PALE

Als ich den Aachener Vierer PALE im Februar im Vorprogramm von JIMMY EAT WORLD das erste Mal bewundern durfte, war ich hin und weg. Ich wußte bis dato nicht, das es Bands gibt, die neben ihrem musikalischen Programm schon alleine durch ihre sympathische Art überzeugen können. Grund genug, dem Frohsinn auf den Zahn zu fühlen und mich für ein lustiges Wochenende bei Schlagzeuger Stephan Kochs niederzulassen. Gesprächsstoff gab es genug, denn neben dem aktuellen Album "Razzmatazz: the arts at the sands" auf Defiance Records haben PALE auch soeben in Eigenregie ein Video in Szene gesetzt, was es sage und schreibe nach vier Wochen VIVA-II 2Rock Charts auf Platz 1 geschafft hat. Es ist Samstag Nachmittag und man sitzt bei Saft und Lakritz im Wohn- und Arbeitszimmer von Stephan. Alle vier sind vereint, neben Stephans Bruder Holger (Gesang, Gitarre) sitzen auch Bassist Hilly und Gitarrist und zweite Stimme Christian Dang in der Runde.

Nach Meinung des guten "Oxford Advanced Learner´s Dictionary" steht "Razzmatazz" für "Noisy exciting activity that is intended to attract and impress people".


Christian: Das ist das erste Mal, dass ich das höre.
Stephan: Das Dictionary haben wir gar nicht.

Was bedeutet euer Albumtitel denn genau und wofür steht der Zusatz "The arts at the sands"?

Holger: Also "Razzmatazz" kommt aus dem Showbusiness und bedeutet soviel wie Glamour. Außerdem ist das ein Zitat aus einem Frank Sinatra Song namens "It´s my kind of town". Er singt "It´s my kind of Razzmatazz..." und der Untertitel "The arts at the sands" bezieht sich auf einen Club aus den Sechzigern in Las Vegas, der hieß halt "The Sands". Frank Sinatra hatte dort ein Livealbum aufgenommen und das hieß wiederum "Live at the Sands". Und in diesem Klub ist immer das sogenannte Ratpack bestehend aus Frank, Sammy Davis Jr, Dean Martin und Peter Lawford aufgetreten. Und dieser Titel bezieht sich somit auf den Hauptdarsteller unseres Konzeptalbums, da dieser stark der Sixties-Musik und dem Soul verfallen ist. Wir wollten so den Kreis schließen.

Als ihr am letzten Album gearbeitet habt, wann kam euch die Idee, ein Konzeptalbum zu entwickeln oder war dies von vornherein klar?

Stephan: Das war eigentlich von vornherein klar. Die Idee entstand etwa drei bis vier Monate vor Aufnahmebeginn.
Christian: Im September 2000 haben wir das Album aufgenommen.
Holger: Die ersten Stücke haben wir aber schon früher geschrieben. So etwa im Juni. Wir sind zu der Zeit mit GRADE im Underground in Köln aufgetreten und haben da etwa ein Drittel der Songs gespielt. Zwei Wochen später ging es ins Studio und wir haben alles aufgenommen. Ein sehr konstantes Arbeiten eigentlich.

Warum erscheint "Razzmatazz" über das Kölner Label Defiance und nicht mehr über euer eigenes Label Sodapop Records?

Stephan: Tja, das ist eine gute Frage. Erstens hatten wir zum Aufnahmezeitpunkt kaum Geld, nachdem wir bereits fünf Jahre Sodapop betrieben hatten. Und zweitens hatte der Hoffi, der ja auch der Besitzer des Underdog-Recordstores in Köln und Betreiber von Defiance Records ist, zuvor schon das 99er Album "Another smart move" auf Vinyl rausgebracht, und da alles so gut lief, haben wi-r überlegt, diesmal alles bei Hoffi zu machen. Wir verstehen uns untereinander sehr gut und es ist mal eine Abwechslung, wenn man die Labelarbeit mal von jemand anderem übernehmen läßt.
Holger: Hoffi hat dann auch Dinge wie Promotion übernommen. Wir haben also das Album in die Welt gesetzt. Ob es letztendlich wirklich gut geworden ist, kann man selbst nur beantworten, wenn man die Songs nach etwa einem halben Jahr immer noch hören kann. Unsere alten Songs können wir zum Beispiel kaum noch hören.

