NO SHAME

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Die finnische Seele

NO SHAME-Sänger Sampsa Sarparanta ist hager, groß gewachsen und wirkt eher unscheinbar, aber wie so oft täuscht der erste Eindruck, denn der stille Musiker ist auch Maler, Vater und überzeugter Globalisierungsgegner. Er ist jenseits der Dreißig, und rund eine Dekade nach der Gründung hat seine Band NO SHAME nun mit ihrem vierten Album "White Of Hope Turning Black" einen Klassiker abgeliefert. Die vier Nordlichter aus der finnischen Provinzstadt Salo, welches primär durch das Werksgelände von Nokia am Leben erhalten wird, verschmelzen hymnischen Streetpunk und Hardcore mit subtiler Melancholie und wildem Protest. Ihr Song "Take the money and run" richtet sich gegen Profitmaximierung und im Booklet des Albums ziert das Konterfei von Jorma Ollila, dem ehemaligen Nokia-CEO, den Text. Das riecht nach Ärger ... Sampsa Sarparanta stand uns in der Backstage-Wohnung des Düsseldorfer AK47 über einer langsam erkaltenden Pizza Rede und Antwort.

Was sind die drei verhasstesten Klischees von Finnland?


Gerade in Deutschland fallen mir dazu als erstes die LENINGRAD COWBOYS ein. In Finnland mag die keiner. Die sind ein verdammt schlechter Witz. Als Zweites fällt mir APOCALYPTICA ein, ein weiterer mieser Witz, der sich seit zehn Jahren hält und der für ungefähr einen Song funktionierte, und ...


LORDI?

Moment. Die haben den European Song Contest gewonnen, etwas mehr Respekt bitte!


Okay, ich bin ja schon ruhig ... Weitere Klischees?

Natürlich dass wir immer sehr viel Schnee haben, und der ganze Weihnachtsmann-Bullshit mit den Rentieren. Dabei schneit es im Süden Finnlands heute nur noch selten, und Rentiere findet man auch vor allem in den Einkaufszentren.


Ein beliebtes Klischee hierzulande ist, dass die Finnen sehr viel trinken.

Das kann ich nicht bestreiten. Aber die Deutschen trinken auch viel, vor allem Bier.


Außerdem hat man den Eindruck, dass aus Finnland eher außergewöhnliche, eigenwillige Bands kommen - verglichen etwa mit Schweden.

Du meinst so Bands wie ELÄKELÄISET, ich weiß. Mir fällt es schwer, solche Bands herauszuhören, ich komme eben selbst aus Finnland. Die Schweden haben eine viel längere Tradition in Sachen Popmusik, die sind viel professioneller, legen mehr Wert auf einen guten Sound, sind kommerzieller orientiert. In Finnland hat sich erst in den letzten paar Jahren eine professionelle Musikszene etabliert, mit Bands wie HIM und THE RASMUS. Generell haben die finnischen Musiker die Mentalität, sich als eigenwillige Künstler zu sehen, die ihr Ding durchziehen und auf keinen Fall kommerziell sind. Vielleicht hat das ja was damit zu tun, dass wir alle aus dem Wald kommen, hahaha. Das wäre also meine Erklärung, warum finnische Musik oft so speziell ist. Und vielleicht haben wir uns ja auch etwas Unschuld bewahrt, hat uns die kommerzielle Musikindustrie noch nicht ganz erreicht, weil wir so was wie das Albanien Nordeuropas sind, hahaha. Dass finnische Musik sich in letzter Zeit so großer Beliebtheit erfreut, könnte genau damit was zu tun haben - man betrachtet uns vielleicht als unverdorbene Originale.


Die Bands, die ich in letzter Zeit als euch vergleichbar wahrgenommen habe, veröffentlichen ihre Platten auf Combat Rock Industry. Wieso ihr nicht?

