JOHN ROBB

Foto

Punk ist nicht schwarz/weiß

John Robb ist über alle Maßen qualifiziert, über Punk zu sprechen und zu schreiben: Er ist seit 1976 dabei, damals mit den MEMBRANES und seinem eigenen Fanzine, heute mit GOLDBLADE, mit denen er unermüdlich um die ganze Welt tourt, er war einer der wichtigsten Journalisten für Sounds - er hat sich bereits für die Schöpfung des Terms "Britpop" entschuldigt - und er hat für sein Buch "Punk Rock - die ganze Geschichte", das unlängst im Ventil Verlag erschienen ist und endlich die Lücke schließt, die in euren Regalen zwischen "England's Dreaming" und "Please Kill Me!" klafft, nahezu alle Protagonisten des englischen Punkrock in den Jahren 1976-84 interviewt. Robb ist ein wahres Energiebündel, beobachtet einen aufmerksam und beinahe durchdringend und hatte mir bei einem wahnsinnig schlechten Inder in Kreuzberg viel Aufschlussreiches über Punk zu berichten.

Robb erklärt das Phänomen von Punkrock gerne anhand von Howard Devoto und Pete Shelley, die die einzigen STOOGES-Fans an ihrer Schule in Manchester waren. Als die beiden im Februar 1976 im NME einen kurzen Artikel über ein SEX-PISTOLS-Konzert lasen - der erste Artikel, den es über die SEX PISTOLS gab - wussten sie, ohne auch nur einen Takt von ihnen gehört zu haben, dass das genau ihre Musik ist. Also hieß es für sie, ab nach London, und es ist wohl nur einem Zufall zu verdanken, dass sie nicht nur Malcolm McLarens berühmten "Sex"-Shop in der Kings Road sofort fanden, sondern dass die Pistols an diesem Wochenende auch zwei Shows in der Nähe von London spielten. Zurück in Manchester hoben die beiden nicht nur die BUZZCOCKS aus der Taufe, sondern organisierten dort auch das erste Konzert der SEX PISTOLS, das auch ihr eigenes Live-Debüt sein sollte.

Diese beiden Konzerte der SEX PISTOLS fanden am 4. Juni und am 20 Juli 1976 statt, und die Legende will es, dass an diesem Tag alle, die später für die Musikszene in Manchester wichtig sein sollten, anwesend waren und dass sie alle am folgenden Tag ihre Bands gründeten, sei es Mark E. Smith von THE FALL, Ian Curtis von JOY DIVISION, Tony Wilson, der Gründer von Factory Records, oder Morrissey. Allerdings streiten sich die Protagonisten in Johns Buch selbst darüber, ob es das erste oder nicht doch erst das zweite Konzert der SEX PISTOLS in Manchester war, bei dem tatsächlich alle da waren.

Warum hast du "Punk Rock" geschrieben?


Punkrock spielte und spielt in meinem Leben immer eine große Rolle, ich höre immer noch diese Musik von vor dreißig Jahren, und ich wollte herausfinden, warum das so ist. Natürlich gibt es schon einen Haufen Bücher über Punkrock, aber keines, in dem alle Beteiligten selbst zu Wort kommen, deshalb entschied ich mich für eine Oral History. Ich wollte die Geschichten der Beteiligten hören, wissen, worum es ihnen ging, was wirklich passierte. Ich glaube, die Geschichte von Punk wurde immer wieder umgeschrieben, sie wurde auf THE CLASH oder auf die SEX PISTOLS umgemünzt, aber es ist nie die Geschichte von SUBWAY SECT, aber gerade die ist auch wichtig. Und natürlich wollte ich herausfinden, was an dieser Musik so besonders ist, dass sie für so viele Leute aus meiner Generation so wichtig wurde. Und sie ist zu einer zeitlosen Musik geworden, die auch heute immer noch Menschen berührt. Es ist eine aufregende, aufwühlende Musik, die unsere ganze Kultur verändert hat.

Du hast nur etwa ein Jahr an dem Buch gearbeitet?

