YEAR FUTURE / GSL

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Wir gegen die

Vor anderthalb Jahren erschien mit der "The Hidden Hand"-EP das Debüt der L.A.-Band, hinter der Gold Standard Laboratories-Labelgründer Sonny Kay (auch bei THE VSS) sowie Rockey Crane (ex-DEAD AND GONE), Pete Lyman und Rockey Crane (auch bei MOVING UNITS) stecken. Anfang Mai kam nun das Album, und aufgenommen wurde "First World Fever" im Herbst 2005, kurz vor der zweiten Europatour mit THE LOCUST. Im Vergleich mit so manch anderer GSL-Band sind YEAR FUTURE recht zugänglich, in ihrer Eckig- und Kratzigkeit nicht so sperrig wie erwartet. Ihr Sound ist eine fiebrige, rhythmisch komplexe Kombination aus hektischen, wütenden Hardcore-Sounds einerseits und fiebrigen, flirrenden Frühachtziger Wave-Sounds andererseits (man covert "Black sun" von DEAD CAN DANCE), ohne sich damit auch nur annähernd in die Nähe irgendwelcher Dancepunk-Bands zu begeben. Trotz eigenwilliger Wahl der Waffen bewegt man sich vielmehr auch textlich in hardcorigen Kreisen, thematisiert Globalisierung und Konsumgesellschaft und gibt dazu smarte Statements ab, ohne zu predigen. Und so ließ ich mich dazu hinreißen, Sonny Kay über Band und Label zu befragen - und war enorm erfreut über seine offenen und umfangreichen Antworten.


Sonny, deine Band scheint ihre Einflüsse aus einem weiten Spektrum zu beziehen, von frühem Hardcore und rauhem Noiserock bis hin zu britischem Gothic und Wave. Meinst du, ihr könntet euch innerhalb der Band auf zehn Alben einigen, die euch maßgeblich beeinflusst haben? Welche wären das dann? Und warum?

Ich glaube nicht, zehn Alben benennen zu können, auf die sich die ganze Band einigen könnte, aber ich denke, ich befinde mich auf der sicheren Seite, wenn ich sage, dass die folgenden von allen in der Band wenigstens geschätzt werden. Ich würde sie meine persönlichen Top-Ten-Einflüsse nennen:

1. JOY DIVISION "Closer": Die Band mit dem einzigartigsten Sound ihrer Zeit und ich habe nie etwas Zwiespältigeres gehört als diesen Sänger mit einer gleichzeitig flachen und unmelodiösen Stimme, die trotzdem so viele Emotionen transportiert.

2. DRIVE LIKE JEHU - das erste Album: Das war für mich wie Punk noch mal zum ersten Mal zu entdecken und änderte vollkommen meine Vorstellung von dem, was eine Band dem Hörer kommunizieren kann. Und ihre Texte wälzten meine eigene Einstellung zu dem, was ich in einem Song sagen wollte oder auch nur könnte, völlig um.

3. BAUHAUS "Burning From The Inside": Auch wenn es ihr letztes war, war es das erste BAUHHAUS-Album, das ich je gehört habe. Ich empfand ihre seltsamen Taktarten zwar als völlig verwirrend, gleichzeitig machen die aber auch hochgradig süchtig. Ich war erst 14 und dachte, dies sei der Endpunkt der Musik. Sie wirken so absichtlich abstrakt, als würden sie gar nicht erst versuchen, ein Publikum zu erreichen.

4. PUBLIC ENEMY "It Takes A Nation Of Millions": In der Schule liebten all meine Freunde RUN DMC und die BEASTIE BOYS, während ich die Anziehungskraft von HipHop nie verstanden habe. Dann erschien dieses Album und eröffnete mir einen neuen Horizont. Die Politik, die Beats, aber am meisten der Krach und das Chaotische des Ganzen. Ich verstand nicht, wie wichtig es war, aber ich wusste, es ist großartig.

5. EMBRACE "s/t": Selbstverständlich waren MINOR THREAT großartig und von Anfang an Lieblinge von mir, aber EMBRACE sprachen mich auf ganz persönlicher Ebene an. Ich hatte zuvor nie etwas gehört, das so konkret mein eigenes Leben betraf. Und zugleich war es sehr inspirierend, dieselbe Stimme zu völlig anderer Musik zu hören. Das öffnete meine Augen für die Möglichkeiten, sich als Künstler zu verändern und zu entwickeln.

