WHAT WE FEEL

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Antifaschistischer Hardcore aus Moskau

Vor zwei Jahren, am 13. November 2005, ermordeten Neonazis in St. Petersburg den bei "Food Not Bombs" und in der politischen Hardcore-Szene engagierten Timur Kasharava. Fünf Monate später, am 16. April 2006, wurde Sasha Rjuhin in Moskau auf dem Weg zu einem Hardcore-Konzert der Bands WHAT WE FEEL und TACKLEBERRY von Neonazis attackiert und erlag später seinen schweren Verletzungen. Die beiden Morde machten klar, dass die offene Ablehnung faschistischer Positionen die Hardcore-Szene nun in den Fokus der rechtsextremen Gewalttäter gerückt hatte. Bis dahin hatten Russlands Nazis Punks toleriert, waren aber seit Jahren, von den Behörden weitgehend ungestört, gegen Nicht-Russen, vor allem aus dem Kaukasus und aus afrikanischen Staaten, vorgegangen. Immer wieder forderten diese Angriffe Todesopfer.

Trotz der massiven Gewalt von Seiten der Nazis hat sich in mehreren russischen Städten inzwischen eine eng mit der Hardcore-Community verknüpfte antifaschistische Szene etablieren können, die zur Abwehr von Angriffen in der Lage ist. Die seit Ende 2005 bestehenden WHAT WE FEEL aus Moskau sind eine jener Bands, die heftigen Hardcore-Sound mit russischsprachigen Texten kombinieren, die wir uns in dieser Eindeutigkeit aus Russland lange gewünscht haben. Sie haben nichts mit der Toleranz gegenüber Nazis auf Punk-Konzerten im Sinn, sondern liefern den Soundtrack zum antifaschistischen Selbstschutz, der nach schweren Jahren in Moskau endlich auch positive Resultate liefert. WHAT WE FEEL haben ihr Debütalbum "Last War" beim Berliner Label ANR (in Kooperation mit Karma Mira Records Moskau) veröffentlicht. Ebenfalls auf ANR wird ihr Split-Album mit DEVIL SHOOTS DEVIL aus Minsk/Belarus erscheinen. Bassist Igor, ein lebenslustiger Moskauer Ende 20 und wichtiger Teil des "network of friends" der weltweiten D.I.Y.-Szene, gab uns in seiner Moskauer Wohnung ein Interview.

Antifaschistische Hardcore-Konzerte finden in Moskau unter speziellen, konspirativen Bedingungen statt - es wird keine Werbung gemacht, man mobilisiert per Telefon. Dessen ungeachtet habt ihr gerade eine Reihe von Konzerten mit LAST HOPE aus Bulgarien gespielt. Wie viele Leute haben diese Konzerte besucht und wie haben sie sie überhaupt finden können?


Inzwischen ist die Situation so, dass wir uns freier fühlen und Konzerte offener organisieren können, als das noch vor einem Jahr und den Jahren davor möglich war. Die Konzerte von LAST HOPE wurden sogar offen angekündigt. Unsere Beteiligung wurde allerdings nicht öffentlich gemacht und wir haben die Konzerte auch nicht als "antifaschistisch" deklariert. Doch es war in der Antifa-Community bekannt, dass LAST HOPE gemeinsam mit WHAT WE FEEL auf Tour sind. In jeder Stadt, in der wir gespielt haben, kamen viele Leute - bei jedem Konzert waren es mehr als 200 Besucher.

Könnt ihr denn Werbung für die Konzerte machen, die ihr normalerweise bestreitet? Oder geht das nur per Telefon und Mundpropaganda?

Das geht nur ohne irgendwelche Werbung. Die Gefährdung des Publikums ist sonst zu groß. Es gibt immer wieder Angriffe von Seiten der Nazis auf diese Konzerte. 2004 wurde der 19-jährige Sasha Rjuhin auf dem Weg zu einem unserer Konzerte von einer Gruppe Nazis ermordet. Wir standen damals unter Schock, ich wollte alles hinschmeißen. Die Jungs aus der Band haben damals gesagt: Wir stehen zueinander, wir akzeptieren die persönliche Entscheidung jedes Einzelnen. Das hat mir die Kraft gegeben, diese für mich schlimmste Zeit in meinem Leben zu überstehen und weiterzumachen.

Es gab lange Jahre keine politische, keine antifaschistiche Punk/Hardcore-Szene in Russland, wie wir das aus den Ländern West- und auch Osteuropas kennen. Wo liegen die Gründe dafür?

Es könnte daran liegen, dass die Wurzeln der heutigen Neonazi-Szene auch in der Punk-Szene liegen. Viele Leute, die heute in der Neonazi-Bewegung aktiv sind - als Musiker oder im Publikum -, waren früher mit der Punk-Szene verbunden. Wir hatten eine gemeinsame Szene mit den Nazis. Es gab keine Differenzierung der Szenen und daher auch keine antifaschistischen Bands. Es war völlig normal, dass zu Punk-, Hardcore- und Ska-Konzerten Nazis gingen. Das war einfach Teil der Realität. Es gab damals noch keine Angriffe, man tolerierte sich gegenseitig. Aber dann gab es Angriffe und sie hielten mehrere Jahre an und es begann der Krieg Punks gegen Naziskins. Und im Zuge dessen fanden sich Leute und entstanden Gruppen, die erkannten, dass man dem etwas entgegensetzen muss.

