SHAM 69

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Mehr divided als united

SHAM 69 gehören zusammen mit COCK SPARRER und den COCKNEY REJECTS zu den wichtigsten britischen Punkbands der ersten Stunde und zu den wichtigsten Oi!-Bands überhaupt. Während in England THE JAM und Pop/Wave-Acts wie ADAM & THE ANTS die kommerziellen Erfolge einfuhren, blieben SHAM 69 jahrelang ihrem rauhen Stil treu und waren stolz auf ihre bildungsferne Herkunft aus der Unterschicht, auch wenn sie auf diese Art nur eine Handvoll Chart-Positionierungen in England hatten. Herzstück der Band waren von Anfang an Sänger Jimmy Pursey und Gitarrist Dave Parsons, die zusammen die größten Hits der Band schrieben, wie zum Beispiel "If the kids are united", "Hurry up Harry" oder "Borstal breakout". Auch wenn die Band seit ihrer Gründung 1975 zwischendurch einige Zeit getrennt war, so waren sie doch seit Ende der Achtziger durchgängig aktiv - oder besser gesagt: existent. Warum nun aber Anfang 2007 der endgültige Bruch zwischen Pursey und Parsons kam und wie die Fans den neuen Sänger aufnehmen, erklärte mir Dave Parsons im folgenden Interview.

Dave, euer neues Album "Western Culture" ist gerade erschienen und ihr habt einen neuen Sänger an Bord. Kannst du mir erzählen, was Tim so getrieben hat, bevor er bei den neuen SHAM 69 eingestiegen ist?


Tim V. könnte man wohl am besten beschreiben als sechs russische Revolutionen mit einem Staatsstreich als Salatbeilage. Wenn es um Authentizität geht, kann ihm so schnell keiner das Wasser reichen, und er stammt natürlich aus dem East End von London. 1977 hat er in seiner ersten Punkband gesungen und war danach Frontmann von zwei weiteren Bands, mit denen er unter anderem zusammen mit Bands wie den SPECIMEN, ALIEN SEX FIEND und in so berühmt-berüchtigten Clubs wie dem Batcave und dem Kit Kat gespielt hat. Tim hat schon mit so ziemlich jeder Punkband gespielt, um danach Bücher zu schreiben, in denen sich der damalige Zerfall der Thatcher-Regierung widerspiegelte. Dies wiederum eröffnete ihm das neue Einsatzgebiet Fernsehen, wo er sich mit allen anlegte, von Lords und Ladys bis zu dem Fernsehmoderator Jonathan Ross. Dann widmete er sich unterschiedlichen Projekten mit Leuten wie Gerald Scarfe - ein Cartoonist, Satiriker und Künstler, der unter anderem PINK FLOYDs "The Wall" entworfen hat - und der hochangesehenen britischen Heldin Dame Vera Lynn, in den 30er/40er Jahre eine bekannte Sängerin.

Wie waren die Reaktionen auf den neuen Sänger bisher? Ihr habt ja schon ein paar Konzerte zusammen gespielt dieses Jahr, oder?

Ein paar Shows? Du machst wohl Witze! Wir haben so gut wie eine Welttour hinter uns. Tatsache ist, wir haben in diesem Jahr mehr Konzerte gespielt als in den letzten 15 Jahren zusammen. Die Reaktionen auf unseren Sänger Tim V. waren großartig. Einen besseren Ersatz hätte ich mir nicht wünschen können.

Was hat sich sonst noch am Line-up geändert?

Wir haben einen neuen Bassisten, Rob Jefferson. Aber Ian Whitewood, SHAM 69s dienstältester Schlagzeuger ist nach 20 Jahren immer noch dabei. Und ich muss sagen, er spielt besser als je zuvor.

Lass uns mal über das neue Album reden. Ich finde das Cover mit dem Fragezeichen sehr interessant. Wessen Idee war das und was steckt dahinter?

