WEAKERTHANS

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Ich bin dann mal weg

Die WEAKERTHANS gibt es mittlerweile schon seit über zehn Jahren, und sie haben sich zu einem festen Bestandteil der kanadischen Musikszene entwickelt. Nicht zuletzt durch ausgiebiges Touren auf beiden Seiten des Atlantiks haben sie sich hierzulande von Beginn an eine treue Anhängerschaft erspielt, die auf den Konzerten eine erstaunliche Textsicherheit beweist - dies ist insofern bemerkenswert, als in den Liedern keine austauschbaren Allerweltsthemen, sondern immer auch ein Stück kanadische Kulturgeschichte und -gegenwart verhandelt wird. Letzten Endes lässt sich nicht endgültig festmachen, ob es die Sehnsucht nach diesem klassischen Einwandererland und seinen Menschen oder einfach die atmosphärische Dichte ist, weswegen viele Punkrocker ihr Herz an diese Band verloren haben. Anlässlich des Erscheinens ihres neuen, vierten Albums rief ich Bandmitglied Carroll in Winnipeg an.


"Reunion Tour", der Titel des neuen Albums, erinnert einen an "Reconstruction Site", den Titel des Vorgängers. Gibt es eine Verbindung zwischen beiden Alben?


Stephen: Da gibt es definitiv eine Verbindung. Vielleicht kann man es so sagen, dass Menschen bei den Sachen bleiben, die sie tun, oder zu etwas zurückkehren, dass sie zurückgelassen hatten und dabei etwas neues vorfinden. Das Schreiben der Stücke hat wirklich sehr lange gedauert. Es ist eine Sammlung von Geschichten und Charakteren, die John vorschwebten. Auf dem Album sind einige Lieder, die noch vor "Reconstruction Site" geschrieben worden waren. Damals haben sie aber nicht zu dem Album gepasst, weswegen sie erst mal auf Eis lagen. Und als es jetzt an die Aufnahmen ging, haben wir einige Stücke wieder hervorgeholt, die wir mitunter schon vergessen hatten.


Ein Lied auf dem Album beschäftigt sich mit dem kürzlich verstorbenen Eishockey-Goalie Gump Worsley. Wie kam es dazu, dass ihr ihn auf eurem Album thematisiert?

Das ist eine weitere Geschichte über einen Menschen, der bei dem bleibt, was er macht und sich auch über Ratschläge von außen hinwegsetzt. Wir denken, dass das gut auf das Album passt. Ursprünglich jedoch war das Lied als Instrumentalstück vorgesehen, aber in der letzten Minute kam John mit diesem Gedicht und meinte, dass es gut mit der Musik funktionieren könnte. So wurde der Gesang aufgenommen, als die Platte schon gemastert wurde.


In letzter Zeit haben sich einige Punk-Musiker der Folkmusik gewidmet. Greg Graffin beispielsweise hat kürzlich mit einigen Mitgliedern eurer Band das Album "Cold As The Clay" veröffentlicht. Besitzt Folkmusik vielleicht einige Charakteristika, die man mit einem Stil wie Punkrock nicht ausleben kann?

Ich denke, dass Punkrock und Folk sehr viel gemeinsam haben. Sie sind nicht so aufwändig strukturiert, und auch textlich dreht es sich häufig um dieselben Themenkomplexe. Meines Erachtens unterscheiden sie sich also nicht besonders, doch ich denke, dass in ruhigerer Musik Potentiale stecken, die die laute Musik nicht hat - einem ruhigen Lied muss man aktiv zuhören, während ein lautes Stück manchmal über einen hinwegfegt. Vielleicht ist es das, was manche Punks zu Folkies werden lässt.


Kommen wir zu eurer Heimatstadt Winnipeg. Meinem Eindruck nach ist "Reunion Tour" das "lokalste" eurer Alben, und schon die ersten Zeilen bringen den Hörer mitten in die Stadt. Könntest du die Stadt ein wenig beschreiben und was sie für dich bedeutet?

Winnipeg ist eine Prairie-Stadt - als Prairies bezeichnet man die drei kanadischen Provinzen Alberta, Saskatchewan und Manitoba - und eines der größeren urbanen Zentren in Nordamerika. Dennoch fühlt es sich wie eine Kleinstadt an, im Grenzland der menschlichen Zivilisation. Wir haben alle Probleme einer Großstadt und alle Eigenarten eines kleinen Dorfes.


Dennoch hat Winnipeg eine sehr lebendige Musik- und Künstlerszene - was macht die Besonderheiten diese Szene aus?

Ich denke, dass die Menschen, die in dieser Stadt Kunst machen und versuchen, davon zu leben, sehr entschlossen sind, ihre Dinge durchzuziehen. Das ist wohl das etwas eigensinnige Prairie-Arbeitsethos. Hinzu kommt die Isolation von den kulturellen Zentren dieser Welt. Man versucht, das, was man macht, dorthin zu exportieren. Du kommst von einer der isoliertesten Städte der westlichen Hemisphäre, und dann kannst du all diese Orte bereisen. Wir folgen unserer Kunst dorthin, wo sie uns hinführt.


Das ist ja ohnehin eines der stärksten Leitmotive auf euren Alben, nicht nur auf "Left And Leaving". Häufig geht es darum, zu neuen Orten aufzubrechen oder sich an etwas Zurückgelassenes zu erinnern. Hat das auch etwas damit zu tun, diese Isolation zu durchbrechen?

