AGENT ORANGE

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Sonniger Surfpunk aus tiefster Dunkelheit

Das Trio AGENT ORANGE kommt aus Kalifornien und bildet zusammen mit SOCIAL DISTORTION und ADOLESCENTS das Dreigestirn des melodischen Orange County-Punks. Ende der 70er schlossen sich die verschiedenen Mitglieder, allesamt Nachbarskinder aus der L.A.-Vorstadt Fullerton, angeödet von Hardrock und Synthie-Pop, in ihren jeweiligen Outfits zusammen, um der Welt ihre eigene Mischung aus Punk und Melodie darzubringen. Durch die Faszination fürs Surfen kam bei AGENT ORANGE noch der bis heute unverkennbare Surfeinschlag hinzu. Zwar ist Mike Palm, Sänger, Gitarrist und Songwriter der Band, mittlerweile das letzte verbliebene Gründungsmitglied, doch im Gegensatz zu den bis heute befreundeten Bands löste sich AGENT ORANGE nie wirklich auf und spielen seit mehr als einem Jahrzehnt in gleicher Formation. Mit "Living In Darkness" erschien 1981 über Poshboy ein Punkmeilenstein, dessen Songs die Band noch heute auf jedem Konzert zum Besten gibt. Über die Entstehung dieses Klassikers und die Entwicklung der Band seitdem habe ich mich mit einem äußerst aufgeschlossenen Mike Palm kurz vor dem Konzert in Köln ausgetauscht.

Ihr seid seit Jahrzehnten dabei, ohne euch jemals aufgelöst zu haben. Welche Art Publikum kommt mittlerweile zu euren Shows?


Das ist ungefähr so wie in den USA, es kommen Leute jeglichen Alters. Wahrscheinlich der Vorteil, wenn man so wie wir schon so lange Musik macht. Zu Hause spielen wir immer noch viele All-ages-Shows, damit auch jüngere Fans, die abends keinen Einlass bekommen würden, die Möglichkeit haben, uns zu sehen.


Du hast in jungen Jahren mal gesagt, dass du dich nie sonderlich wohl gefühlt hast in der Hardcore-Szene. Warum?

Das ist lange her und bezog sich damals auf die Stadt Los Angeles. Wenn man da nicht die richtigen Leute kannte oder in den richtigen Kreisen verkehrte, war man eben außen vor. Mit dieser Exklusivität konnte ich mich nie wirklich anfreunden. Darüber hinaus machte sich während der HC-Shows immer mehr Gewalt unter den Kids breit. Das Ganze fing als Spaß an, die Kids sprangen wie wild ins Publikum und tanzten Pogo, was völlig okay war. Doch plötzlich wurden auch Außenstehende mit hineingezogen und ständig gab es Schlägereien und Verletzte. Für mich hörte der Spaß da auf und es gab sogar Venues, in denen wir uns weigerten zu spielen, wie zum Beispiel das Olympic Auditorium in L.A., da dort von vornherein klar war, dass ein Konzert in einer Massenschlägerei enden würde.


Wie kam es damals dazu, dass ihr eure erste Single "Bloodstains" ganz ohne Label veröffentlicht habt?

Wir wollten einfach alles selber machen, D.I.Y. war das Stichwort. Niemand kam damals auf die Idee, beim Presswerk anzurufen und zu fragen, wie es mit der Herstellung einer eigenen Single aussähe. Ich schon. Das war eigentlich sogar relativ unkompliziert. Genau 20 Jahre später rief ich wieder an und wollte zu unserem Bandjubiläum 1999 noch mal eine Handvoll mit den Originalvorlagen pressen lassen. Und siehe da, der Typ erinnerte sich sogar an mich und AGENT ORANGE! Leider hatte er die Pressvorlage mittlerweile entsorgt. Das Ganze klappte aber trotzdem und wir verkauften eine Handvoll der neuen Auflage in rotem Vinyl exklusiv während dieser Tour. Der Rest wurde leider bei einem Unfall beschädigt, so dass diese zweite Pressung, von der es gerade mal 500 Stück gab, noch wesentlich seltener ist als die allererste, die in einer Auflage von insgesamt 1.000 erschien.


