LEMONHEADS

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Soundtrack meiner Adoleszenz

Als unlängst kurz über das neue Album der Band VARSITY DRAG, die Band um LEMONHEADS-Gründungsmitglied Ben Deily, berichtet wurde, recherchierte ich, was zeitgleich das Songwriter-Talent Evan Dando so treibt, nur um festzustellen, dass der doch tatsächlich eine Neuauflage der fantastischen Pop-Punk-Band THE LEMONHEADS plant. Begeisterten die LEMONHEADS in den Achtzigern mit ihrem Debüt „Hate Your Friends“ die Post-Punk- und Hardcoreszene, bediente Evan Dando mit unzähligen Line-up-Wechseln die Independent- und Pop-Punk-Szene in den Neunzigern mit tonnenweise Hits. Als 1992 das Album „It’s A Shame About Ray“ mit „Mrs. Robinson“, einem SIMON & GARFUNKEL-Cover, neu aufgelegt wurde, feierten die LEMONHEADS Welterfolge. Anfang der Neunziger sah ich Evan Dando mit seinen LEMONHEADS das erste Mal live, begleitete ich die Band Album für Album, Tour für Tour bis 1996, als mit dem damals letzten offiziellen LEMONHEADS-Release „Car, Button, Cloth“ erst einmal alles zu Ende sein sollte. Zehn Jahre später kommt nun die Wiedergeburt der Pop-Punk-Legende, natürlich wie gewohnt in neuem Line-up, mit Karl Alvarez am Bass und Bill Stevenson am Schlagzeug, beide unter anderem mit DESCENDENTS-Vergangenheit. Vor Veröffentlichung der achten Platte, schlicht „The Lemonheads“ getauft, führten wir dieses Telefoninterview mit dem gerade zwecks Urlaub in Griechenland weilenden Evan Dando


Evan, erzähl mir etwas über das neue LEMONHEADS-Album. Warum veröffentlichst du die Songs unter dem Namen LEMONHEADS und nicht als Evan Dando solo?

An sich wollte ich eine Soloplatte machen und sehen, wie’s so läuft. Und ich habe es offen gelassen, eine neue LEMONHEADS-Platte zu machen. Die „Best Of“ habe ich „The Atlantic Years“ genannt, das lässt alles offen. Ich dachte einfach, es sei an der Zeit. In Brasilien covern alle jungen Bands LEMONHEADS-Songs. Sie haben ein Festival veranstaltet, das den LEMONHEADS gewidmet war. Das ist Grund genug für mich.

Dir ist also klar geworden, dass die LEMONHEADS sehr viele Bands beeinflusst haben?

Ja! Deshalb versuche ich weiterzumachen. Mir wurde klar, wie viel Arbeit ich doch über all die Jahre in diese Band gesteckt hatte. Ich habe das Schlagzeug gespielt – na ja, ein bisschen Schlagzeug –, den Bass, die Gitarre. Ja doch, die LEMONHEADS sind mein Ding, also kann ich auch damit weitermachen.

Aber trotzdem hast du dich entschieden, das Album nicht komplett alleine einzuspielen, obwohl du alle Instrumente beherrscht.

Das ist richtig. Aber ich wollte die besten Leute dafür bekommen, die sich auch reinhängen. Mein Lieblings-Drummer, als wir mit den LEMONHEADS begannen, war Bill Stevenson. Das war ein weiterer Grund, warum ich eine neue LEMONHEADS-Platte machen wollte, denn ich hatte den ultimativen Power-Punk-Pop-Drummer. Und Bassist Carl genauso. Das ideale Rezept für ein LEMONHEADS-Album. Und meine Songs sind sowieso alle in dieser Art.

Und wie ist es, als Band zu spielen mit Leuten, die genau wie du Ikonen der Punk/Post-Punk/Hardcore/Was-auch-immer-Szene der Achtziger sind?

Wir haben alle viel gelernt und hatten eine Menge Spaß! Es war toll. Ich musste diese Leute einfach kriegen. Ich war total glücklich dabei.

