ANTITAINMENT

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Alles andere als nur oder keine Unterhaltung!

Was haben wir in Darmstadt gelacht. Wie war ich doch begeistert. Im letzten Heft bereits über das Konzert berichtet, so kam ich zu ANTITAINMENT wie die Jungfrau zum Kind. Schicksal?! Es gibt also doch keine Zufälle?! Bestimmung, ganz klar. Also nahm ich mir gleich mal das aktuelle Vinyl „Cooler Plattentitel“ mit. Endlich konnte ich die banal-genialen deutschen Texte mitlesen. Und meine Laune wurde zusehends besser. „Ich mag Menschen, ich mag sie nur nicht sehen“ – mir war klar, ich musste diese Band wieder sehen! Die Jungs waren gerade in Osteuropa auf Tour, als ich sie kontaktierte. Kurz nach ihrem Trip bekam ich eine Einladung zum „Festival Contre Le Racisme“ im Kulturcafé am Campus der Universität Mainz. Nach dem Gig kurz im Bandbus zusammengehockt, um ein paar Infos über das Leben von ANTITAINMENT zu erhalten.

Die vier Jungs stammen allesamt aus Bad Vilbel, einer Kleinstadt bei Frankfurt am Main. „In Bad Vilbel ist nur noch unser Proberaum. Der Großteil von uns arbeitet, studiert oder wohnt mittlerweile in Frankfurt. Es gab mal einen Bürgermeister aus Bad Vilbel, der Hip-Hop gemacht macht. Aber ansonsten gibt’s dort nur Mineralwasser und alte Menschen“, erklärt mir Sänger und Gitarrist Tobi. Bad Vilbel scheint zumindest keine schlechte Gegend für innovativen Hardcore zu sein. Der Heimorgel- und Synthesizervirtuose Matze umschifft taktisch klug die angedeutete Frage nach einer bestimmten Stilrichtung. „Schwierige Frage, die wir bisher noch nicht beantwortet haben. Wir haben auch in Zukunft nicht vor, diese Frage zu beantworten. Wir machen einfach das, worauf wir Bock haben. Wenn die Leute das dann Hardcore nennen, habe ich nichts dagegen.“ Fest steht, und jetzt zitiere ich mal das offizielle, sich selbst beweihräuchernde Bandinfo: „Wenn man aus alter Musik neue machen kann, so kann man auch aus schlechter Musik gute Musik machen.“
Na, alles klar bis hierher? Auch textlich nichts Besonderes, so versucht mir Tobi verständlich zu machen, dass es keinen Unterschied zwischen deutschen oder englischen Texten gibt. Schließlich gäbe es mindestens genauso viele Schwachsinnstexte im Englischen. Und was die irrwitzigen Ideen beträfe. „Ähm? Man schreibt sie auf ein Blatt Papier?! Es sind eben Alltagsbeobachtungen. Gar nicht so schwer, über all den Quatsch zu schreiben.“
Alter, stell mal dein Licht nicht so untern Scheffel. Auch wenn ANTITAINMENT vorwiegend mit Hardcore-, Metal, Punk- und Thrash-Bands spielen, aber „auch schon einmal mit FOOL’S GARDEN auf einem Festival. Das war total geil. Vielleicht fahren die Leute jetzt wieder etwas mehr auf FOOL’S GARDEN ab. Die sind derzeit ja schon etwas im Karrieretief“, nehmen sie kein Blatt vor dem Mund und teilen manchmal direkt, manchmal unterschwellig so richtig aus. Kostprobe gefällig? „Heul doch endlich! Und Tränen auf die Wange malen, zählt nicht. Und auf Promofotos deiner neuen Band Mitleid erregend dreinblicken, sagt nichts über deinen Gemütszustand aus, das ist affektierte Scheiße auf Knopfdruck ...“ Titel: „You’d never drown in a river of tears, because your eyeliner is not waterproof!“. Tobi hatte eine Weile mit Bands zu tun, die das alles nicht ehrlich meinen. Zum Brüllen ist auch der Album-Opener „Themesong“, in dem Folgendes beschrieben wird: „Ey, ihr da hinten in der ersten Reihe, ihr habt gecheckt, worum es hierbei geht: Blöde rumstehen, genauso aussehen und dann klatschen, am Ende von jedem Lied!“