"Bloodstains" erschien dann auch auf dem ersten "Rodney On The ROQ"-Sampler.

Wir standen damals total auf die ganzen US-Punkbands der ersten Stunde, NEW YORK DOLLS, DEAD BOYS, RAMONES, BLONDIE oder TELEVISION. Auch einige der L.A.-Bands wie WEIRDOS oder SCREAMERS hatten es uns angetan. Rodney Bingenheimer war damals der Punk-Radio-DJ in Los Angeles und spielte einfach alles, was irgendwie anders war. Neben den ganzen US-Bands auch viel englische Musik, die er von Reisen nach London mitbrachte. Er ist schuld daran, dass ich damals all mein Taschengeld für Import-Singles ausgab! Rodney war seiner Zeit einfach voraus. Wir hatten gerade ein Demo aufgenommen und eine Freundin fuhr uns nach Pasadena, wo Rodney wohnte, damit wir es ihm persönlich in die Hand drücken konnten. Bereits am nächsten Tag spielte er es, ein cooles Gefühl. Ich war damals schließlich erst fünfzehn!


Steve Soto, später Bassist bei ADOLESCENTS, gehörte ebenfalls zum ersten AGENT ORANGE-Line-up. Er sagte mir letztens, er wäre irgendwann aus der Band geschmissen worden.

Es kam damals zu Auseinandersetzungen zwischen uns und eine endete darin, dass er mich mit einem Marshall-Verstärker fast erschlagen hätte. Nicht, dass wir uns falsch verstehen. Wir kommen super miteinander aus und hatten beide eigentlich vergleichbare musikalische Interessen. Sein großes Vorbild ist Paul McCartney und auch ich war immer schon mehr an Melodien als an Krach interessiert. Da trafen einfach zwei musikalische Konkurrenten aufeinander. Wir kannten uns alle von der Schule und die Plattensammlung der Schwester meines besten Freundes Ditty brachte uns auf die Idee, ebenfalls Punkrock zu spielen. Ditty kannte damals schon unseren späteren Drummer Scott Miller, der eigentlich gar kein Schlagzeug spielte. Es war lediglich das, was er gerne gewollt hätte und bei seinem Bruder sah. Der bekam im Gegensatz zu ihm nämlich Musikunterricht! Trotzdem einigten wir uns auf ein Treffen. Scott suchte all sein Geld zusammen und kaufte sich ein gebrauchtes Drumset aus der Zeitung. Als er zu uns kam und nicht schaffte, es zusammenzubauen, sahen wir, dass er gelogen hatte. Was uns zusammenschweißte, war jedoch unser gemeinsames Interesse für Musik fern des Mainstreams. Jeder hört damals langweilige Rockmusik, wie sie KISS oder BOSTON spielten. Wir interessierten uns für Brian Eno oder DEVO. Hauptsache, es war irgendwie anders.


Auf der Rückseite von "Living In Darkness", dem ersten Album, das 1981 auf Poshboy erschien, steht "recorded in total darkness". Warum?

Das war noch bevor wir den Albumtitel festlegten. Ich habe mich nie daran gewöhnen können, dass man im Studio in einem kleinen Raum zusammensteht und nur durch eine Glasscheibe vom Produzenten getrennt seine Stücke einspielen soll. Mir fehlte die Stimmung, die Dunkelheit, die man hat, wenn man abends auf der Bühne steht. Also schlug ich vor, das Licht auszumachen und im Dunkeln aufzunehmen. Um neun Uhr morgens bei grellem Deckenlicht zu spielen hat einfach nichts mit Rock'n'Roll zu tun, oder? Wichtig ist allein das Gefühl, egal wie viel Zeit du zur Verfügung hast. Und davon hatten wir damals nicht allzu viel. Gleich am ersten Tag nahmen wir alle Instrumente auf, an den beiden folgenden die Vocals. Drei Tage abmischen. Das war's!