Es war meine Idee, und mein Sohn Sam, der gerade 18 geworden ist, hat das Artwork gemacht. Das Fragezeichen hat zwei Bedeutungen: Erstens ist dies das erste Album mit dem neuen Line-up, was somit automatisch jede Menge Fragen aufwerfen würde, und zweitens ist es im Zusammenhang mit dem Titel "Western Culture" eher so etwas wie eine Feststellung. Die Frage könnte nun sein: Haben wir es richtig verstanden? Sind wir zu weit gegangen? Warum ist es für Menschen so schwer, ein gesundes Mittelmaß zu finden? Warum schwanken wir immer hoffnungslos von einem Extrem zum anderen? Die Antwort ist vielleicht Gier. Aber wie gesagt, das Fragezeichen ist eher als Denkanstoß gedacht. Uns geht es nicht darum, einen Vortrag zu halten.

Wir haben gerade über das veränderte Line-up gesprochen. Wer ist denn jetzt am Songwriting beteiligt?

Ich schreibe immer noch selbst. Auf "Western Culture" stammt "I want glory" von mir und meinem langjährigen Kumpel Jimmy Edwards. Er ist schon seit den späten 60ern in der Musikszene unterwegs und zuletzt war er als Sänger in der Band TIME UK von ex-THE JAM-Schlagzeuger Rick Bucklers. Ich habe auch angefangen, mit Tim zusammen zu schreiben, was auch ziemlich gut klappt. Vor allem, da Tim einen stärkeren Bezug zum "einfachen Mann auf der Straße" hat, als JP ihn die letzten 15 Jahre hatte.

Wie wichtig, denkst du, ist es für eine Band, ihre politischen oder sozialkritischen Ansichten in ihrer Musik auszudrücken? Wenn man sich eure größten Hits ansieht, waren die natürlich auch immer auf soziale Ungleichheiten bezogen, aber nicht gerade politisch, so wie ich auf "Western Culture" teilweise Eindruck habe. Stimmst du mir da zu?


Ja, da stimme ich dir vollkommen zu. Sozialkritik war schon immer ein wichtiger Teil unserer Musik, aber lass mich eins klarstellen, SHAM 69 sind keine politische Band. Wir unterstützen keine bestimmte Partei. Im Leben gibt es viel zu viele komplexe Themen, als dass man sich einer einzigen Partei zugehörig fühlen könnte. Ich fand immer, dass das Schöne an SHAM 69 ist, dass die Band Fragen aufgeworfen hat oder Leute zum Nachdenken über bestimmte Themen gebracht hat. Den Leuten zu sagen, was sie machen sollen, wird nie funktionieren. Wir behaupten nicht, wir hätten alle Antworten, oder dass jeder alles so machen soll wie wir. Alles, was wir tun wollen, ist Themen anzusprechen und hoffentlich eine Art von Diskussion in Gang zu bringen.

Kommen wir zum unvermeidlichen Thema, der Trennung von Jimmy Pursey. Ich habe einige Sachen gelesen: Einige sagen, du/ihr hättet Jimmy gefeuert, andere sagen, er habe quasi gekündigt, und wieder andere sagen, die gesamte Band hätte Jimmy verlassen. Und dann gibt es noch die Theorie, dass es mit der Neuaufnahme von "Hurry up Harry" als "Hurry up England" für die WM 2006 zu tun hat. Wie war es denn nun wirklich?

