LEFT ALONE

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Streetpunk 2.0

Eigentlich hatte ich von LEFT ALONE keine großen Würfe erwartet. Dafür klang ihr 2005er Hellcat-Release "Lonely Starts And Broken Hearts" zu standardisiert, zu sehr nach konventionellem Streetpunk à la U.S. BOMBS oder frühen RANCID. Die Band, so meine Einschätzung, war eben eine weitere Streetpunk-Band, deren Musik gerade durchschnittlich war, mich aber nicht weiter beeindruckte. Nun, gut 15 Monate später, stehe ich LEFT ALONE ganz anders gegenüber. Das zweite Hellcat-Album der Band, "Dead American Radio", ist eine Überraschung. Hier zeigt die Band, welch songwriterisches Potenzial in ihr steckt und was für gute und eingängige Songs sie schreiben kann. Man hört verschiedenartige Einflüsse, Ska- und Punkrock-Parts, die an RANCID erinnern, aber auch Country- und Rockabilly-Strecken, die viele der neuen LEFT ALONE-Songs wirklich stark machen. "Dead American Radio" ist eine gewagte Mischung aus schönem Streetpunkrock und einer handvoll anderen Stilen, die mir sehr gut gefällt. Grund Genug, LEFT ALONE-Sänger Elvis Cortez einmal zu sprechen.

Elvis, "Dead American Radio" hat mich stark überrascht, mit dem Album präsentiert ihr euch als viel vielseitigere und bessere Streetpunkband als auf dem Vorgänger "Lonely Starts And Broken Hearts".


Danke, das freut mich zu hören. Beiden Alben lagen komplett verschiedene Zielsetzungen zugrunde. "Lonely Starts And Broken Hearts" sollte zeigen, dass wir gut genug sind, um einen Vertrag mit Hellcat zu bekommen, was ja auch funktioniert hat. Und selbst, wenn das Album gut ist, so zeigt es uns noch nicht in Hochform. Mit "Dead American Radio" wollten wir unserer musikalischen Hochform etwas näher kommen und zeigen, dass wir sehr unterschiedlich klingen und Songs schreiben können, die mehr sind als reine Streetpunk-Stücke. Eines meiner Lieblingsalben ist "My Aim Is True" von Elvis Costello. Auf diesem Album findet man Punk, Ska, Country, Rock und viele andere musikalische Elemente, die ich auch auf einem LEFT ALONE-Album vereinen wollte. Denn genau eine solche Band sind wir. Jeder von uns ist von verschiedenen Musikstilen beeinflusst und auch die Kids, die zu unseren Shows kommen, entstammen verschiedenen Subkulturen. Diesem Spektrum sollte "Dead American Radio" entsprechen.

Das klingt fast so, als wäret ihr sehr mechanisch, mit einer Art Blaupause der Songs an das Schreiben von "Dead American Radio" heran gegangen?

Das sind wir nicht. Viele der Songs von "Dead American Radio" hatte ich schon im Groben fertig geschrieben, bevor wir die Arbeit an dem Album oder gar an "Lonely Starts ..." aufgenommen hatten. Mir fehlte nur die Zeit, die Stücke in allen ihren Facetten aus zu arbeiten und die Details in die Stücke einzubauen. Als wir dann sehr viel mit "Lonely Starts ..." tourten, nahm ich mir an Tourtagen immer wieder die Zeit, an den Songs zu arbeiten, neue Ideen zu entwickeln und sie den anderen vorzustellen. Die Ideen haben wir meist abends auf der Bühne gleich ausprobiert, und wenn uns die Live-Umsetzung gefiel, blieb die Idee Bestandteil des Songs. Nimm "Done wrong" als Beispiel, ein Countrysong auf "Dead American Radio". Wir trafen auf Tour diesen Typen, der Pedal-Steel-Gitarre spielte. Wir luden ihn ein, den Song mit uns live zu spielen. Sein Gitarrespiel gefiel uns sehr gut, deswegen holten wir ihn auch später zu uns ins Studio, um den Song mit uns einzuspielen. Ähnlich war es bei "La pregunta", dem spanischen Song, bei dem Patricia Day von den HORRORPOPS mitsingt. "The question" ist ein älterer LEFT ALONE-Song und ich hatte die Idee, ihn einmal mit spanischem Gesang einzuspielen. Ich sprach mit Patricia darüber und sie bot an, das mal auszuprobieren und für uns zu singen. Es klang toll und wir luden sie ins Studio ein, um den Song in dieser Version aufzunehmen.