Ja, ich habe die meisten Interviews am Telefon gemacht und danach gleich transkribiert. Ich hatte schon rund um die Uhr zu tun, wir waren währenddessen sogar auf Tour. Aber das Buch hätte zehnmal so dick werden können. Ich wollte ursprünglich noch viel mehr Fans zu Wort kommen lassen. Denn eigentlich wäre die Geschichte von irgendeinem unbekannten Kerl in Dorchester genau so wichtig gewesen wie die von Johnny Rotten, das ist das Entscheidende an Punk. Es ging nicht um Stars. Für mich war das Wunderbare an Punk, dass es wichtig war, was irgendwelche Teenager zu der Zeit erlebten, deren Erfahrungen, wenn sie auf der Straße angegriffen und verprügelt wurden. Aber all diese Geschichten haben am Ende in dem Buch zu viel Platz gefressen, daher musste ich mich auf die Bands konzentrieren, aber es sind zum Glück ein paar Leute im Buch, die in keiner Band waren und einem einen Eindruck vermitteln, wie es für sie war, Punk zu sein.

Es kommen auch ein paar bekannte Leute nicht vor, zum Beispiel Bernie Rhodes, der keine Interviews gibt.

Ich hab Bernie Rhodes eine Mail geschrieben und er gab mir eine ziemlich kryptische Antwort, und auf meine nächste Mail antwortet er nicht mehr. Aber vor sechs Monaten hab ich ihn ganz gut kennen gelernt, er ist eine faszinierende Figur und ich glaube er ist eine der Schlüsselfiguren im Punkrock, er ist vielleicht genauso wichtig wie Malcolm McLaren und ein paar der besten Ideen stammten von Bernie, aber er gibt halt keine Interviews. Wenn du so mit ihm redest, erzählt er dir ellenlange Geschichten, aber wenn du ein Interview mit ihm machen willst, keine Chance. Und natürlich fehlen auch ein paar andere Personen in dem Buch. Joe Strummer und Sid Vicious - logischerweise. Jemand wie Mark E Smith kommt nicht vor, weil er zu der Zeit nicht wirklich wahrnehmbar war.

Warum kommt Henry Rollins vor? Er ist der Einzige, der keinen direkten Bezug zum englischen Punk hat.

Henry hat einige großartige Einschätzungen über Punk und diese Zeit geliefert und er ist ein wahrer Fanatiker, was britischen Punk betrifft. Und die SAINTS kommen ja auch vor. Es war interessant, Henrys Standpunkt zu hören, weil er sich die ganzen britischen Punk-Singles ja alle in D.C. kaufte, wo es auch schwer war, an die ranzukommen, und es eben nur eine Handvoll Fans gab, die sich für Punk interessierten. Und er ist eine Art Experte für britischen Punk, er hat so wahnsinnig viele Platten.

In deinem Buch zeigst du Punk nicht als die große Explosion, die aus dem Nichts kam, sondern du zeichnest die Kontinuität von Underground-Musik seit den Sechzigern nach, von Psychedelic und Garage über Glamrock bis hin zu Pubrock. Wie sieht deine Geschichte vor Punk aus?

Ich wurde von Glamrock angefixt, als ich dreizehn oder vierzehn war. Wie die meisten Kids in England wurde ich über "Top Of The Pops" auf Musik aufmerksam, weil es fast nichts anders gab. Und die frühen Siebziger waren wesentlich besser, als sie gerne dargestellt werden, wir hatten Bowie, T. REX, SLADE. Aber das Bedeutende an Punk war, dass es viel wirklicher und unmittelbarer war. All die Rockbands in den Siebzigern waren so abgehoben, so weit draußen und entfernt von allem, sie waren unerreichbar für uns, Bowie war ja nicht nur wie ein Außerirdischer, er war ein Außerirdischer. Erst mit Punk merkten wir, dass man Musik auch selbst machen kann, davor waren Musiker immer nur Nerds. Und natürlich habe ich die BEATLES, die ROLLING STONES und die KINKS gehört, das ist immer noch großartige Musik. Aber ich möchte nicht wieder zurück zu 1976, ich kann mir keine langweiligere Zeit vorstellen: Es gab nur zwei Programme, das Fernsehen endete um elf und danach kam die Nationalhymne. Das war grausam und langweilig. Heute gibt es viel mehr spannende Musik, ich bin nicht mehr auf das Fernsehen angewiesen. Vor Punk war es für uns undenkbar, dass es etwas anderes als die großen Magazine und "Top Of The Pops" gab. Punk hat für mich die Sicht auf die Welt verändert: vor Punk war alles in schwarz/weiß, Punk tauchte meine Welt in Farbe.

Du stellst Punk sehr stark in einen Rock'n'Roll-Kontext, warum kommen mit Ausnahme von THROBBING GRISTLE kaum experimentelle Bands vor, wie WIRE, DEVO, THIS HEAT oder PERE UBU?

