P.O. BOX

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Resist To Exist

Es muss fünf Jahre her sein, als mich P.O. BOX auf einem Open-Air-Festival in Hannover begeisterten. Die französischen Skapunker rockten das Schwimmbad neben dem Club Chéz Heinz. Erst sieben Jahre nach der Bandgründung haben P.O. BOX Ende 2007 ihr erstes Full-Length veröffentlicht, dem eine längere Tournee folgte. Wie so oft wurde der Frankfurter Raum auf dem Tourplan nicht berücksichtigt, so dass ich die Fragen via E-Mail an Seb und Yul stellte, um mich mal über die Lage im Nachbarland Frankreich zu informieren.

Als ihr 2001 mit P.O. BOX begonnen habt, warum habt ihr euch ausgerechnet dem Skapunkcore-Genre verschrieben, wo doch dieses Skapunk-Ding damals längst nicht mehr aktuell war?

Yul:
Zum damaligen Zeitpunkt war es besser, mit Punkrock als mit Jazz zu beginnen. Einem Jahr, bevor wir P.O. BOX gründeten, habe ich angefangen Saxophon zu lernen, wobei ich eigentlich Trompete in der Band spielen wollte. Jay wollte berühmt werden, also nahm er Gitarrenunterricht. Dann mussten wir uns nach Leuten umsehen, die wirklich ihre Instrumente beherrschten: Seb war genau der richtige. Bei uns spielte er Schlagzeug, und ich sang. Aber ich sang total beschissen. So übernahm Seb das Singen, was für uns das Beste war. Skapunk ist positiv, melodiös, sozial engagiert und kraftvoll.

Seb: Ich spielte vorher Schlagzeug in einer Skatepunk-Band namens STALE FISH. Yul und Jay waren befreundet und fragten mich, ob ich bei einer Skapunk-Band mitmachen möchte. Natürlich wollte ich, denn die Ursprünge von Ska und die Punkrock-Wurzeln ergänzten sich hervorragend. THE CLASH fanden den passenden Weg, um Ska und Punk zu vereinen. Als wir mit der Band anfingen, war diese Musik alles andere als populär, aber wir hatten Spaß daran. Uns gefiel der Gedanke des Kombinierens und Zusammenbringens von unterschiedlichen Musikstilen, Menschen und Gedanken. Darüber hinaus glauben wir an das Positive im Skapunk und dass eine positive Aussage mehr Gehör erhält.

Nach welchen schlechten Erfahrungen habt ihr das szenekritische Stück "Music has taken a backseat to hair-cuts" geschrieben?

Seb: Ich bin so angepisst von diesen Vorbildern in der Szene. Leute, die dir erzählen wollen, wie du dich zu verhalten, was du zu tun, zu denken oder welche Kleidung du zu tragen hast. Sind dir schon einmal all die gleich aussehenden Jugendlichen aufgefallen? Gleiche Klamotten, gleicher Haarschnitt, alle hören dieselben Bands - so verstehen sie Punk, weil Punk nur so vermittelt und dargestellt wird. Seit einigen Jahren existiert eine Art Wettlauf: Wer hat zuerst diese Band entdeckt, wer hatte als erste/r dieses Shirt oder diese CD, wer war der/die erste, die sich tätowiert hat, sich verrückte Piercings hat stechen lassen ... Über all den Kram haben sie vergessen, um was es bei Punk eigentlich geht. Das kotzt mich total an

Wie habt ihr die Auseinandersetzungen in den Banlieues in Paris erlebt?

Seb: Es gab einige Auseinandersetzungen. Aber nichts davon hatte bürgerkriegsähnlichen Charakter, wie dies in vielen Medien vermittelt wurde. Gut, es brannten ein paar Autos aus und einige Jugendliche gingen gewaltsam gegen die Polizei vor, aber das hatte nicht wirklich etwas mit richtigen Auseinandersetzungen zu tun. Die Medien brauchen gefügige Menschen. Und was ist der beste Weg, um Leute fügsam zu machen? Angst! Angst ist, was die Medien und unsere Regierung verbreiten, um uns ruhig zu halten.

