STRIKE ANYWHERE

Foto

Take me to the next level

Eigentlich gibt es keinen Grund, STRIKE ANYWHERE nicht zu interviewen. Thomas Barnett, Sänger und Sprachrohr der guten Menschen aus Richmond, Virginia hat immer etwas zu erzählen. So ist das eben, wenn man unermüdlich daran arbeitet, die Welt zu verbessern. Erst recht, wenn man nach drei Jahren mal wieder ein neues Album vorweisen kann, auf das man zu Recht stolz ist. Am Telefon wirkt Thomas kein bisschen gehetzt, dabei müsste er eigentlich beschäftigt sein mit Kofferpacken für die Welttournee, die in drei Tagen losgehen soll.

Thomas, wie sieht's aus, hast du Lampenfieber angesichts der anstehenden Welttournee?


Oh ja, heute Morgen spüre ich es zum ersten Mal. Diesen Abend spielen wir nämlich ein paar Akustik-Songs für einen unabhängigen lokalen Radiosender. Danach proben wir, dann schauen wir uns noch ein Konzert in Richmond an und dann geht es auch schon los. Aber wir hatten schon eine Menge gutes Feedback auf das neue Album "Dead FM". Ich meine, das ist schon wichtig. Du kannst Punkrock nicht in einem Vakuum kreieren. Du bist Teil einer Community, du willst, dass die Leute an dir interessiert bleiben und an dich glauben. Wir sind schon gespannt und freuen uns darauf, die neuen Songs vor Publikum zu spielen. Wir hatten ja seit drei Jahren keine neue Platte. Im Sommer haben wir uns eine Auszeit gegönnt, dann auf den Erscheinungstermin der Platte gewartet, mit der mit der Presse geredet, in unseren Jobs gearbeitet und die Zeit bei unseren Familien und Partnerinnen verbracht. Wenn wir zu dieser Tour aufbrechen, wird es für uns definitiv so etwas sein wie der Beginn einer neuen Ära.

"Exit English" wurde in drei Monaten geschrieben, "Dead FM" in drei Jahren. Was hat da so lange gedauert?

Wir wollten verhindern, dass wir zu Gefangenen werden von diesem "Tour, Album, Tour, Album"-Rhythmus. Außerdem wollten wir ein Album schreiben, das uns als amerikanische politische Punkband rechtfertigt. Denn es scheint so, als sei politischer Punk durch die Medien fast schon zur Karikatur seiner selbst geworden. Wir wollten nicht einfach weiter vorwärts gehen, und damit genau in dieses Schema gepresst werden. Wir wollten unsere politischen Messages menschlicher gestalten, wollten mehr Biografisches in unseren Liedern. Dafür haben wir diese Auszeit genommen, wir mussten die Geschichten ja erst sammeln und wollten nicht einfach die alten Songs über Außenpolitik und soziale Ungerechtigkeit recyceln. Einige zog es in eine andere Stadt, wir haben alle Jobs angenommen, wollten wieder in unsere gewohnte Umgebung, zu unseren Freunden und Familien, um mit ihnen rumzuhängen, zu trinken und im Garten das selbst angebaute Gemüse zu entern. All diese Sachen sind wichtig. Das mag spießig klingen, ist es aber nicht. Im Gegenteil: Wenn du andauernd auf Tour bist und dann meinetwegen mal wieder für eine Woche zu Hause, musst du feststellen, dass sich das Leben deiner Freunde verändert hat, nur du bist für sie derselbe geblieben. Du bewegst dich zwar in der gleichen Umwelt wie sie, gehörst aber nicht mehr richtig dazu. Deswegen wollten wir innerhalb unserer Community wachsen und diese Erfahrungen auf unserer Platte weitergeben, einer Platte, die uns selbst was bedeuten sollte, unseren Freunden und unseren Fans, die zeigt, dass wir uns auch weiterentwickelt haben.

Ist der Wechsel von Jade Tree zu Fat Wreck nicht auch ein Grund dafür?