Es kommen ein paar Bands wie JOY DIVISION und KILLING JOKE im Buch vor, aber im Punk gibt es so viele Ausdifferenzierungen, so viele Subgenres, dass man über jedes ein eigenes Buch schreiben könnte. Und de facto war Post-Punk damals nicht so präsent, wie das heute in der Retrospektive gerne dargestellt wird. Post-Punk ist nur eine Spielart, die aus Punk hervorging, aber die ganzen anderen Szenen, das Skinhead- und das Mod-Revival, Rockabilly, Ska, der Politpunk um CRASS, all das hat genauso viel Beachtung verdient. Post-Punk war zu der Zeit eine wahnsinnig kleine Szene. Und Simon Reynolds hat ja auch ein Buch explizit darüber geschrieben.

Der Hauptstrang des Buches erzählt die Geschichte der SEX PISTOLS, THE CLASH, den BUZZCOCKS und den STRANGLERS. Wie hast du diese Bands damals selbst wahrgenommen?

Ich hab die SEX PISTOLS erst live gesehen, als wir bei der Reunion-Tour mit ihnen aufgetreten sind. In Blackpool, wo ich herkomme, war nicht viel los. Ich hab nur ein paar wenige Bands gesehen, die bei uns in der Nähe gespielt haben, ich habe THE CLASH und die BUZZCOCKS gesehen, aber sonst verirrten sich selten Bands zu uns. Wir hatten auch selten die Möglichkeit, in die großen Städte zu kommen. Aber die Leute, die mein Buch kaufen, sind genau solche Leute, die eben nicht alles miterlebt haben, die eben nicht in London lebten und bereits 1977 erzählten, Punk sei tot. Für die in London war Punk nur eine Mode, für die, die nur am Rand standen, wurde es erst zu der Zeit mehr und mehr bedeutend. In der Provinz war es viel gefährlicher, Punk zu sein. Daher finde ich auch die Geschichte von Punk in Belfast so spannend, denn zu der Zeit war die Situation dort enorm angespannt und trotzdem schuf Punk eine Verbindung zwischen katholischen und protestantischen Kids, und das machte es für die erst recht schwer. Sie gingen gemeinsam auf Gigs und schlossen damit wie selbstverständlich einen Frieden untereinander, der auf viel größeren Widerstand stieß, als Punk das woanders konnte. Das ist die Stärke von Rock'n'Roll, auch wenn die irischen Bands nicht unmittelbar über den Konflikt sangen. Das finde ich interessanter, als das, was in London passierte. Aber natürlich muss man die Geschichte von London, über den Sex-Shop und all das auch kennen, meist ist das das Erste, was man über Punk erfährt.

Was auffällig ist, ist, dass in der ersten Welle wesentlich mehr Frauen im Punk aktiv waren, in der zweiten Welle schienen viele verschwunden zu sein und erst mit der Riot-Grrrl-Bewegung in den Neunzigern schafften Frauen es wieder, sich im Punk zu behaupten. Woran glaubst liegt das?

Oh, es gab auch in der zweiten Welle noch zahlreiche Frauen, Eve Libertine von CRASS zum Beispiel. Oder Gee Vaucher, die das Artwork machte, was bei CRASS fast genauso wichtig war wie die Musik. Vielleicht wurden viele nicht mehr so unmittelbar wahrgenommen wie Gaye Advert, Siouxsie Sioux, Ari Up, Poly Styrene, aber es gab welche. Und in dem Moment, wo immer mehr Leute Bands gründeten, hatte man natürlich auch wieder mehr Typen in Bands, okay, und ja, es wäre auch wünschenswert wenn mehr Frauen in Bands gewesen wären. Aber Punk hatte zumindest die Möglichkeit geschaffen, dass jeder in einer Band sein konnte.

Das Kapitel "Punk und Sex" fällt sehr kurz aus, warum?

Nun, einmal wollte Punk sich gegen die Konventionen des Rock'n'Roll auflehnen, wo du immer dieser Formel "Sex, Drugs & Rock'n'Roll" hast, das fanden wir scheiße, dieses Gehabe. Das ist der Grund, warum über Sex nicht viel gesungen wurde - und erst recht nicht über diesen Junge-trifft-Mädchen-Mist. Außer bei den BUZZCOCKS gab es nicht viele Songs über Sex, die meisten waren angewidert von diesen Rock'n'Roll-Klischees, von den Liebesliedern. Aber das heißt nicht, dass wir keinen Sex hatten, natürlich hatten wir Sex. Wie betranken uns, schnüffelten Klebstoff und hatten schnellen Sex auf den Toiletten. Und in der nächsten Nacht mit jemand anderem. Aber darüber wurde nicht gesprochen, geschweige denn gesungen. Allerdings war das Schlagwort "Sex" sehr präsent, man denke bloß an den "Sex"-Shop, die SEX PISTOLS, PENETRATION oder eben die BUZZCOCKS und deren Songs. Und auch die Art, wie die Leute sich anzogen, war sehr sexualisiert, nimm bloß mal ADAM AND THE ANTS, ich glaube Sex wurde mehr über die Kleidung, als über die Musik verhandelt. Und natürlich liegt es an der Struktur des Buches, dass nicht viel Sex darin vorkommt, ich kann die Leute in Interviews ja nicht dazu zwingen, darüber zu reden.

