FREAK ACCIDENT

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Aufgedrückte Etiketten

Es passieren schon komische Dinge auf diesem Planeten: Rob Wright war es, der Anfang Mai sagte, dass NOMEANSNO im Herbst zusammen mit FREAK ACCIDENT in Europa auf Tour gehen würden. Dies konnte man nicht so recht glauben, denn keine, aber auch nicht die geringste Spur von Ankündigungen, oder Tour-Angeboten der - bis dahin - auf Alternative Tentacles beheimateten Band aus San Francisco deutete darauf hin. Ralph Spight (VICTIMS FAMILY, HELLWORMS, SATURN‘S FLEA COLLAR) sollte nach Europa kommen und niemand wusste davon. Alles höchst seltsam. So trafen Ralph, Drummer Mike Branum (HELL'S KITCHEN, CAPITOL PUNISHMENT) und Bassist Kimo Ball (GRIDDLE) Mitte September merklich angenervt, aber dennoch gut gelaunt im Oberhausener Druckluft ein, wo ich die Gelegenheit wahrnahm, einige Dinge mit den Jungs zu besprechen.

Ich hab mich gewundert, als ich hörte, dass ihr auf Tour kommt. Davon hat hier irgendwie keiner etwas mitbekommen, weder durch die Promotion für eure neue Platte "Tissue Sample", noch durch sonstige Bekanntmachungen. Ihr seid doch auf einem nicht gerade unbekannten Label, wie kann das sein?

Ralph: Wir sind auf gar keinem Label mehr. Alternative Tentacles hat uns gekickt. Kurz vor Abschluss der Aufnahmen und ebenso kurz vor der Tour mit NOMEANSNO haben sie uns rausgeschmissen. AT hatte wohl einige finanzielle Einbußen in der letzten Zeit und damit wurden einige Releases gestrichen.

Mike: Wir dachten natürlich, wir sind auf AT und alles wäre okay. Wir haben ja nicht viel erwartet, vielleicht ein bisschen Geld für den Mix oder so etwas. Aber dann kam die Nachricht, dass wir raus sind.

Ralph: Und da standen wir nun ohne Label. Ich habe natürlich als Erstes die Nachricht auf unserer Homepage gepostet und bekam wie aus dem Nichts kurze Zeit später eine Mail von Robert von Gate To Hell aus Dortmund, der zu uns meinte, er könnte unser Album auf Vinyl rausbringen und uns zudem günstig einen Van und Equipment leihen. Natürlich waren wir mehr als froh über eine so schnelle Unterstützung, die uns die Tour überhaupt erst möglich gemacht hat. Ich nehme es Jello einzig und allein wegen des Albums übel. Natürlich denke ich, das sie die falsche Entscheidung getroffen haben, aber im Moment ist es hart, Platten zu verkaufen, keine Frage.

Mike: Als wir hier ankamen, waren wir total überrascht, dass die ganzen alten Freunde entsetzt waren, weil wir uns nicht vorher gemeldet haben.

Es gab hier so gut wie keine Informationen und es war auch nur über Umwege zu erfahren.

Ralph: Ich hatte selbst noch nie so wenig Informationen über eine anstehende Tour, wie vor dieser. Wir dachten, dass wir zusammen mit NOMEANSNO spielen und dadurch natürlich auch von ihrer Promotion profitieren würden.

Mike: Das größte Problem war, dass NMN für eine Woche nach Norwegen fahren wollten. Wir entschieden uns, wegen der Kosten nicht mitzukommen, und mussten schleunigst schauen, dass wir die Woche irgendwie gefüllt bekommen.

Ralph: Eigentlich haben ja auch NMN für uns entschieden, dass sie wir nicht mit ihnen nach Norwegen fahren ...

Ralph, das ist sicher nicht mit den Touren zu vergleichen, die du mit VICTIMS FAMILY gemacht hast. Vermisst du etwas daran, speziell an den Tagen ohne NMN, an denen doch offensichtlich ein wenig Publikumsmangel herrscht?

Ralph: Sicher ist es jetzt anderes als mit VF, aber ich komme auch nicht hierher und erwarte dieselben Dinge, die 1994 passiert sind. Ich erwarte sicher nicht, vor tausend Leuten zu spielen. Ich habe einige Touren erlebt, die scheiße gelaufen sind. Diese Tour ist eigentlich nicht so schlecht, wir haben fast jeden Tag ein Konzert, darunter 18 Shows mit NMN. Wir versuchen einfach, ein bisschen Lärm um uns zu machen, damit die Leute merken, dass wir noch da sind. Okay, vielleicht war ich diesmal ein wenig lahm mit der Promotion.[/b]

Es war zunächst geplant, dass du allein nach Europa kommen solltest. FREAK ACCIDENT war ja zunächst ein Solo-Projekt mit wechselnden Musikern.