Nein, wir wollten das schon vorher und unabhängig von unserem Wechsel. Als wir im Januar 2005 "To Live In Discontent" rausbrachten, war unser Vertrag mit Jade Tree ausgelaufen. Wir hatten ihnen mit dieser Platte sogar etwas mehr gegeben, als der Vertrag verlangte, denn eigentlich schuldeten wir ihnen nur eine EP. Und zu Fat Wreck hatten wir bereits seit 2001 eine Beziehung, als wir eine Single bei ihnen herausbrachten. Das hatten wir schon gemacht, bevor wir überhaupt auf Jade Tree waren. Der Kontakt zu Fat Wreck ermöglichte uns die Teilnahme an der "Rock Against Bush"-Tour, außerdem politischer zu werden und ihre Kontakte und Ressourcen zu nutzen. Wir wollten diese Veränderung und sind froh, dass wir nun Teil von Fat Wreck sind. Sie investieren sehr viel in das Anti Military Recruitement Movement, AMRM, die wir sehr unterstützen. Ich glaube, viele hätten Fat Mike dieses Engagement nicht zugetraut. Es scheint fast so, als sei er eines Morgens vor drei oder vier Jahren aufgewacht und hätte festgestellt, dass Amerika nur noch ein Scheißhaufen ist. Er ist der Betreiber eines der größten Independent-Punklabels und dachte wohl, dass er vielleicht etwas ändern könnte, um den Kids zu helfen. Jedenfalls sind wir froh, daran teilhaben zu dürfen. Hättest du mich vor ein paar Jahren gefragt, hätte ich dir wohl nicht diese Antwort geben können, aber nun sind wir wirklich stolz darauf, auf Fat Wreck zu sein.

Der Titel "Dead FM" ist wohl eine Anspielung auf das Mediensystem in den USA?

Ja, es geht um die Gleichschaltung der Medien in Amerika, wie sie sich freiwillig zensieren und die Interessen der Regierung wahren. Er spiegelt auch unseren Ärger über die Ignoranz der Medien gegenüber der AMRM wider. Dabei ist es unglaublich, wie viel Geld in das Rekrutierungssystem des Militärs gesteckt wird. Da werden Computerspiele hergestellt, die wie ein Actionfilm aufgebaut sind, im Fernsehen laufen richtige Mainstream-Werbespots, die Rekrutierer laufen durch die Wohngebiete und sprechen Leute an und bekommen zum Schutz sogar noch eine Polizeieskorte abgestellt. Was für eine krypto-faschistische Scheiße ist das? Dagegen muss einfach was unternommen werden. Deswegen spielten wir auch letztes Jahr auf der Warped Tour. Mit Argwohn hatten wir verfolgt, was auf der Warped Tour im Jahr zuvor geschehen war, als diese Rekrutierer auftauchten und versuchten, die Kids zur Armee zu locken. Wir wollten uns das eigentlich nicht geben. Aber ANTI-FLAG und RISE AGAINST baten uns, daran teilzunehmen, damit wenigstens eine Band dabei ist, die ein Gegengewicht zu den Rekrutierern bildet. Ich hoffe, wir konnten einiges zur Aufklärung beitragen, ein paar Alternativen aufzeigen. Von den Mainstream-Medien darf man das nicht mehr erwarten, sie sind nur noch Verlautbarungsorgan des Militärs. Und die Kinder armer Arbeiterfamilien sehen diese gelackten Werbungssoldaten und glauben, der Eintritt zur Armee sei die einzige Möglichkeit, eine vernünftige Ausbildung und eine gesicherte Krankenversorgung zu erhalten. Es wird ihnen vorgegaukelt, es gäbe nur diese Option.

Für Europäer ist das nur schwer zu glauben, dass auf einem Punkkonzert Werber von der Armee auftauchen. Wahrscheinlich käme es da zu einer Schlägerei.

