AMERICAN HARDCORE

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... as defined by Steven Blush

Vor fünf Jahren erschien im US-Verlag Feral House „American Hardcore“, Steven Blushs Buch über die ursprüngliche US-Hardcore-Szene der Jahre 1981 bis 1986. Blush, damals selbst in dieser Szene aktiv, beschreibt darin das Entstehen einer für ihn einzigartigen Gemeinschaft, die musikalisch und politisch radikal mit dem Hippiemief der Sechziger und Siebziger brach, die auf Punk und dessen teils arty Weiterentwicklungen mit brachialer Härte und jugendlichem Ungestüm aufbaute und damit, so Blushs Argumentation, den Grundstein legte für die „alternative“ Rockszene, wie wir sie seit den späten Achtzigern kennen. Blush interviewte für sein Buch Bands wie BLACK FLAG, BAD BRAINS, MISFITS und DEAD KENNEDYS wie zig andere und fand dafür schon zehntausende Leser, auch wenn seine Argumentation, dass Hardcore im ursprünglichen Sinne bereits vor zwanzig Jahren aufgehört hat zu existieren, nicht unwidersprochen blieb. Zusammen mit dem Regisseur Paul Rachman hat Blush in den letzten Jahren nun an der Filmversion von „American Hardcore“ gearbeitet, die dieser Tage in die US-Kinos kommt und wohl auch in Deutschland gezeigt werden wird. Ich nahm das zum Anlass, mit Blush über Buch, Film und die Ideale von Hardcore zu sprechen.

Steven, wie weit ist der Film? Im Internet fand sich ja schon der eine oder andere Artikel darüber.

Also offiziell ist er noch nicht raus, wir arbeiten derzeit am Endschnitt. Das Ganze ist ja eine hundertprozentige D.I.Y.-Produktion von Paul und mir, an der wir seit fünf Jahren arbeiten - nicht Vollzeit, sondern parallel zu unserem sonstigen Leben, und in den letzten zwei Jahren wurde die Arbeit daran natürlich immer mehr. Eine Vorabversion schickten wir dann an die Veranstalter des Sundance-Filmfestivals, sie mochten ihn, und so wurde er dort gezeigt - und da haben ihn eben auch schon ein paar Pressevertreter zu sehen bekommen. Sundance hat eine Menge für uns verändert, wir kratzten unser letztes Geld zusammen, fuhren für zwei Wochen dahin - und bekamen einen Deal mit Sony Pictures Classics, die unter anderem auch "Dogtown & Z-Boys" und diverse andere Filme gemacht haben, die wir wirklich schätzen. Da wir keine Millionäre sind, haben wir somit eine ganz gute Ausgangsposition geschaffen für unseren Film, und er wird eben nicht nur in den USA, sondern auch international einen Kinostart bekommen. In den USA wird das im Herbst sein, und wir haben auch definitiv über einen Kinostart in Deutschland noch in diesem Jahr gesprochen.

Sony ... Wenn man als Band bei denen unterschreibt, verkauft man sich an einen "bösen" Major. Wie ist das im Filmbereich?

Na ja, Sony Pictures Classics ist so was wie deren coole Arthouse-Division. Die machen, wie ich es immer ausdrücke, all die Filme mit Untertiteln, hahaha. Wenn man einen halbwegs brauchbaren Film hat, der ins Kino soll, dann sind die der logische Partner. Das war eine harte Entscheidung, denn wir mussten die ja auch den von uns interviewten Bands gegenüber vertreten, ihre schriftliche Zustimmung dazu einholen. Es war ab dem Zeitpunkt eben mehr als ein kleines, cooles Punk-Projekt. Und wenn du willst, können wir für den Rest des Interviews auch nur noch über meine endlosen Gespräche mit Anwälten reden ... Realistischerweise hatten wir aber keine Alternative zu Sony, wenn uns daran gelegen ist, dass der Film von möglichst vielen Leuten überall auf der Welt gesehen wird. Klar, ich komme aus dem Underground, und bei allem, was ich bislang gemacht habe, war mir meine Credibility wichtig, doch bislang kam ich eben auch nie aus dem Underground heraus. Jetzt bot sich uns also erstmals die Chance, unsere Message auch über den Underground hinaus zu verbreiten - und das bei weiterhin 100 Prozent kreativer Kontrolle über unseren Film. Und wir haben auch die Kontrolle darüber, wie der Film der Öffentlichkeit präsentiert wird, das sind entweder unsere Ideen oder wir haben sie abgesegnet. Aber frag mich einfach in zehn Jahren noch mal, was daraus geworden ist, haha. Wichtig ist jetzt erstmal, dass der Film überhaupt veröffentlicht wird, und ich glaube, es könnte der Film unserer Generation werden. Alle zehn, fünfzehn Jahre gibt es so einen Film.