Folglich fiel es dir nicht schwer, komplett neuartige Songs zu entwickeln, die anders waren, als die noch fast reinen Streetpunk-Stücke auf "Lonely Starts ...".

Überhaupt nicht! Songs sprudeln aus mir geradezu heraus, wenn ich durch etwas inspiriert werde. Und diesen spontanen Kreativitätsschüben setzte ich keine Grenzen - ein Song wird dann so, wie er wird. Ohne dass ich mir denke, dass er zum Beispiel punkiger klingen müsste. Umgekehrt kann ich mich aber kaum hinsetzen und bewusst Songs schreiben. Fehlt die Inspiration, kann ich mich auch nicht zum Schreiben zwingen. "The sinner", der erste Song auf dem Album, entstand beispielsweise im Supermarkt. Ich ging durch den Laden und in einem Moment kam mir diese Songidee. Ich rief die anderen an und wir probten den Song in wenigen Stunden ein. Das war übrigens einen Tag vor Beginn der Aufnahmen von "Dead American Radio".

Wie lief denn eure Europatour, die ihr letztes Jahr mit den HORRORPOPS gespielt habt?

Das war eine tolle Tour, auch wenn wir einen gewissen Kulturschock erlebten. Vorher waren wir noch nie in Europa gewesen, und wenn du nur die kalifornische Wärme gewohnt bist, dann frierst du dir in der skandinavischen Herbstkälte ziemlich den Arsch ab. Mann, ich habe noch nie so gefroren, wie dort. Haha, wir waren sehr oft und lange betrunken - um uns warm zu halten. Wir haben auch viele Nächte in unserem Van geschlafen, weil das Geld für ein Motel fehlte. Dennoch haben wir von der Tour nur positive Eindrücke mitgenommen und werden wiederkommen, aber nicht im Winter! "City to city", der Song auf "Dead American Radio", den ich mit Tim Armstrong zusammen singe, habe ich übrigens auf dem Rückflug von dieser Tour in die Staaten geschrieben.

Touren scheint im Allgemeinen dein Songwriting sehr zu beeinflussen.

Richtig, viele unsere Stücke erzählen Geschichten von unseren Konzertreisen. Einerseits spreche ich gerne über die Shows. Andererseits erlebe ich auf Tour sehr viele persönliche Dinge, die ich dann in Songs zum Ausdruck bringe, indem ich eine Geschichte über sie erzähle. Ganz allgemein möchte ich in meinen Texten Erlebnisse und Erfahrungen darstellen und sie durch kleine Erzählungen vermitteln. Ich finde, dass man dadurch Zugang zu sehr vielen Menschen finden kann. Denn eine Geschichte kann dich berühren und wenn du später herausfindest, dass sie auf wahren Begebenheiten beruht, kann deine Faszination dafür sogar noch steigen. Ich bin kein großer Fan von politischen Texten, womit ich nur meine, dass ich sie selber nicht schreiben mag. Würde ich etwas wie "Fuck George W. Bush" schreiben, käme ich mir vor wie ein Poser. Ich trage diese Meinung in mir - keine Frage. Aber politische Inhalte in Songs zu transportieren, darin bin ich schlichtweg nicht sehr gut.

Erzähl doch kurz noch etwas zu Smelvis, deinem eigenen Label.

Ich gründete das Label 1997, um LEFT ALONE-Releases heraus zu bringen, weil niemand anderes die Band herausbringen wollte, weswegen ich auch niemandem Vorwürfe mache. Davon abgesehen war ich seit jeher großer Fan der D.I.Y.-Ethik, so dass ich "Street To Wilmington", das erste LEFT ALONE-Album, selber veröffentlichte. Seitdem habe ich allerlei LEFT ALONE-Sachen veröffentlicht, etwa eine DVD der Band, unsere Split mit den VOODOO GLOW SKULLS und natürlich die ganzen frühen LEFT ALONE-Alben. Ich liebe es, etwas für die Szene zu tun. Deswegen habe ich auch einige andere Bands gesignt, zwischendurch einen Club und einen Plattenladen eröffnet und natürlich Platten herausgebracht, einfach, weil ich es liebe, das zu tun. Ich glaube daran, dass eine Band, die gute Musik spielt, auch Support verdient. Das versuche ich mit Smelvis umzusetzen.