JINGO DE LUNCH

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Unabhängig und frei - die Rückkehr zum 20. Geburtstag

Mit Wucht schlugen JINGO DE LUNCH 1987 in die deutsche Punk- und Hardcore-Welt ein, mehrere tausend Mal verkaufte sich ihr Erstlingswerk "Perpetuum Mobile". Mit der kanadischen Sängerin Yvonne und ihrem Mix aus Hardcore, Punk und Rock waren sie die musikalische Ausnahmeerscheinung in Deutschland und setzten Maßstäbe. Sie erarbeiteten sich einen beeindruckenden Ruf als grandiose Live-Band und ihr Status wuchs stetig.

1988 kam die stark limitierte "Cursed Earth"-EP heraus, und nur 16 Monate nach den Aufnahmen zum ersten Album erschien im Februar 1989 das zweite Album namens "Axe To Grind". Dann wechselten sie zum Majorlabel Phonogram/Vertigo und steuerten mit den folgenden zwei Alben "Underdog" und "B.Y.E." musikalisch immer mehr in Richtung Hardrock. Das dritte Major-Album "Déjà Voodoo" führte die Band zwar wieder mehr zu ihren Wurzeln, aber die Luft schien raus zu sein, sie lösten sich Mitte der 90er Jahre auf. Plötzlich, im August 2006, spielten JINGO DE LUNCH zwei kleine Shows im Berliner Club White Trash. Der Erfolg der beiden Auftritte war derart groß, dass man schon damals Gerüchte hörte, dass Jingo im Jahre 2007 vielleicht noch einmal ein paar Konzerte geben würden - zum 20-jährigen Jubiläum. Daraus wurde dann eine ganze Tour. Am 7. September 2007 erschien zudem "The Independent Years", eine Best-Of-CD aus dem Zeitabschnitt von 1987-1989 im zeitgemäßen Soundgewand. JINGO DE LUNCH sind weiterhin Yvonne Ducksworth (Gesang), Joseph Ehrensberger (Gitarre), Steve Hahn (Schlagzeug), Henning Menke (Bass) und Tom Schwoll (Gitarre). Ende Oktober 2007 sprach ich mit Yvonne und Steve in einem Café in Berlin-Kreuzberg.

Wie lief eure Jubiläumstour im September?

Yvonne:
Es war wunderschön und hat wirklich Spaß gemacht. Ich kam aus einem ganz anderen Leben, ich war Fernmeldetechnikerin in Arizona. Und auf einmal bin ich nach so vielen Jahren wieder auf Tour und stehe auf der Bühne. Wir haben sehr viele Leute getroffen. Leute, die früher da waren, und auch neue Leute.

Wie war es, mit den alten Weggefährten wieder gemeinsam auf der Bühne zu stehen?

Steve:
Es war großartig, in dieser Konstellation wieder gemeinsam abzurocken. Alles hat gut geklappt.

Yvonne: Ja, Tom und ich hatten großen Spaß. Sogar mehr als früher.

Steve:
Ja, ihr beide habt zusammen immer eine gute Show gemacht.

Yvonne: Früher bin ich irgendwie richtig schüchtern gewesen. Es war auch immer etwas schwierig, Deutsch zu sprechen, also das zu sagen, was ich eigentlich dachte. Dieses Mal habe ich mir einfach überlegt, dass ich beim Englisch bleibe, um so meine Gefühle besser ausdrücken zu können - und ich denke, dass ich für alle verständlich geredet habe. Zwar kann ich Deutsch, aber es ist durch Nervosität und Schüchternheit auch schnell weg. Tom hat deswegen meine Ansagen übersetzt. Oder Tom hat auf Deutsch angesagt und ich habe geantwortet. Wir haben uns gut abgewechselt.

Letztes Jahr habt ihr zwei Konzerte im White Trash gespielt, da war alles sehr familiär. Auf eurer diesjährigen Tour habt ihr im SO36 gespielt, was bedeutend größer ist. Wie unterschieden sich die beiden 2006er-Shows von der diesjährigen September-Tour?

Steve:
Dieses Jahr haben wir eindeutig viel besser gespielt. Fünf Wochen vor der Tour haben wir einen Proberaum bei Bekannten im Raucherhaus gemietet.

Yvonne: Letztes Jahr hatte ich nur fünf Tage zum Proben.

Steve: Zudem waren wir im SO nach den vorangegangenen Gigs der Tour richtig eingespielt. Das macht den großen Unterschied zu 2006 aus, wo wir zehn Jahre nicht zusammen gespielt hatten und vorher nur sporadisch üben konnten. Das hatte etwas Spannendes, weil jeder nervös und unsicher war - was aber auch dazu gehört.