6. ECHO AND THE BUNNYMEN "Porcupine": Sobald ich das erste Mal die Streichereröffnung von "The cutter" gehört hatte, war ich angefixt. Immer noch meine absolute Lieblingsband, auch wenn mir nur die ersten vier Alben etwas bedeuten. EATB sind für mich der Inbegriff cooler, abgehobener Stilsicherheit und vermutlich der größte einzelne Einfluss auf meine generelle Einstellung zur Musik überhaupt, Wer sonst könnte auf Gletschern in Island herumklettern und es aussehen lassen, als wäre es die selbstverständlichste und hippste Sache die man nur tun kann?

7. DEAD SILENCE "For Your Ego's Sake"/"Hope" - also beide EPs: Diese Band war für mich das lokale Äquivalent zu CRASS, so um '88/89, als ich in Colorado lebte. Sie veröffentlichten zwei Alben, aber die Aufnahmen, die mich wirklich begeisterten, waren ihre zwei 7"-EPs. Sie brachten mir in einer entscheidenden Phase meines Lebens Ansichten zu Tierrechten, Faschismus und so weiter nah. Und ich stehe immer noch zu den Idealen, die mich damals inspirierten. Sie waren so rauh und kraftvoll, aber ihre Message war Liebe und Frieden - dieser Gegensatz faszinierte mich.

8. Morrissey "Viva Hate" - und alles von den SMITHS: Wahrscheinlich hatte er den größten Einfluss auf meine Texte. Ich liebe alle SMITHS-Platten, aber dieses erste Soloalbum von Morrissey stimmt noch mehr mit mir überein.

9. CLIKATAT IKATOWI "Orchestrated And Conducted"/"Demo Tape": Eine der besten Livebands aller Zeiten mit einem nach wie vor riesigem Einfluss auf mich. "Demo Tape" mit ein paar der gleichen Songs ist nicht mehr erhältlich, demnach ist das Album am nächsten dran. Zu diesem Zeitpunkt war ihr Sound wirklich frisch und unvorhersehbar und jedes Wort, jede Performance strahlte Intensität und Ernsthaftigkeit aus. Ich bin sehr froh, damals in ähnlichen Kreisen wie sie verkehrt zu haben und sie vielleicht acht- oder neunmal gesehen zu haben. Seit damals hat sich für mich keine Show noch mal derart wichtig oder besonders angehört. Ihr Livealbum vermittelt davon aber leider keinen guten Eindruck.

10. THE SPECIALS - das erste Album: Ich mag nicht gerade viel Ska, aber dieses Album ist von der Einstellung her sehr punkig und mit nichts, was vorher kam, vergleichbar. Noch eine Band, die ein perfektes Beispiel dafür gibt, wie man gleichzeitig cool und sozial bewusst sein kann, während man unterschiedliche Elemente kombiniert, um etwas Neues und Einzigartiges zu erschaffen. Ich habe immer noch viel Respekt und Bewunderung für Terry Hall, den Haupt-Sänger.



Ihr seid auf diesem neuen BIRTHDAY PARTY-Tribut-Sampler. Was bedeutet/e dir diese Band und was macht sie so besonders? Ihr habt auch DEAD CAN DANCE gecovert - sind die dir auch wichtig?