Was für Filme hast du da im Kopf?

Zum Beispiel "Woodstock" oder "The Decline & Fall of Western Civilization". Und unser Film berichtet eben über unsere Zeit in den Achtzigern, über Hardcore, was ja mehr war als nur die Musik, eben eine ganze Kultur, deren Einfluss bis heute fortwirkt, was ich ja auch in meinem Buch bereits geschrieben habe. Wenn man sich die heutige Rockszene anschaut und mit der von 1981 vergleicht, dann weist sie starke Hardcore-Einflüsse auf.

Wenn du von Hardcore sprichst, von "unserer Generation", wen und was hast du da im Kopf? Die Leute von vor 20 Jahren?

Eine gute Frage: Im Speziellen spreche ich von den Leuten, die damals in der Szene aktiv waren, aber auch von den Auswirkungen, die Hardcore ganz allgemein hatte, die sich weit in die Gesellschaft hinein feststellen lassen und derer sich viele Leute gar nicht so bewusst sind. Ich muss aber eingestehen, dass ich beim Schreiben des Buches gar nicht so sehr darüber nachgedacht habe, was wohl die Kids zu meinen Thesen sagen, die erst viele Jahre später zum Hardcore kamen und das logischerweise ganz anders sehen. Auf meinen Lesungen, durch persönliches Feedback, durch Fragen in Interviews, die ich gegeben habe, wurde mir aber klar, dass ganz egal, wann du geboren wurdest, wann und wie du zu Hardcore kamst, es gibt eine gewisse universelle Bedeutung von Hardcore.

Wir würdest die beschreiben, und warum denkst du, dass die euren Film auch über die engen Szenegrenzen hinaus relevant macht?

Stagediving, Slamdancing und toughe tätowierte Sänger, die zu hyperschnellen Songs growlen, dieser ganze Vibe, der die moderne Musiklandschaft ausmacht, geht auf Hardcore-Typen wie Henry Rollins und Harley Flanagan zurück. Und die ganze Idee des D.I.Y-Labels, der selbstorganisierten Tour, der Fanzines, des Szene-Netzwerks geht direkt auf Hardcore-Labels wie SST oder Dischord zurück. Ohne diesen Hintergrund, ohne Pioniere wie BLACK FLAG, BAD BRAINS und MINOR THREAT hätte es niemals NIRVANA, BEASTIE BOYS oder RED HOT CHILI PEPPERS gegeben. Hardcore ist ein Musikstil, der kein Teil des Mainstreams war, deshalb nicht ausgebeutet wurde und so "rein" blieb. Für die Musikindustrie waren die Hardcore-Bands seinerzeit so eine Randerscheinung, dass sie diese nicht für interessant hielt und die Bands so eine eigene, natürliche Entwicklung durchmachen konnten, sich ein eigenes Netzwerk entwickeln konnte. Die D.I.Y.-Idee, seine Platten doch einfach selbst zu veröffentlichen, existierte bis zum Hardcore ja kaum. Klar, es hatte ein paar Punklabels gegeben und auch Labels in den frühen Siebzigern, aber damals stand der D.I.Y.-Gedanke ja nicht im Vordergrund, sondern es ging darum, auf den größten Bühnen zu spielen und mit den besten Profis zu arbeiten. Darum ging es im Rock. Und dann trat Punk Ende der Siebziger eine Revolution los mit dem D.I.Y.-Gedanken, doch kümmerte sich kaum einer um diese Idee: All die großen Punkbands waren auf Majorlabels, sie hatten Manager, sie waren in der etablierten Musikpresse zu finden. Punk war vielfach also eher ein künstlerisches Statement als eine echte Bewegung mit neuen Ideen - die gab es erst mit Hardcore.

Und wie ging das alles los?