Ja, das funktioniert auf mehreren Ebenen. Zum einen natürlich dieses Thema des Verlassens eines Ortes, zum anderen aber auch, andere Menschen dabei zu sehen, wie sie woanders hingehen. Winnipeg ist keine Stadt, in der viele ihr ganzes Leben verbringen. Viele gehen, um woanders zu arbeiten und ihre Karriere fortzusetzen, eine Art Winnipeg-Diaspora. Unser Schlagzeuger beispielsweise lebt in Toronto. Das alles hat einen großen Einfluss auf unsere Schreibprozesse. Wir selbst merken es, wenn wir auf Tour sind, dass immer Leute auftauchen, die aus Winnipeg stammen.


Nun, ihr bleibt in Winnipeg, obwohl ihr wahrscheinlich auch woanders hingehen könntet.

Ja, wir drohen immer damit, abzuhauen, aber dann machen wir es halt doch nicht. Wir bleiben und sehen, wie die Stadt sich verändert.


Die WEAKERTHANS sind, wenn auch auf etwas subtilere Art, eine politische Band. In vielen Liedern finden sich Anspielungen auf marxistische Theorien, und ein Titel auf dem neuen Album heißt auch "Relative surplus value". Außerdem engagiert ihr euch als Band häufig in der Kommunalpolitik. Beschäftigt ihr euch zurzeit mit einem bestimmten Thema?

Momentan sind wir sehr darum bemüht, als Band ein umweltbewusstes Leben zu führen, sozusagen eine umweltfreundliche Band zu sein. Das ist natürlich gar nicht so leicht, wenn man viel tourt, doch auch hier kann man auf Energieeffizienz achten. Und wir versuchen, bei unseren Merchandise-Artikeln auf deren Umweltverträglichkeit und die Produktionsbedingungen zu achten, indem wir keine Kleidung aus Sweatshops vertreiben. Ich denke, dass das immer noch ein sehr unterschätztes Thema ist. Selbst wenn Merchandise auf den ersten Blick kein großer Industriezweig ist, denke ich doch, dass es in der Summe einen Riesenunterschied machen würde, wenn alle Bands, die auf Tour sind, sich ein wenig mehr Gedanken darüber machten. In der Lokalpolitik haben wir uns auch engagiert, was eine bemerkenswerte Erfahrung war: eine Rockband, die einen Politiker bei der Wahl unterstützt hat. So sind wir denn auch in den gesamten politischen Prozess reingeraten. Wir hatten uns auch zuvor als Wähler an den Wahlen beteiligt, aber wenn man ein Teil des großen Ganzen ist - sozusagen einmal auf der "anderen Seite" steht -, sieht man erst, was für ein steiniger Weg es für einen Kandidaten ist. Es war auf jeden Fall eine gute und interessante Sache, und wer weiß, bei der nächsten Wahl könnten wir das wiederholen.


Hat den euer Kandidat am Ende die Wahl gewonnen?

Nein, leider nicht. Das wäre bei einem linken Kandidaten auch eher überraschend gewesen. Aber viele Leute aus der Künstler-Community haben ihn unterstützt. In der letzten Sekunde ist noch ein anderer linksgerichteter Kandidat aufgetaucht, was dann zu einer gewissen Stimmenspaltung geführt hat.


So eine Art Nader-Effekt?

So ungefähr - allerdings lehne ich diesen Begriff des Nader-Effekts ab. Die Stimmen wurden gespalten, und bei dieser Beschreibung sollte man es einfach belassen.


Kommen wir noch mal zur Musik. Die Besucher eurer Konzerte hier in Deutschland sind immer sehr textsicher und singen die meisten Lieder mit, als ginge es bei diesen um ihre Heimatstadt.

Ja, das mag ich an unseren Konzerten in Deutschland. Ich denke, es liegt an den kulturellen Parallelen zwischen unseren Ländern, dass die Leute eine Beziehung zu den Liedern aufbauen können. Außerdem scheint das deutsche Publikum eine hohe Toleranz gegenüber unseren Texten zu haben, anders als das US-amerikanische Publikum beispielsweise.


Gibt es denn große Unterschiede zwischen einer Tour in den USA und in Kanada?

Ja, Touren in den USA ist schon sehr "typisch": Jede Band ist auf sich selbst angewiesen in diesem "Survival of the Fittest". Sie sind nicht gerade Sozialisten auf ihren Rockshows.


Also ist das Gemeinschaftsgefühl unter den Bands nicht sehr hoch.

Es ist eine sehr fragmentierte Musikszene. Sie sind Neuem oder Anderem gegenüber nicht sehr aufgeschlossen, und die Szene wird eher als ein Markt betrachtet. Dies wird dort ins Extrem getrieben - wenn man auf Tour geht, dann geht es zunächst um die Zahlen und finanzielle Aspekte - Dinge, an die bei uns nicht als erstes gedacht wird. Wir gehen auf Tour, weil wir dieses Gemeinschaftsgefühl mögen und gerne zusammen spielen.


Vielleicht ist es in Kanada auch leichter, weil kanadische Kunst sehr große Unterstützung aus Regierungsprogrammen erhält.

Ja, diese soziokulturelle Unterstützung hat einen Einfluss auf die Beschaffenheit der Szene. Allerdings ist es hier auch die gemeinsame Anstrengung, in der viele Bands stecken - nur sehr wenige können von dem leben, was sie machen, es gibt nur 30 Millionen Kanadier, und eine Tour in diesem riesigen Land ist immer aufwändig. Das sind schwierige Bedingungen für Berufsmusiker.


Aber ihr solltet ja mittlerweile ganz gut über die Runden kommen.

Ja, wir haben großes Glück, dass wir von der Musik leben können. Wirklich großes Glück.