METROSCHIFTER

Foto

Wahlkampf

Mitte der 90er Jahre gehörten METROSCHIFTER neben Bands wie TEXAS IS THE REASON, CHAMBERLAIN und SENSE FIELD zur Vorhut der melodischen Post-Hardcore-Bands, aus denen sich später die heutige Definition von Emo heraus kristalisierte. Ende der 90er Jahre lösten sich diese Bands alle nach und nach wieder auf - sechs Jahre nach ihrem Split sind METROSCHIFTER nun aus der Versenkung zurück und planen eine Europatour.

Doch ist die Zeit für Sänger Scott Ritcher inzwischen nicht stehen geblieben. Nach dem Split von METROSCHIFTER hat er sich ein Leben jenseits der Musik aufgebaut. Und dabei hat er eine ganz grundlegende Sache aus der Underground-Szene der 90er mitgenommen - die Do-It-Yourself-Philosophie. Betrachtet man Ritchers Biografie der letzten sechs Jahre merkt man: Der Mann verkörpert D.I.Y. mit Leib und Seele. Heute betreibt Ritcher unter anderem ein Magazin namens K Composite (kcomposite.com), das als lokales Fanzine begann: "In Louisville und Umgebung gab es damals Dutzende an Zines, in denen sich alles ausschließlich nur um Musik drehte. Und in allen waren Interviews mit denselben Bands, das Layout war schlecht gemacht, sie waren billig gedruckt oder gar kopiert und beinhalteten eine Unmenge an Plattenreviews", erklärt er die damalige Fanzine-Szene in seiner Heimatstadt Louisville. "Das hat mich alles nicht wirklich interessiert und so kam ich auf die Idee, ein Fanzine zu machen, das ich auch selbst spannend fand."

Also startete Ritcher sein eigenes Heft. Statt der immer selben Bands ließ er darin dann seine Freunde zu Wort kommen. "Ich fand es viel interessanter, was die normalen Leute zu sagen hatten, als die ständig gleiche Meinung der Bands aufzuschreiben." Und die Idee funktionierte: K Composite gibt es heute noch. "Statt Leute zu interviewen, die einen Kinofilm oder ihr neues Album vermarkten wollen, gebe ich in K Composite meinen Freunden und Bekannten eine Plattform. Wir bedenken das Leben normaler Leute mit demselben Interesse, das Berühmtheiten entgegengebracht wird." Leute, über die Richter dann in seinem Magazin schrieb, waren begeistert von der Idee und interviewten wiederum ihre Freunde. Das Ganze gewann eine Eigendynamik und wuchs so zu einem professionellen Interviewmagazin heran. Zu einem Haupteinkommen wurde K Composite zwar nicht, doch als D.I.Y.-Jünger übt sich Ritcher im Multitasking. "Ich arbeite für mehrere lokalen Geschäfte und Unternehmen als Grafikdesigner und habe unter anderem eine News-Website namens News'n'Shit, die ich mit Inhalt versorge. Außerdem schreibe ich für mehrere lokale Zeitschriften und Zeitungen. Ich kann mich glücklich schätzen, meine Rechnungen bezahlen zu können, ohne einen regulären Job haben zu müssen", lacht er.

Und in der verbleibenden Zeit, die er nicht schreibend am Computer sitzen muss, hat sich Ritcher ein eher ungewöhnliches Hobby zugelegt. Aus einer allgemeinen Unzufriedenheit mit der amerikanischen Politik heraus wurde er selbst aktiv: Vor einigen Jahren ließ er sich zur Wahl für den Bürgermeister von Louisville aufstellen, jetzt kandidiert er für den Staat Kentucky für einen Sitz im Senat. "Wie jeder weiß, brauchen die USA unbedingt fähige Leute in der Politik. Ich fing an, mich in den 90ern für Politik zu interessieren, als Ross Perot als Unabhängiger für die Präsidentschaft kandidierte." Ihm gefiel damals die Idee, dass ein Mann von der Straße außerhalb des politischen Establishments neue Ansätze in die Debatte einbringen konnte. 1998 wurde er dann Mitglied der Reform-Partei von Ross Perot. "Jetzt kandidiere ich aber als Unabhängiger und gehöre keiner politischen Gruppierung mehr an", sagt er.

Dennoch spricht er nicht gerne mit Nicht-Amerikanern über die Politik seines Landes - verständlicherweise: "Es ist nicht sehr angenehm, mit Europäern darüber zu sprechen. Nicht-Amerikaner halten einem immer einen Vortrag über die US-Regierung und die Politik unseres Landes. Dabei ist das vollkommen überflüssig: Selbstverständlich weiß ich, dass unsere Regierung untragbar ist und es dabei nur um das Heil der Großunternehmen geht. Unsere Außenpolitik macht den Rest der Welt rasend und wir bringen so unglaublich viel Geld damit durch, den Leuten ans Bein zu pissen, dass wir nichts mehr für unsere Schulen und das Gesundheitssystem übrig haben. Diese Punkte zu ändern, ist im Grunde mein Hauptanliegen als Politiker", erklärt er. Im Detail bedeutet das: "Den Leuten mit zur Verfügung stehenden Geldern zu helfen, statt weiter diesen Überwachungsstaat aufzubauen, dessen Einwohner in eine Situation gedrängt werden, aus der sie nur krank, ungebildet und obdachlos herauskommen können. Es gibt so viel, was getan werden könnte, dennoch tun wir nur so unglaublich wenig. Mein allergrößtes Anliegen ist es allerdings, die Leute über bezahlten Lobbyismus aufzuklären. Wenn man den Lobbyismus abschaffen könnte, würde das die größte Hürde zwischen Volk und Gesetzgebung einreißen. Die Lobbyisten verhindern so viele grundlegende Anliegen wie zum Beispiel bessere Schulen, erneuerbare Energien, ein umfassendes Gesundheitssystem und sauber durchgeführte Wahlen."

Ritcher hat zwar nie Politik studiert, dennoch fühlt er einen inneren Drang danach, sich zu engagieren: "In Amerika ist es relativ einfach, sich darüber aufzuregen, was in unserem Namen verbrochen wird. Ich habe aber gemerkt, dass es nicht jedermanns Sache ist, sich aktiv zu engagieren. Ich bin aber sehr wohl dazu geschaffen. Ich interessiere mich für Hintergründe und bin intelligent genug, Zusammenhänge zu erfassen. Also fühle ich mich den Leuten in meiner Umgebung gegenüber verpflichtet, diese Gaben auch zu nutzen."

Und diese Fähigkeit ist auch das Einzige, worauf sich Ritcher bei seinem Job als Politiker stützt - eine Karriere in der Politik strebt er nicht wirklich an. "Die Leute haben genug von Karrierepolitikern. Ich denke, dass inzwischen endlich einmal jemanden gewählt werden könnte, der sich nicht davor scheut, sich die Hände schmutzig zu machen. Geld und Macht treiben die korrupte Politik in Amerika nur voran." Ritcher hingegen sieht das Ganze eher mit der naiven Blauäugigkeit des Durchschnittsbürgers: "Vielleicht kann ich so etwas in meinem Teil der Welt besser machen", sagt er. "Genauso wie METROSCHIFTER aus Spaß - und nicht mit dem Ziel, Erfolg im Musik-Business zu haben - nach Europa auf Tour kommen, interessiere ich mich für Politik, weil es mir ein gutes Gefühl gibt, etwas zur Verbesserung der Lebensqualität in meiner Nachbarschaft beizutragen."