ALICJA TROUT

Foto

No sounds get lost

RIVER CITY TANLINES, MOUSEROCKET, DESTRUCTION UNIT, BLACK SUNDAY, THE CLEARS, NERVOUS PATTERNS sowie die LOST SOUNDS sind bloß die bekanntesten Bands und Projekte, an denen Alicja Trout beteiligt war oder ist. Wo die 36-jährige, in Memphis, Tennessee wohnhafte Alicja davor, danach und daneben noch an der Gitarre, am Bass, am Synthie, als Sängerin (oder durchaus auch alles gleichzeitig) zu hören war, weiß wohl nur sie selbst ganz genau. Ihre irgendwo zwischen Punkrock, Garage, New Wave, Elektronik und Pop pendelnde Musik ist dabei sowohl bei jedem neuen Projekt neu und einzigartig als auch sofort wieder als typisch "Made by Alicja" erkennbar. Das gilt auch für die jetzt vergangene, aber einst sehr intensive Zusammenarbeit mit Jay Reatard, der seinerseits der gemeinsamen Musik seinen Stempel aufdrückte, was ihrer Musik eine unglaublich eindringliche Spannung einbrachte. Ruhepausen gönnt sie sich anscheinend kaum: Neben ihrer Tätigkeit als Musikerin mit mittlerweile zig Plattenveröffentlichungen ist sie auch als Künstlerin aktiv und betreibt das Label Contaminated Records sowie den gleichnamigen Mailorder. Kurz: die Frau ist besessen von Musik.

Wann und wie bist du zum Musikmachen gekommen?


Ich hatte als Kind Klavierstunden und mit 14 kaufte ich mir eine elektrische Gitarre, spielte Tabulatoren aus dem Guitar Mag nach und machte Lärm. Mit 19 behauptete ich einem Freund gegenüber, dass ich mal in einer Band spielen würde, was aber erst mit 23 der Fall war. Ich habe jahrelang jeden Tag mit Hilfe des Tascam-Porta-07-Vier-Spur-Gerätes geübt.


Was waren deine Einflüsse?

Nun, von der Livemusik, die man als Teenager sieht, wird man wohl am meisten beeinflusst. Hätte ich mir Blues oder Soul angesehen, würde ich wohl heute so etwas machen. Aber Memphis war damals voll von betrunkenen, trashigen Garagenbands, die alle entweder BIG STAR, die CRAMPS oder Johnny Cash sein wollten und entweder wie ein besoffener Haufen Biker auf Acid oder wie völlig abgefuckte Hippies klangen. SEBADOH waren ein großer Einfluss, weil sie sowohl krachigen Hardcore als auch ruhige, emotionale Indie-Songs spielen konnten. Viele meiner Freunde nahmen mit Vier-Spur-Geräten auf, so dass ich viel unproduzierte Songs hören konnte, was mein Interesse am eigentlichen Song an sich, am Kern geweckt hat. Und das war meine Hauptinspiration: einfach einstöpseln und meine eigenen Aufnahmen erforschen. Ich war an Musik eher in einer romantischen "art-faggy" Weise interessiert, weniger an den Partys und der Aufmerksamkeit. Ich bin von Natur aus scheu, habe mich als Kind vor Liederabenden gedrückt, auch wenn ich gerne gesungen habe. Ich habe mir meine Zukunft aber nie so von Musik geprägt vorgestellt, ich dachte eher, ich würde mal Werbespots machen.


Inwiefern war die lokale Szene wichtig für dich?

Als ich in New Orleans gelebt und neben vielen lokalen Bands auch ROYAL PENDLETONS, GUITAR WOLF oder EYEHATEGOD gesehen habe, da war einfach die ganze Umgebung sehr beeinflussend. Da gab es kein MySpace, wir haben gleichzeitig WIRE und die Oldies-Radiosender gehört. Später, in New York, haben sich in meinem Kopf die ganzen verschiedenen Genres zusammen gesetzt, die Zusammenhänge in der Musikgeschichte haben sich mir erschlossen, welche Band in einer anderen gemündet ist und welche Szenen sie beeinflusst haben. Ich habe angefangen, das ganze Bild zu sehen, so dass im Grunde alles ein Einfluss war, ob groß oder klein.


