SUICIDAL TENDENCIES

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Neulich auf dem Highway

SUICIDAL TENDENCIES lernte ich vor Jahren übers Skateboardfahren kennen, eine Vorliebe der Band, aus der sie nie einen Hehl gemacht hat. Protegiert von Szenefotograf Glen E. Friedman, der auch ihr erstes Album produzierte, erspielten sich ST binnen kürzester Zeit ein immer größeres Publikum und wagten als erste HC-Band überhaupt den Sprung vom Untergrund ins Haifischbecken Mainstream. Ein Spagat, der der Band aus Venice, Kalifornien einen äußerst umstrittenen Ruf einbrachte. Trotzdem veröffentlichten die Gangster um Mike Muir 1987 das großartige Album "Join The Army" mit dem Überhit "Possessed to skate" auf Virgin, dem wegen des anhaltenden Erfolgs sogar der Wechsel zu Sony folgte.

Als die Band im Juni dieses Jahres beim einzigen Konzert in Deutschland die ersten Töne von "How will I laugh tomorrow", Titelstück des gleichnamigen Albums des Jahres 1988, anspielte, wusste ich allerdings wieder, warum es damals das Ende meiner persönlichen Begeisterung darstellte: Die Rock- hatten die HC-Elemente eingeholt. Der allgemeinen Anerkennung tat das keinen Abbruch und auch heute zieht SUICIDAL TENDENCIES eine ganze Heerschar an treuen Fans in ihren Bann. Da Mike Muir der Gesundheit wegen um Schonung bat, unterhielt ich mich mit Gitarrist Mike Clark über das Phänomen SUICIDAL TENDENCIES.

Mike, wie geht's dir und SUICIDAL TENDENCIES?


Gut, danke der Nachfrage. Wir sind seit ungefähr einem Monat in Europa unterwegs und haben fast überall gespielt. Warum wir nur eine Show in Deutschland spielen, kann ich dir leider auch nicht sagen. In Hamburg bin ich jetzt das dritte Mal und so langsam kann ich behaupten, die City zu kennen: Eine wirklich schöne Stadt! Alle, die heute keine Karten mehr bekommen haben, kann ich beruhigen. Wir versuchen, so schnell wie möglich wiederzukommen.


Das letzte Mal habt ihr 2004 auf der Resistance Tour in Europa gespielt. Warum hat eure Rückkehr nach Europa so lange gedauert?

Mike Muir hatte ziemliche Probleme mit seinem Rücken und musste zweimal operiert werden. Eine fiese Nervensache, die ihm ganz schön zu schaffen machte. Jetzt ist aber wieder alles in Ordnung und wir alle hoffen, dass seine Gesundheit ihm und uns nicht noch einmal einen Strich durch die Rechnung macht. In Europa waren wir übrigens schon im April dieses Jahres, haben aber nur in Frankreich gespielt, weil uns eben nur dieser französische Veranstalter gebucht hat.


Euch gibt es schon eine ganze Weile, seit 1982, um genau zu sein. Welche Musiker oder Bands waren deine Vorbilder?

Du meinst meine persönlichen Vorbilder? Ich bin zunächst einmal Gitarrist, also muss ich wohl BLACK SABBATH, LED ZEPPELIN und vor allem auch Jimi Hendrix sagen. Später kam ich dann über die SEX PISTOLS und BLACK FLAG zu Punk. Bei uns in Venice stand darüber hinaus Punk immer ganz eng mit Skateboarden und Surfen in Verbindung. Wenn ich ganz ehrlich bin, müsste ich deshalb sagen, dass mich diese beiden Sportarten zur Musik gebracht haben. Ab und an surfe ich auch heute noch, aber sieh mich an! Das geht alles in Richtung relaxtes Cruisen. Die harten Moves überlasse ich lieber den Kids.


Euer Markenzeichen ist neben der Affinität zum Skaten vor allem das Outfit. Wer kam damals auf die Idee, sich gangmäßig anzuziehen?

So sind damals alle in unserem Viertel in Los Angeles rumgelaufen. Eigentlich war da auch nichts Besonderes dabei: Chinos, T-Shirts und Bandanas. Alles schön weit, weil bequem. Nur die Cops sahen das leider oft etwas anders, die hatten uns eine Zeitlang richtig auf dem Kieker. Kaum hörten sie unseren Namen, schon wurde die Show abgeblasen, egal, wo wir auftreten sollten. Die waren der festen Überzeugung, wir hätten was mit einer dieser Banden damals zu tun. Dabei waren wir nur Kids aus der Nachbarschaft.