Die ganze Platte hat einen dunklen, fast traurigen Unterton.

Das hat mit der Stimmung zu tun, die damals in Los Angeles und Umgebung herrschte. Viele der Kids kamen aus gestörten Familienverhältnissen. Ihren Kummer ertränkten sie häufig in Alkohol- und Drogenexzessen, was mich betroffen machte, und was ich schließlich versuchte, auf der Platte festzuhalten.


Auf dem Cover der aktuellen Pressung des italienischen Labels Get Back steht auf einem Sticker, dass ihr mit "Living In Darkness" eine Portion Heavy Metal in den Punk brachtet. Siehst du das genauso?

Na ja, zunächst einmal bin ich froh, dass du das anscheinend nicht so siehst! Einer unserer ersten wichtigen Einflüsse war, und jetzt bitte nicht lachen, JUDAS PRIEST. Für mich war Rob Halford einfach schon immer ein guter Sänger und Songschreiber. Dazu hatten sie noch zwei Leadgitarren und jedes einzelne Lied eine großartige Melodie. Ich beziehe mich hier auf die Sachen, die weit vor ihren Metal-Alben entstanden. Als "Sin After Sin" erschien, hatten sie sich längst vom ursprünglichen Rock verabschiedet: Auf einem kleinen Aufkleber auf dem Cover stand "The Godfathers of Heavy Metal", weshalb wir uns dachten, ihnen jetzt etwas von ihrem Einfluss zurückzuzahlen.


Wie kam es nach Poshboy Mitte der 80er zu der Zusammenarbeit mit Enigma?

Das ist eine vertrackte Geschichte, denn dazwischen hatten wir ein Angebot von Chris Ashford, auf seinem Label What? Records, auf dem er unter anderem auch "Forming", die erste Single der GERMS, veröffentlichte, eine EP einzuspielen. Ich kannte Chris eigentlich ganz gut und liebte sowohl die GERMS als auch THE DILS, eine weitere Band seines Labels. Das Ganze war aber der totale Reinfall. In dem Studio, in dem wir aufnehmen sollten, wurden eigentlich nur Soundtracks für Filme aufgenommen und da passten wir gar nicht hin. Dazu kam, dass unser Drummer die ganzen Aufnahmen über total besoffen war und sich erst mit der Security anlegte, um sich später mit ihnen komplett abzuschießen. Richard lizenzierte dann diese Aufnahmen und verkaufte sie an Enigma, die noch nicht einmal wussten, wer wir eigentlich waren. Erst als sie sahen, dass sich "When You Least Expect It" ganz gut verkaufte, luden sie uns ein.


Ist auf What? Records nicht auch die relativ bekannte Surf-Compilationreihe "What Surf?" erschienen?

Ja, richtig. Zu dem ersten Teil steuerten auch wir damals einen Song bei. Chris Ashford war damals ein enger Vertrauter der GERMS und berät zurzeit die Leute, die das Drehbuch zur Verfilmung von Darby Chrashs Leben schreiben. Die Hauptrolle, also Darby, spielt Shane West, bekannt aus "Emergency Room".


Woher kommt eigentlich deine Begeisterung für Surfmusik?

Für mich ist es wie ein Stück Heimat, etwas, womit ich aufwuchs, eine Art kalifornische Folk Music. Mein älterer Bruder spielte in einer Surfband, ebenso mein Cousin. Es war demnach immer da. Viele der Punkbands coverten damals alte Rock'n'Roll-Klassiker. Als ich Punkrock kennen und lieben lernte, dachte ich sofort daran, dass Surfsongs eigentlich die besseren Coversongs wären. Die ersten Surfbands waren ebenso wie die Punkbands ganz normale Kids, die ihre Instrumente kaum beherrschten, aber unbedingt einen dem Surfen ähnlichen Sound aus der Gitarre bekommen wollten. Sie wollten Spaß und taten einfach das, wovon sie fasziniert waren.