KOMMANDO SONNE-NMILCH

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Immer diese Widersprüche

KOMMANDO SONNE-NMILCH. Auf so einen Namen muss man erst mal kommen. Den muss man sich auf der Zunge zergehen lassen. Selbst im Verhältnis zu den anderen vulgären und für (Deutsch)Punkbands fast schon prototypischen Namen von Jens Rachut-Bands (ihr kennt sie alle, von ANGESCHISSEN über BLUMEN AM ARSCH DER HÖLLE bis OMA HANS) sticht KOMMANDO SONNE-NMILCH als extrem schräg heraus.

Extrem schräg waren auch die beiden ersten Alben. "Häßlich und neu" - 1998 auf Schiffen nur mit Jens Rachut, Andreas Ness (seit BLUMEN AM ARSCH DER HÖLLE Gitarrist in allen Jensen-Projekten) und Brezel Göring von STEREO TOTAL veröffentlicht - war ein zerfahrenes, beinahe reines Elektronik-Werk, das jetzt auf dem Major Label neu aufgelegt wurde. Bei "Der Specht baut keine Häuser mehr" (von 2003, auf Sounds of Subterrania) war zwar Brezel Göring nicht mehr dabei, dafür hatten Jens und Andreas sich zu dem Projekt die Schauspielerinnen Yvon Jansen und Karin de Boer, Thomas Wenzel (STERNE, GOLDENEN ZITRONEN, COW), Schlagzeuger Stephan Mahler (damals SLIME, TORPEDO MOSKAU, ANGESCHISSEN oder GEORGE & MARTHA, heute auch bei SOJUS 5) und Ronnie Henseler (Betreiber des Alien Network Studios, damals bei PROLLHEAD und CUCUMBER MEN, heute auch bei NO LIFE LOST) dazugeholt und so ein enorm vielfältiges, experimentelles Album aufgenommen.

Das neue Werk "Jamaica", das als Vinyl bei Major Label und als CD bei Buback erscheint, wurde in der "gesund geschrumpften" Besetzung aus Jens, Andreas, Ronnie und Stephan aufgenommen beziehungsweise wird live von Yvon und ihrer Kollegin Mila Dargies verstärkt. Aber genug des Namedroppings, KOMMANDO SONNE-NMILCH sind mit ihrer neuen Platte angetreten, das Ende von OMA HANS vergessen zu machen, und das sollte ihnen auch gelingen ... für immer Punk quasi. Vor dem Konzert in der Volksbühne Berlin, das im Rahmen des "Gipfels der Integration" stattfand, bei dem auch das Theaterstück "Der kleine Muck ganz unten - Die Welt zu Gast beim Feudeln" von Schorsch Kamerun aufgeführt wurde und bei dem unter anderem auch Jens Rachut und Jacques Palminger (Heiner Ebber von DACKELBLUT) mitwirkten, unterhielt ich mich mit Ronnie und Stephan über die neue Platte.


Stephan: Das ist eigentlich eine lupenreine Punkplatte. Und dadurch, dass OMA HANS das Zeitliche gesegnet hat, hat sich eine Lücke aufgetan, die wir dann vielleicht gefüllt haben. Zumal ja auch Teile der Besetzung identisch sind.

Ronnie: Das hat natürlich auch damit zu tun, dass auf der zweiten Platte noch Thomas Wenzel mit dabei war, am Keyboard oder an der Schweineorgel, und sich dann aber entschieden hat, die Band zu verlassen, weil er eben noch so viele andere Sachen macht. Dadurch waren wir plötzlich auf diese Basisbesetzung geschrumpft, und wenn wir zusammen im Proberaum stehen, kommt dann auf einmal Punkrock bei raus.

Stephan: Ich würde mal sagen, wenn wir uns zusammen finden, dann kommt fast zwangsläufig Punk dabei raus, dagegen sind wir komplett machtlos, da kann man nichts gegen tun. KOMMANDO SONNE-NMILCH war von vornherein nicht festgelegt auf eine musikalische Richtung. Da gab es von den Leuten her ja auch nicht immer eine Stammbesetzung. Kann auch sein, dass die nächste Platte wieder ganz schräg wird, ganz experimentell. Das ist sogar sehr wahrscheinlich.

Ronnie: Das halten wir uns aber offen. Wir haben im letzten Jahr bei den Proben gemerkt, dass es eine Punkplatte wird, was aber innerhalb der Band auch ein Diskussionspunkt war, da es nicht ganz unstrittig war. Gerade auch nach dem Ende von OMA HANS haben wir uns gefragt, ob es nicht zu einfach wäre, einfach in deren Fußstapfen zu treten.

Stephan: Eine Sache, die da auch eine Rolle spielt, ist, dass Ronnie und Jens mit den "Seuchenprinz"-Hörspielen diesen Schrägheitsanspruch auch nicht zu knapp erfüllt haben. Da kam zumindest das Schräge in den letzten eineinhalb Jahren nicht zu kurz. Die zweite KOMMANDO SONNE-NMILCH hatte ja auch schon ein bisschen was von diesen merkwürdigen abgedrehten Hörspielen.

Ronnie: Ich komm selber auch immer durcheinander mit den Hörspielen.

Stephan: Das ist letzten Endes doch wie bei "Star Wars".

Ronnie: Wir hatten erst den dritten Teil, dann kommt jetzt der zweite Teil und dann werden wir noch Teil 4 hinterher schieben. Teil 1 wird es wahrscheinlich nicht geben.


