ANFALL

Eine meiner ersten Chancen, mich davon zu überzeugen, dass ich im Punk endlich die Musik und Aggression gefunden hatte, die all dem Chartkram abging, der Anfang der Neunziger so rauf und runter gedudelt wurde, war der Besuch eines HASS-Konzerts im wenigstens halbwegs erreichbaren Cult in Arnsberg. So liess ich mich brav von Papa hinfahren, und machte diese ganzen üblichen Rituale mit, vom Konsum dieses köstlich anmutenden Gerstensaftes (der selbstredend verboten war) bis zum mittelschweren Wutausbruch, der über mich kam, als ich in meinem jugendlichen Leichtsinn feststellen durfte, nein vielmehr musste, dass HASS ihr Set längst nicht einmal ansatzweise beendet hatten, als ich pünktlich zum verabredeten Zeitpunkt (ich war halt nie der grosse Punkrebel) meinen Allerwertesten wieder auf dem Sitz des väterlichen Wagens niederließ.
Aber um den interessierten Leser nicht weiter mit meinen präpubertären Problemen im ganz alltäglichen Punkwahnsinn bis zum Anfall zu molestieren, hier nun der grazile Übergang zum eigentlichen Thema meiner kleinen Abhandlung... Apropos ANFALL...
Eben jene Band ANFALL aus dem fernen Hannover war der damalige Support für HASS im Cult, die mir damals schon etwas bescherte, was ich im Laufe unzählbarer Konzerte noch häufig feststellen sollte. Das Gefühl, das mir der Support im Nachhinein wesentlich besser gefiel als der Headliner selbst. Wie es der Zufall so will, liegt nun nach diversen bandinternen Umbesetzungen seit Mitte September der neue und mittlerweile dritte amtliche Tonträger "Feuer, Eis und Energie" beim Plattendealer des Vertrauens aus, und gibt es einen besseren Anlass für ein ausgelassenes Gespräch über Punkrock, Wrestling und den Weltfrieden?? Ich denke Nein, und aus eben diesem Grund klingelt denn nun auch an einem eiskalten Mittwoch Abend bei mir die Fernsprecheinrichtung, und zu meiner grossen Überraschung höre ich die Stimme von Rudey, seines Zeichens Bandgründer, Gitarrist und musikalischer Direktor der Band. Los geht´s...

Zunächst mal zum Status Quo: seit wann, warum und in welcher Form gibt es die Band ANFALL?


Wir haben die Band als solche 1990 gegründet, ganz im Spirit der alten Punkbands, also Instrumente zusammengeliehen von irgendwelchen Leuten und einfach angefangen. Damals haben wir in einem abgelegenen Teil einer alten Fabrik geprobt. Warum? Weil wir eben auf diese alten Punkklamotten wie z.B. die RAMONES standen, die ja leider Ende der 80er mehr oder weniger den Bach runter gingen, da wollten wir selbst was auf die Beine stellen. Wir haben dann auch recht zügig ein Demo aufgenommen, und das hat irgendwem bei HASS Production so gut gefallen, dass sie direkt eine 7" mit uns gemacht haben.

Bis vor kurzem seid ihr ja dann auch durchgehend HASS Production treu geblieben. Wie soll man jetzt den Wechsel zu Century Media verstehen, einem Label, dass doch eher mit Metalproduktionen aufwartet? Unzufriedenheit mit HASS oder einfach der Wunsch, weiterzukommen.

Wir können und wollen in keiner Weise etwas schlechtes über unsere alte Plattenfirma sagen, die Zusammenarbeit war immer super. Aber es ging uns eben doch immer auch darum, musikalisch und qualitativ weiterzukommen. Ich denke, wir sind eine recht ordentliche Band, die man durchaus einer breiteren Masse zugänglich machen darf, und da haben Century Media in Sachen Promoarbeit einfach ganz andere Möglichkeiten als HASS Production, bei denen es ja damals nicht extra Leute gab, die nur für Promotion zuständig waren.

Diese Möglichkeiten kann man auch tatsächlich vom ersten Takt an hören. War der letzte Longplayer "Menschen sind scheisse" doch eher roh und aggressiv produziert, wirkt die aktuelle CD wesentlich runder und angenehmer. Aber stellenweise sind die neuen Stücke eben auch seichter, vielleicht könnte man es "amerikanischer" nennen, als der Vorgänger. Ist das Absicht, um die von Platte zu Platte gestiegenen Verkaufszahlen evtl. weiter anzutreiben oder nur ein normaler Reifungsprozess?

Bis zu dieser Platte habe ich halt mehr oder weniger alles allein geschrieben. Jetzt ist Jay Lansford, früher bei CHANNEL 3, jetzt auch noch bei GIGANTOR, der ein alter Freund der Band ist und schon diverse Male unser Retter in der Not war, fest als Basser eingestiegen, da verändert sich logischerweise auch die Musik. Es ist definitiv nicht so, dass wir jetzt extra gesagt haben, wir müssen jetzt mal ein bisschen kompatibler werden, damit die Verkaufszahlen anziehen. Hauptsache, uns gefällt die Musik, verbiegen zugunsten anderer gibt es da nicht.

Wie steht es denn um die Verkäufe und Livefeedback, jetzt da Century Media mit einer wesentlich intensiveren Promoarbeit hinter euch stehen?