Aber dieses Line-up war doch nur für die Aufnahmen und nicht für die Tour gedacht, oder?

Doch! Wir wollten von Anfang an so auf Tour gehen, aber ich denke, dieses Line-up wird erst im Februar zusammen spielen. Davor muss Bill noch eine andere Platte aufnehmen – leider. Aber wir werden gemeinsam touren, nur eben nicht von Anfang an.

Warum gab es keine „richtige“ Reunion der LEMONHEADS, mit einem der alten „klassischen“ Besetzungen?

Na ja, die „echten“ LEMONHEADS hat es ja seit den Achtzigern nicht mehr gegeben. Ich habe so viele LEMONHEADS-Alben mit so vielen verschiedenen Bands gemacht – ich wüsste gar nicht, wen ich mir da rausgreifen sollte. Da gab’s allein fünf Drummer! Es gibt kein definitives Line-up. Das ist nicht möglich. THE LEMONHEADS, das bin ich und wer auch immer gerade um mich herum ist und sich in einen Lemonhead verwandelt.

Zufällig habe ich vor einer Woche Fragen an Ben Deily für ein eMail-Interview über seine Band VERSITY DRAG rausgeschickt. Hast du in all den Jahren mal wieder Kontakt mit ihm gehabt?

Ja, er besuchte mich mal in Los Angeles. Wir hatten einen prima Abend gemeinsam, haben zusammen gespielt – keine LEMONHEADS-Songs. Mit Ben würde es Spaß machen, noch mal zu spielen. Aber ich denke, er macht jetzt sein eigenes Ding. Ben ist toll, es gibt wirklich keine Probleme mehr zwischen uns.

Schön zu hören. Wieso stand eigentlich einmal auf der Bassdrum von SOCIAL DISTORTION der Slogan „Bring me the head of Evan Dando”!?

Ja, das war komisch. Ich glaube, das war in Deutschland. Ich war wirklich neben der Kappe, und SOCIAL DISTORTION spielten die Tour mit. Ich weiß nicht mehr, was da passiert ist – hatte irgendwas mit ein paar Leuten von der Crew und mit Chuck Biscuit zu tun – keine Ahnung ... Also ich kam auf die Bühne und ich weiß nicht, was ... na ja. Ich finde, das heißt doch nur, dass du irgendwas richtig machst, wenn solche Geschichten passieren.

Ist es nicht Ironie des Schicksals, dass der meist gespielte LEMONHEADS-Song nicht von dir, sondern eine SIMON & GARFUNKEL-Coverversion war? Wie geht es dir rückblickend damit?

Klar ist das nicht toll – aber besser als gar nichts! Das war gute, echte Musik. Und der erste Top-Ten-Hit der ROLLING STONES ist auch von den BEATLES geschrieben worden. Eigentlich ist das doch egal. Musik ist ein sehr schwieriges Geschäft, und da passieren viele merkwürdige Dinge. Sicher geht mir das auf den Sack – aber ich kann damit leben.

Für viele Leute sind besonders die ersten Taang!-Platten heute noch die Klassiker, die einfach in jeder guten Plattensammlung stehen müssen. Wie würdest du diese Platten und deine Musik der Neunziger beschreiben?

Du meinst vermutlich „Lick“, „Hate Your Friends“ und „Creator“. „Creator“ war so eine Art missverstandenes Konzeptalbum. Tja – „Lick“ und „Hate Your Friends“ sind also die guten Platten? Hm. Da ist das erste Stück drauf, auf dem ich alle Instrumente selbst gespielt habe, „Mello cup“. „Hate Your Friends“ ist zum Großteil entstanden, direkt nachdem ich aus der Highschool kam, also hat sich der jugendliche Enthusiasmus wohl gut auf Vinyl übertragen lassen. Und das ist einfach großartig. In den Neunzigern wurde alles nur noch verrückter.

In welcher Tradition siehst du rückblickend das neue Album?

Ich denke, es hat viele Bezugspunkte zu den älteren Sachen.

Wie kam es zu den Konzerten mit MC5?