Klar, das hätte schon gepasst, aber wir sind schon lange eng mit Juha von Fullsteam Records befreundet, da hat sich das einfach angeboten. Außerdem sind unsere Band und sein Label parallel gewachsen: Als wir in Finnland noch eine fast unbekannte Band waren, war er ein Ein-Mann-Betrieb, machte alles selbst. Über die Jahre ist Fullsteam zu einem der größten finnischen Labels gewachsen, wir sind in Finnland recht bekannt, da war das eine ganz logische Entscheidung, und Fullsteam war die beste Entscheidung für uns. Außerdem sind sie immer noch independent und wir sind auch mit den anderen Bands da befreundet. Aber wir kennen, auch ENDSTAND sehr gut, wir fahren auf dieser Tour ihren Bandbus, und die ganzen Combat Rock-Bands sind unsere Freunde, ja, der Drummer von I WALK THE LINE ist sogar der Pate meines Kindes.


ENDSTAND, I WALK THE LINE, NO SHAME - diese Bands stehen für mich für einen Sound, den man so vor fünf, sechs, sieben Jahren nicht aus Finnland kannte, sondern eher aus Florida, von Bands auf No Idea. Wie hat sich das entwickelt?

Als wir anfingen, wussten wir nicht, dass es andere Bands in Finnland gibt, die so ähnlich klingen. Wir kommen aus Salo, einer kleinen Stadt in Südfinnland, 150 Kilometer von Helsinki entfernt, und es ist eine Kleinstadt, wir hatten überhaupt nichts mit der Punkszene in Helsinki zu tun. Es gab da nur uns, wir hörten SOCIAL DISTORTION, DESCENDENTS und so weiter. Außer uns gab es nur eine andere Band, wir hatten unsere Kleinstadtszene, wir konnten uns nicht vorstellen, dass außer uns noch jemand in Finnland SOCIAL DISTORTION und DESCENDENTS hört. Als wir dann unsere erste Demo-CD aufgenommen hatten, schickten wir sie an ein paar Labels, unter anderem an Straight Edge Records, ein kleines Label, das einem in Finnland lebenden Amerikaner gehörte. Er brachte unser erstes Album raus, und er war ganz überrascht, dass jemand in Finnland so einen Sound macht. Zur gleichen Zeit fingen auch WASTED und ENDSTAND an, doch es brauchte dann noch zwei, drei Jahre, bis wir es mal aus Salo raus schafften, mal in Helsinki spielten. Ich weiß auch noch, wie überrascht ich war, dass es noch so eine Band wie uns gibt, als in einer halbstündigen Punkrock-Radiosendung WASTED gespielt wurden.


Hat sich denn da in den letzten Jahren in Finnland eine neue Szene etabliert?

Ja, durchaus. Punkrock ist in Finnland in den letzten Jahren einfach beliebter geworden, ja man könnte beinahe von einem Modetrend reden. Unser erstes Album erschien 1999, da fingen wir an, Kontakte zu knüpfen, außerhalb von Salo zu spielen. Und zur gleichen Zeit gab es angesichts des WTO-Treffens in Seattle die massiven Proteste dagegen, was irgendwie ein Zeichen war, dass man sich wieder politisch engagieren konnte. Bis dahin war politisches Engagement ja verpönt, auf MTV und so weiter fand nur totale Plastikmusik statt mit ichbezogenen Texten, und das änderte sich damals - so, dass es heute schon beinahe wieder trendy erscheint, sich politisch engagiert zu geben.


Sind NO SHAME denn auch eine politische Band?

In einem eher allgemeinen Rahmen durchaus. Wir haben was zu sagen, wir haben eine Message, aber wir haben auch kein Problem, einfach nur über Liebe zu singen. Wobei ich denke, dass es durchaus politisch sein kann, als Punkband über das Thema Beziehung zu singen. Ich schreibe die Texte einfach über mein Leben, über alles, was darin vorkommt.


Auf der letzten EP findet sich ein Lied, in dem du davon singst, dass irgendwer woanders auf der Welt für unseren Luxus bezahlen muss. Kannst du das erläutern?