Es kam fast zu Schlägereien. Einige Kids hatten echt Wut im Bauch, sie hatten es einfach satt, dauernd angelogen zu werden, nur um in einem sinnlosen Krieg verheizt zu werden. Aber diese Sache ist auch schon merkwürdig. Jeden Morgen habe ich mich auf die Lauer gelegt und geschaut, wo die Armee ihren Stand aufgestellt hat. Während des Konzerts forderte ich das Publikum auf, dahin zu gehen und einen Blockadering um den Stand aufzubauen, so eine Art friedlicher Widerstand eben, der die Leute daran hindert, mit diesen Kerlen zu sprechen. Ich glaube, wir hatten einigen Erfolg damit. Nun ja, so ist es eben mittlerweile, speziell in der amerikanischen Punkszene: Man muss manchmal einen Kompromiss eingehen und an so einer Tour teilnehmen, die man mit seinem Gewissen eigentlich nicht vereinbaren kann, um etwas Gutes zu tun. Ich glaube aber nicht, dass wir noch einmal an einer Warped Tour teilnehmen würden, es hat einfach zuviel psychische Energie gekostet.

Wie schaffst du es eigentlich, bei all der Ungerechtigkeit, gegen die du ansingst, bei all dem Protest immer noch so positiv zu denken? Es gibt ja auch immer wieder Rückschläge, was euer Engagement angeht, zum Beispiel die Wiederwahl von Bush.

"Dead FM" ist sicherlich unser positivstes Album geworden. Das liegt zum einen an der positiven Grundhaltung, die Hardcore ja schon seit jeher mitbringt. Zum anderen liegt es aber auch daran, dass wir die Dinge von einem persönlichen Standpunkt aus angegangen sind. Als wir uns die Auszeit vor "Dead FM" nahmen und in unser Umfeld abtauchten, konnten wir bei den Leuten beobachten, wie sie gegenüber der aktuellen Regierung zunehmend kritischer wurden, wie sie endlich das Vertrauen in diesen Präsidenten verloren, wie sie endlich erkannten, dass sie vom Big Business betrogen wurden. Ausschlag gebend für diese Wende war sicherlich auch der Hurricane Kathrina. Bei all dem Elend, bei all dem Schaden, den dieser Sturm verursacht hat, haben die Leute erkannt, dass sie keine Hilfe von der Regierung zu erwarten haben. Sie waren auf sich selbst angewiesen und rückten enger zusammen. Die Wiederwahl von Bush war wirklich eine Enttäuschung, aber so sehr hätten wir uns auch nicht über John Kerry gefreut. Der hätte auch nicht all unsere Probleme lösen können, vielleicht ein bisschen besser als Bush, aber das eigentliche Problem liegt im politischen System der Vereinigten Staaten. Das Zwei-Parteien-System bietet keine wirklichen Alternativen und macht es für die großen Unternehmen einfacher, politische Einflussnahme auszuüben. Die Innenpolitik der USA befindet sich im Würgegriff eines imperialistischen globalen Wirtschaftssystems.

Wie kann man die Menschen denn aufrütteln?

Ich glaube, man darf nicht nur an ihren Verstand appellieren, sondern muss sie auch emotional packen. Wir waren zum Beispiel auf der "Rock Against Bush"-Tour und erzählten den Leuten, wie verachtenswert der Krieg ist. Wir nutzten diese große Plattform, um Veteranen aus dem Irak gegen den Krieg sprechen zu lassen. Du kannst auch auf der Bühne Punkrocker über den Frieden und was weiß ich sprechen lassen, aber stattdessen hatten wir Leute, die in der Wüste waren, die dort gekämpft, die dem Tod ins Auge geblickt haben. Und ich glaube, das hatte einen viel größeren Effekt auf die Kids, weil sie wirklich erkannten, dass der Krieg schrecklich ist. Viele Menschen haben intellektuell schon begriffen, dass irgendetwas falsch läuft, aber sie denken, sie seien allein damit. Um wirklich etwas gegen die Missstände zu tun, muss man die Menschen gefühlsmäßig einbinden, ihnen zeigen, dass sie nicht alleine sind. Ideale und politisches Verständnis sind das eine, aber Emotionen sind der Treibstoff, welcher Unzufriedenheit in Taten umsetzt. Deswegen wollten wir mit der neuen Platte auch persönlicher werden, politische Ideen mit persönlichen Schicksalen verknüpfen. Das bringt uns auf das nächste Level. Vielleicht bringen wir den einen oder anderen dazu, mal aus seiner Isolation herauszutreten, seine Luftblase mit dem Fernseher zu verlassen, und in Kommunikation mit seiner Umwelt zu treten, zum Beispiel einfach mal gucken, was der Nachbar so treibt, vielleicht hat der ja ähnliche Probleme.