BIRTHDAY PARTY sind definitiv eine meiner Lieblingsbands, auch wenn ich sie nicht kannte, bevor sie in den frühen 90ern wieder entdeckt wurden. Sie hatten einen riesigen Einfluss auf die San Diego/Gravity-Szene, besonders auf Bands wie CLIKATAT IKATOWI und ANTIOCH ARROW. Und nachdem mich diese Bands immer inspiriert hatten, kam ich natürlich auch irgendwann zu BIRTHDAY PARTY. Für mich wirkten sie sehr originär und Nick Cave schien mit seiner Stimme und seinen Texten immer auf den Hörer herabzuschauen; so etwas war mir vorher noch nicht begegnet. Die Songs klingen einfach so bedrohlich und wohlüberlegt. Alles an ihnen strotzte vor Zuversicht und sie ließen sich durch nichts und niemanden beirren. Meiner Meinung nach sind sie mehr "punk" als alles andere. DEAD CAN DANCE andererseits bedeuten mir von musikalischen Gesichtspunkten her wenig, auch wenn ich vieles auf ihren frühen Alben schätze, bevor sie so sehr symphonisch und mittelalterlich wurden. Ich kannte sie nicht vor Mitte der 90er, und dann auch erst, nachdem ich zuvor DEATH IN JUNE und CURRENT 93 für mich entdeckt hatte, aber ich weiß zunehmend anzuerkennen, was für eine totale Ausnahmeband sie waren und sind. Ich liebe die von ihnen verwandte Bildsprache, tatsächlich muss ich sagen, dass ich sehr viel mehr an ihrer Kunst als ihrer Musik interessiert bin. Ich bin der Ansicht, dass "Black sun", der Song, den wir gecovert haben, thematisch unwahrscheinlich relevant für die heutige Welt ist, die Lyrics hätten auch von mir stammen können.

Als ich Mitte der 80er zu Punk, Hardcore und New Wave/Gothic kam, gab es keine genauen Abgrenzungen zwischen diesen Szenen, während sie heutzutage fast völlig getrennt laufen und besonders in Europa die Gothic-Szene mehr daran interessiert zu sein scheint, sich pseudo-mittelalterlich herauszuputzen, und miesen Elektro-Pop der großartigen Musik vorzieht, die in den 80ern aus dieser Szene kam. Wie sieht das drüben in den Staaten aus und welche Art von Publikum taucht bei euch auf?

Ich denke, die "Goth"-Szene in den USA ist der von dir beschriebenen europäischen sehr ähnlich. Die gesamte Ästhetik wirkt mittlerweile wie eine Karikatur, genau wie auch Iros und nietenübersäte Lederjacken, was sehr schade und so vorhersehbar ist. Unser Publikum ist bunt gemischt aus Punks, Emo-Kids und ab und an auch Goths, dies aber hauptsächlich in L.A., das nach wie vor die weltweite Gothic-Hochburg ist. Ich bin froh darüber, dass YEAR FUTURE aus der gleichen Stadt stammen wie CHRISTIAN DEATH und wir teilen die gleichen Vorstellungen, die diese Band einst ausmachten. Nämlich die Fusion von Elementen unterschiedlicher Herkunft zu etwas Neuem und Einzigartigem. Denn was mich betrifft, ist das der Kernpunkt der ganzen Sache. Unglücklicherweise wurden CHRISTIAN DEATH bald zum Klischee, etwas, das wir unbedingt vermeiden möchten. Ich denke, dem "Gothic-Look" haftet immer noch viel Substanz an, wenn es darum geht, Mainstream-Ideale abzulehnen. Nichtsdestotrotz, wenn dieser Look nicht mehr kostet, als ein Gang zum Einkaufszentrum kostet, wenn es keine Kreativität oder persönlichen Einsatz mehr erfordert, dann bedeutet er auch nicht viel.

Was führte die Band zusammen, oder ist die Band eher ein "Duopol", bestehend aus dir und Rockey Crane?

Ursprünglich gründeten wir sie zu viert, aber ja, das Ganze hat sich in vieler Hinsicht zu einer Partnerschaft von Rockey und mir verdichtet. Wir versuchen, jeden in das Songwriting einzubeziehen, und unser neuerer Bassist Pete spielt mittlerweile definitiv eine Schlüsselrolle bei unserem Sound. Aber überflüssig zu erwähnen, dass die Kombination aus Rockeys Gitarrenspiel und meine Stimme - zum Guten oder Schlechten - den Kern des Ganzen ausmacht. Rockey und ich teilen einige Ideale und Ziele und ich komme mit ihm besser aus als mit jedem anderen, mit dem ich je in einer Band gespielt habe.

Was ist das "First world fever"? Eine Krankheit, die manche Länder dazu bringt, andere auszubeuten? Und: ist sie heilbar?