Nach Punk teilte sich die Szene in den frühen Achtzigern auf. Da gab es zum einen Bands wie R.E.M. oder MISSION OF BURMA, und dann eben Hardcore. Heute wird das gerne mal übersehen, da wird alles in einen Topf geschmissen, aber die Art-Bands waren das eine und die Hardcore-Bands das andere: SONIC YOUTH waren eben keine Hardcore-Band. Die MINUTEMEN und HÜSKER DÜ dagegen fingen als Hardcore-Bands an, auf SST, einem eindeutigen Hardcore-Label, das ist der Unterschied. SST war ein klarer Gegenpol zu diesem ganzen New Wave-Gedudel, und erst im Nachhinein wurden sie immer wieder mit den anderen in einen Topf geworfen. Dieser ganze starke, kämpferische Underground-Gedanke, der geht auf Hardcore und SST zurück, der hat dann Labels wie Dischord, Touch & Go oder X-Claim beeinflusst, das war die Basis für das, was 1982, '83 und '84 passierte. Ich benutze immer den Vergleich, dass die Punk-Kids die Sprache erfunden haben, aber erst die Hardcore-Kids diese dann mit Leben erfüllten.

Wie fand dein persönlicher Zugang statt?

Ich wuchs in einem Vorort von New York City auf, und mein Vater arbeitete in der Lower Eastside. Er hatte eine kleine Druckerei, mit dem Baseballschläger immer griffbereit neben der Tür, das war in den späten Siebzigern. So entdeckte ich schon früh CBGB's und die Gegend um St. Mark's Place, das war damals noch eine richtig abgefuckte Gegend. Ich hatte in der Hinsicht also richtig Glück, konnte mir in den kleinen Plattenläden die Zeit vertreiben - und kannte auch die richtigen Leute: der ältere Bruder meiner Freundin zu Highschool-Zeiten hatte sogar Tickets für JOY DIVISION, aber dann brachte sich Ian Curtis vor der Tour um ... ich kannte also Leute, die mich sozusagen bei der Hand nahmen, und so sah ich damals GANG OF FOUR und PSYCHEDELIC FURS live, noch bevor ihre erste Platte in den USA veröffentlicht wurde, sah die ganzen anderen New Wave-Bands, sah 1978 oder '79 KRAFTWERK live. Ich hatte also Glück, und als ich dann ab 1980 in Washington D.C. aufs College ging, war das erstmal ein Schock, denn es war nicht wie in New York, eine New Wave-Szene existierte da nicht wirklich, ich war erschrocken. Ich beschreibe das ja auch in meinem Buch. Aber ein halbes Jahr später dann merkte ich, dass da was anderes abgeht, stieß auf die BAD BRAINS, lernte Ian MacKaye kennen, der gerade dabei war Dischord Records zu gründen. Der wirkliche Wendepunkt war ein Konzert am Valentinstag, also am 14. Februar im 930-Club in Washington, D.C. unter dem Titel "The Valentine's Day Massacre", mit BLACK FLAG und Dez Cadena als Sänger, und Henry und Ian waren im Publikum. Das war ein Schlüsselerlebnis, da stand eine Band auf der Bühne, die mich direkt ansprach, die meine Sprache sprach. Die Leute, die ich in New York gekannt hatte, das waren alles Künstler, etwas älter als sich, die von dieser Andy Warhol- und David Bowie-Szene beeinflusst waren und die Kunsthochschule besucht hatten. Das waren konzeptionelle Künstler, und so war auch die Musik, die sie und ich hörten, also dieser New Wave. Dafür waren die ganzen Hardcore-Kids zu jung, sie kamen aus den Suburbs, aus einer ganz anderen Welt. Ich wiederum kannte beide Welten, wohnte in der Vorstadt, kannte durch meinen Vater aber auch die Innenstadt. Und als ich dann in D.C. diese neue Form des Punkrock hörte, funktionierte das für mich perfekt: Bands, die über die Working Class und Arbeitslosigkeit sangen. Die RAF in Deutschland oder die Roten Brigaden in Italien, das hatte nichts mit meinem Leben zu tun.

Hardcore hatte im Vergleich zu Punkrock und New Wave also eine ganz andere Sprache und andere Themen.