Die Memphis-Szene scheint etwas inzestuös zu sein, warum finden sich in so vielen Bands die oft gleichen Musiker wieder?

Das liegt wohl daran, dass sie einfach verfügbar sind und Interesse daran haben, verschiedene Dinge auszuprobieren. Es gibt immer Platz für mehrere Sachen. Ich mag es, mit verschiedenen Konstellationen von Leuten zu arbeiten, von einer Band mit nur einer Gitarre zu einer Zwei-Gitarren-Band zu wechseln oder die Instrumente zu tauschen. Diese "Inzest-Menschen" haben wohl einfach viel Energie und massig Ideen. Es beunruhigt mich, wenn zukünftig Bands mit trashigem Garagepunk auf Nummer sicher gehen und Indiebands nichts Neues oder gar Bahnbrechendes probieren.


Du warst und bist in mehrere Bands und Projekte involviert. Warum konzentrierst du dich nicht auf bloß eine oder zwei Bands?

Das tue ich momentan. Ich bleibe bei RIVER CITY TANLINES und MOUSEROCKET. BLACK SUNDAY sind bloß die Songs, die zu keiner meiner anderen Bands passen. Der Name kommt auch von einer CD-R, die ich mal so beschriftet habe. Ich brauchte während der LOST SOUNDS-Zeit einfach irgendwas anderes nebenher, weil LOST SOUNDS so einschränkend waren. Außerdem wollte ich mich musikalisch verbessern, indem ich Schlagzeug bei CC RIDERS, Bass bei VENDING MACHINE und drei anderen Bands spielte. Ich habe mal 200 Dollar ausgegeben, um nach Pittsburgh zu fahren, bloß um als Bassistin bei den Proben und für zwei Shows der TEST PATTERNS in New York mitzuspielen. Und das war es wert. Ich habe es geliebt, Bassspielen zu lernen. Außerdem hat es meine Finger stärker gemacht.


Unterscheidest du zwischen kurzlebigen Projekten und "richtigen" Bands, die Platten aufnehmen und touren?

Nein! Ich denke, dass Bands ihre eigene Existenz erst selbst erschaffen. MOUSEROCKET sind meine älteste Band und es ist schade, dass wir nicht touren, weil sich unsere Musik unheimlich weit entwickelt hat und es überhaupt nicht mehr nach einem Nebenprojekt klingt. Wir bewegen uns zwar sehr langsam, aber es ist immer noch sehr befriedigend. BLACK SUNDAY sind wieder zu meinem Soloding geworden, als die Jungs ausgestiegen sind. Ich erzwinge nichts, es geht alles in die Richtung, in die es sich entwickelt.


Wie sehen deine momentanen Aktivitäten sonst aus?

Ich komme gerade von einem neunmonatigen Trip voller Touren, Familienbesuche und Ausflüge zurück, und jetzt halte ich mein Label am Laufen, verkleinere meinen Mailorder, mache das Booking für ein paar Bands in Europa und renoviere meine Küche. Außerdem erscheint in Kürze auf Tic Tac Totally eine Split-12" von BLACK SUNDAY und LE JONATHAN REILLY aus Spanien, und auf Savage kommt eine neue RIVER CITY TANLINES-7", mit denen ich in der näheren Umgebung auch in ein paar Radioshows und auf Festivals spielen werde. Und für die reformierten PENETRATORS schreibe ich gerade ein paar Songs. Zudem habe ich einen neuen Job im Grafikbereich, wo ich früher schon mal gearbeitet habe. Ich will wieder mehr künstlerisch aktiv sein, ein Kunstbuch machen und Spielzeug designen. Ich habe zig Ideen.


Du scheinst eine ganz bestimmte Vision zu haben, was die Musik deiner Bands und Projekte angeht.

