AGGROLITES

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Reggae Train To Glory

Mein letztes Interview mit den AGGROLITES liegt drei Jahre zurück. Damals waren sie das erste Mal in Europa, rührend begeistert, wie gut sie auf der Tour ankamen und machten ihrem Kummer Luft, wie schwer es sei, in Los Angeles als junge Band Fuß zu fassen. Letzteres ist ihnen mittlerweile unzweifelhaft und nachdrücklich gelungen. So sind sie heutzutage die erste Reggae-Band auf Hellcat und wurden zudem jüngst von Label-Chef und RANCID-Frontmann Tim Armstrong dazu verpflichtet, seinem ersten Solo-Album das gewisse Etwas zu verpassen. Auch ihre nunmehr dritte eigene Platte muss vor den Erwartungen einer großen internationalen Fangemeinde bestehen. "Reggae Hit L.A." dürfte sie erfüllen, oder übertreffen ... Roger Rivas, der Mann, der für den charakteristischen Orgelsound der AGGROLITES verantwortlich ist, beantwortete telefonisch meine Fragen.

Euer erstes Album habt ihr der Legende nach an einem einzigen Tag geschrieben und eingespielt. Ich nehme an, ihr geht mittlerweile etwas anders an die Sache heran?


Ja, diesmal war es ähnlich wie schon beim zweiten Album. Viele Songs gehen auf Ideen einzelner Bandmitglieder zurück, die wir dann zusammen ausgearbeitet haben. Außerdem haben wir einige Songs unterwegs geschrieben. Viele sind entstanden, als wir letztes Jahr mit MADNESS auf Tour waren.


Insgesamt waren es dann aber weniger Songs als auf dem recht langen Vorgänger. War das eine bewusste Entscheidung?

In gewisser Weise. Wir mögen alles, was auf dem letzten Album gelandet ist, aber diesmal wollten wir noch strenger ausfiltern. Wir haben noch einen ganzen Haufen gutes Material aufgenommen, das wir für Sampler und dergleichen verwenden werden. Vier oder fünf dieser Songs hätten locker auch auf das Album gepasst, aber wir wollten es diesmal etwas kompakter halten.


Was habt ihr denn bei der Produktion diesmal anders gemacht?

Die ersten beiden Platten haben wir in den Signet Studios in Hollywood aufgenommen, in denen Motown nach dem Umzug nach Kalifornien beheimatet war. Diesmal haben wir uns für ein anderes Studio entschieden, das noch über eine Menge an sehr altem Aufnahme-Equipment verfügt. Dort hatten wir also viel Spielzeug für Experimente. Wir wollten dem Ganzen einen altmodischen, aber abgefahrenen Lee Perry-Touch verleihen.


Du hast auf dem Album viele unterschiedliche Orgeln verwendet; wie machst du das denn, wenn ihr auf Tour seid?

Wir stecken gerade in den Vorbereitungen zu einer US-Tour und werden wohl tatsächlich eine der wirklich großen Orgeln mitnehmen. Es ist wahnsinnig unpraktisch, aber der Klang ist es uns einfach wert. Auf Tour in Europa hab ich natürlich keine Wahl, da muss ich nehmen, was sich gerade anbietet. Aber das ist auch ganz interessant und spannend, wenn man das Beste aus den jeweils gegebenen Bedingungen machen muss.


Fast gleichzeitig mit "Reggae Hit L.A." kam ja kürzlich auch "A Poet's Life", das Solo-Album von Tim Armstrong heraus, bei dem ihr als Backing-Band fungiert habt. Welches habt ihr denn zuerst aufgenommen?