Ja, und diese neue, andere Sprache machte Hardcore so universell, es war die Musik von entfremdeten, verpeilten Kids aus den Vorstädten, und ihre Texte, ihre Themen, das sprach eine recht große Zahl von anderen Kids an. Und Slamdancing, Stagediving, grimmig auftretende Sänger, Tätowierungen, die D.I.Y.-Idee, unabhängig von etablierten Strukturen organisierte Touren, Konzerte in Hallen der Vietnam-Veteranen und Hinterhöfen, das alles zählt zum Vermächtnis des Hardcore. Und damals wurden wir genau wegen dieser Dinge für totale Loser gehalten, ich musste es mir gefallen lassen, dass mein Vater mich "faggot" schimpfte, Schwuchtel, und so ging es vielen anderen auch. Dass Hardcore heute eine respektierte Musikrichtung ist, entbehrt deshalb nicht einer gewissen Ironie. Aber ich finde, es ist auch eine schöne Bestätigung für all jene, die damals an ihre Musik, ihre Szene geglaubt haben. Ich habe bei der Arbeit am Film eine ganze Menge Zeit bei MySpace verbracht, denn es ist sehr praktisch, um Kontakte mit Leuten zu knüpfen und zu pflegen. Obwohl wir erst seit ein paar Monaten dabei sind, haben wir schon über 10.000 Friends, was einem klar macht, wie sehr das Thema die Leute interessiert, gerade auch in Deutschland.

Woran liegt das?

Das hat historische Gründe, wie ich zum Beispiel aus Gesprächen mit BAD RELIGION weiß: Ende der Achtziger und Anfang der Neunziger wurdest du in den USA ausgelacht, wenn du erzähltest, dass du in einer Hardcore-Band spielst. Ich erinnere mich an ein Konzert mit BAD RELIGION und L7, das muss 1988 gewesen sein, im CBGB's. Da waren gerade mal 15, 20 Leute ... Die müssen damals kurz davor gewesen sein, einfach aufzugeben. Aber dann gingen sie nach Deutschland, und das ging dermaßen ab, da spielten sie in ausverkauften Hallen, und so was kannten die gar nicht mehr. Und ab da dauerte es trotzdem noch ein paar Jahre, bis in den USA wieder ein Interesse an den alten Bands vorhanden war, und in dieser Zeit hielt Deutschland viele Bands am Leben, das muss sicher an die fünf Jahre so gewesen sein.

In Deutschland ging das mit Hardcore ja auch viel später los, eben so 1985/86, und wuchs dann bis Anfang der Neunziger ständig an.

Ja, in der Zeit vor MTV und Internet dauerte so was eben ein paar Jahre, bis sich nicht nur die Musik, sondern auch die Idee dahinter ausgebreitet hatte. Bei Punk war das ja nicht anders: Da fingen 1976 ein paar Leute an, in London die Leute mit Irokesenhaarschnitt und Sicherheitsnadeln zu erschrecken. Auch in den USA war Hardcore erst Mitte der Achtziger etwas bekannter geworden, und erst gegen Ende der Achtziger hatten so manche Bands richtig Fuß gefasst. Wichtig ist mir persönlich, dass der Film zeigt, dass Hardcore auch eine politische Bewegung war, dass es da um eine Idee ging. Klar, wir waren jung, wir waren auf Konflikte aus und manchmal auch einfach dumm, waren noch unschlüssig, was wir von der Welt zu halten sollten, aber wir hatten doch Ziele und Ideen.

Welche?

Hardcore bedeutete, dein Leben der Musik und der Szene zu widmen, nicht die üblichen Pfade zu beschreiten und stattdessen das zu tun, woran du glaubst, und D.I.Y. war ein Lebensstil. Es ging um Erfolg, aber eben nicht in ökonomischer Hinsicht, und darum, Stellung zu beziehen - das alles war uns damals wichtig. Und ich bin mir leider nicht sicher, ob so eine Einstellung heute überhaupt noch existiert. Ich habe einen Uni-Abschluss in Politikwissenschaft, ich habe viel gelesen, und ich bin weder ein Sozialist noch ein Antikapitalist, noch ein Bush-Fan und Republikaner. Aber ich denke doch, dass die Demokratie das beste politische Modell ist. Das Problem am Kapitalismus ist aber die Hyperkonformität, diese ständige Verpflichtung zum Kaufen. Diese Denkweise setzte sich in den USA aber so ab 1980 in den USA immer stärker durch, mit dem Beginn der Reagan-Ära. Die Wahl Ronald Reagans 1980 war in gewisser Weise das Ende der Entwicklungen, die in den Sechzigern und Siebzigern eingesetzt hatten. Die Konservativen gewannen wieder die Oberhand und begannen zurückzuschlagen. Was sie wollten, war die Rückkehr der saccharinsüßen Zeit der Fünfziger. Reagan war ein ehemaliger Schauspieler, hatte als Gouverneur von Kalifornien schon gezeigt, für was für einen Lebensstil er stand, und als Präsident setzte er das fort. Mit uns Kids gab es aber auch Leute, die ihm das nicht abkauften. Wir waren nicht Teil einer etablierten politischen Bewegung, niemand finanzierte uns, aber wir hatten unsere Musik, und die stand im Vordergrund. Obwohl, dazu gibt es verschiedene Ansichten, nicht alle waren gleich unzufrieden mit der Politik und der Gesellschaft, es gab da unterschiedliche Verhältnisse in der Gewichtung von Politik und Musik.