"First world fever" beschreibt, was ich für die gesammelten Auswirkungen von Kapitalismus und Imperialismus auf die Welt als Ganzes halte. Nicht einfach nur Kapitalismus im Sinne von Produktion und Ausbeutung, sondern auch seinen tiefen psychologischen Einfluss auf Beziehungen wie die zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer, Herr und Diener, Imperium und Kolonie. Ich spüre genau, dass das gleichermaßen relevant und bedrohlich ist für Massai-Stammesangehörige in Afrika, Börsenmakler in New York wie für Kinderarbeiter in Peking. Es geht nicht nur ums Geld, aber Geld ist das offensichtlichste Symptom und die größte einzelne Ablenkung. Ich glaube nicht, dass wir ein "Heilmittel" für dieses Fieber noch erleben werden - ich denke, zuerst muss die gesamte Menschheit eine neue Bewusstseinsebene erreichen, aber das bedeutet nicht, dass man sich dem Ganzen nicht widersetzen kann. In vieler Hinsicht sehe ich dieses "Sich-widersetzen" als den eigentlichen Sinn des Lebens an. Wir gegen die. In einem Krieg um die Menschheit, die Waffen heißen Liebe und Bewusstheit. Ich weiß, dass das jetzt sehr nach New-Age-Hippie-Scheiße klingt, aber es ergibt immer noch viel mehr Sinn als ständige Eroberungskriege und einem Lebenssinn, der sich direkt aus dem eigenen Bankguthaben herleitet. Sonst läge die Bedeutung des Lebens nur im Tod, was auch nicht viel Sinn ergibt.

Auf eurer Platte steht "Novus Ordo Seclorum", lateinisch für "Neue Weltordnung" und das Artwork zeigt diverse Köpfe. Was steckt dahinter, wer sind diese Leute? Und von wem stammt das Artwork?

Wir beschlossen, diesen Begriff mit einzubeziehen, vornehmlich weil er genauso auf der Ein-Dollar-Note steht, was die meisten Amerikaner, die sich dessen nicht bewusst waren, schockieren dürfte. Außerdem ist der Dollar ja die "Weltwährung", weshalb es angemessen erscheint vorzuschlagen, dass dieser Slogan tatsächlich auf alle Währungen zutrifft - letztlich dient alles dem selben Zweck: eine neue Weltordnung zu errichten, was immer das heißen mag. Das Artwork habe ich selbst gestaltet aus einer Kombination amerikanischer Ein- und Zwei-Dollar-Noten und Bildern aus dem Internet. Die auf dem Album abgebildeten Gesichter stammen alle von geläufigen Währungen, mit Ausnahme Saddam Husseins selbstverständlich, bei dem die zugehörige Währung ausgedient hat. Die Botschaft ist, dass - unabhängig von der lokalen Erscheinungsform - alles Geld zurück zur Weltbank führt und zu der globalen Elite, die uns so manipuliert. Geld zu nationalisieren und es mit hübschen Bildchen zu dekorieren, ist nur noch eine weitere Ablenkung mehr von dem, was wirklich zählt. Davon abgesehen, finde ich Geld ziemlich faszinierend anzuschauen und manches ist recht hübsch, was an sich schon ein trauriger Kommentar zur Menschheit ist.

Was für ein Auto fährst du? Ich frage nur, nachdem ich gerade den Text zu "Vehicular baptism" gelesen habe. Kannst du uns bitte etwas zum Hintergrund dieses Songs erzählen?

Ich selbst fahre einen 1997er Honda Accord und liebe es. In Los Angeles herrscht die einhellige Meinung, ein Auto sei hier zwingend erforderlich, was es in vieler Hinsicht auch ist. Größtenteils dank der Automobil-Konzerne, die den Erbauern dieser gewaltigen Stadt Unsummen bezahlt haben, um zu verhindern, dass es effektive öffentliche Verkehrsmittel gibt. Die Idee "Auto" finde ich gar nicht falsch, mich stört vielmehr die blinde Abhängigkeit vom Öl, die unnötige Verschmutzung, der Fetischismus, die Selbstaufblähung und die offensichtliche Manipulation der Öffentlichkeit, die durch Automobile möglich werden. Wieder einmal werden wir abgelenkt durch Schlagzeilen - Terrorismus, abnehmende Reserven, Umweltschutz -, von denen keine das wirkliche Problem anspricht: die Kontrolle über unser Leben durch die Profitmacher.

Heutzutage gibt es unzählige Bands, aber 99 Prozent sind aus komplettem Mangel an Originalität einfach langweilig. Was unternimmst du, um zu dem restlichen einen Prozent zu gehören?