Ich weiß zwar nicht, warum ich das so will, aber im Grunde müssen die Bands im übertragenen Sinne noch völlig ungehört sein. Ich will da bei Null anfangen. Zwar habe ich auch bei BLACK ROSE BAND mitgemacht, King Louies neuer Band, aber diese Abweichung von meiner Regel begründet sich darin, dass der Mann ein brillanter Songwriter ist und ich unbedingt mit ihm arbeiten wollte. Ich mag es, wenn die Bands eine gewisse Spannung haben, aggressiv sind, selbst wenn sie sehr poppig klingen. Und ich schätze, es muss wohl immer ein wenig düster sein. Die Arrangements der Songs müssen kleine, spezielle Momente und Brücken beinhalten; nichts Imitiertes, sondern immer innovativ, gleichzeitig aber auch vertraut und auf irgendwas aus der Vergangenheit basieren. Fucking retro art rock, that's the contaminated sound! Nein, das war nur Spaß.


Hast du eine Theorie, warum es in dieser Szene wenig Frauen gibt, die so aktiv und produktiv sind wie du?

Mein Vater hat mich in einer sehr aggressiven und unnachgiebigen Weise in eine bestimmte Richtung, wie ich sein sollte, gedrückt, so dass ich automatisch die entgegengesetzte eingeschlagen habe. Außerdem habe ich Jahre als dumme College-Studentin verschwendet, die nur Partys kannte und anderer Leute Produktivität konsumiert hat. Vielleicht will ich diese Zeit ja jetzt nacharbeiten. Über das Geschlechterding in der Musik kann ich nicht viel sagen; eine Frau zu sein verletzt dich am Anfang vielleicht häufig, aber später, mit gestiegenem Selbstbewusstsein und Entschlossenheit, hilft es dir zumindest, dass man sich an dich erinnert.


Du hast ja 2005 auch mit Arthur Lee von LOVE gespielt, der leider im August 2006 an Leukämie starb. Wie lautet die Geschichte dahinter?

Das war eine sehr große Ehre. Ich saß zu Hause - ein Freund von mir war gerade gestorben, was mich sehr erschüttert hat -, als mich Greg Roberson von REIGNING SOUND anrief, um mich zu einem All-Star-Jam mit Jack Yarber - OBLIVIANS, JACK-O & THE TEARJERKERS, COOL JERKS -, Ron Franklin, einem Organisten namens Adam und ihm selbst einzuladen. Woraufhin ich meinte, dass ich normalerweise sofort rüberkommen würde, es momentan aber gerade eben so schaffe, zu funktionieren. Als er dann aber meinte, dass er beauftragt wurde, eine Band für Arthur Lee zusammen zu stellen, habe ich sofort eine Gitarre, einen Bass und Verstärker gegriffen und bin los. Es ist schon witzig; als sie Greg anriefen, dachte er zuerst, sie würden ihn mit Greg Cartwright von REIGNING SOUND und OBLIVIANS verwechseln, aber sie wollten wirklich ihn als Schlagzeuger und dazu Jeremy Scott von REIGNING SOUND als Bassisten. Da Jeremy aber verhindert war, wurde eben ich angerufen. Pures Glück also. Wir probten dann ein paar Songs, bis Arthur dazukam, dessen Anwesenheit plötzlich alle inne halten ließ. Was für eine Präsenz! Groß, stattlich, mit einer Haut, die wie Karamellbonbons aussah. Eine braune Fransenlederjacke, dieser Hut, die Bandana um seinen Kopf und dazu diese schicken Cowboystiefel. Wir haben übers ganze Gesicht gegrinst, als er uns die Hand geschüttelt hat. Und dann begann meine Bewährungsprobe, ob ich seit den alten Vier-Spur-Tagen doch ein bisschen über Musik gelernt habe. Arthur saß da, spielte Tamburin, sang einfach hinreißend und führte uns durch die Songs, was trotz seines Rufs super funktionierte. Leider war das die einzige wirkliche Probe mit Arthur. Er mochte uns, mochte mein Bassspiel und verriet mir sogar, dass ich, von ein paar Flötenspielerinnen mal abgesehen, die einzige Frau wäre, mit der er je gespielt hätte. Davon werde ich noch lange zehren können ... Wir alle hätten alles andere sofort liegen gelassen, um mit ihm zu touren und wären seiner Persönlichkeit mit Respekt begegnet. Deswegen macht es mich auch rasend, wenn ich von irgendwelchen seiner Backingbands höre, wie schwierig er doch war. Haben diese Typen nicht genug Erfahrung, um zu wissen, wie hart es physisch als auch psychisch ist, sein ganzes Leben der Musik zu widmen? Aber ich will mich nicht beschweren, ich stand mit ihm im selben Wohnzimmer und habe ihn direkt neben mir singen gehört.