Meinem Empfinden nach war man sich vor allem darin einig, "dagegen" zu sein. Wogegen, das unterschied sich, mancher wusste das genauer an der andere, aber im "Dagegensein" war man sich einig.

Genau, besser hätte ich das auch nicht ausdrücken können. Wir waren eben auch noch recht jung, viele gar nicht in der Lage, sich eloquent zu artikulieren - und so manche Band, die versuchte sich zu artikulieren, fiel damit auf die Fresse, weil es dumm wirkte. Wir hielten damals BAD BRAINS und BLACK FLAG für die radikalsten Bands aller Zeiten, und dabei äußerten die sich gar nicht mal explizit über Politik. Die sangen "Fuck the cops" und ähnliches, waren also nicht explizit politisch, eher in einer allgemeinen Weise. Bands, die in ihren Texte ganz konkret wurden, ich sage nur "Califoria über alles", haben mit dem Problem zu kämpfen, dass Jahre später keiner mehr versteht, worum es da überhaupt ging. Keiner weiß doch heute mehr, warum die DEAD KENNEDYS gegen Gouverneur Jerry Brown waren. Wir wussten damals vor allem auch eines: Wir wollten nicht sein wie die Hippies, die hassten wir. Genauso wie Republikaner und Yuppies. Die Hippies hielten wir für Versager: die hatten große Versprechungen gemacht, aber diese nicht gehalten. Aus der unglaublichen Bewegung der Sixties waren die schrecklichen Typen der Siebziger geworden.

Und heute ist davon nur noch "Ben & Jerry's Icecream" geblieben.

Exakt, und das wird auch noch für cool gehalten. Irgendwo in meinem Buch beschreibt Jello Biafra die Siebziger, und er spricht davon, wie jemand in einem Hippie-Laden zehn Dollar für eine ganz besonders coole Kerze bezahlen soll, und das bringt es auf den Punkt: Die Hippies waren durch und durch uncool geworden, mit ihren grausamen GREATFUL DEAD-Konzerten. Dabei hassten wir nicht mal THE GREATFUL DEAD direkt, sondern nur ihre Fans, die Kultur drumherum.

Sprechen wir doch mal über die Hardcore-Szene 2006: Da sehe ich ein paar wenige Leute, die noch an die von dir beschriebenen Hardcore-Ideale glaubt, aber eine riesige Menge, für die das eine reine Musiksache ist, eben die aktuelle Mode. Da geht's dann mehr um überteuerte T-Shirts als um eine Idee, da kaufen sich Leute via eBay zu Schweinepreisen Original-T-Shirts aus den Achtzigern, um damit anzugeben. Ganz zu schweigen von myspace.com, was so eine Art Schwanzvergleich ist nach dem Motto "Ätsch, ich habe mehr Freunde als du, bin also viel beliebter und cooler als du", eine Fortsetzung des alten amerikanischen Dating-Wettstreits, wer mehr Verabredungen mit Frauen hat.

Du sprichst da ein paar wichtige Punkte an, und ja, du hast Recht: Vieles, was heute als Hardcore bezeichnet wird, hat selbst nach einer denkbar weit gefassten Definition des ursprünglichen Hardcore mit diesem nichts mehr zu tun, ja stellt die Sache vielfach sogar völlig auf den Kopf. Ich hoffe, dass ich mit diesem Film dazu beitragen kann, dass ein paar mehr Leute verstehen, worum es eigentlich geht. Neulich sagte noch eine Frau zu mir, dass sie sich sicher sei, dass eine Menge Frauen mit ihren Hardcore-Boyfriends in diesen Film gehen würden - und danach feststellen würden, dass ihr Typ gar nicht Hardcore ist. Und das halte ich für ein grandioses Statement. Und MySpace ... Bis neulich hatte ich keine Seite, aber so was ist eben heute Teil des Marketing-Mechanismus', dem konnte ich mich nicht entziehen. Diese Attitüde, die du beschrieben hast, ist wirklich die Antithese dessen, war wir einst predigten. Aber es ist eben auch so, dass der Hardcore von einst völlig verschwunden ist, und es gibt heute auch außerhalb jeder Bewegung Blues-, Jazz- oder Reggae-Bands, und so ist das mit Hardcore eben auch. Hardcore hat heute eher was von einem Übergangsritus.