Die Aufnahmen zu Tims Platte liegen schon eine ganze Weile zurück, sogar noch kurz vor denen zu unserem zweiten Album. Die Songs basieren alle auf Ideen von Tim, aber er ließ uns völlig freie Hand, was wir daraus machen. Einerseits war es großartig, so viel Einfluss auf das Album nehmen zu können, aber es hatte auch eine Kehrseite. Als wir dann nämlich wenig später für unsere eigene Platte ins Studio gegangen sind, stellten wir fest, dass wir schon viel kreative Energie für Tims Platte aufgebraucht hatten. Wir sind allerdings sehr stolz auf die zweite Platte, sie hat etwas sehr Eigenes. Das erste Album war ein glücklicher Zufallstreffer, weshalb wir uns erst recht sehr viele Gedanken um das zweite gemacht haben. Wir haben immer wieder Ideen verworfen, bis wir zufrieden waren. Bei der neuen Platte waren wir viel selbstsicherer.


Glaubst du, dass ihr in dieser Kombination auch mal in Europa zu sehen sein werdet?

Vermutlich nicht, aber ich weiß es nicht genau. Tim ist - genau wie wir - gerade ziemlich eingespannt. Wir verwenden viel Zeit darauf, unser Album zu promoten und zu touren, und er ist gerade mit Aufnahmen beschäftigt. Aber wir haben auch noch gewisse andere Pläne ... Wir haben uns alle ein bisschen in die Idee verliebt, nächstes Jahr ein RANCID/AGGROLITES-Split-Album zu machen. Das soll dann so ähnlich werden wie das von RANCID mit NOFX, also dass jede Seite sechs Songs einspielt, die jeweils Cover der anderen Band sind.


Hat sich denn euer Publikum auf den Konzerten verändert seit der Zusammenarbeit mit Tim?

Ja, das ist ein ganz netter Effekt. In der Anfangszeit der AGGROLITES war unser Publikum sehr subkulturell - viele Skinheads, Rude Boys und Punks. Die Punks sind dadurch natürlich auch mehr geworden, aber vor allem tauchen einfach mehr ganz normale Jugendliche auf unseren Konzerten auf. Ein bisschen mag dazu auch beigetragen haben, dass sich unser Sound noch etwas mehr in Richtung Soul und Funk weiterentwickelt hat. Das alles gefällt uns ganz gut, wir wollten immer aus dieser rein subkulturellen Nische heraus.


Bekommt ihr denn andererseits negative Reaktionen von alten Fans, die mit dieser Entwicklung vielleicht nicht so glücklich sind?

Wir versuchen, uns treu zu bleiben. Ich glaube, wir haben mit jedem unserer Alben bewiesen, dass wir wahrscheinlich die einzige Band der Welt sind, die in der Lage ist, ordentlichen Skinhead-Reggae zu spielen. Vielleicht haben wir mittlerweile ein paar Songs, die etwas massentauglicher klingen, aber es gibt auch genügend Stücke von uns, die einfach nur altmodischer Skinhead-Reggae sind, und ich denke, das wird in der Szene auch gesehen. Es ist uns wichtig, diese Leute auf unserem ganzen weiteren Weg dabei zu haben.


Dann werden eure Shows weiterhin viel von Skinheads besucht?

Ja, gerade letzte Nacht waren sehr viele Skins im Publikum. Wir spielen ja auch noch immer Songs wie "Skinhead moonstomp": "I want all you skinheads to get up on your feet ..." Wir haben da viel Rückhalt und sind auch stolz darauf, zumal wir ja keine Skinheads in der Band haben. Früher haben wir uns alle mal als Skins oder Rude Boys bezeichnet, aber davon ist heutzutage nur noch die Liebe zur Musik geblieben. Besonders wenn wir auf Festivals in Europa spielen, merken wir, dass dort sowohl die Skinhead-Szene als auch die Reggae-Szene sehr viel lebendiger ist. Das führt dazu, dass eher verstanden wird, was wir eigentlich genau tun. Wenn wir einen Song von den UPSETTERS spielen, dann erkennen das viele Leute bei euch; in den USA halten es die meisten wohl für einen Song von uns.


Man könnte momentan tatsächlich fast von einem kleinen Skinhead-Reggae-Hype in Europa sprechen. Kennt ihr denn ein paar junge, europäische Skinhead-Reggae-Bands, wie zum Beispiel die UPSESSIONS oder die CAROLOREGIANS?