Deine wohl bekannteste Band waren die LOST SOUNDS. Warum habt ihr euch aufgelöst?

Diese Band hatte ihr Spiel gespielt. Ich hätte noch zig Songs schreiben können, aber diese extreme Spannung innerhalb der Gruppe hat uns eingeschränkt. Die Auftritte waren kurz und zu einer Probe zu gehen, war wie zur Arbeit zu erscheinen, bei der ein verdammter Arschloch-Chef dich anbrüllt und dich nicht für deine Überstunden bezahlt. Kein wirklicher Spaß. Es war eine dysfunktionale Band und ich habe mich dort sehr lange sehr unwohl gefühlt. Aber ich habe es geliebt, die Platten aufzunehmen; das hat mich auch dabei gehalten. Die Zeit wird zeigen, ob diese Band ein Sprungbrett für all unsere zukünftigen Anstrengungen gewesen sein wird. Ich fühle keinen Verlust, ich bin stolz auf meine damalige Arbeit und bin nicht sauer, dass die Band zerbrochen ist. Ich fühle mich jetzt viel stärker und schätze an meinen aktuellen Bands, dass dort fähige und geduldige Menschen spielen.


Wir haben die LOST SOUNDS auf ihrer letzten Europatour in Düsseldorf gesehen und man konnte schon eine "leichte" Spannung auf der Bühne spüren. War diese Aggression normal für einen eurer Auftritte oder zeichnete sich die Auflösung da schon ab?

Oh ja, "leicht" in wahrscheinlich fünfzig Mal potenzierter Form. Eine unglaubliche Spannung. Ich wurde bespuckt und von unzähligen rumfliegenden Sachen und Mikroständern getroffen. Jay hat Prellungen, Kratzer und andere Spuren bei mir hinterlassen, mich die ganze Zeit angeschrieen und mich bedroht. Man kann Gewalt nur so lange mit einem Lachen abtun, bis sie ihren Tribut fordert. Der mentale Stress lässt sich einen irgendwann nur noch mies fühlen, ich bekam Brustschmerzen und Geschwüre. Die Kombination der Persönlichkeiten war einfach nur schlecht.


Du betreibst auch das Label und den Mailorder Contaminated. Wie hast du damit angefangen und wie sieht die Motivation dahinter aus?

Es hat mit den FITTS angefangen, wir haben einfach unsere eigene Platte raus gebracht. Dann wollte ich was mit den PONYS machen, weil sie in Memphis aufgenommen hatten und ich sie sehr mochte. Wie alle meine Projekte wächst auch das Label stetig, aber langsam. Der Mailorder kam hinzu, weil die Leute mich fragten, ob ich diese oder jene Platte besorgen könnte. Auch heute noch nehme ich nur Sachen auf, die schwer zu bekommen sind oder die kein anderer Laden haben will, weil es kein Garagepunk ist. Wer wusste denn schon, wer die WRISTS sind? Oder DIGITAL LEATHER oder die WAX MUSEUMS und die ganzen anderen Bands aus Denton, Texas? Ich muss mir wohl selbst für meinen bizarren Geschmack auf die Schulter klopfen. Jetzt mache ich auch T-Shirts, handbedruckt und mit nach Blut aussehenden Farbspritzern. Ein großer Spaß!


Ist Contaminated ein Eine-Frau-Projekt oder hast du größere Pläne?

Ich habe eine schwarzhaarige Puppe, die nachts lebendig wird und Cover zurechtschneidet. Also on occasion a Basque strawberry blonde gnome that stuffs record jackets ...



André Bohnensack, Joachim Hiller