Trotzdem finde ich es schlimm, dass man sich heute bei jeder neuen Band erst mal genau das Booklet und die Website anschauen muss, ob das nicht eine Band mit dubioser christlicher Ausrichtung ist. Vor zehn, fünfzehn Jahren musste man sich über so was noch keine Gedanken machen, da war jedem klar, dass Hardcore und Religion nicht zusammengehen.

Na ja, du hast ja mein Buch gelesen, das die Jahre bis 1986 behandelt - und das war auch das Jahr, im den ich ausgestiegen bin. Ich glaube, auch darin ist Hardcore einzigartig: Damals stiegen eine Menge Leute aus, wandten sich anderer Musik zu. Als ich mich dann Mitte der Neunziger meinem Buchprojekt zuwandte, stellte ich fest, dass mein Wertesystem auf zwei Fundamenten basiert: zum einen meine Eltern, zum anderen die Hardcore-Szene. Ich merkte, wie stark mich diese Phase meines Lebens geprägt hat, und das war eine interessante Feststellung, eine starke Motivation, das Buch fertig zu stellen. Der andere Grund für das Buch waren verschiedene TV-Dokumentationen zur Geschichte des Rock'n'Roll. Da gab es eine aus den USA und eine von der BBC - und sicher auch eine im deutschen Fernsehen -, und die haben dafür sicher Millionen ausgegeben, fingen beim Blues und Elvis an und arbeiteten sich bis in die Gegenwart vor. Ich schaute mir die an, speziell die über Punk, und sowohl die US- wie die BBC-Doku beschäftigte sich nur mit den SEX PISTOLS und THE CLASH, eben den üblichen Verdächtigen, und dann waren sie plötzlich schon bei NIRVANA - so, als ob Hardcore nie da gewesen wäre. Ich weiß bis heute nicht, ob die das absichtlich gemacht haben oder es einfach nicht besser wussten. Und da machte ich es zu meiner Mission, diese Musik in die Aufmerksamkeit der Leute zurückzubringen - und ihre Werte. Ich wollte den Leuten, die damals diese Musik begründeten, Tribut zollen.

Wie hat sich das Buch denn eigentlich verkauft?

Ich nahm das Buch dann auf die klassische Hardcore-Weise in Angriff. Ich arbeitete fünf Jahre daran, ohne Vorschuss von einem großen Verlag, und fand dann mit Feral House einen guten Verlag, der vor allem den Vorteil hat, dass jedes Buch, das sie als verkauft melden, auch wirklich verkauft wurde. Die großen Verlage arbeiten da nämlich anders, die reden von 400.000, und 200.000 davon sind in Ein-Dollar-Kisten gelandet ... Bis heute sind wohl rund 75.000 Bücher verkauft worden, was nicht schlecht ist für einen kleinen Verlag. Und vor allem: Die Kids, die das Buch gekauft haben, haben es auch gelesen, und ja, ich bin sehr stolz auf mein Buch. Eine interessante Beobachtung ließ sich übrigens in den Virgin-Megastores machen: Die stellten fest, dass sich parallel zum Verkauf meines Buches auch die Verkäufe von Hardcore-Platten steigerten. Ich fühle mich dadurch auch im Nachhinein bestätigt: Diese Kultur musste wieder zum Leben erweckt werden, es hat funktioniert, und ich konnte dazu beitragen.

Du hast eben mal gesagt, du befändest dich auf einer Mission in Sachen Hardcore ... Mit dem überzeugten Eintreten für bestimmte Ideen und Werte macht man sich aber heute auch schnell verdächtig, ja lächerlich.