Yvonne: Es war klasse im SO36. Es war immer mein Traum. Es war Nostalgie. Früher, als Kid, träumte man immer davon, mit seiner Band einmal im SO spielen zu können.

Steve: Es war irgendwie logisch, dass wir nach den White-Trash-Shows das nächste Konzert im SO spielen würden. Wir hatten auch über Alternativen diskutiert, aber das SO36 hat sich sehr schnell als optimal für unseren 20. Geburtstag herauskristallisiert.

Yvonne:
Es war ein "Heimspiel" für uns. Das wollten wir einfach. Damals, im August 2006, hatten wir überhaupt keine Ahnung, wie viele Leute kommen würden.

Wie kam es eigentlich zu den Shows im White Trash?

Steve:
Tom hat im White Trash gearbeitet und er wurde von Wally, dem Chef, gefragt, wie es mit einem Jingo-Gig wäre, denn wir wussten, dass Yvonne kommt. Daraufhin hat sich Tom mit mir in der Kneipe "Franken" getroffen und mir davon erzählt. Ich fand die Idee gut. Jetzt mussten wir nur abklären, was die anderen denken, und wir haben die Arbeit geteilt. Tom hat sich darum gekümmert, dass der Gig im White Trash klar geht. Ich habe mich darum gekümmert, alle zusammen zu kriegen. Das war ziemlich interessant. Ich habe jeden kontaktiert und einfach gefragt: "Hallo du, wie wär's mal mit einem Jingo-Gig?"

Yvonne: Genau, Steve hatte mich in Phoenix angerufen und gefragt, ob wir eine Show spielen könnten.

Hattet ihr eigentlich noch alle Kontakt untereinander?

Steve:
Ja, sicher. Bis auf Yvonne wohnten ja auch alle in Berlin. Man läuft sich somit über den Weg und ab und an haben wir auch zusammen Musik gemacht. Allerdings war die Jingo-Nummer immer ein Tabu. Bis Tom eben letztes Jahr mit der konkreten Idee zu mir kam. Er hat den klaren Impuls gegeben. Zuerst war es etwas schwierig, die anderen zu überzeugen. Aber irgendwie war direkt ein gewisses Feeling vorhanden und wir hatten schnell das Gefühl, dass jetzt wieder etwas passiert. Und plötzlich haben wir uns dann wieder im Proberaum getroffen. Das war ziemlich witzig.

War Yvonne zu dem Zeitpunkt schon wieder in Berlin und hat mitgeprobt?

Steve:
Wir hatten schon zwei bis drei Wochen vor dem 25. August 2006 angefangen zu proben. Yvonne kam erst eine Woche vor dem Konzert und musste alles aufarbeiten. Das war natürlich nicht so einfach, aber sie hat es klasse gemacht. Man muss bedenken, wir hatten circa zehn Jahre nicht mehr zusammen musiziert. Aber es lief ungemein gut und es kam die Bestätigung von den Leuten. Dieser Spirit, dieser gute Austausch mit dem Publikum, das war für uns wichtig. In dieser Zeit kamen wir auch in Kontakt mit Philip Styra, unserem Manager, der uns fragte, ob wir Interesse an einer Tour hätten. Bei uns ging daraufhin erst mal wieder das Stöhnen los. Aber wir alle spürten, dass es Sinn macht, es noch mal zu probieren. Uns gingen die guten Zeiten und das Positive durch den Kopf und dann haben wir uns zusammengerissen. Mit dem 20-jährigen Jubiläum stand ja auch etwas Besonderes an.

Anfang/Mitte der 90er Jahre wart ihr relativ groß. Ihr habt mit den BAD BRAINS, den RAMONES, mit Henry Rollins und MOTÖRHEAD zusammen gespielt und ihr wart bei der Osterrocknacht 1994 in Düsseldorf ein Hauptact mit THERAPY? und NOFX.

Steve:
Bezüglich der Größe war es nichts Halbes und nichts Ganzes. Was die Konzerte betrifft, so hatten wir auf jeden Fall eine wundervolle Zeit. Wir hatten schöne Touren und selber auch gute Supports. Wir waren ja Fans von Bands wie den BAD BRAINS oder von Henry Rollins.

Wie ist es für euch, immer wieder zu hören, dass eure ersten drei Scheiben bis 1989 die besten seien, während die Alben danach sehr kritisch betrachtet werden. Bezeichnenderweise beschränkt sich eure aktuelle Best-Of-CD auch nur auf die Zeit bis "Axe To Grind".