Das war super! Mein Manager hat gerade ihre Tour vorbereitet, und Mark Lanegan konnte nicht mit. Keine Ahnung, was passiert ist. Wahrscheinlich hatte er Streit mit Wayne Kramer, also habe ich den Gig gemacht. Ich kann mich glücklich schätzen, daran teilgehabt zu haben. Ich musste „Shaking street“ einundvierzig Mal singen – ich Glücklicher –, und auch „Looking at you“. Das war wirklich klasse. Auch diese Erfahrung war mit ein Grund dafür, warum ich wieder eine Band haben und ein lärmiges Album machen wollte.

Was hast du in den letzten Jahren eigentlich gemacht? Warst du immer mit Musik und irgendwelchen Bands beschäftigt, oder gibt es auch noch ein Leben außerhalb der Musik?

Nein, ich habe keine anderen Jobs. Ich habe gerne Spaß. Ich bin soweit, wenn ich soweit bin, und ich überstürze nichts. Ich warte einfach ab und richte mich ein auf das, was da noch kommen mag.

Das neue Album kommt in Europa bei Universal raus, in den Staaten dagegen bei Vagrant, richtig?

Ja, keine Ahnung, warum. Ich dachte, es würde auf Polydor erscheinen. Außerhalb von Amerika ist das Geschäft mit den Majorlabels sehr verwirrend für mich. Keine Ahnung, was im Rest der Welt vorgeht. Das bereitet mir ein wenig Sorge. Wir werden sehen, einfach rausgehen und gute Shows spielen. Vielleicht mögen ja ein paar Leute unsere Platte. Ich habe keine Erwartungen. Mal sehen, was passiert.

Weil es einfacher ist, sich positiv überraschen zu lassen, oder weil man sonst mit der Enttäuschung fertig werden müsste?

Nein, ich mache einfach Musik, weil das mein Ding ist. Ich wollte immer nur mein Auskommen haben. Und das habe ich nun seit siebzehn Jahren, darüber bin ich glücklich.

Ich gehe manchmal etwas zu sehr von mir selbst aus, denke, eine Band wie die LEMONHEADS müsse jeder kennen. Sind die LEMONHEADS in den USA denn noch ein Begriff? Verkaufen sich die Platten noch?

Keine Ahnung, das ist nicht meine Baustelle. Interessiert mich nicht – ich mache einfach nur Musik.

Du sagtest, es gibt schon einen Tourplan?

Ja, wir werden im Oktober in Deutschland sein.

Wird dein Album auch auf Vinyl rauskommen?

Ja, darauf dränge ich gerade sehr. In Deutschland ist Vinyl noch lebendig, und wir haben viele deutsche Freunde, die Vinyl kaufen. Aber für das Vinyl gibt es noch kein Master. Das muss jetzt also schnell passieren, aber es wird sicher Vinyl geben, nur leider etwas später als die CD.

Ziehst du Vinyl auch beim privaten Plattenkauf vor?

Ja, zu Hause höre ich Vinyl.

Vor ein paar Jahren gab es ein „Best Of“-Release auf Atlantic, „The Best Of The Atlantic Years“. Warst du daran beteiligt oder ging das vom Label aus?

Bei der englischen Version war ich dabei, bei der amerikanischen haben sie einfach alle Singles genommen und auf das Album geknallt. Die europäische/englische Auswahl ist ziemlich gut. Neunzehn Stücke, mit einigen veränderten Versionen.

Apropos „Best Of“: Was erwartet uns bei den Konzerten? Werdet ihr eine Mischung aus Alt und Neu spielen, oder nur neue Songs?

Bestimmt eine gute Mischung aus alten und neuen Stücken. Ich möchte etwa sieben Lieder von der neuen Platte spielen, und dann einfach weitere auswählen. Wir haben da so unsere Lieblingsstücke.

Gut. Das wär’s! Danke! Hab noch einen schönen Urlaub, und wir sehen uns dann auf der Tour!

Interview: Joachim Hiller, Konzept: Simon Brunner, Übersetzung: Iris Laner vagrant.com