AMERICAN LEAD GUITAR

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Serve The Devil, Praise The Lord

Es ist schon eine Weile her, dass ich durch das Demo "The Sight Of Sound" auf AMERICAN LEAD GUITAR aufmerksam wurde. Es enthielt, neben dem hitverdächtigen "Art must destroy", eine krude Mischung verschiedenster Stile und Aufnahmetechniken: es ging von brachialen Gitarrenwänden bis hin zu reinem Elektro, aber auch rotzige Punk-Attitüde und feine Pop-Zwischentöne wurden in ALGs Sound eingebunden. Trotz seiner Eigenwilligkeit brachte es der Band hierzulande einen kleinen lokalen Hype ein. Etwa zwei Jahre später liegt nun ihr erstes offizielles Album "Ultra Infra" vor. Zumindest der Sound - live, direkt und energetisch - bildet so etwas wie einen roten Faden, was wohl nicht zuletzt auf die Zusammenarbeit mit Guido Lucas von BluNoise Records zurückzuführen ist. Musikstile hört man allerdings mindestens so viele, wie Songs auf der CD enthalten sind. Ich sprach mit Schlagzeuger Doberman Reilley, der erwartungsgemäß redselig war.



Man hört bei euch sehr deutlich Zitate von Bands wie den DEAD KENNEDYS, SONIC YOUTH, THE DAMNED aber auch von den BEACH BOYS, Elvis Presley und den ROLLING STONES heraus. Wenn ihr euch wünschen könntet, plötzlich eine andere Band zu sein, welche wäre das dann?


Ganz klar die SEX PISTOLS. Ein Kunstwerk aus einem Guss. Etwas, wo man niemanden fragen muss, ob es ihm gefällt, weil seine Aussagekraft jede weitere Legitimation überflüssig macht. Leider sind wir im Gegensatz zu diesen jugendlichen Heißspornen eher zweifelnde und ständig hin und her überlegende Loser weit jenseits der Pubertät. Ich bin selbst erstaunt, dass sich aus einer solchen Ansammlung von Flattergeistern, wie wir es sind, immer wieder etwas Schweres, nach vorne Drückendes und Gewalttätiges entwickeln kann. Als ich das erste Mal die fertig abgemischte "Ultra Infra" in voller Lautstärke gehört habe, hatte ich Angst vor uns.



Im Vergleich zu eurem Demo klingt die CD aber fast schon brav. Ich könnte mir vorstellen, dass einige Leute, die "The Sight Of Sound" kennen, erst mal enttäuscht sind.

Das gilt nur für Tageslicht und Zimmerlautstärke. Ich empfehle eine kaputte Taschenlampe mit Wackelkontakt und Kinolautstärke. Auf die Art und Weise habe ich THE JESUS LIZARD zu schätzen gelernt. Natürlich ist "Ultra Infra" sehr schnörkellos und trocken produziert. "The Sight Of Sound" war spektakulär und saftig und wirkte beim ersten Hören. Bei dem Longplayer wollten wir, dass die Songs mit jedem Hören wachsen können. Denn das Potenzial haben sie, weil es eine Menge zu entdecken gibt.



Eure CD hat eine sehr stylisch und künstlerisch wirkende Aufmachung. Live kleidet ihr die Bühne und euch selbst ganz in Weiß ein und taucht alles in wilde Videoprojektionen. Habt ihr eine Message?

Direkt zu Anfang von ALG hatten wir zwei Dogmen: keine Songs über persönliche Befindlichkeiten und keine politischen Aussagen. Wir wollen als Persönlichkeiten in den Hintergrund treten, in der Tradition von DEVO, KRAFTWERK oder den RESIDENTS, daher die weißen Uniformen. Wenn du uns zum Thema Politik befragst, werden wir wohl alle antworten, dass wir uns eine friedliche Gesellschaft wünschen, in der alle freundlich und gleichberechtigt zusammen leben. Aber freundlich und nett ist das Letzte, was man sich von einem geilen Rock'n'Roll-Song erwartet. Wenn wir überhaupt etwas fordern, dann das Recht auf Glück durch böse Rockmusik. Würde die komplette Band in Guantánamo einsitzen, hätten wir dieses Bedürfnis vermutlich nicht. Insofern stellen wir mit unserem düsteren und sexuell eingefärbten Sound irgendwie doch eine Anforderung an eine gewisse Grundversorgung. Es ist der alte Zwiespalt zwischen Blues und Gospel, in dem die Menschen seit Urzeiten stecken. Die Musik des Teufels eignet sich am Besten, um den lieben Gott zu preisen. Können wir die letzten drei oder vier Sätze eventuell wieder streichen?



Ich finde es etwas seltsam, dass ich dieses Interview ausschließlich mit dem Schlagzeuger der Band führe. Schreibst du eigentlich auch all eure Songs?

Nein, alle Mitglieder von ALG sind extrem kreativ, aber Versuche von Einzelnen, einen fertig geschriebenen Song in die Band zu bringen, sind bislang fast immer gescheitert. Natürlich sind die dadaistisch-surrealistischen Texte von Bel Étage sehr prägnant. Songtitel wie "Black forest baby" oder "Silicone sunset" vergisst man so schnell nicht wieder. Und unser Gitarrist Schoppa ist maßgeblich für die Klangfarbe und das optische Erscheinungsbild der Band verantwortlich. Aber dann sind da auch der Bassist Several Bassplayers und der Gitarrist Tony Aspen, auf deren Konto besonders die unkonventionellen Arrangements gehen.

Die Songs entstehen in einem brodelnden Hexenkessel aus all diesen Einflüssen. Was den Schlagzeuger als Interviewpartner qualifiziert?

Nicht zuletzt, dass ich mir sehr gut Sachen ausdenken kann. ALG besteht aus fünf Charakteren, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten. Ein chaotischer Haufen. Und egal, wen du davon fragst, jeder wird dir was anderes erzählen. Mein Vorteil ist, dass ich mich bei so was immer am heftigsten vordrängle.