Ja, immer wenn wir drüben sind, lernen wir tolle neue Leute und Bands kennen. Von beiden von dir genannten Bands habe ich zumindest einzelne Mitglieder kennen gelernt, aber ich kann mich nicht mehr ganz so detailliert an die Musik erinnern. Wen wir auch sehr schätzen, sind die GRANADIANS, die haben mich absolut mitgerissen, als ich zum ersten Mal einen Song von ihnen auf einem dieser Videoportale gesehen hab. Es ist großartig, wenn neue Skinhead-Reggae-Bands entstehen und es macht uns sehr viel Spaß, in Europa Leute mit tieferem Verständnis für die Musik zu treffen und mit ihnen zu feiern.


Wie groß schätzt ihr denn euren Einfluss auf jüngere Bands ein?

Ich weiß nicht so recht. Wir haben ja schon vor den AGGROLITES in Skinhead-Reggae-Bands wie den RHYTHM DOCTORS und den VESSELS gespielt und damals gab es eigentlich keine moderne Band, an der wir uns hätten orientieren können. Allein schon deshalb haben wir uns ausschließlich an die alten Bands gehalten und ich halte das nach wie vor für den besten Weg. Die meisten Bands, die ich mag, beziehen ihre Inspiration eher von den jamaikanischen Bands und haben keine modernen Einflüsse. Es ist auch cool, wenn sich die Leute an Bands wie den SLACKERS oder HEPCAT orientieren, wenn es das ist, worauf sie hinaus wollen. Falls du aber wirklich authentischen Sound hinbekommen willst, musst du die alten Sachen hören, Derrick Morgan, Prince Buster und so weiter ... Wenn ein paar dieser Bands von uns beeinflusst sein sollten, wäre das aber eine große Ehre.


Nenn mir doch bitte deinen jeweils liebsten UPSETTERS- und MOHWAKS-Song.

Ich glaube, meine liebste Aufnahme der UPSETTERS ist "Django shoots first". Da gibt es so ein fantastisches Orgelsolo, ich glaube von Glen Adams. Die Orgel klingt da generell sehr cool, ein wenig chinesisch und spooky. Das Stück ist gleichzeitig ein guter Beweis dafür, dass es keine komplizierte Songstruktur braucht, eine gute Rhythm-Section ist wichtiger. Bei den MOHAWKS wäre wohl "The champ" die offensichtlichste Wahl, aber "Pepsi" finde ich auch sehr cool. Das ganze Album "The Champ" ist einfach wahnsinnig gut. Alan Hawkshaw ist definitiv ein Genie. Diese Verbindung von Funk und Reggae ist genau mein Ding; ich gelte auch als der größte Funk-Liebhaber in der Band.


Funk scheint insgesamt noch wichtiger geworden zu sein für euch ...

Ja, wir interessieren uns generell für schwarze Musik aus den Sechzigern und Siebzigern und dabei speziell für die obskureren Sachen. Parallel dazu, wie du bei Soul einerseits große Labels wie Motown und andererseits Northern Soul hast, gibt es im Funk ein Genre namens Deep Funk, womit die selteneren Sachen gemeint sind. Da gibt es DJs wie Keb Darge, Labels wie Daptone Records und Bands wie SHARON JONES & THE DAP-KINGS, die Deep Funk heute am Leben erhalten. Das hat schon auch einen großen Einfluss auf unseren Sound.


Wann können wir denn wieder mit einer Europatour der AGGROLITES rechnen?

Im September spielen wir auf einer Scooter-Rallye in England, aber die nächste richtige Tour mit Konzerten in Deutschland muss wohl auch noch etwas länger warten. Wir hatten ursprünglich geplant, noch diesen Sommer wieder in Europa zu touren, aber wir wurden von allen Seiten dazu gedrängt, doch erstmal mehr in den USA zu spielen, um die Band hier noch weiter voranzubringen. Vermutlich wird es erst Ende des Jahres etwas damit, aber wir freuen uns schon sehr darauf.