Damit unterstellst du wohl, dass wir zu eben diesem einen Prozent gehören, danke für das Kompliment. Ich denke, was uns unterscheidet, ist einfach der Glaube an uns selbst. Die 99 Prozent sind so langweilig, wie sie sind, weil sie nicht an ihre eigenen Fähigkeiten glauben, an ihr kreatives Potenzial, und zuviel Angst haben vor dem, was andere Leute von ihnen halten könnten, um mit dem bekannten Muster zu brechen. Persönlich habe ich keinerlei Interesse, irgendetwas zu wiederholen oder jemanden zu imitieren; darin sehe ich nicht den geringsten Nutzen - außer natürlich den, Geld zu machen. Wenn Geld für uns Priorität hätte, würden wir Software entwickeln oder vielleicht gerade irgendwo Pornos drehen. Eines Tages werde ich tot sein, aber vorher ich würde gerne auf etwas von Wert zurückschauen können, das ich den Leuten der Zukunft zurückgelassen habe. Das mag der Fall sein oder nicht, aber meiner Meinung nach ist es ein ehrliches Bestreben und eine so sinnvolle Verwendung für ein Menschenleben wie jede andere. Was ich mit "Wert" meine, wohnt der Musik selbst inne und hat nichts mit irgendwelchen Plattenverkäufen zu tun. Sicher wäre es toll, Millionen von Platten zu verkaufen, aber nichts Gehaltvolles wird es jemals wieder schaffen. Die 60er sind tot und eine weltweite Infrastruktur sorgt dafür sich, dass das auch so bleibt. Es wird nie wieder eine zweite Band wie MC5 geben, dafür eine Million weitere GREEN DAYs.

Wie oder wo - und das bringt uns zu den Fragen zu deinem Label - findest du alle diesen wunderbaren, originellen Bands, die du auf GSL heraus bringst?

Was GSL angeht, hatte ich einfach nur sehr viel Glück. Die meisten Bands, die wir veröffentlicht haben, bestehen aus Freunden von mir, Leuten, die ich in manchen Fällen schon viele Jahre kenne. Oft führte eine Band zur anderen. Ich bin sehr dankbar, dass die Leute die Bands originell finden und GSL dafür respektieren. Letztlich war es immer der Zweck des Labels, neue Ideen vorzustellen. Ich habe auch nie versucht, einen bestimmten Sound besonders hervorzuheben. Ich meine, warum sollten wir die Abziehbilder von THE LOCUST veröffentlichen, wenn wir schon das Original hatten? Das wäre die Art von Verblödung und Geldmacherei, die ich von einem Majorlabel erwarten würde. Ich hätte es lieber, wenn man sich meiner des guten Geschmacks wegen erinnert, anstatt für das Verkaufen von einer halben Million Exemplaren Scheiße.

Wann und warum hast du das Label gegründet?

GSL habe ich 1993 während meiner Universitätszeit gegründet. Ein paar Labels waren auf meine damalige Band ANGEL HAIR aufmerksam geworden, so kamen wir in den Genuss, einem größeren Publikum vorstellig zu werden. Gleichzeitig war ich in Colorado umgeben von Bands, die ich großartig fand, aufregende Bands, die kamen und gingen, ohne irgendetwas zurückzulassen. Ich war beteiligt an der Veranstaltung von Konzerten und kannte daher Unmengen von Bands, weswegen die Gründung eines eigenen Labels der ganz natürliche nächste Schritt war. Zu diesem Zeitpunkt hab ich noch nicht erwartet, dass es sich zu dem entwickeln würde, was es heute ist, und ich wusste gar nicht genau, was ich da mache, aber es hat Spaß gemacht und darum ging es auch.

Wie bist du es angegangen? Hattest du vorher schon Erfahrung mit der Veröffentlichung von Platten?

Ich brachte etwas Erfahrung mit, nachdem meine Band zuvor ein paar 7"s herausgebracht hatte, aber ich wusste nicht das Geringste übers Business, aber lernte es, während ich einfach weitermachte. Ich bezahlte für die Aufnahmen mit dem Geld, das ich für die Uni erhielt, Studentendarlehen, die ich tatsächlich immer noch abbezahle! Dieser Teil der Geschichte ist wohl etwas ironisch.