Was hat es mit Sodapop-Records genau auf sich? Im Info steht nämlich etwas von "mal eben schnell selbstgegründet".

Stephan: Ja, so war es auch. Als wir 93/94 die erste Platte, die "Krusty-Tag"-EP aufgenommen hatten, war gerade nach der Grunge-Welle eine schwierige Zeit für Gitarrenmusik in deutschen Landen, gerade für deutsche Bands. Also dachten wir uns, dass wir auch alles selber machen können. Und da wir ja sowieso irgendwo aus der Punk/Hardcore-Ecke kommen, wo man eh alles selber macht, hatten wir die Idee des selbstzugründenden Labels. Wir haben schon ganz gerne die Kontrolle über alle unsere Projekte. Allerdings, und das ist der Nachteil, war das ganze natürlich finanziell ein großes Risiko.
Holger: Wir haben das über einen Zeitraum von drei Jahren gemacht, erst nur unsere eigenen Sachen produziert und ´98 dann so Sachen wie SOMETREE, RENO KID, SOULMATE oder SEESAW. Im Endeffekt war das jedoch etwas zu viel des Guten, wenn man sich über das Artwork, die Finanzierung und den vermeintlichen Vertrieb um alles kümmert und obendrein auch noch selbst mitspielt, ich war ja selbst Sänger bei RENO KID.

Wie würdet ihr den Verlauf eurer Entwicklung beschreiben? Wie kam der Wandel vom "grungigen" Alternativerock zum jetzigen Pop-Punkrock?

Christian: Ich glaube, das ist eine ganz natürliche Sache gewesen, weil wir uns selbst auch immer besser kennengelernt haben. Die musikalische Entwicklung ist eher ein Nebeneffekt aus der persönlichen Entwicklung, die wir alle zusammen genommen haben.
Stephan: Wenn man sich besser kennt, entwickelt man auch mehr Spielfreude untereinander. Aber ich würde garnicht mal sagen, dass unser alter Stil so sehr grungig war. Der Sound ist ganz einfach aus dem musikalischen Zeitkontext heraus damals entstanden, so wie wir heute wahrscheinlich emo sind. Woran wir uns bei der erten Platte orientiert haben, waren eher die DOUGHBOYS oder BUFFALO TOM und das ist nicht Grunge. Die Produktion war damals auch nicht so toll.

Ihr seid eine der wenigen Bands, die sich nicht unbedingt von der Kategorisierung Emo distanzieren. Warum?

Holger: Wir befassen uns damit eigentlich gar nicht. Für uns ist Emo nicht existent. Es gibt eine Hardcoreszene, in der fühlen wir uns wohl und gehören dieser auch an. Da gibt es dann zwar Nörgler, die sagen: "Ey, ihr seht ja gar nicht wie Punk/Hardcore-Konsumenten aus." Und das bloß, weil wir keine Baggypants tragen. Doch wir finden, dass es eher darum geht, wie man eine Sache angeht, und da sind wir schon Hardcore. Derjenige, der den Begriff "Emo" aufbringt, könnte ihn wahrscheinlich selber nicht genauer definieren. Für mich sind Bands wie MINERAL oder alte SUNNY DAY REAL ESTATE Emo, aber wenn Leute dann Bands wie zum Beispiel AT THE DRIVE-IN oder COACH als Emo bezeichnen, dann passen wir bestimmt auch in dieses Raster.

Habt ihr schon Pläne für euer nächstes Album?

Stephan: Wir haben da gerade so ein paar Pläne. Normalerweise schreiben wir ja gerade so viele Songs, dass diese auf Vinyl passen. Doch diesmal wollen wir eventuell ein Doppelalbum aufnehmen, allerdings ist das noch in der ganz groben Planungsphase.

Musikalische Umorientierung in Sicht, oder "nur" ein paar Überraschungen?

Christian: Ein paar Sachen haben wir uns schon überlegt, und mit der Instrumentierung werden wir ein bisschen rumtüfteln.
Stephan: Wir wollen auch eher auf die Elektrospielereien verzichten und uns mehr auf den Teil der Livearrangierung besinnen. Wir haben da gerade jemanden kennengelernt, mit dem wir eventuell sogar an Streicherarrangemants arbeiten können und vielleicht sogar an Bläsersätzen. Das hatten wir zwar teilweise schon für das letzte Album vor, war damals aber noch nicht realisierbar.