Steve:
Die ersten drei Scheiben sind einfach das, was Jingo ausmacht. Danach sind wir ein bisschen in eine andere Richtung gegangen und haben uns, was den Sound angeht, verlaufen. Wenn man heute die Major-Platten betrachtet, sieht man, dass wir den typischen Jingo-Weg verloren hatten, denke ich zumindest. Und ich glaube, ich bin nicht der Einzige von uns, der das so sieht. Die Best-Of-CD umfasst genau die Scheiben vor der Major-Geschichte. Es sind die Independent-Sachen, eben das, was Jingo ausgemacht hat. Zudem hatten wir nach den vielen Jahren auch wieder die Rechte für diese Platten. Ein Best-Of von den Major-Alben wird es nicht geben, weil wir die Rechte nicht haben und weil wir uns davon auch abgrenzen wollen.

Yvonne:
Auf der Tour haben wir ja auch ein paar Lieder von den Major-Alben gespielt. "Wish" und "Can of worms" sind zum Beispiel exzellente Punkrock-Songs. Aber das Feeling der ersten Platten war einfach anders, da war alles viel spontaner. Ein weiterer wichtiger Grund war die "Cursed Earth"-EP, die wir endlich einmal richtig herausbringen wollten. Das lag uns schon ziemlich lange am Herzen.

Steve:
Hinzu kommt, dass die Idee parallel entstanden ist. Einmal durch Jürgen Schatzner von Rookie Records und einmal durch uns, ohne dass wir vorher miteinander darüber gesprochen hätten. Jürgen hat sich mit mir in Verbindung gesetzt und eine Best-Of-CD vorgeschlagen und uns damit aus der Seele gesprochen. Wir hatten nämlich auch schon überlegt, eine schöne kompakte Auswahl aus den ersten beiden Alben mit der kompletten "Cursed Earth"-EP wiederzuveröffentlichen. Wir hatten zuerst auch überlegt, alle drei herauszubringen, aber das wäre viel zu viel Aufwand gewesen.

Yvonne:
Es gab damals nur 2.000 Exemplare von "Cursed Earth" und danach war sie ausverkauft. Jetzt ist sie endlich wieder erhältlich und sogar remastert. Das gefällt mir enorm, denn da sind einige meiner Lieblingssongs drauf.

Yvonne, du hast gerade den Song "Wish" angesprochen. Auf den September-Shows hast du vor "Wish" gesagt, dass es das einzige Liebeslied sei, das du geschrieben hättest. Warum hast du es erst so spät für das "Déjà Voodoo"-Album geschrieben?

Yvonne:
Ich bin in eine Punkrock-Band gegangen, weil ich mich immer so anders gefühlt hatte. Ich war beispielsweise das einzige dunkelhäutige Mädchen in einer weißen Schule in Kanada. Ich war ein "Tomboy" und ich fuhr Skateboard. Ich wollte etwas machen, wo ich meine ganze Wut herausschreien konnte. Zu diesem Zeitpunkt stand nie die Frage der Liebe im Raum. Ich war extrem wütend. Es war einfach nicht wichtig für mich. Diese Entwicklung kam erst später.

Wann genau habt ihr euch Mitte der 90er aufgelöst? 1996 habt ihr noch DIE TOTEN HOSEN supportet und, soweit ich weiß, ist Tom kurz danach ausgestiegen und ihr habt es erst noch ohne ihn versucht.

Steve:
Genau. Zuerst ist Tom ausgestiegen. Dann haben wir noch zu viert weitergemacht und eine weitere Tour gespielt. Aber wir merkten, dass es keinen Sinn mehr macht.

Yvonne: Und irgendwie wollten wir auch nicht zu viert spielen. Es hat einfach etwas gefehlt. Das Ende war dann in den letzten Monaten des Jahres 1996, denn ich bin im Dezember 1996 geflogen. 1997 war ich schon in den USA.

Steve, in einem Interview von 2002 hast du gesagt, dass ihr euch Mitte der 90er vielleicht etwas voreilig aufgelöst hättet und ihr vielleicht ein, zwei Jahre hättet pausieren sollen, um dann weiterzumachen. Aber auch, dass es in der Konstellation damals einfach nicht mehr geklappt habe. Wie denkst du jetzt über deine damalige Aussage?

Steve:
Ich sehe das immer noch so. Aber dadurch, dass Yvonne bereits weg war, war es sowieso nicht möglich. Zudem hat es auch eine Weile gedauert, bis alle wieder miteinander konform waren. Es war eine intensive Zeit und die mussten wir alle verdauen. Letztendlich ist es jetzt aber so, wie es ist, und wir spielen erst jetzt wieder zusammen. Diese lange Zeit dazwischen hat uns aber auch gut getan.

Yvonne: Wir haben eine Menge gelernt. Damals ging alles so schnell.

Steve: Letztes Jahr bei den Shows haben wir einfach gemerkt, dass die Köpfe wieder frei waren. Natürlich fällt man immer wieder in alte Muster zurück. Aber gerade dabei konnte man schnell sehen, dass jeder von uns deutliche Fortschritte gemacht hat.