Yul:
Ich arbeite in einem Museum für zeitgenössische Kunst in einem Vorort von Paris, also in den so genannten Banlieues. Wir organisieren jede Menge Treffen an diesem etwas ungewöhnlichen Platz, in einem Museum. Die meisten Kids sind das erste Mal in einem Museum. Jugendliche und Aufrührer erklären dir, dass sie auch nur existieren, leben wollen. Sie müssen sich gegen ein System wehren, das sie ausradiert. Warum hat ein Farbiger weniger Chancen auf einen Job als ein Franzose - oder wie man in manchen großen Firmen wie Ikea oder Adecco zu sagen pflegt: "pure White" -, wenn er die gleiche Qualifikation mitbringt? In Frankreich gibt es Rassismus. Vier von fünf Firmen bieten lieber einem Weißen als einem Farbigen einen Job an. Die Franzosen sind so stolz auf ihre Fußballnationalmannschaft. Gewinnt Frankreich am Samstag, kümmert es niemanden, wer Farbiger, Araber oder Weißer ist, da sind alle Franzosen. Montags aber kehrt der Rassismus in den Alltag zurück. Unser neuer Präsident verfolgt das Ziel, "Ausländer" zu "kriminalisieren": Zum Beispiel wurden jetzt ein Gesetz zugunsten DNA-Tests zur "Familienzusammenführung" oder das Gesetz über die offizielle Zuwanderungsrate von jährlich 25.000 Menschen verabschiedet. Für unseren Präsidenten gibt es einen Ursprung aller Probleme in Frankreich: Ausländer, die nicht arbeiten gehen wollen und nichts Besseres zu tun haben, als die Franzosen zu bestehlen. Informiere dich mal im Internet über Brice Hortefeux und das Ministerium für Immigration und Nationale Identität, das erst kürzlich von unserem neu gewählten Präsidenten ins Leben gerufen wurde. Nicolas Sarkozys Rede im vergangenen Sommer in Dakar war unglaublich, wenngleich ihm wahrscheinlich erst beim Vortragen klar wurde, was er da las. Geschrieben wurde sie von Guaino, einem Rassisten und dem wichtigsten Berater des französischen Präsidenten. Unser Präsident benutzte folgende Worte: "Wenn Afrika sich nicht wie Europa entwickelt hat, dann deshalb, weil Afrika keine Aufgabe in der gegenwärtigen Weltgeschichte hat." Indem er dies sagte und dabei den Kolonialismus und dessen negative Auswirkungen zu erwähnen vergaß, hielt unser Präsident eine ausgesprochen rassistische, von seinem Berater geschriebene Rede. Betrachtet man darüber hinaus Sarkozys Beziehungen zu den Medien und zum Geld, wird es pervers! Wenn Sarkozy George Bush zum Freund macht, ist das beschissen. Wenn der ehemalige Präsident Jacques Chirac das "Große Kreuz der Ehrenlegion", Frankreichs höchsten Orden, an Wladimir Putin verleiht, während dieser keinen Finger rührt, um den Mord an der Journalistin Anna Politowskaja aufzuklären, wird es geisteskrank!

In euren Texten geht es ansonsten um eine ethisch korrekte Lebensführung. Wie setzt ihr das im Alltag um?

Yul:
Schwierig. Ich glaube, dass wir nicht von Dingen sprechen, die nicht schon bekannt sind, wie Respekt, Toleranz und eine positiven geistigen Einstellung. Im Klartext kritisieren wir unseren Präsidenten, was manchen intolerant erscheinen mag. Toleranz bedeutet aber nicht, die Intoleranz anderer zu tolerieren.

Seb: Niemand kann ein ethisch absolut korrektes Leben führen. Wir fahren einen Kleinbus, der Sprit verbraucht. Wir drucken Flyer, Papierverbrauch ist unökologisch. Wir sind gegen die Globalisierung, die dazu führt, dass Großkonzerne die Welt dominieren, die ihre Angestellten in manchen Ländern wie Sklaven halten. Trotzdem nutzen wir Computer, um mit Menschen zu korrespondieren, und benutzen genau diese Software von diversen Konzernen. Wir kaufen unsere Lebensmittel in großen Supermärkten ... Wir sind bemüht, unser Leben nach unseren Idealen auszurichten, indem wir unsere Flyer auf Umweltpapier drucken lassen, unnötige Kilometer mit dem Fahrzeug auf Tournee vermeiden, unseren Merchandise so günstig wie möglich anbieten, und unsere Fans als Menschen und nicht als Konsumenten sehen.

Gibt es so etwas wie einen ideologischen Hintergrund bei P.O. BOX?

Yul: Der Titel des Albums bezieht sich auf Greil Marcus' musikalische, philosophische und soziale Ausführungen "Lipstick Traces: A Secret History Of The 20th Century". Bei unserer Split-CD "We Are All In The Gutter But Some Of Us Are Looking At The Stars" haben wir mit einem Oscar Wilde-Zitat gearbeitet. Bei der "Rock My Reality"-EP arbeiteten wir in Anlehnung an "Rock My Religion", ein Werk des Ex-Rock-Kritikers - und heutigen Künstlers - Dan Graham, der Ende der 70er Jahre die Künstlichkeit und Widersprüchlichkeit der Ideologien in unserer Gesellschaft vorstellen wollte. "Lipstick Traces" ist ein sehr wichtiger Essay, der uns hilft, die heutige Popkultur und ihre gesellschaftlichen Zusammenhänge zu verstehen. Deshalb haben wir uns entschlossen, uns mit diesem Rock-Kritiker auseinanderzusetzen. Der Autor versucht, die Ablehnung sozialer und kultureller Werte zu erklären, welche das Fundament von Punkrock darstellt. Er legt die Verweigerung des Kapitalismus zu Grunde, der - so argumentiert er - Menschen, Kunst und Ideen auf ihren Marktwert reduziert. Die "Geheime Geschichte des 20. Jahrhunderts", die er in diesem Essay entwickelt, ist ein Widerstand gegen alles, was unser Dasein und unsere Kultur zu nichts weiter als bloßen Verbrauchsgütern macht. Er bringt Dada - Le Cabaret Voltaire-, die Situationisten - Debord und die "Gesellschaft des Spektakels" - und die Punk-Bewegung in Verbindung. Resist to exist.

Und wie kann man Greil Marcus' "Resistance as a basement for existence, the essence of the punk movement" im Jahr 2008 umsetzen?

Yul:
"Global denken, lokal handeln" in deinem alltäglichem Leben: Gebt Zeitungen heraus, schafft Web-Zines, gründet Bands, Labels oder Radiosender, lest alternative Medien, verkauft CDs zu günstigen Preisen, seid Teil der kulturellen Piraterie. Denkt an die anderen, bevor ihr an euch denkt. Hinterfragt, was etabliert ist, was man euch erzählt ... Leere Wände sind leere Gedanken.

Seb: Bleib dir selbst treu. Versuche nicht, das zu sein oder das zu denken, was andere von dir erwarten. Sei, wer du bist, und gib nicht vor, jemand anders zu sein. Resist to exist!