Kommen wir zu eurem neuen Video zu "Teenage Heaven". Ist das euer erstes Video?

Hilly: Dem neuen Video gingen etwa zwei bis drei Eigenproduktionen voraus, aber die kann man nicht so wirklich dazuzählen. "Teenage Heaven" ist schon das erste richtige. Professionell auf 16mm festgehalten.

Hat der Dreh Spaß gemacht?

Stephan: Nicht wirklich immer. So ein Dreh ist schon mit viel Wartezeit verbunden. Da wird dann eine halbe Stunde an der Beleuchtung gebastelt, dann eine halbe Stunde die Kamerafahrt geprobt und das dann für teilweise fünf Sekunden Film, die am Ende eventuell gar nicht zu sehen sind. Wir haben im Endeffekt schon zwei Tage am Stück für die anderthalb Minuten Film, die letztendlich zu sehen sind, gedreht. Wir haben bis zu 12, 13 Stunden an einem Tag gearbeitet.
Hilly: Wir haben auch die Kulissen selber angestrichen und zusammengeschraubt.
Holger: Im Endeffekt dachten wir, dass wir ein paarmal den Song durchspielen und der beste Take wird dann genommen, aber so einfach war das nicht.

Habt ihr vor in Zukunft wieder Videos zu drehen?

Christian: Da haben wir schon drüber nachgedacht, fragt sich nur, ob sich das lohnt, ob das Forum dafür vorhanden ist. Aber im Moment sieht es mit unserer VIVA-II 2Rock Charts Platzierung so aus, als wäre es da.
Stephan: Wir hatten wirklich Glück, dass wir in der 2Rock-Redaktion nicht auf taube Ohren gestoßen sind und unser Video wohl für durchaus angemessen befunden wurde, sonst wäre es ja nicht zur Neuvorstellung auserkoren worden. Was angenehmerweise mit unserer Plazierung einhergeht ist, dass wir somit auch in die allgemeine Rotation aufgenommen werden.

Wie kommt es eigentlich, dass ihr soviel konzerttechnischen Einsatz zeigt?


Hilly: Live zu spielen ist einfach das, was uns am meisten Spaß macht. Im Studio zu spielen ist zwar auch eine schöne Sache, aber das ist schon eher konzentriertes Arbeiten, während man sich live so richtig entfalten und ausleben kann.
Stephan: Der Nachteil ist jedoch auch, dass wir deshalb nicht mehr so viel Zeit im Proberaum verbringen können wie früher. Deshalb müssen wir unsere Aufnahme- bzw. Neue-Songs-Einstudier-Aktivitäten nun etwas durchdachter und konzepthaltiger angehen.
Holger: Außerdem wollen wir auch möglichst viele Leute erreichen und da bleibt uns wohl nichts anderes übrig als so oft wie möglich live zu spielen. Selbst, wenn nur 30 oder 40 Leute da sind, dann versuchen wir wenigsten diese zu erreichen und ihnen einen schönen Abend zu geben. Wenn man schon nicht gleich die Leute von sich überzeugen kann, so kann man vielleicht wenigstens erreichen, dass sie sich mit der Band und ihrer Musik auseinandersetzen. Außerdem sind wir neugierig, was Feedback betrifft. Wir wollen natürlich wissen, was die Besucher von uns halten.

Jungs, ich danke euch vielmals für das Interview und wünsche euch weiterhin viel Erfolg. Vielleicht sieht man sich ja mal auf einem Festival im Sommer.


Etwa drei Wochen nach diesem Interview sollten PALE nach den Plätzen 5, 4 und 10 der VIVA-II 2Rock-Charts die Spitzenposition belegen. Ihre Musik scheint in heimischen Gefilden also scheinbar tatsächlich nicht auf taube Ohren zu stoßen und öffnet vielleicht so die Pforte für den sich im Moment ständig vergrößernden und verbessernden Gitarrenuntergrund hierzulande. Vielleicht. Wenn nicht, haben PALE wenigstens den bestmöglichen Anfang gemacht.