GUILLOTINE

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Man singt Deutsch ...

Die 2005 gegründeten GUILLOTINE für mich entdeckt habe ich, als ich bei myspace.com nach guten Bands aus meiner seit 2000 Jahren CDU-regierten Heimatstadt Neuss gesucht habe. Ihre kompromisslosen kurzen Hardcore-Attacken konnten mich sofort begeistern. Eine Zeitlang habe ich dann über das Netz ihren Werdegang verfolgt, und nachdem GUILLOTINE eine 7" veröffentlichten und zweimal auf Tour waren, wurde es Zeit für dieses Interview. Kurze E-Mail an die Band und wenig später sitzen Martin, Jan und Chris in meinem Wohnzimmer, während auf der Straße der Schützenfestmob tobt. Gitarrist Nico ist leider verhindert. Das angebotene Bier lehnen sie anfänglich ab, was mich zunächst misstrauisch macht ...


Ist Neuss eine Scheißstadt, oder findet ihr sie okay?


Chris: Neuss ist eine Scheißstadt. Und das nicht nur wegen des Gestanks der Ölmühle. Wenn auf Konzerten die letzte Band nicht aus Neuss kommt, gehen alle nach Hause. Die meist jugendlichen Zuschauer sind hier ziemlich intolerant.

Jan:Wir haben mal ein Konzert mit NEIN NEIN NEIN organisiert und die Leute sind lieber zum Saufen draußen geblieben. Bei der lokalen Ska-Punkband, die erst am Tag vorher gespielt hatte, kamen alle rein und feierten die ab - intolerantes Pack!


Wie kommt man als Jugendlicher in Neuss zum Punk, wo es doch viel nahe liegender wäre, in den Schützenverein einzutreten oder die Junge Union?

Jan: Na ja, ich denke viel kommt durch Freunde. Junge Union stand eh nie zur Debatte, hehe.

Chris: Die Stadt ist halt ziemlich abgefuckt. Alles Spießer, alle erzkonservativ - was bleibt einem da, wenn man auf so was keinen Bock hat? Drogen nehmen oder Punkrock. Ich glaube, gerade weil Neuss so ist, gibt und gab es hier immer so viele Bands. Und Junkies.


Gibt es in Neuss zur Zeit gute Bands und Konzertorte?

Jan: Die Konzertorte werden immer weniger. Die Auflagen vom Ordnungsamt fürs Geschwister-Scholl-Haus machen schon sehr viel kaputt. Im Haus der Jugend ist die für die Musikszene wichtigste Mitarbeiterin gefeuert worden - die Lücke wird wohl niemand mehr füllen können, auch wenn die Location an sich super ist. Vom Greyhound Café reden wir gar nicht erst. Zu viel Security, ein viel zu großer Raum. Im Upside Down und Dr. John geht manchmal was. Bands gibt es viele. Die meisten sind schlecht. Die DEAD PATRIOTS sind der Knaller und das BIG DISASTER TEAM war super. Und A.K.E! sind großartig.


Welche Bedeutung hat MySpace für die Szene, für euch als Band?

Jan: Das ist schon wichtig. 90 Prozent unserer Konzerte haben wir über MySpace bekommen, oder Anfragen für Sampler oder andere Projekte.

Chris: Trotzdem sollte man im Auge behalten, dass MySpace als Gesamtprodukt doch eher kritisch zu betrachten ist.


Wie wichtig ist euch die politische Einstellung der Bands, mit denen ihr spielt?

Chris: Schon ziemlich wichtig. Das soll nicht heißen, dass wir übermäßig Wert darauf legen, dass die Band, mit der wir gerade spielen, großartig Inhalte vermittelt, die Attitüde muss halt stimmen. Auf Sexisten-, Macker- und Rockstarscheiße können wir gerne verzichten, ebenfalls auf Homophobie und irgendwelche "unpolitisch" rechtsoffenen Oi!-Spinner.


Bekommt ihr viel Aufmerksamkeit? Wie werdet ihr wahrgenommen?