Ralph: Ja, ich wollte zuerst allein auf Tour gehen, hatte aber auch überlegt, mit Ford Pier aus Kanada zu touren. Anfangs dachte ich, es könnte funktionieren, eine Platte zu machen und die Band drumherum zu arrangieren. Es sind in dieser Zeit viele verrückte und belastende Dinge passiert und ich habe quasi versucht, dies mit FA zu verarbeiten: Meine Eltern sind gestorben, zwei meiner besten Freunde haben Selbstmord begangen, ich wurde 40 und von einem Label gekickt. Wenn das mal nicht ausreicht ... Für mich war die Platte mit FREAK ACCIDENT eine Art Pause von VICTIMS FAMILY, aber am Ende gestaltete sich das ganze Unterfangen schwieriger, als ich erwartet hatte. Ich habe in den drei Jahren mit verschiedenen, wirklich guten Musikern und ebenso netten Leuten gespielt, aber anscheinend hat niemand davon Notiz genommen. Mir war klar, dass ich wieder eine Band brauche und nicht Leute, die mich nur begleiten, weil ich sie dafür bezahle, dass sie mit mir spielen. Da traf ich Mike und merkte, dass es passt, also habe ich die erste Platte mit ihm eingespielt. Zu dieser Zeit hatten wir ein relativ beständiges Line-up. Mit der Zeit wurde es aber wieder unruhiger in der Band, die einen kamen, die anderen gingen, und dann kam irgendwann der Punkt, an dem wir ziemlich lange einen Bassisten suchten. Wir waren kurz davor, die Sache komplett hinzuschmeißen. Da kam plötzlich Kimo um die Ecke und wir wussten: Kimo und kein anderer. Da fingen wir eigentlich erst an, eine Band zu sein.

Mike: Wir haben wirklich jede zweite Woche einen anderen Bassisten gehabt. Dieser Zustand war einfach nicht mehr tragbar für die Band. Mit Kimo fingen wir endlich wieder an, mit unserem Sound zu experimentieren: Komm, lass uns ein bisschen härter spielen! Komm, lass uns noch ein bisschen lauter spielen! Es war eine völlig andere Herangehensweise. Wir waren wieder bereit zu rocken!

Ralph, besteht noch eine aktive Verbindung zu VICTIMS FAMILY, oder ist die Band Geschichte?

Ralph: Man soll ja niemals nie sagen. Wir haben 2001 eine Single herausgebracht und bis vor zwei, drei Jahren Konzerte gespielt. Dann waren da ja auch noch HELLWORMS, mit Joaquin Spengemann am Schlagzeug. Wir waren eben alle in der letzten Zeit sehr beschäftigt, aber ich bin ziemlich sicher, dass Larry und ich noch mal irgendwann etwas zusammen machen werden. Wir haben schon über die Option gesprochen, die ersten drei Platten neu zu veröffentlichen und im Internet zum Download bereitzustellen. Sie sind schon seit Ewigkeiten ausverkauft. Da ist auch noch eine Videoaufzeichnung, die wir gerne herausbringen würden. Die Aufnahme stammt aus dem Jahr 2001 von einem Konzert im Melkweg in Amsterdam. Wir warten sehnsüchtig darauf, dass es endlich fertig wird. Natürlich würden wir gern auch die ganzen alten Videos digitalisieren. Aber das dauert natürlich alles seine Zeit.

Laut diverser Musikmagazine hast du in den 90er Jahren den Begriff "Jazzcore" mitgeprägt. Wie siehst du das?

Ralph: Letztlich ist alles nur Marketing. Im Endeffekt interessiert es doch gar keinen. Wir haben nie gedacht, dass wir Jazzcore machen. Das haben sich Musikredakteure ausgedacht, wie ein Etikett, das einem manchmal ungewollt aufgedrückt wird. Wir halten uns schlicht und einfach für eine Punkrock-Band. Alles besteht heute nur noch aus beschissenen Stilen und Genres. Für mich hat das wirklich nicht im Geringsten etwas mit Musik zu tun. Es ist vielleicht ein Bestandteil der Szene, es geht sicher nicht ohne irgendwelche Beschreibungen in Magazinen, aber ich bin kein Freund von Schubladen.