all die Jahre erhältlich, sind zu Klassikern geworden.

Ja, aber weißt du was? Wir mussten uns damals von der Plattenfirma anhören, unsere Platte würde sich nicht verkaufen, eben weil innerhalb von zwei Wochen nach der Veröffentlichung nicht viel passiert war. Tja, für die Industrie ist eben jeder ein Versager, der nicht sofortigen Erfolg vorweisen kann. Die Kids hingegen sehen das bis heute anders, unsere Platten verkaufen sich auch nach 35 Jahren noch. Da ist es mir egal, dass ich nie meine Goldene Schallplatte erhalten habe, echten Erfolg kann man damit sowieso nicht messen. Und das verbindet uns mit Morrissey, der einst Präsident unseres Fanclubs war - und sich dazu selbst ernannt hatte, hahaha. Die NEW YORK DOLLS sind eine Sache für immer, und mit diesem Gefühl gingen Arthur und ich auch 2004 an diesen Auftritt auf dem Meltdown-Festival heran, zu dem uns Morrissey eingeladen hatte. Arthur und ich waren damals etwas "hungriger" als David, bei dem mussten wir etwas Überzeugungsarbeit leisten, auch weil er andere Verpflichtungen hatte. Arthur hat es letztlich geschafft, David zu überzeugen, und ich bin Morrissey unendlich dankbar, dass er uns diesen Auftritt ermöglicht hat, der Arthur sehr viel bedeutet hat und ihn so kurz vor seinem unerwarteten Tod zu einem sehr glücklichen Menschen machte. Er hatte sein ganzes Leben lang auf diese neue Chance gewartet, sie aber die Jahre zuvor nicht bekommen, auch wenn seine Band THE CORPSE GRINDERS wirklich cool war.

Neben den beiden regulären Alben gibt es eine unüberschaubare Menge an verschiedensten Veröffentlichungen diverser Livemitschnitte und Demo-Sessions. Wie stehst du dazu?

Nun, jedes Mal, wenn wir im Studio waren, lief natürlich das Band mit, doch außer den beiden Alben hatten wir zu Lebzeiten keine Veröffentlichung. Als unsere Popularität nach dem Ende der Band immer weiter wuchs, nach und nach immer neue Generationen von Musikfans uns entdeckten, stieg natürlich auch das Interesse an Platten, und so erschien nach und nach fast alles, was wir aufgenommen haben, auch wenn es nur Demo-Sessions waren, auf Platte oder CD. Anfangs waren das fast alles Bootlegs, doch später dann kamen immer wieder Labels auf uns zu, und was soll ich sagen, es gab Zeiten, da war ich sehr pleite, und wer immer mich anrief, um meine Erlaubnis zur Veröffentlichung einer Live-Aufnahme aus Max' Kansas City einzuholen, der bekam sie auch im Tausch gegen einen Scheck an mich und meine einstigen Kollegen. Und Mann, ich war teilweise echt verdammt abgebrannt. Ich weiß natürlich, dass diese ganzen Platten teilweise auch ganz schön scheiße sind, aber wer immer so was rausbringen wollte, wusste schon, dass der ärmste Kerl von dieser Band schnell dabei ist, ein Stück Papier zu unterschreiben.

Heute scheinst du aber ein ganzes Stück glücklicher zu sein.

Ja, ich bin ein glücklicher Mann, und die Welt scheint sich wieder für uns zu interessieren. Davor lebte ich in mal in New York, mal in Los Angeles, mal in London, hatte die verschiedensten Jobs, denn vom Ruhm der NEW YORK DOLLS konnte ich nicht leben. Aber wann immer ich 50 Dollar übrig hatte, verwendete ich sie, um irgendwie ein paar Songs aufzunehmen, und ganz offen, diese Songs sind ehrlicher als das, was andere für 200.000 Dollar aufnehmen. In den Achtzigern hatte ich mal einen Vertrag mit RCA, aber die wollten einen zweiten Bruce Springsteen aus mir machen, während ich lieber der verrückte Sylvain Sylvain sein wollte, der ich eben bin, und so blieb ich ihnen das dritte Album schuldig. Richtig zufrieden war ich dann erst wieder mit dem "Sleep Baby Doll"-Album, das in Europa unter dem Titel "Paper, Pencil And Glue" erschienen ist. Und jetzt ist diese Platte zusammen mit dem CRIMINALS-Album in England als Doppel-CD-Box erschienen. "Sleep Baby Doll" hatte ich damals zur Hälfte im Keller meines Hauses in Georgia aufgenommen, und den Rest, die ganzen Gastmusiker, dann in einer Garage in L.A. Ich bin immer noch stolz auf diese Platte, auch wenn sie unter ganz einfachen Bedingungen entstanden ist.

Von dir wird erzählt, dass du dich eine ganze Weile in New York als Taxifahrer durchgeschlagen hast.

Ja, ich war drei Jahre Taxifahrer in New York, und in diesen drei Jahren bin ich dreimal ausgeraubt worden, einmal sogar von einer Frau. Warum ich den Job gemacht habe? Weil ich da mein eigener Boss war. Wenn ich keine Lust zum Arbeiten hatte, machte ich halt einen Tag blau, und ich hatte immer genug Zeit zum Musikmachen oder um auf Konzerte zu gehen.

"Taxi Driver", in echt.

Ja, ich war das Original. Als ich dann aus New York wegging, weinte die ganze Stadt, denn sie hatte ihren besten Taxifahrer verloren, hahaha.

Wenn du jetzt wieder mit den NEW YORK DOLLS auf die Bühne gehst, etwa in Paris nach über 30 Jahren wieder im Olympia auf der Bühne stehst, verspürst du da eine gewisse Nostalgie?

Nein, das Leben geht ja ständig weiter, mit Nostalgie halte ich mich nicht auf. Ich liebe Musik, ich hatte und habe Spaß an der Musik, und auch wenn ich die letzten Jahre keinen Plattendeal hatte, habe ich doch immer neue Songs geschrieben und Konzerte gespielt. Aber ich muss schon sagen, dass es schöner ist, so richtig weltweit auf die Bühne zu gehen und nicht nur in meiner Heimatstadt New York. Von daher also: Keine Nostalgie, ich lebe lieber mein Leben.

Sylvain, ich danke dir für das Interview.