Die Entstehung von Oi! und die Southall-Unruhen nehmen in deinem Buch auch einen großen Raum ein. Du meintest, Oi! hafte in England immer noch das Stigma an, eine Nazi-Bewegung zu sein?

Obwohl Bands wie die COCKNEY REJECTS und all die anderen weit davon entfernt waren, rassistisch zu sein, gibt es Gründe, warum Oi! so in Verruf geraten ist, was einerseits total lächerlich ist und schade, andererseits natürlich auch gefährlich, weil die Missinterpretation dazu führte, dass Nazis sich dieser Musik zuwandten. Mir tut es um die Bands leid, die die ganze Zeit über mit dieser Brandmarkung leben mussten, denn die meisten dieser Bands waren ja extrem links. Im Nachhinein kann man schon sagen, dass es bestimmt naiv war, dieses Konzert in Southall zu veranstalten, weil in der Gegend viele indische Migranten lebten, aber hätte die Presse es nicht derartig aufgebauscht, wäre das alles nie soweit gekommen. Die Presse hat Garry Bushell als Nazi dargestellt, und als mein Buch im Observer rezensiert wurde, wurde ich auch als Nazi angesehen, weil ich diese Bands in Schutz genommen habe. Daran sieht man, wie sehr sich dieses negative Image von Oi! in der Öffentlichkeit immer noch hält. Garry Bushell sagt heute selber, wie verdammt dumm und naiv es von ihm war, den Slogan "Strength through Oi!" zu benutzen, aber die Öffentlichkeit hat sich eben nie die Mühe gemacht, genau hinzusehen. Auch das Cover mit dem Typen, der sich als Nazi entpuppte - warum sollte er so etwas absichtlich machen? Um noch mal die COCKNEY REJECTS zu nehmen, die haben strikt dafür gesorgt, dass keine Nazis auf ihren Konzerten waren beziehungsweise dass sie rausgeschmissen wurden. Ich hab verdammten Respekt vor denen, weil die wirklich eingegriffen haben, wenn es rassistische Übergriffe oder dergleichen gab. Und wenn es um die Musik geht, darf man nicht übersehen, wie wichtig Oi! zum Beispiel für den amerikanischen Hardcore war. Die waren alle wahnsinnig große Oi!-Fans.

Was ist heute von Punk geblieben?

Oh, ich glaube heute ist vieles einfacher geworden. In den Siebzigern hat man aufs Maul gekriegt von Teds, Mods und so weiter. Heute stehen Skins, Punks, Mods und alle anderen auf dem gleichen Konzert und feiern eine Party. Ohne Punk hätte es die ganzen Substile, Post-Punk, Oi!, Hardcore, Gothic, das Ska- und das Rockabilly-Revival nicht gegeben. Und all diese Stile existieren bis heute und es gibt gute Musik. Auch in den Siebzigern gab es furchtbar schlechte Punkbands, aber es gibt massenhaft gute Singles. Du hast heute zig Punkbands, von denen viele großartigen Punk spielen. Punk ist für mich wie eine große Familie, du hast die Säufer, die bei den Konzerten nur draußen sitzen mit ihrem Bier, aber die gehören auch zu Familie. Und all die Leute. die zum Beispiel GREEN DAY Ausverkauf vorwerfen, übersehen, was für tollen Punk GREEN DAY spielten und wie wichtig sie für die MTV-Generation waren. Heute hast du MySpace, das hoffentlich bald von einer anderen, unabhängigen Plattform abgelöst wird. Heute kannst du dir alles auf der ganzen Welt anhören, und das gehört doch auch irgendwie zu der Idee von Punk. Jeder kann es selber machen, das ist doch nur eine konsequente Weiterentwicklung der Fanzines und zeigt, dass die Idee von Punk auch nach dreißig Jahren nicht tot zu kriegen ist.