[/b]Jan:[/b] Kommt darauf an. Für viele Hardcore-Kids sind wir zu punkig, für die Crusties sind die Lieder zu kurz, dabei muss Punk kurz und knackig sein, sonst kann ich auch Deutschrock hören.


Wie waren die Reaktionen auf die Single? Ich habe keine Reviews gesehen.

Chris: Wir haben die Platte halt nirgends hingeschickt.


Warum denn nicht?

Chris: Wir haben das damals einfach verpeilt, aber eigentlich finde ich das ganz sympathisch, wenn man sich da nicht so darum bemüht. Wir wollen uns nicht anbiedern. Das ist wie an einem Bandwettbewerb teilzunehmen. Gibt es etwas Schlimmeres, als Bands bei Wettbewerben zu vergleichen?


Warum habt ihr im digitalen Zeitalter eine Vinylsingle gemacht?

Jan: Weil wir dachten, dass die Leute, die sich dafür interessieren, ohnehin einen Plattenspieler haben. Außerdem kann man sich die Lieder auch alle kostenlos runterladen. Vinyl ist auch viel schöner.


Warum ruft ihr auf eurer Webseite dazu auf, eure Lieder zu kopieren?

Chris: Man kann sich eben erst als Hörer selbst einen Eindruck machen. Außerdem ist es mir lieber, wenn sich jemand die Lieder runterlädt, anhört und die Texte liest, als wenn er uns gar nicht zur Kenntnis nimmt.


Warum schreibst du deutsche Texte?

Chris: Ich kann mich halt so besser ausdrücken. Außerdem will ich, dass Leute verstehen, was ich da zu sagen habe. Auf politischer und persönlicher Ebene. Was die persönlichen Sachen angeht, kann man sagen, dass ich mich darauf beschränkt habe, die Menschen vor den Kopf zu stoßen, die ich eigentlich mag.


Warum gerade Menschen, die du magst?

Chris: Mit seinen Freunden setzt man sich ja am meisten auseinander. Und dann fällt mir auf, dass es da Seiten gibt, die ich manchmal nur schwer akzeptieren kann.


Was habt ihr als Nächstes geplant?

Martin: Wir gehen bald ins Studio, um Songs für eine Split-CD mit MASS//STRANGULATION, KSM40 und NERVOUS BREAKDOWN aufzunehmen, und dann wollen wir eine einseitig bespielte 10" herausbringen. In Zusammenarbeit mit dem kleinen, aber feinen Label Kill The Hype aus Neuss. Falls andere Labels Interesse haben, sollen sie sich einfach melden. Außerdem planen wir eine kleine Europatour mit KSM40.


Ihr seid ja viel unterwegs. Was war denn euer bislang bestes und was euer miesestes Erlebnis als Band?

Chris: Mies war in jedem Falle das Archiv Potsdam, da waren nur zwei zahlende Gäste anwesend und der Veranstalter tauchte erst gar nicht auf. Das war schon schräg. Wir haben dort im Februar bei Minustemperaturen und einem türgroßen Loch in der Außenwand im Backstageraum gepennt. Ich hatte zwei Monate später noch Rückenprobleme.

Martin: Am besten waren die beiden letzten Touren mit NOT ASTRAY und MASS//STRANGULATION, weil wir verdammt viel positive Resonanz bekommen haben.


Und welchen Konzertort könnt ihr empfehlen beziehungsweise nicht empfehlen?

Martin: Den Kontrollpunkt in Berlin, den es leider nicht mehr gibt, fand ich wirklich klasse. Hier in der Gegend sind der Bauwagenplatz in Köln, der Emokeller in Essen und das AK47 in Düsseldorf erste Sahne.

Chris: Die Alte Pauline in Detmold kann ich nicht unbedingt weiter empfehlen. Als Veganer dort Wurstbrötchen serviert zu bekommen, ist einfach beschissen. Zudem ist der Laden extrem lieblos gestaltet und die Pennplätze waren extremst ranzig. Aber die Leute selber waren echt nett.