Du warst nicht von Anfang an bei SUICIDAL TENDENCIES. Wie und wo hast du Mike Muir kennen gelernt?

Ich stieg 1987, kurz nach Veröffentlichung von "Join The Army", bei SUICIDAL TENDENCIES ein. Ich kenne Mike und seinen Bruder Jim Muir schon von unseren gemeinsamen Tagen in der Schule. Wir waren Nachbarn, wohnten auf der gleichen Straße und kennen uns seit einer Ewigkeit.


Wo du gerade von Jim sprichst. Ist er noch mit Dogtown unterwegs?

Ja, Jim ist immer noch Chef von Dogtown, einem der ältesten amerikanischen Skateboardlabels. Mit der Dokumentation "Dogtown And The Z-Boys", die vor ein paar Jahren in die Kinos kam, wurde Jim ja endlich auch einer größeren Öffentlichkeit bekannt. Vorher war das eher so ein Insiderding. Nach dem Erfolg der Doku schickte Hollywood dann noch einen grauenhaften Spielfilm hinterher, der leider die Tatsachen etwas verdrehte. Aber sei's drum, Dogtown geht es gut. Es gab gerade erst eine Ausstellung mit allen Decks, die jemals auf dem Label erschienen sind. Allesamt Klassiker, wenn du mich fragst.


Das Artwork einiger Skateboards ist ja dem urbanen LA-Gangstyle von SUICIDAL TENDENCIES gar nicht so unähnlich. Wer ist denn verantwortlich für eure üppige T-Shirt-Kollektion?

All unsere T-Shirts macht nach wie vor Eric Clayton. Er hat damals schon die ganzen Shirts angefertigt, die auf dem allerersten Album im Hintergrund zu sehen sind. Er spielte auch mal bei einer Band aus Venice, NO MERCY, die aber nicht so lange existierte.


Nach "Join The Army" hat euch 1988 Sony unter Vertrag genommen. Seit ein paar Jahren habt ihr mit Sucicidal Records ein eigenes Label. Wie wichtig ist das für euch?

Wir waren damals ständig auf Tour und "Join The Army" verkaufte sich ziemlich gut. Über ihre Scouts wurde Sony auf uns aufmerksam. Der ganze normale Weg eigentlich. Ein eigenes Label zu haben, ist mittlerweile aber eine Freiheit, die keiner von uns mehr missen möchte. Klar brauchst du immer eine Firma, die deine Releases vertreibt und unters Volk bringt, und das ist im Ausland meist gar nicht so einfach. Dafür suchen wir aber die Leute aus, mit denen wir zusammenarbeiten, und müssen uns nicht mit irgendwem, der uns vor die Nase gesetzt wird, abgeben. Heute erscheint ja vieles nur noch als virtuelle Datei, die man sich dann runterlädt. Und als Folge davon schließen immer mehr Plattenläden, wo man früher Stunden zubringen und sich noch alles genau angucken konnte. Eine grauenhafte Entwicklung.


Mitte der 90er hat sich auch mal das süddeutsche Metal-Label Nuclear Blast um euch gekümmert.

Ja, daran kann ich mich noch gut erinnern. Der Labelchef beteuerte, von Kindesbeinen ein Fan von uns gewesen zu sein, und hat wirklich nicht locker gelassen. Wir baten ihn dann schließlich, uns ein paar CDs seines Labels zukommen zu lassen, was er auch tat. Da kam also dieses Riesenpaket mit CDs irgendwelcher Metal-Bands, von denen wir bis dato noch nie gehört hatten. Eine schlimmer als die andere! Wir gaben uns Mühe und machten in unserem Van jeden Tag die Hörprobe mindestens einer dieser CDs, die aber spätestens nach dem dritten Lied aus dem Fenster direkt auf den Highway von L.A. flog. Ich frage mich bis heute, was wohl die anderen Autofahrer von diesem täglichen Ritual hielten ...


Wie geht es weiter mit euch?

Demnächst wird eine Live-DVD erscheinen, die Aufnahmen dazu wurden im Olympic Auditorium in Los Angeles mitgeschnitten. Wir waren die letzte Band, die dort auftreten durfte, bevor es abgerissen und mittlerweile in Besitz einer koreanischen Glaubensgemeinschaft übergegangen ist. Das Olympic war ein berüchtigter Auftrittsort für eine Menge Punk- und Hardcore-Bands der ersten Stunde. Am Ende war es aber schon sehr marode. Und wenn alles klappt, kommt dann demnächst noch ein neues Album von uns.


Mike, viel Glück dafür und danke fürs Gespräch!