So war ich schon immer, das war beim Buch so und auch beim Film ist das so. Ich bin dafür immer wieder ausgelacht worden, mir wurde gesagt, ich würde das schon irgendwann wieder aufgeben, aber das war nicht der Fall. Warum? Weil ich daran glaube, weil ich mir sicher bin, dass wir Teil einer Generation waren, die etwas bewegt, etwas verändert hat. Und ich hoffe, dass es heute Kids gibt, die unsere Ideen aufgreifen und genauso vehement vertreten. Ich lass kürzlich ein Interview mit Neil Young zu seinem aktuellen Anti-Kriegs-Album, und er sagte, er habe eigentlich auf irgendeinen 21-jährigen Rebellen gewartet, der so eine Platte macht - aber es sei keiner gekommen, und so habe er die Platte eben selbst machen müssen. Aber ehrlich gesagt, will ich nicht im Hardcore die Rolle von Neil Young spielen, da muss doch eine junge Band kommen und das tun. Die einzigen Leute, die mir etwas bedeuten, sind die, die einfach aufgestanden sind und ihr Ding durchgezogen haben. Und klar, ich darf mir ständig blöde Sprüche dafür anhören, dass ich immer noch an Hardcore glaube, aber ich glaube eben, dass die Werte, die die Hardcore-Szene predigt, wichtig und relevant sind. Und wahrscheinlich waren es die ehrenwertesten Werte und Motive, die in den letzten 25 Jahren in der gesamten Musik- und Kunstszene vertreten wurden. Was wiederum etwas damit zu tun hat, dass viele andere Leute sich gar nicht um irgendwelche Werte gekümmert haben.

Was fasziniert dich sonst noch an Hardcore?

Dass es eigentlich ein unorganisiertes Chaos ist, aber doch eine gewisse Schönheit ausstrahlt. Hardcore war Chaos, Gewalt, da ging damals auch totale Scheiße ab, aber wie die Leute an sich miteinander umgingen, das war von großer Schönheit. Und Hardcore war so eine starke Bewegung, obwohl in den USA landesweit vielleicht gerade mal 1.000 Leute aktiv involviert waren.

Hierzulande war das nicht anders, und interessanterweise gehen sehr viele der heute großen Magazine, Labels, Booking-Agenturen, Mailorder etc. auf Leute zurück, die in den späten Achtzigern in der Hardcore-Szene aktiv waren.

Diese Beobachtung habe ich auch gemacht, und es hat wohl etwas damit zu tun, dass Hardcore eine Sache war, die damals die Leute sehr geprägt hat.

Ich sehe aber auch die Gefahr, dass einerseits die Vergangenheit glorifiziert wird, andererseits aber die Kids heute eine perfekte Szene-Infrastruktur geboten bekommen, die es kaum noch nötig macht, sich selbst zu engagieren - man kann viel bequemer einfach nur konsumieren.

Da stimme ich dir absolut zu. Ich habe neulich noch mit Ian MacKaye gesprochen, und wir unterhielten uns darüber, dass es heute überall in den USA hervorragende alternative Konzertorte gibt und dass das Touren so sehr leicht geworden ist. Damals dagegen war das Veranstalten eines Konzertes eine schwierige Angelegenheit, ich weiß das aus eigener Erfahrung, denn ich organisierte einige Konzerte in Washington. Da konntest du nur selten mal an einem Ort ein zweites Konzert machen, denn meist hassten sie uns schon nach dem ersten Mal, weil irgendwas zu Bruch gegangen war oder es irgendwelchen Ärger gegeben hatte. Und so mussten wir ständig neue Locations suchen. Damals gab es in den USA nicht dieses Netzwerk von Jugendzentren wie in Europa. Heute ist das anders, aber die Kids spielen mit ihren Bands lieber in den kommerziellen Clubs.

Eine direkte Frage: Warum wolltest du das Buch machen?