Was waren die genauen Umstände deines Weggangs aus Berlin, Yvonne? Du hast auf den Shows vor dem Song "Chew & spit" etwas von Stress mit Nazis wegen deines Aussehens erwähnt.

Yvonne:
Es waren ganz viele Gründe. Mit Nazis habe ich Probleme, seitdem ich mal am Ku'damm zusammengeschlagen worden bin, da war ich gerade mal 16. Danach habe ich dann mehr aufgepasst.

Steve: Der Song "Chew & spit" selbst ist einfach eine Aussage zu diesem Thema. Wir stehen auf einer klaren Seite gegen Rechtsradikalismus und Faschismus.

Yvonne, aus welchen Gründen hast du jetzt die USA verlassen? Auf den Shows habt ihr "I'm so bored with the USA" gespielt. Hattest du nach so vielen Jahren in Arizona die Nase voll von Amerika?

Yvonne:
Als ich damals nach Amerika ging, wollte ich sehen, ob ich damit zurechtkomme, ohne Band und ohne Freunde zu sein. Ich bin einfach nach Phoenix gezogen, ohne jemanden zu kennen, und irgendwie war das ziemlich verrückt. Aber ich habe mir dann dort alles aufgebaut, ich habe gearbeitet, Geld verdient und ich ging auch zur Schule. Dieses Jahr habe ich alles abgeschlossen und dann saß ich plötzlich da. Ich saß da mit dem Wissen, dass ich wieder dahin zurück muss, wo ich mich zu Hause fühle: nach Berlin. Denn als ich letztes Jahr erstmals wieder nach Deutschland gekommen bin, habe ich gespürt, was mir gefehlt hat. Es hat zehn Jahre gedauert, bis ich gemerkt habe, dass hier meine Heimat ist.

Wie hat sich eurer Meinung nach die Berliner Szene von Kreuzberg, aus der ihr stammt, verändert?

Steve:
Ich wohne jetzt schon über 20 Jahre hier. Früher, als die Mauer noch stand, war das Gefühl ein ganz anderes als jetzt, bezogen auf Bands und Musik. Die Leute waren auch anders drauf. Früher war alles wie eine kleine Insel. Man musste immer über diese Grenze, bis man überhaupt einmal in Berlin war. Jetzt ist alles offen. Es sind viele junge Leute hier, viele Studenten. Es ist alles sehr lebendig hier. Es ist viel mehr los. Viel mehr Bands, viel mehr Musiker überall. Die Stadt ist einfach viel größer.

Gehört ihr als Band jetzt wieder zur Berliner Szene? Seid ihr jetzt wieder als "richtige" Band zusammen? Und vor allem, wie sieht es mit einer neuen Platte aus?

Steve:
Wir gehören auf jeden Fall zum Inventar, haha. Und was die Zukunft betrifft, so haben wir großes Interesse an Jingo und denken positiv über eine Fortsetzung nach. Ich kann jetzt jedoch nicht einfach sagen, dass wir wieder da sind und eine Platte kommen wird. Die Voraussetzungen dafür sind aber recht gut, wir haben Räumlichkeiten, wir haben keinen Druck. Wir können uns in Ruhe hinsetzen, unser Süppchen kochen und wir müssen nichts beweisen. Alles hat seine Zeit. Wir sind alle gerade mitten in einer Umzugsphase, ich gehe auf Tour, Tom ist auf Tour, Yvonne muss sich um eine Arbeit kümmern. Das spielt alles eine Rolle.

Yvonne: Ich habe gerade eine Wohnung gefunden und ich muss renovieren. Ich muss mich auch noch um eine Aufenthaltsgenehmigung kümmern.

Steve: Wir müssen erst mal eine Basis schaffen, um dann locker an die Sache heranzugehen. Wir wollen uns aber gemeinsam hinsetzen und es probieren. Musikalisch wollen wir auch wieder in die Richtung der ersten drei Platten gehen.

Yvonne: Punkrock-Songs, schöne Melodien, gute Texte.

Steve:
Das Gefühl ist also da, die Idee besteht. Aber was dabei herauskommt, das kann ich im Moment noch nicht sagen. Musik muss man mit Bedacht machen. Und wenn es etwas Vernünftiges ist, dann wird es wohl auch veröffentlicht. Jetzt aktuell ist aber erst einmal die Idee da, eine kleines Live-Album als Dankeschön für die Fans zu machen. Die Zusammenstellung einiger Konzerte der September-Tour. Aber wie gesagt, auch das ist bislang nur eine Idee. Wir werden sehen, was passiert.


Ingo Feldhausen