Paul Roessler

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Lots Of Impact From Very Spare Elements

Ein Zitat von Paul Roessler besagt, er würde sich wünschen, eine Art Theorie oder Ästhetik anbieten zu können. Er liebt Musik, die seine ganze Aufmerksamkeit erfordert. "Ich liebe glückliche Zufälle und oftmals mag ich Musik, weil ich nicht nachvollziehen kann, wie sie zustande kam." Als prominentes Mitglied der L.A.-Punk-Szene während der späten 70er und 80er Jahre hatte Roessler mit einigen der legendärsten Bands Kaliforniens zu tun. Er spielte bei den SCREAMERS, 45 GRAVE, NERVOUS GENDER, TWISTED ROOTS und THE DEADBEATS mit Nina Hagen, für die er ein oder zwei Songs schrieb. Man könnte auch anführen, dass er einer der Handvoll für "Synthiepunk" verantwortlichen Leute ist. Er hat so viel beigesteuert, dass es höchste Zeit ist, dass jemand ein bisschen mehr darüber erzählt. Roessler war in den letzten Jahren recht aktiv, arbeitete mit Geza X in den Satellite Park Studios in Malibu, nahm auch ein oder zwei Soloalben auf und schrieb Gedichte.

Ist deine Musik während des Auftritts an irgendjemand speziell adressiert?


Für gewöhnlich richtet sich all meine Konzentration darauf, so exakt wie möglich zu spielen und eine begeisternde Performance abzuliefern. Das bedeutet, ich denke an banale Dinge wie die Struktur des Songs, richtig zu singen, meine Stimme mit dem Rest der Band zu vermischen, mich selbst rhythmisch einzufügen und die Dynamik zu erhöhen. Ich "dirigiere" mit meinen Körper auf eher unbewusste Weise das Publikum und die anderen Bandmitglieder. Damit meine ich, dass ich meine Haltung und Bewegungen benutze, um die Schwingungen oder die Gefühle zu betonen, die ich zu vermitteln versuche. Gelegentlich gibt es jemanden in der Menge, der meine Aufmerksamkeit auf sich zieht, gewöhnlich ein Freund, aber ich versuche, diese Interaktion minimal zu halten, um Ablenkung zu vermeiden.

Wie willst du dich nach einem Auftritt fühlen?

Es gibt so viele Faktoren bei einem Live-Auftritt, so viele Möglichkeiten, die Dinge falsch laufen lassen, dass ich manchmal einfach nur froh bin, eine Show überstanden zu haben, ohne dass irgendwelche Katastrophen passiert sind. Ich liebe das Gefühl, wirklich gut gespielt zu haben, alle Einsätze erwischt zu haben, mich an alle Parts erinnert zu haben, mich nicht gefühlt zu haben, als wären meine Hände eingefrorene, arthritische Klumpen Fleisch. Über die Jahre stellte ich aber fest, dass meine Meinung, ob ich gut oder schlecht gespielt habe, nichts oder nur wenig mit den Eindrücken der Leute zu tun hat, also versuche ich, mich darüber zu freuen, dass die Leute die Show mochten, auch wenn ich mich fühlte, als hätte ich beschissen gespielt.

Hast du das Gefühl, dass Musik für dich der beste Weg ist, dich selbst auszudrücken?


Ich weiß nicht, Kommunikation ist sowieso immer Glückssache. Letztendlich ist in der Musik die Bedeutung immer auch genreabhängig. Ich habe vielleicht herausgefiltert, auf welche Weise ich in der Musik am besten bin, obwohl es recht selten passiert, dass ich das Gefühl hätte, dass irgendjemand eine Ahnung davon hat, worum es mir eigentlich geht. Vielleicht ist es manchmal das Beste, jemandem einfach zu sagen, was du denkst.

Was inspiriert dich außerhalb von Musik, um Dinge innerhalb von Musik zu erschaffen?


Schmerz, Verzweiflung, Selbsthass, Verlust.

Wie wichtig sind dir die Texte?

Für mich gehört zum Geheimnisvollsten und Schwierigsten in der Kunst das Verschmelzen von Text und Musik. Das ist fast, wie einen Film zu machen oder eine Theaterstück aufzuführen; all diese Elemente müssen zusammenspielen, und wenn irgendeines davon missglückt, bricht das Ganze zusammen. Wenn alles funktioniert, erscheint es fast mühelos. Natürlich gibt es bewundernswerte Musik ohne Worte, tonnenweise, aber normalerweise hat die Musik, die ich liebe und machen will, großartige Texte, auch wenn diese absurd oder kryptisch sind. Diese Ästhetik mag generationsabhängig sein. Gedichte hinterlassen bei mir das Gefühl, betrogen worden zu sein, als hätte der Dichter die Arbeit nicht zu Ende gebracht, da er die Musik vergessen hat.

Was gibt es in der Musik, das dir erlaubt, das zu schaffen, was du "brauchst" und was du in keinem anderen Medium findest?

Ich habe auch gemalt und Gedichte geschrieben, aber ich fühle mich dabei wie ein Schwindler, da ich dem nicht so viel Aufmerksamkeit gewidmet habe. Als ich 18 war, habe ich tausende von Stunden darauf verwendet, mich über Musik schlau zu machen oder sie zu machen. Wenn man solange wie ich mit Musik gearbeitet hat, fließt es spontan und in einer überraschenden Weise aus einem heraus. Ich bin in der Lage, mich auf Zufälle und das Unterbewusstsein zu stützen. Emotionale Regungen setzen sich unverzüglich in Musik um. Ich kann mit sehr vielen Elementen gleichzeitig umgehen. Ich kann Musik machen, die ich hören will und die kein anderer macht. Ich bin von dem Prozess des Musikmachens oftmals mehr angetan als vom Prozess des Hörens.