Na, jetzt mal Hand aufs Herz. Wer fühlt sich da nicht peinlich berührt? Die Finger in die offenen Wunden anderer zu legen, ist das eine, und selbst? „Kommt ganz darauf an, welche Band spielt“, so ehrlich ist auch Matze. Tobi hingegen guckt sich alle Bands an und steht gerne in der ersten Reihe, schließlich sieht man dort am meisten. Was Konzerte im Allgemeinen betrifft, haben ANTITAINMENT ihre ganz eigene Meinung: „Es gibt viele Sachen, die uns einfach am üblichen Ablauf einer Veranstaltung stören. Viele Konzerte sind berechenbar und langweilig geworden. Man weiß genau, was passiert.“
Insofern ist ANTITAINMENT genau das, was man irgendwann einmal mit Entertainment in Verbindung gebracht hat – alles andere als nur seichte oder keine Unterhaltung. Natürlich bleibt abzuwarten, ob sich die Band nicht doch von der üblichen Verfahrensweise mitreißen lässt. Das Gegenteil bewies das Thrash-Quartett, als es sein Albumdebüt „Cooler Plattentitel“ veröffentlichte. Der Titel an sich immer nur als Platzhalter beim Coverartwork gedacht, wurde irgendwann als Gesamtheit für alle guten Alternativvorschläge einfach stehen gelassen. Tobi erklärt, wie es zum Vinyl mit gebrannter CD nebst professionellem Labeldruck kam: „Wir wollten von uns selbst eine Schallplatte haben. Da wir das Album selbst herausgebracht haben und sich beide Formate so nicht gerechnet hätten, ist das so ein kostengünstiger Kompromiss und eine praktische Angelegenheit. Platte für die Coolen, CD für ... die anderen.“
Trotz Sommerpause sind ANTITAINMENT so viel wie möglich unterwegs. Kurz nach Veröffentlichung der Platte waren sie das zweite Mal in Bulgarien. „Wir kennen dort eine Band namens CROWFISH, mit denen haben wir schon öfter gespielt. Mittlerweile sind es gute Freunde, die uns jetzt wieder eingeladen haben. Dieses Mal waren wir auch in Österreich, Rumänien und Ungarn. Wir hatten zwar ein paar Off-Days, da wir aber gerade zu diesem Zeitpunkt am Schwarzen Meer waren, war das alles nicht so tragisch. Die restlichen Konzerte waren, unabhängig von den Besucherzahlen, jedes für sich eine weitere Erfahrung und jede Menge Spaß. Es ist schon etwas skurril, in osteuropäischen Ländern zu spielen, und sowieso versteht keiner die Texte.“
Darüber, wie engagiert dieser Haufen absolut unterschiedlicher Charaktere ist, klärt mich Tobi aufgrund diverser Umbesetzungsgerüchte auf: „Ja – Nein – Stimmt nicht. Das war auf die Tour angespielt. Der Hinweis stand auf unserer Internetseite. Offiziell war ich diese beiden Wochen krank geschrieben.“ Wer sich überhaupt erst einmal von ANTITAINMENT einen ersten erdrückenden Eindruck verschaffen will, der sei auf deren Internetpräsentation hingewiesen. Neben einigen Soundbeispielen gibt es ein absolut großartiges Video zum Titel „Autonom“, „Bicycle race“ von QUEEN ist Geschichte und die Macher der deutschen Billigversion der MTV-Serie „Pimp my ride“ hätten hier Jahre zu tun. „Ist doch total langweilig, wenn wir uns da selbst hinstellen. Fred an der Gitarre ist über vierzig Jahre alt. Der steht vor allem auf Ska. Der hatte es am besten drauf. Wenn nicht er, wer sonst hätte es verdient, auch mal auf der Bühne zu stehen. Man beachte, wie tight er die Gitarre zur Musik spielt.“ Macht euch noch mal selbst ein Bild davon! Großes Entertainment – ANTITAINMENT – viel besser als deine Band!