Es ist natürlich nicht so, dass wir jetzt zig tausend Platten absetzen, aber ich kann sagen, dass wir unsere Verkäufe wieder gesteigert haben im Vergleich zur letzten Platte. Und auch live nehmen die Sachen mittlerweile andere Grössenordnungen an, also nicht mehr die üblichen 50 Leute, sondern eben durchaus auch 400-500er Läden. Da sieht man übrigens auch, dass wir bei Century Media nicht verkehrt liegen. Es kommen durchaus auch Metalfans zu unseren Konzerten, die uns total gut finden.

Um mal zur neuen Scheibe zu kommen, textlich hat sich bei euch ja nicht viel verändert. Nach wie vor klingt überall Verbitterung, Wut und Aggression durch, wie in den letzten 10 Jahren auch schon. Wenn ich drüber nachdenke, werden Bands mit diesem nachdenklichen Hintergrund ja langsam doch rar. Geht es dir um politische Statements? Oder ist steckt vielmehr etwas autobiografisches dahinter? Ich denke da im Besonderen an Songs wie "Generation xxx" oder "Rosaroter Panther".

Es ist doch einfach so, dass sich in den letzten Jahren vieles verändert hat, aber eben nicht unbedingt und ausschliesslich im positiven Sinne. So etwas spürt ja irgendwie und irgendwo jeder selbst am eigenen Leib. Der Mensch als solcher wird zwar auf der einen Seite immer intelligenter, aber wir werden zum anderen auch von immer neuen noch spannenderen Medien abgelenkt, die verhindern, das man sich nicht langweilt und zum Nachdenken Zeit hat. Ich verarbeite nun mal einfach den Missmut und die Wut, die ich für mich selbst erfahre, also meine eigenen Erfahrungen in den Liedern, im Gutem wie im Schlechten. Dabei geht es mir ja nicht um Gesellschaftskritik als solche, sondern einfach darum, meinen Ärger auszudrücken.

Sicher ist, das ANFALL weder jemals eine reine Deutsch- oder Funpunkband waren, ANFALL sind ANFALL. Nicht mehr und auch kein Stück weniger. Wenn du schon beim Thema Kritik bist. Wie steht es bei euch mit Kritikakzeptanz?? Bezüglich der Rezensionen von "Feuer, Eis und Energie" fielen ja beispielsweise in diversen Fanzines solche Formulierungen wie "Punkrock für Leute unter 20". Oder damals der ständige Vergleich mit euren ehemaligen Labelkollegen HASS? Zumindest dieser Vergleich ist ja mit der neuen Platte sowieso hinfällig.

Ich denke auch, dass der Vergleich mit HASS nicht mehr zieht, schön fanden wir das natürlich eh nie, immer diesen Vergleich zu hören, das geht auch nicht gegen HASS, aber wer wird schon gern mit anderen verglichen. Und zum Thema Plattenkritik kann ich nur sagen, dass wir die meistens gar nicht lesen, und wenn, nimmt man das einfach so hin, ändern kann man es ja eh nicht, wenn jemand so über uns schreibt. Aber was doch wirklich wichtig ist, ist dass die Fans bei unseren Shows zufrieden sind und unsere Platten mögen.

Was ich bei euch noch mächtig spannend fand, war diese Geschichte mit eurer Coverversion des alten Ramoneshits "The Crusher", dass der Liverpooler Wrestler Robbie Brookside als Hymne verwendet. Wie kam es zu dieser Zusammenarbeit?

Robbie ist schon seit einiger Zeit ein guter Freund von mir, und wir wollten eh schon lange mal die RAMONES covern für diesen RAMONES-Tributesampler "Blitzkrieg Over You", und da haben wir eben diesen Song ausgewählt. Und jetzt wird dieser Song ständig irgendwo bei einer Wrestlingveranstaltung als Hymne von Robbie genutzt.

Um mal auf rationelle Dinge zu kommen: Wie steht es bei ANFALL mit Arbeit? Oder trägt sich die Band über Plattenverkäufe und Livepräsenz mittlerweile doch irgendwie halbwegs selbst?

Leider sind wir immer gezwungen, neben der Musik arbeiten zu gehen, so gut läuft die Sache mit dem Musik machen eben doch nicht, obwohl wir natürlich hoffen, dass das irgendwann mal klappen wird. Wir üben halt alle diverse Gelegenheitsjobs aus, um über die Runden zu kommen. Wichtig ist eben nur an der ganzen Sache, dass man nach der Arbeit dann auch richtig abschalten kann. Wenn man das nichtig auf die Reihe bekommt, geht es meistens in die Hose. Wer so an Musik ran geht, schmeisst meist ziemlich schnell das Handtuch. Man muss in der Lage sein, abzuschalten und sich komplett auf die Musik zu konzentrieren.

Abschliessende Frage meinerseits: Wie sieht es mit der Zukunftsplanung im Hause ANFALL aus?

Im Moment sind ja noch nicht allzu viele neue Termine bekannt. Was auf jeden Fall feststeht, sind gemeinsame Auftritte mit den LOKALMATADOREN und ein Konzert mit den UK SUBS. Für alle, die es interessiert, gibt es auf unserer Homepage ständig die aktuell anstehenden Konzerttermine.