Welche Labels, Personen oder Vorstellungen haben dich inspiriert, das Label zu gründen?

Damals war ich wahrscheinlich am meisten von Gravity aus San Francisco beeinflusst, obwohl man wohl genauso sicher sagen kann, dass sowohl Gravity als auch GSL sehr von Dischord und Touch & Go beeinflusst waren. Für mich waren es auch viele der "historischen" Punk- und New Wave-Labels, wie Factory, 4AD und Alternative Tentacles. Aber Gravity schien mir eine völlig neue Einstellung und Ästhetik zu vertreten, die mich sehr faszinierte. Für mich verkörperte Gravity das D.I.Y-Konzept, im dem Sinne, dass sie die "hand made"-Version waren und ich mir GSL mehr "plastic" vorstellte, eine leichte Abwandlung der gleichen Sache. "Plastic" nur in Bezug auf Verpackung und Selbstdarstellung, definitiv nicht, was die Musik betrifft! Also in etwa: Kunst zuerst, Kommerz zweitrangig. Ich denke, auf manche Weise stehen wir beide immer noch dafür, genau wie jetzt auch Three One G.

Wer sind die Gesichter hinter GSL?

GSL wird in erster Linie immer noch von mir gemacht. Obwohl ich ohne Tim Jones als Büroleiter nicht auskäme, aber die Eigentümerschaft des Labels teile ich mit Omar von THE MARS VOLTA und einigen stillen Teilhabern, die vor ein paar Jahren mal Geld investiert haben. Das Label ist immer noch sehr independent, auch wenn einige Deppen beim Maximumrocknroll steif und fest das Gegenteil behaupten. Wir werden vertrieben von Redeye Distribution, einem reinen Independent-Betrieb.

Gibt es eine Geschichte zu dem Namen?

Ursprünglich stand GSL für "Guaranteed Stafford Loan", der Studentenfond, aus dem das Geld stammte, mit dem ich die ersten Veröffentlichungen finanzierte. Ein paar Jahre später war der Name nicht mehr relevant oder lustig, aber ich wollte GSL beibehalten. Also machte ich mir eine Menge Gedanken dazu, bis ich schließlich entschied, dass "Gold Standard Laboratories" für mich am meisten Sinn ergibt. Es ist ein bisschen als Witz gemeint. Der "Gold Standard"-Teil verweist auf das Thema Geld und "Laboratory" steht für etwas, das mit Experimenten und Glücksspiel zu tun hat. Manche Leute scheint es sehr zu amüsieren, aber ich denke, die meisten Kids verstehen den Namen nicht und es kümmert sie wahrscheinlich auch nicht.

Verfolgst du eine bestimmte Labelpolitik?

Das Einzige, was mir einfällt, ist, dass ich versuche, mich nicht zu wiederholen und nicht das zu machen, was alle anderen tun. Das sind meine persönlichen Ansichten, aber sie treffen auch auf das Label zu. Und ich denke, ich muss bei jeder Platte ein Gefühl einer Art künstlerischer Glaubwürdigkeit und Stichhaltigkeit haben. Du wirst keine "Punk-O-Rama Volume 20"-Titel in unserem Katalog finden.

Hat es eine besondere Bedeutung für dich, ein Indielabel zu sein? Wie stehst du zu Majors? Irgendwelche positiven oder negativen Erfahrungen?

