ENVY

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(Not) Lost In Translation

Interviews mit japanischen Bands sind eine schwierige Sache: Das erste Ox-Interview überhaupt fand seinerzeit mit ROSE ROSE aus Tokio statt, und es war ernüchternd zu sehen, wie wenig man sich zu sagen hat, wenn keiner die Sprache des anderen spricht. ENVY beherrschen das Englische zwar leidlich, was bei japanischen Bands auch heute noch nicht selbstverständlich ist, doch idealerweise hat man einen Übersetzer dabei, und so gab Ox-Kollege David im Backstagebereich den Simultanübersetzer. Die 1992 in Tokio gegründeten ENVY sind dabei ja hierzulande keine Unbekannten, waren mehrfach auf Tour, schafften es aber erst mit ihrem 2006er Album "Insomniac Doze", aus dem Hardcore-Biotop auszubrechen und ein etwas größeres Publikum anzusprechen, was in Köln in einem ausverkauften Konzert resultierte und woran die Fürsprache von MOGWAI, auf deren Rock Action-Label sie seit einer Weile veröffentlichen, sicher nicht unschuldig ist. Bevor ihr monumentaler Ambientcore für offene Münder und Verzückung sorgte, beantwortete Sequencer-Bediener und Sänger Tetsuya Fukagawa unsere Fragen. Und da der Japaner ein sehr höflicher Mensch ist, wie mir David erläutert, hält er aus Sorge, sein Gegenüber mit einer langen Antwort zu überfordern, selbige eher kurz, was das Interview entsprechend "kompakt" geraten ließ.

Inwiefern unterscheiden sich eure Konzerte in Europa von denen in Japan?


Im Prinzip ist es egal, wo man hingeht, die Konzerte sind in jedem Land sehr ähnlich.

Ihr greift seit Jahren auf ein bewährtes Netzwerk aus Freunden zurück.

Ja, das funktioniert fast überall auf der Welt, nur in China nicht, wo wir auch schon gespielt haben. Ansonsten treffen sich bei unseren Konzerten Menschen, die Hardcore mögen, und die haben alle dasselbe Netzwerk.

Ist "Hardcore" das Wort, mit dem du eure Musik bis heute beschreibst?

Als wir anfingen, Musik zu machen, war unsere Musik auf jeden Fall Hardcore. Heute ist es uns egal, wie man unsere Musik nennt, Hardcore ist völlig in Ordnung - aber auch einfach Rock.

Dennoch macht es einen Unterschied, ob man eure Band aus einem Hardcore-Blickwinkel wahrnimmt oder aus dem eines MOGWAI-Fans.

Für uns hat sich eigentlich nicht viel verändert, seit wir bei Rock Action unter Vertrag sind. Wir haben neue Fans dazugewonnen, aber die alten kommen noch immer - und uns gefällt, dass wir Menschen für uns begeistern konnten, die uns bislang nicht kannten.

Wie habt ihr den Weg von eher traditionellem Hardcore zum heutigen ambienthaften Sound gefunden?

Wir haben die Band schon vor 15 Jahren gegründet, und gerade zu Beginn wussten wir nicht, wohin uns das alles führen würde, die meisten von uns hatten auch keine Arbeit. Im Laufe der Jahre haben wir viele neue Freunde gewonnen, wirkten viele verschiedene Einflüsse auf uns ein, und so entwickelte sich unser Sound auf ganz natürliche Weise weiter, hin zu dem Sound, den wir heute machen. Dabei haben wir nie im Blick gehabt, ob sich das jetzt verkauft oder nicht, wir wollten nur unser Ding machen. Und so wurden wir zu dem, was wir heute sind. Außerdem waren wir früher als Musiker nicht so gut, wie wir es heute sind. Wir haben viel dazugelernt, können unsere Instrumente heute viel besser spielen, mehr aus ihnen herausholen. Und das hat dazu geführt, dass sich unser Sound geändert hat. Eigentlich wollten wir ja schon immer so klingen wie heute: Früher hatten wir diesen Sound im Kopf, konnten ihn aber nicht umsetzen.

Welche Rolle spielt dabei die Arbeit im Studio, die Produktion?

Wir haben ja keinen Produzenten, wir machen alles selbst, und von daher gibt es in dieser Hinsicht keinen Einfluss von außen. Wir könnten uns aber durchaus vorstellen, mit einem Produzenten zusammenzuarbeiten, denn es gibt viele fähige Leute, und das wäre auch sicher interessant für unsere Musik. Letztlich macht es uns aber auch sehr viel Spaß, alles selbst zu machen, und das entspricht auch unserer Grundeinstellung, diesem D.I.Y.-Gedanken. Deshalb buchen wir ja auch unsere Touren selbst. Im Studio arbeiten wir von Anfang an mit einem Mann zusammen, der bislang alle unsere Platten aufgenommen hat und genau weiß, was wir wollen. Dem müssen wir nichts erklären, der kennt uns in- und auswendig.

Wenn man von eurer Musik ausgeht, müsst ihr ein sehr düsteres, wütendes Leben führen ...

Haha, nein, wir sind überhaupt nicht unglücklich, sondern im Gegenteil sehr glücklich und zufrieden mit dem, was wir machen - angesichts der Tatsache, dass wir genau die Musik machen können, die wir wollen. Diesen Aspekt unseres Lebens spiegelt unsere Musik vielleicht nicht wider, das stimmt. Wir haben einfach großes Glück, dieses Leben führen zu können.

Habt ihr noch Jobs oder lebt ihr von der Band?

Wir haben alle neben der Band noch einen Beruf. In Japan ist es unmöglich, von seiner Musik zu leben, außer du bist in einer richtig großen Band. Ich selbst arbeite in der Firma meines Vaters, mache Internetdesign und solche Sachen. Manabu, unser Bassist, entwirft Kleidung, Dairoku, unser Drummer, ist Möbelschreiner, unser zweiter Gitarrist arbeitet in der Ballettschule seiner Frau.

Und wie schafft ihr es, auf Tour zu gehen? In Deutschland liest man immer wieder, die Japaner hätten nur zwei Wochen Urlaub im Jahr.

Wir sind sehr gut darin, unsere Termine zu koordinieren. Jeder von uns hat in seinem Job jemand, der ihn vertreten kann, während er auf Tour ist, und wir sind deshalb in einer sehr glücklichen Situation, so viel touren zu können. Zuletzt waren wir drei Wochen in den USA und sind jetzt drei Wochen in Europa unterwegs. Länger gehen wir nicht auf Tour, das strengt uns zu sehr an.

Wie sieht es mit einem neuen Album aus, arbeitet ihr derzeit schon daran?

Erst mal erscheint in England eine Split-Album mit JESU, und dann kommt in den USA ein Split-Release mit THURSDAY. Und dann sehen wir weiter.