Wieso sollte denn deine Musik gehört werden?

Ich bin mir nicht genau im Klaren darüber, was du mit "meiner Musik" meinst. Aber es gibt keinen wirklichen Grund, warum man meine Musik hören sollte, denn jeder kann seine eigene Musik machen. Ich habe Musik immer gemacht, weil ich musste, und habe mich nicht wirklich darum bemüht, sie zu veröffentlichen. Ich fand immer, dass die frühen Punkbands aus L.A., woher ich komme und womit man mich verbindet, ziemlich überschaubar waren und nicht so große Mengen an Veröffentlichungen hinterlassen haben. Viele Bands haben praktisch nur ein Album gemacht und die SCREAMERS nicht mal eines. Daher fand ich, dass meine Musik ein kleiner Teil der Weiterführung dieser Szene war, dass ich an der Inspirationsquelle dieser Zeit weitergearbeitet und versucht habe, einige ihrer unerfüllten Versprechungen einzulösen. Ich denke, eine Menge Bands und Leute verschwinden und sterben früh wegen fehlender Aufmerksamkeit und des Leidens, das mit unerkannter Brillanz einhergeht. Es ist eine schreckliche künstlerische Tradition dieser Zeit, dass viele Künstler ihre beste Arbeit im Alter von 27 Jahren oder vorher machen, dann sterben, um den Weg für den nächsten Trupp Märtyrer frei zu machen. Vielleicht ist das auch nur in der Rockmusik so.

Bist du der Meinung, dass du ständig mit Musik experimentierst?

Einigermaßen. Experimentieren um des Experimentierens Willen ist nicht meine primäre Motivation; es geht mehr darum, eine Art Perfektion oder Magie zu erzeugen. Aber ich bin mehr Romantiker als Theoretiker.

Was soll jemand im Publikum während einer deiner Shows fühlen? Was, denkst du, stellt deine Musik mit anderen Menschen an?

Mein Schwerpunkt liegt mehr darauf, Aufnahmen zu machen, die sich Leute immer und immer wieder anhören und die eventuell so was wie der Soundtrack zu ihrem Leben werden, als auf Live-Auftritten. Ich versuche, eine Art Gefühl oder Erfahrung in der Musik zu komprimieren, und es mit jemand anderen zu teilen, aber ich versuche sehr, mich dabei herauszuhalten, wie sie es letztendlich aufnehmen. Es ist sinnlos und autoritär, die Reaktionen von jemandem auf ein Kunstwerk bestimmen zu wollen. Es gibt dazu unterschiedliche theorethische Ansätze.

Du erwähnst immer wieder die Rolle, die Darby Crash und Pat Smear von den GERMS in deinem früheren Leben spielten. Was waren deren größte Beiträge zu deiner Entwicklung?

Sie waren und sind zwei meiner besten Freunde. Sie befreiten mich von dieser beklemmenden Hippie-Kultur, der ich als Teenager Glauben geschenkt hatte und dachte, es wäre die Stimme der Veränderung und Rebellion. Sie führten mich in eine Richtung in der Kunst, die auf echten Inhalten basierte. Sie waren Freidenker innerhalb des Diktats der Highschool. Das war ihnen nicht notwendigerweise bewusst, sie waren einfach Ausdruck von Anarchie, Furchtlosigkeit und einer neuen Art von Schönheit.

Wie würdest du eine "Punkband" definieren?


Ich würde nicht wirklich versuchen, es zu definieren. Es ist ein Terminus mit mehreren, divergierenden Definitionen. Meiner Meinung nach bezieht es sich auf ein Post-Hippie-Bewusstsein und eine generelle Unzufriedenheit, zum Ausdruck gebracht durch musikalische Anarchie. Aber auch nicht notwendigerweise.

Wie haben sich die Ideen hinter der Musik, die du machst, über die Jahre verändert?

Ich habe mich unter dem Einfluss von Punk und den Ideen Brian Enos von einer bestimmten Art musikalischer Komplexität in den späten 70ern abgewandt. Ich bewege mich schrittweise auf eine Art von Romantik zu. Dieser Prozess führt hauptsächlich dazu, etwas zu definieren, was mehr oder weniger unbewusst aufgetreten war, vor allem darauf bezogen, Leidenschaft auf die eine oder andere Weise auszudrücken. Ich mag Musik, durch die sich eine Art Todes- oder Lebenskampf zu ziehen scheint ... Auch ist in letzter Zeit mein generelles Verständnis von Klang beim Produzieren von Bands gewachsen.

Du hast so viel gemacht, doch was war deiner Meinung nach dein interessantestes Projekt?

THE SCREAMERS waren vermutlich das beständigste, künstlerisch erfolgreichste Projekt, in das ich involviert war, aber da gibt es viele, die nah dran gewesen sind.

Was war die größte Veränderung in der Musik, die du seit den frühen Tagen deiner Beteiligung beobachtet hast?

Trends erscheinen weniger wichtig. Alle möglichen Sachen passieren auf einmal. Musik hat an Bedeutung für die Leute eingebüßt. Die Technologisierung der Musik durch Computer, Sampler, Sequenzer ... Gleichmacherische Foren wie MySpace. Eine Rückbesinnung auf eine Verehrung älterer Musikstile. Die schlechtere Soundqualität neuer Medien.

Jason Honea