Mein Ansatz in dieser ganzen Sache ist letztlich ein simpler: Ich habe etwas zu erzählen und so gebe ich meine eigene, zugegeben enge Definition von Hardcore wieder. Wenn die Kids das nicht hören wollen, fuck it. Mit Hardcore ist es eben wie mit einem Songtext: Du hast da einen Song, den du schätzt, der dir eine Menge bedeutet, und dann redest du mit der Band oder liest ein Interview mit ihr und erfährst, dass die Bedeutung, der Hintergrund, ganz anders ist, als du dachtest. Du hast dir eben rausgezogen, was du dir rausziehen wolltest, und so sehe ich es nicht als meinen Job an, den Leuten die ultimative Definition zu liefern. Nein, mir ist es wichtig, dass die Leute sich was Cooles da rausziehen. Ich muss lachen, wenn ich daran denke, was manche Hardcore-Bands im Jahr 2006 aus der Sache gemacht haben, und ja, es gibt schreckliche Manifestationen von Hardcore wie die religiöse Variante, die du ja auch schon angesprochen hast. Aber was willst du anderes dagegen tun, als mit deiner Meinung und Überzeugung dagegenzuhalten und zu hoffen, dass die Leute kapieren, was du willst. Und ich habe Hoffnung, denn mein Buch wird wohl noch ein paar Jahre im Druck bleiben, der Film erscheint bald, und so erfahren ein paar mehr Leute, wer MDC, NEGATIVE APPROACH, GANG GREEN, SS DECONTROL und VOID waren. Denn wer weiß denn noch was von denen, wer kennt überhaupt noch BLACK FLAG? Mit Film und Buch gibt es zumindest eine Quelle, um sich zu informieren, doch was die Leute daraus machen, ist ihre Sache. Da die ganzen Bands damals ja nicht bei großen Labels waren, las man in den großen Musikmagazinen so gut wie nichts über sie, und so ist es wie eine vergessene alte Zivilisation, die ich da mit meinem Buch ausgegraben habe.

War es für dich schwer, an Material für dein Buch heranzukommen?

Ja, denn Ende der Neunziger, als das Buch entstand, war das Internet noch nicht so ausgeprägt wie heute, und vieles von dem, was ich fand, war falsch. Also musste ich glaubwürdige Quellen finden. Ironischerweise kamen nach dem Erscheinen des Buches ein paar Leute auf mich zu und warfen mir vor, dass dies oder jenes falsch sei. Ich fragte sie dann, wie alt sie seien. Einer war 32, und ich fragte ihn, woher er das denn dann wissen wolle, er sei doch viel zu jung, um selbst dabei gewesen zu sein. Na ja, was er mir dann erzählte, hatte was von "Stille Post": Man erzählt eine Anekdote so oft weiter, bis von der ursprünglichen Story nichts mehr übrig ist. Und so eine Sache war das auch mit der Geschichte des Hardcore. Und nein, nicht ich habe Scheiße erzählt, bis zu meinem Buch kannten viele Leute einfach nicht die Wahrheit. Ich war da dabei, als HR von den BAD BRAINS die Geschichte erzählt, ich war in L.A. bei diesem Interview im Backstageraum, ich war mit den DEAD KENNEDYS auf Tour - ich habe das, was ich erzähle, mit eigenen Augen gesehen. Ich brachte damals eine Platte von NO TREND heraus, die Band machte ein paar Touren, und eine davon war mit den DEAD KENNEDYS, 20 Tage oder so. Die anderen waren viel chaotischer, wir hatten 40 Dollar am Tag, die kaum für das Benzin und was zu essen reichten. Wir mussten Leute um Kleingeld anbetteln, um tanken zu können ...

Klingt anders als heute, wo jeder zwei oder drei Kreditkarten hat.

Oh ja, und vor allem hatten wir damals keine Mobiltelefone, mussten also ständig zum Telefonieren anhalten, um dann mit erschwindelten Kreditkartendaten den Rest der Tour zu buchen, aus einem McDonalds irgendwo in Iowa. Solche Nummern wurden untereinander fleißig ausgetauscht. MDC und DOA waren da sehr gut drin, haha. Als ich selbst noch Konzerte machte, bekam ich selbst mitten in der Nacht Anrufe von Bands, die fragten, ob ich nicht für fünf Tage später ein Konzert für sie klarmachen könne. Das war natürlich aussichtslos, aber irgendwie klappte ein paar Anrufe später doch irgendwo was. Reed Mullen von C.O.C. war da ein Spezialist, er veranstaltete Konzerte in einem mongolischen Restaurant. Die stellten einfach die Tische zusammen, das war die Bühne, und dann ging's los. Und ich denke, gerade wegen solcher Storys mögen die Leute mein Buch. Ja, wir waren damals auf einer Mission, wir waren Getriebene, Hardcore war unsere gemeinsame Sache, keiner konnte so genau definieren, um was es ging, aber jeder verstand, was wichtig war.

Steven, was hörst du heutzutage für Musik?

Ich habe außerhalb des Filmschnitts in letzter Zeit kaum Musik gehört, aber sonst habe ich meinen iPod mit 4.000 Liedern drauf und höre doch immer wieder die 20 gleichen Bands - die gleichen, die ich auch schon vor 20 Jahren hörte.

Ich danke dir für das Interview.