Diese EP war für uns ein Schritt in eine neue, andere musikalische Richtung, verglichen mit den drei Platten davor. Ich hasse es zwar, das so auszudrücken, aber es trifft es ganz gut: Wir klingen seitdem "erwachsener". Früher waren meine Texte doch eher schwarz-weiß, nach dem Motto "Wir sind gut, die sind schlecht", und die Guten müssen gegen die Schlechten kämpfen, und wenn wir das lang genug machen, ist die Welt eine bessere. Das ist für den Anfang okay, gerade für Teenager, aber ich merkte im Vorfeld der EP, dass ich kein Teenager mehr bin - ich bin 34 -, und dass ich mich als in einem wohlhabenden westlichen Land lebender Mensch nicht meiner Verantwortung für das Leiden in der Dritten Welt entziehen kann. All unser Besitz basiert letztlich auf Ausbeutung, das kann man drehen und wenden, wie man will. Klar, die Kapitalisten versuchen das zu leugnen, die behaupten, dass alle gewinnen, wenn wir gewinnen, aber das ist unmöglich, es ist wie bei einem Rennen, wo es auch nur einen Gewinner gibt. In diesem Lied, nach dem du gefragt hast, geht es genau darum, ich wollte klarmachen, dass ich kein Heiliger bin, dass sich jeder von uns schuldig macht, aber eben versuchen sollte, etwas besser zu machen - und dass das auch uns in der Punk-Szene etwas angeht, nicht nur unsere "Feinde".


Wie finanziert ihr euren Lebensunterhalt?

Teemu, der Drummer, ist Hausmann, er ist verheiratet und hat zwei Kinder. Pekka und Jere machen nichts, die spielen Playstation und trinken Bier, und ich habe auch eine Frau und eine Tochter, und ich male Bilder. Ein richtiger Beruf ist das ja nicht, aber ich verdiene Geld damit.


Du bist also Künstler, so richtig mit Ausstellungen und Galerien?

Ja. Nur dass bei meinen Ausstellungseröffnungen das Publikum eher zweigeteilt ist: auf der einen Seite das Kunstpublikum, auf der anderen die Leute mit Lederjacke und Iro, die ihren eigenen Alkohol mitbringen. Und in der Mitte steht der Galerist und wundert sich. Solche Situationen liebe ich, wenn sich zwei Welten treffen.


Wie kompatibel sind denn diese beiden Welten?

Sie ergänzen sich sehr gut. Mit der Band hat man das Publikum direkt vor sich, lebt man für den Augenblick, für die Zeit auf der Bühne, das hat schon was von Buddhismus. Denn die Buddhisten sagen, man soll in der Gegenwart glücklich sein, nicht zu sehr über die Zukunft und die Vergangenheit nachdenken. Als Maler ist das ganz anders: Da arbeite ich allein, da sind nur ich und mein Bild im Atelier, und das gleicht sich beides sehr gut aus, so kann ich einerseits allein sein, treffe mit der Band dann aber auch sehr viele Menschen. Und die Verbindung besteht darin, dass sowohl meine Bilder wie die Musik und Texte von NO SHAME aus dem gleichen Gehirn kommen. Man könnte die Bilder auch als die visuelle Seite meiner Lieder ansehen.


NO SHAME heißt die Band, die Website lautet ifeelnoshameatall.net - aber wofür soll man sich nicht schämen?

Niemand sollte sich für sich schämen, sich ständig für irgendetwas entschuldigen. Der Name hat mit unserer Kleinstadt-Herkunft zu tun, und als wir anfingen, schaute man auf uns herab, wir waren die Loser, die nicht mal richtig spielen konnten. Die "richtigen" Musiker in unserer Stadt nahmen uns nicht ernst, die hielten sich für was Besseres, und bei unserem Soundcheck ging der Mixer aus dem Raum. Vor diesem Hintergrund entstand der Name NO SHAME, wir sagten uns, wir müssen uns nicht schämen. Und weißt du was? Heute sind wir die einzige Band aus unserer Stadt, die auf Tour geht und die Welt sieht, wir waren in den finnischen Charts - und plötzlich kommen diese Typen von damals an und behaupten, sie seien ja schon immer unsere Freunde gewesen, hahaha.


Besten Dank für das Interview.


Joachim Hiller, Thomas Eberhardt