"Jens Rachut ist der beste Geschichtenerzähler, den die hiesige Musiklandschaft hervorbringen konnte. Er macht Social Beat im besten Sinne, erzählt von einer Welt in den Gassen und Sozialbauwohnungen, von Modernisierungsverlierern und solchen, die nie anders konnten, als zu scheitern. Dies alles mit einer unprätentiösen Sprache, die mit Minimalismen schon ungeheure Tiefe schafft, Soziotope von unten entwirft. Schon allein dieser Aspekt macht jede Platte mit Rachut-Beteiligung zu einem Event." (geklaut bei: filmtagebuch.blogger.de/20050411 am 16.05.07)

Ronnie: Wir legen musikmäßig vor und Jens singt dann irgendwelchen Blödsinn dazu und schreibt erst relativ spät die Texte. Er kann das unter Druck eben verdammt gut und teilweise entstehen die Texte erst im Studio. Unser Mitspracherecht bei den Texten beschränkt sich eher darauf zu sagen: "Pass mal auf, Alter, das ist jetzt wohl völliger Unsinn, ab in die Tonne damit." Oder ihm eben auf die Schulter zu klopfen und zu sagen: "Da haste echt wieder einen geilen Text geschrieben." Ich für meinen Teil bin aber noch nie tiefer in die Texte rein, um dann zu sagen: "Dies oder jenes muss anders sein."


"Vielleicht ist, was ich sing, ein bisschen fies. Ich warte, bis wir tot sind, wir sehen uns nicht in Hamburg, und bestimmt auch nicht im Paradies." (aus "Schwan")

Ronnie: Jens ist in seinen Texten ja eher nicht plakativ. Das kann man nur lieben oder hassen.

Stephan: Ich hab mein Leben lang politische Musik gemacht. Und es geht uns nicht mehr darum, zu sagen: "Wir sind hier und ihr seid da. Wir sind die Guten und ihr seid die Schlechten". Wo wir stehen, das ergibt sich aus unserem Leben heraus. Uns geht es in erster Linie um eine bestimmte Haltung, und ich glaube auch, dass die bei den Texten von Jens, die auch mitunter erst beim zweiten Mal verständlich sind, ganz klar rüberkommt. Das ist auch ein Spiegel von uns allen, wie wir leben.

Ronnie: Aber wahrscheinlich ist es so, dass du mehr über die Texte nachdenkst, als wir das je getan haben. Das ist einfach manchmal nur die Lust an Gegensätzen, an so Sachen, wo sich jeder erst mal an den Kopf fasst und fragt: "Was für Spinner sind das denn?"

Stephan: Es kommt immer auf den Kopf an, aus dem diese Absurditäten herauskommen. Man kann nicht davon ausgehen, dass da jemand so brütet, und dann sagt: "So und so muss es sein." Aber so konkret funktioniert es ja nie, oder zumindest in den wenigsten Fällen, und eben auch nicht bei der Kunst, die ich persönlich interessant finde. Sondern die entsteht eher aufgrund eines bestimmten Bewusstseins, einer bestimmten Haltung und eines bestimmten Vermögens. Das lässt sich auch gerne im Nachhinein mit Inhalt füllen.


"Unter uns die Ratten, und über uns - der Tod." (aus "Das Verhör")

Stephan: Der Titel "Jamaica" ist im Großen und Ganzen halt abstrus. Die Platte hat weder mit Jamaika noch mit Reggae zu tun.

Ronnie: Auf dem Cover sieht man einen Jäger mit Füchsen, das hat mit allem, nur nicht mit Jamaika zu tun. In etwa so viel wie "In Hongkong ist der Puff kaputt" mit dem Rest der zweiten Platte. Das ist eben diese Lust an Gegensätzen. Das fällt mir bei Jens oft auf und gerade bei den Hörspielen hab ich ihn oft gefragt: "Wo ist die Story?" oder "Ich verlier den Faden. Gib mir da doch irgendeinen Hinweis." Das ist ihm aber nicht so wichtig, es geht ihm um Assoziationen, daraus entwickelt auch vieles seine Kraft, das funktioniert für mich auch so. Das ist manchmal nur ein kleiner Nebensatz, an dem ich total hängen bleibe. Und ähnlich ist das eben mit dem Titel "Jamaica", da gibt es keinen Bezug in irgendwelchen Texten, aber das Cover als solches kommt erst mal gut rüber - und ist halt ein Lacher.

Stephan: Damit, dass wir jetzt bei Buback sind, schließt sich ja in gewisser Weise der Kreis, denn da haben wir angefangen. Buback wurde quasi gegründet, um die erste ANGESCHISSEN-Platte herauszubringen. Und nach zwanzig Jahren wieder dort zu sein, ist eigentlich ganz lustig. Der Grund, dass wir das splitten, ist, weil wir mit Major Label sowieso was machen wollten, und weil das vom Vertrieb und von den Leuten her einfach gepasst hat.


"Wir bedanken uns, für die Höflichkeit, ohne uns zu unterbrechen, zuzuhören. (...) Schluss mit dem Senat, das Ende für die Führer, mal sehen, was da kommt." (aus "Caligula")

Stephan: Bei der letzten Platte gab es das Motto mit dem Flugzeugabsturz. Wir hatten ein Flugzeugwrack auf der Bühne, wir hatten das auch schon so ein bisschen theatermäßig inszeniert. Für die neue Platte beziehungsweise die Tour ist aber noch nichts geplant. Es gab gestern die Idee, wir verkleiden uns alle als Imker und Yvon als Biene, das kam aber nicht so gut an. Oder ein Vogelnest, hatten wir noch

...Ronnie: Wir haben verschiedene Ideen, was das angeht, aber fest ist da noch nichts.