Aber selbst wenn man über die Missstände aufgeklärt ist, ist es sehr schwierig, wenn nicht gar unmöglich, zu hundert Prozent nach seinen Idealen zu leben.

Ich weiß, das ist schwierig. Du kannst nicht mal ein Produkt kaufen, um deine Toilette zu reinigen, ohne Firmen zu unterstützen, die zum Beispiel Tarifverträge brechen oder Länder der Dritten Welt ausbeuten. Ich stimme dir vollkommen zu, aber man kann sich deswegen ja nicht selbst hassen, weil man nicht so "sauber" lebt, wie man es gerne hätte. Klar, es gibt Leute, die durch jedes Raster fallen, die keine Steuern zahlen und keine "paper trail" hinterlassen, wie wir sagen. Das wäre natürlich ein ideales Leben. Viele Leute wissen auch, dass solch ein Leben möglich ist, doch die meisten wissen davon nichts. Und diese Leute, die sich tagtäglich für den amerikanischen Imperialismus zu Grunde schuften, haben einfach das Recht, zu erfahren, dass auch ein anderes Leben möglich ist. Außerdem ist nichts Schlimmes daran, Steuern zu zahlen und trotzdem globalisierungskritisch zu denken. Man kann nicht erwarten, dass alle Leute gleich handeln. Ich glaube, das ist auch das Hauptproblem vieler Bewegungen, vor allem von ultralinken, dass sie diese "Reinheit" fordern, sich somit selbst zu einer Elite machen und andere ausgrenzen. Verantwortungsvoll zu leben ist wichtig, aber es ist unmöglich, dies bis ins kleinste Detail umzusetzen. Und wenn du Leute auf deine Seite ziehen willst, ist es auch wichtig, sich ein bisschen auf das System einzulassen, es kennen zu lernen, denn das ist die Maschinerie, von der die Leute unterdrückt werden.

Beim Opener "Sedition" und in den Linernotes verarbeitest du die Geschichte deine Großvaters, der während des Zweiten Weltkriegs als Schweißer am Manhattan Project, also dem Bau der Atombombe beteiligt war. Für deine Familie hatte das schreckliche Folgen: Dein Vater kam mit lebensbedrohlichen Behinderungen zur Welt, dein Großvater starb mit Ende fünfzig an Knochenkrebs. Erkläre doch mal, was diese Geschichte für dich persönlich bedeutet, inwiefern sie zu deiner "Punk-Werdung" beitrug.

Nun, einhergehend mit den gesundheitlichen Folgen, hatte diese Geschichte auch wirtschaftliche Folgen für meine Familie. Denn als mein Vater zur Welt kam und mein Opa erkannte, dass das System, für das er arbeitete, ihn nur ausnutzte und sich einen Dreck um seine persönlichen Probleme kümmerte, kündigte er. Er zog von Job zu Job, ein paar Jahre hier, ein paar Jahre da, die Familie lebte in Armut. Insofern lag diese ganze Geschichte wie ein Schatten über meiner Familie. Ich selbst bin ja auch betroffen. Ich habe eine Hasenscharte und musste als Kind oft operiert werden und ich denke, dass das schon auf dieses Atombombenprojekt zurück zu führen ist. Ob mich das auch zum Punk machte? Ein Psychologe würde wahrscheinlich sofort diesen Schluss ziehen. Ich selbst betrachte das differenzierter. Sicher kommt mein antimilitaristisches Bewusstsein daher. Aber mit 15 oder 16 kam ich mir einfach wie ein Außenseiter vor, was mich dann zur Punkszene führte, wie viele andere auch. Meine grundlegende politische Einstellung wurde erst in dieser Szene geformt. Die Geschichte meines Großvaters ist aber sicherlich dafür verantwortlich, dass ich mich verbunden fühle mit allen Menschen, die unter den Folgen der Kriegsindustrie zu leiden hatten. Deswegen verarbeite ich in "Sedition" ja auch den Chemieunfall in Bhopal in Indien aus den Achtziger Jahren.