Erstens hatte Jimmy schon lange Zeit darüber geredet, die Band in "Jimmy Pursey and Sham 69" umzubenennen. Sein Ego hatte sich endgültig in die äußere Stratosphäre verabschiedet. Wenn er eine Entscheidung nicht mochte, sagte er jedes Mal: "If you don't like it, you can fuck off." Es war, als würde man unter einem Diktator arbeiten. Und außerdem hatte Jimmy kein Interesse, live zu spielen. Ich habe 15 Jahre darauf gewartet, eine anständige Tour zu machen. Und was zustande kam, waren vielleicht mal fünf oder sechs Konzerte im Jahr. Er buchte Touren mit Promotern auf der ganzen Welt, für die er auch enorme Vorschüsse kassierte, die er dann behielt, wenn er schließlich im letzten Moment absagte. Damit hat er gleichzeitig die Promoter, die Fans und die Band beschissen. Ich konnte die Situation nicht so weiter laufen lassen. Ich musste SHAM 69 zurück zu den Leuten bringen, um erstens den Schaden zu reparieren, der schon entstanden war, und zweitens, weil SHAM 69 im Wesentlichen eine Live-Band ist. Wir haben dieses Jahr viele Gigs für sehr wenig Geld gespielt, um den Promotern einen Teil des Geldes zurückzuzahlen, das Jimmy ihnen gestohlen hat. Jedes Jahr hat er gesagt: "Nächstes Jahr spielen wir ein paar Gigs." Nach 15 Jahren habe ich einfach aufgehört, es zu glauben, und die Situation endlich selbst in die Hand genommen. Die Sache mit dem Fußballsong will ich jetzt hier nicht ausführen, aber ja, das war der Anfang vom Ende meiner Beziehung zu Jimmy. Wenn es irgendeinen Unterschied macht, würde ich sagen, es war eine Mischung aus der Tatsache, dass ich ihn gefeuert habe und dass die Band ihn verlassen hat. Auf dem neuen Album drückt der Song "I don't believe a word" viel von meiner Frustration aus und wie ich mich zu dem Zeitpunkt Jimmy gegenüber gefühlt habe. Ich würde mir wirklich wünschen, Jimmy und ich könnten irgendwie Freunde bleiben und es wäre an irgendeinem Punkt in der Zukunft möglich, dass wir zwei uns hinsetzen und ein oder zwei Bierchen zusammen trinken. Immerhin haben wir einige der besten Momente unseres Lebens zusammen verbracht. Jimmy ist sehr talentiert, was Ölmalerei betrifft, das liebt er. Ich würde mich freuen, wenn er auf dem Gebiet Erfolg hätte, denn das ist etwas, was er wirklich gerne macht. Aber ich hasse ihn nicht. Ich wünsche ihm alles Gute für die Zukunft und hoffe, dass er eines Tages all die E-Mails beantwortet, die ich ihm geschickt habe.

Hast du es in Erwägung gezogen, die Band umzubenennen? Immerhin habt ihr beiden, soweit ich weiß, die meisten Songs zusammen geschrieben, und nun ist es ja so, als wäre die Hälfte der Band nicht mehr da.

Meinst du, ich hätte das nicht in Erwägung gezogen? Am Ende habe ich mich aber der Meinung der Öffentlichkeit angeschlossen. SHAM 69 ist mein Leben, das ist das, was ich immer gemacht habe und was ich immer machen werde. Die Reaktionen der Fans überall auf der Welt waren überwältigend. Bei SHAM 69 gab es von Anfang an ständig Line-up-Wechsel. Wir hatten einen neuen Bassisten, nachdem wir unsere erste EP aufgenommen hatten, dann nach dem zweiten Album einen neuen Drummer. Als ich die Band 1986 reformierte, brachte ich Musiker mit an Bord, mit denen ich die Jahre davor zusammengearbeitet hatte. Dann hatten wir Anfang der 90er noch mal einen Wechsel am Bass. Die einzigen zwei Mitglieder, die immer dabei waren, waren ich und Jimmy. Mein ganzes Leben habe ich SHAM 69 gewidmet und der einzige Weg, SHAM 69 wieder zu den Leuten zu bringen, war eben ohne Jimmy.

Hast du die Rechte am Namen SHAM 69?

Ja, wir erfüllen alle Kriterien, um den Namen SHAM 69 offiziell zu tragen. Wenn Jimmy vor Gericht dagegenhalten wollte, müsste er gegen eine Menge Promoter aus der ganzen Welt aussagen, die alle tausende von Pfund an gestohlenem Geld zurückverlangen.

Momentan gibt es zwei SHAM 69-Homepages und zwei MySpace-Seiten. Ich nehme an, eine davon gehört jeweils Jimmy. Als ich das letzte Mal auf Jimmys SHAM 69-Homepage war, konnte man dort sein neues Album "We Interrupt This Programm ..." vorbestellen, das Veröffentlichungsdatum war jedoch noch unbekannt.

Jimmys Veröffentlichungsdatum wird jeden Monat wieder um einen Monat nach hinten verschoben. Ich zweifle daran, ob es überhaupt jemals rauskommen wird. In dem einen Jahr, in dem wir um die ganze Welt getourt sind und ein komplettes Album aufgenommen und veröffentlicht haben, hat er nichts gemacht. Das spricht eigentlich für sich selbst.