Ich stimmte bis zu einem gewissen Grad mit den Leuten überein, die sagen, es gäbe keinen Unterschied mehr zwischen Majors und Indies, weil viele der Trennlinien verwischt sind. Dennoch empfinde ich "Indie" als etwas, das mehr ist als ein Musikstil, und denke, es ist möglich, ein profitables Unternehmen zu leiten, ohne sich zu verkaufen oder andere auszubeuten. Es ist nicht unmöglich. Es erfordert einigen Aufwand und Einsatz und viele Leute und Betriebe machen es sich einfach, indem sie den Weg des geringsten Widerstands wählen. Zum Glück ist GSL dank Omar in einer nahezu einzigartigen Situation. Er und seine Band sind, was Majorlabels angeht, einer der größten Ausnahmefälle. Niemand kann die Tatsache bestreiten, dass sie derart populär sind, weil sie Teil der riesigen Darstellungsmaschinerie eines Konzerns sind. GSL veröffentlich die Vinylversionen ihrer Sachen und natürlich profitieren wir in hohem Maße davon, aber es gibt eine unüberwindbare Barriere zwischen uns und zum Beispiel Universal. Wir sind zwei völlig verschiedene Spezies, die sich mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten bewegen. Ich habe keinerlei Kontakt zu Universal und ich bin mir ziemlich sicher, dass ich nie mit ihnen persönlich Signings besprechen werde. Ich weiß, dass Omar und MARS VOLTA von ihnen als Majorlabel fair behandelt wurden. Aber ich denke auch, dass das so gelaufen ist, weil sie ein gutes Management hatten, das das Label zwang, Sachen zu tun, die sie für andere Bands vielleicht nicht getan hätten. Jede Situation ist einzigartig, aber es ist kein Geheimnis, dass Majors nichts weiter am Herzen liegt als der Profit. Ich würde lieber nach unseren eigenen Bedingungen Erfolg haben, auch wenn das bedeutet, dass dieser geringer ausfällt.

Welches Format bevorzugst du bei den GSL-Releases?

Ich bevorzuge Vinyl bezüglich des Artworks, aber davon abgesehen ist es mir egal. Formate sind ohnehin nicht mehr als fortschreitende Technologie. Leute, die Vinyl verteidigen, könnten genauso gut Pferdewagen den Autos vorziehen, das ist eine sinnlose Diskussion. Ich weiß die ästhetische Freude an einer Platte sehr zu schätzen, aber sie kosten eine wahnsinnige Menge Plastik, das heißt Öl, und Papier, also Bäume, und die Metallteile wirken extrem verschmutzend und verheerend. Allein aus diesen Gründen müssen sie früher oder später verschwinden. Wir bringen zu einigen Veröffentlichungen immer noch Vinyl raus und hin und wieder verlangen die Bands etwas Ausgeflipptes - inklusive YEAR FUTURE -, und wenn es möglich ist, machen wir es auch. Aber meiner Meinung nach sind das Modeerscheinungen, die im Gegensatz zu der Musik selbst nicht lange Zeit überdauern werden. Ich liebe es, "Punks" zuzuhören, die von Vinyl schwärmen, dabei die Auswirkungen einer 7" auf die Umwelt im Vergleich zu einer CD oder mp3-Daten völlig ignorieren. Das Format ist nur das Werkzeug, um Sound in deine Ohren und Ideen in deinen Kopf zu bringen. Sie können dich, wie Geld, nicht begleiten, wenn du stirbst.

Was war bisher dein größter Erfolg, was deine größte Enttäuschung?

Unser größter Erfolg bisher waren die THE MARS VOLTA-Veröffentlichungen, speziell die "Tremulant"-EP, die sich bis jetzt an die 60.000 Mal verkauft hat. Die erste LOCUST und die !!!-Alben sind sehr gut gelaufen, genau wie einige Projekte mit Volta-Bezug wie DE FACTO und Omars Solosachen. Was Platten betrifft, gab es keine Enttäuschungen, obwohl wir natürlich gerne hätten, dass sich alles besser verkauft. Und es gibt einige brillante Alben, die von der Presse und den Musikfans einfach übersehen werden, was sehr frustrierend sein kann. Die einzig wahren Enttäuschungen sind Bands, deren Einstellungen sich ändern, und solche, die erwarten, dass wir für sie Wunder vollbringen, was wir natürlich nicht können. Ich will hier keine Namen nennen, aber es gab ein paar Bands in all den Jahren, von denen ich dachte, sie würden GSL und unsere Anstrengungen für sie echt unterstützen, die uns dann aber letztlich ausgenutzt haben oder zu arrogant und selbstverliebt wurden, als dass ich das Interesse an ihnen behalten hätte.

Deine Lieblingsband, die nicht auf dem Label ist? Wen würdest du gerne auf deinem Label haben?

Meine Lieblingskünstler, die nicht auf GSL sind, wären der Rapper Mr. Lif, THE ETERNALS, WILDERNESS, MADLIB und seine verschiedenen Projekte und die Band FAVORITE SONS aus NYC. Aufgelöste Bands, an denen ich liebend gerne beteiligt gewesen wäre, sind CIRCUS LUPUS, DRIVE LIKE JEHU, ASPERA und ... MC5.