KJU:

Foto

Musik und ihre Hintergründe

Fernbeziehungen sind nicht immer leicht. Dass sie aber nicht immer zum Scheitern verurteilt sind, sondern auch Früchte tragen können, das bewiesen jüngst die vier Jungs von KJU: Die Mitglieder leben weit verstreut zwischen Hannover und Berlin, Bandproben sind eher selten und man schickt sich einander Songideen zu, welche die anderen Mitglieder sukzessive bearbeiten. Klingt nach einem grausamen Bandalltag? Ist es nicht, wie Tobi (Gesang, Gitarre) berichtet. In der Tat scheint seine These stützenswert, wie das neueste und dritte Album der Band "Setting Sun" beweist. Verspielte Alternative-Rock-Momente treffen hier auf melodische Punkrock-Strecken und ergeben gemeinsam zwölf sehr gute Rocksongs, deren Pop-Appeal nicht über die Kernigkeit und Geradlinigkeit der Songs hinwegtäuscht. Über ihr neues Album, das Bandleben und die Musikszene an sich ließ sich Tobi bereitwillig per Datenhighway befragen.

Mit eurem dritten Album "Setting Sun" gingen einige Neuerungen einher. Es klingt im Gegensatz zu euren früheren Alben poppiger, erinnert stärker noch als "The Pieces Fit" an Bands wie die FOO FIGHTERS oder JIMMY EAT WORLD. Außerdem seid ihr von Swell Creek zu Treasure Tapes gewechselt, das mit Übersee in Verbindung steht. Alles neu im Hause KJU:?


Alles neu wäre übertrieben, aber einige Sachen haben sich mit Sicherheit über die Jahre hinweg geändert. Durch die Erfahrungen, die wir mit unseren ersten Alben, "Draw Lines On" und "The Pieces Fit", gesammelt haben, konnten wir für "Setting Sun" schon ein recht klares Bild davon entwickeln, wie das neue Album klingen sollte. Es ging uns dabei im Wesentlichen darum, Songs mit mehr Struktur und besserer Greifbarkeit zu schreiben, ohne dabei auf die uns wichtigen, besonderen Momente zu verzichten. Wir haben für "Setting Sun" das erste Mal eine Art Vorproduktion gemacht - sicher nicht zu vergleichen mit dem Aufwand größerer Bands -, aber eben doch soweit, dass wir alle Songs sowohl strukturell als auch auf Detailebene besser bearbeiten konnten. Darüber hinaus haben wir die Stücke regelmäßig mit Guido Lucas abgesprochen, so dass auch er einen großen Einfluss auf ihre Entstehung hatte. Dennoch sollte "Setting Sun" ehrlicher aufgenommen werden. Vornehmlich bedeutete dies keine getriggerten Drums und deutlich weniger Gitarren- und Gesangsspuren. Wir hatten das Gefühl, dass zu der Zeit Tonnen glatt gebügelter Ami-Produktionen am Start waren und dass deutsche Bands mehr denn je versucht haben, genauso zu klingen. Wir haben uns deswegen für einen "ehrlichen" Sound entschieden. Bezüglich des Labelwechsels ist zu sagen, dass es nach zwei Alben auf Swell Creek einfach Zeit für etwas Neues war. Als dann die Idee im Raum stand, das Album über Treasure Tapes/Übersee zu machen, waren wir sofort begeistert. Schließlich kennen wir Frank und Henning von Treasure Tapes schon lange. Wir haben uns bei alledem aber nicht mit Swell Creek gestritten, sondern sind - im Gegenteil - noch sehr gut mit Bauke befreundet, der das Label macht



Angesichts der zunehmenden ernsthaften Existenzprobleme vieler Labels, da der Markt physischer Tonträger von Moment zu Moment schrumpft - wie schätzt ihr den derzeitigen Wandel des Musikgeschäfts im Bezug auf KJU: ein? Seht ihr den Vormarsch der Online-Vertriebsmechanismen von Musik als Chance oder als Bedrohung für KJU:?

Jeder, der sich irgendwie mit Musik beschäftigt, muss sich mit dieser Thematik auseinandersetzen. Und, klar, die Absatzzahlen von heute verglichen mit denen von vor zehn Jahren zeigen, wie es um den Tonträgermarkt bestellt ist. Aber diese Entwicklung stellt für KJU: keine wirkliche Bedrohung dar. Denn durch Tonträgerverkäufe haben wir noch nie sehr viele Einnahmen gehabt. Wenn, dann konnten wir durch unsere Konzertgagen vielleicht mal ein, zwei Studiotage finanzieren. Mehr aber nicht. Die Vorstellung, mit KJU: unseren Lebensunterhalt finanzieren zu können, haben wir überdies schon lange beiseite geschoben. Das gibt der Band aber eine unglaubliche Freiheit. Die Freiheit, auch Nein sagen zu können, und die Freiheit, Songs zu schreiben, die wir wollen und die nicht vor dem Hintergrund geschrieben werden, dass sie einer gewissen Anzahl von Hörern unbedingt gefallen müssen. Daher denke ich, dass die aktuellen Entwicklungen definitiv eine Chance und keine Bedrohung sind. Außerdem vertreibt Treasure Tapes auch über Stores wie iTunes, so dass hier ein Ansatzpunkt seitens des Labels besteht, die gegenwärtigen Entwicklungen positiv zu nutzen. Natürlich nutzen wir selber auch MySpace und so weiter. Aber diese Websites können unseren Fans nicht das vermitteln, worum es eigentlich geht: eine Band live zu sehen.


Du sprachst eben an, dass ihr noch nie wirklich von der Band leben konntet. War es jemals euer Ziel, euren Job an den Nagel hängen und hauptberuflich bei KJU: spielen zu können?

Es herrscht oftmals der Irrglaube vor, kleinere Bands könnten bereits von ihren Aktivitäten leben. Natürlich ist das nicht der Fall. Vielmehr steht die investierte Zeit nur äußerst selten in Relation zu dem, was man als Band ernten kann. Dennoch würde ich sagen, dass ich früher schon manchmal kurz davor stand, meinen Job zu kündigen und KJU: zum Beruf zu machen. Aber ich bin heute froh, es nicht gemacht zu haben. Denn sobald du deine Band professionalisierst, begibst du dich auch in finanzielle Abhängigkeiten und die schränken deine Selbstbestimmung ein, was zumindest mir die Freude an der Band verderben würde. Der Spaß an der Musik und am Songschreiben ist für mich aber ein wesentlicher Antrieb. Deswegen bin ich froh über unsere Unabhängigkeit und darüber, wie es jetzt gerade ist.


Nun ist es in den letzten Jahren gerade Punkbands alles andere als gut gegangen. Bands, die vor gut zehn Jahren noch in mittelgroßen Clubs gespielt haben, interessieren in Deutschland nur noch wenige, während beispielsweise in England ein Hardcore/Screamo-Hype den Nächsten jagt. Würdet ihr euch solche mediale Aufmerksamkeit auch hier wünschen?

Nicht unbedingt. Eine breitere Berichterstattung bringt ja leider nicht nur Gutes mit sich - man kann einfach nicht von vielen Leuten erwarten, dass sie sich mit dieser Art von Musik auseinandersetzen. Was, und dafür ist England ein Paradebeispiel, eben schnell dazu führen kann, dass Hype auf Hype geboren wird, um die Leute bei der Stange zu halten. Da ist es mir schon lieber, in einer gewissen Nische beheimatet zu sein und zu wissen, dass die Leute sich dort ernsthaft mit dem auseinandersetzen, was man produziert. Wenn man ein englisches Musikmagazin, allen voran Kerrang, aber auch NME und viele andere, aufschlägt, dann wird einem ja schon schlecht, bevor man überhaupt den ersten Artikel gelesen hat.