Wie begann dieser Krieg? Warum kam es zum Bruch, wenn sich doch alle vorher vertragen hatten?

Die Nazis wollten irgendwann ihre Ordnung auf den Konzerten durchsetzen. Sie wollten die ganzen Subkulturen unter ihren Einfluss bringen, die Punk-, die Ska- und die Skinhead-Subkultur. Es gab weder SHARP- noch RASH-Skins, es gab nur Nazi-Skinheads. Und viele Musiker sahen keine Notwendigkeit, dem etwas entgegenzusetzen. Es war ja völlig normal: zu den Konzerten kommen zwar Nazis, aber für die kann man ja auch spielen. Der Wendepunkt kam mit der immer stärker ansteigenden Gewalt: Irgendwann gab es soviel Gewalt bei den Konzerten, dass es eben nicht mehr normal war, angesichts dessen die Augen zu verschließen. Und die Leute, die das erkannten, bilden heute die politisierte Szene in Russland.

Ihr habt nicht nur antifaschistische Texte, sondern greift auch andere politische Themen auf. Sind die Mitglieder der Band noch anderweitig aktiv? Was bedeutet für euch der Slogan "Hardcore is more than music"?

Wir verstehen den Slogan so, dass die Musik, die wir spielen, ein Propagandainstrument ist. Sie wirkt ein auf jene, die die Musik um der Musik willen hören. Diesen Leute möchten wir Bewegungen und Initiativen bekannt machen, die wir für wichtig und richtig halten: Antifa, "Food Not Bombs" oder, "Animal Liberation". Natürlich ist Hardcore Musik. Aber die Dinge, mit denen wir uns außerdem beschäftigen - die wir unterstützen, mittels unserer Texte, mit Ansagen auf Konzerten -, die sind in der Tat mehr als Musik. Wir sind aktiv: Ich zum Beispiel in der "Food Not Bombs"-Bewegung. Unser Sänger ist Mitglied in einer Antifa-Gruppe. Und die anderen Jungs sind ebenfalls auf unterschiedlichen Gebieten involviert. Wir spielen Benefiz-Konzerte und versuchen so, die antifaschistischen Szenen in unterschiedlichen Städten zu unterstützen. Das ist für uns weit mehr als nur Musik: Das sind unsere Ansichten, ist unsere Bewegung.

Du bist außerdem sehr stark im Bereich D.I.Y. aktiv, zum Beispiel der Organisation von Konzerten ...

Ich übernehme oft die Organisation von Konzerten und die Veröffentlichung von Bands, die uns gefallen, auf unserem Label. Für Bands aus anderen Städten oder dem Ausland organisieren wir Konzerte oder ganze Tourneen in Russland. Ich glaube, es ist sehr wichtig für die Ausbreitung der Szene, gute Kontakte in andere Städte und Länder zu unterhalten.

Habt ihr denn die Möglichkeit, die Szene auszuweiten, angesichts der gefährlichen Bedingungen?

Die Situation ist heute einfacher als noch vor einem Jahr. Die Leute haben an unserem Beispiel und dem jener Leute, die vor uns damit angefangen haben, gesehen, dass man so agieren kann. Ja, es ist gefährlich. Aber es gibt nun eine Community, die sich selbst verteidigen kann. Es gibt Leute, die gemeinsam notwendige und wichtige Dinge tun.

Musikalisch spielt ihr einen sehr heftigen, zuweilen überraschend melodischen Hardcore alter Schule. Kannst du sagen, was für euch prägende Einflüsse gewesen sind?

Bei WHAT WE FEEL spielen Menschen, die ganz unterschiedlich musikalisch beeinflusst wurden und auch charakterlich verschieden sind. Manchmal grenzt es für mich fast schon an Zauberei, dass wir trotz dieser Unterschiede Freunde sind und zusammen Musik machen, ohne dass es da große Probleme gibt. Ich persönlich bin - gerade in Bezug auf antifaschistische Positionen - von der Deutschpunk-Szene beeinflusst worden. Ich stehe auf Bands wie SLIME oder TOXOPLASMA. Und von den einheimischen Gruppen gefallen mir SPITFIRE, DISTEMPER und - aus dem Hardcore-Bereich - PROVEROCHNAYA LINEJKA, die erste einigermaßen bekannte antifaschistische Band in Moskau. Und diese Bands, diese Menschen und ihre Musik haben einen großen Einfluss auf mich ausgeübt und auch auf die anderen Jungs in der Band. Oi!-Bands wie LOS FASTIDIOS oder STAGE BOTTLES sind auch noch wichtig, außerdem Hardcore von Oldschool über NYHC bis zu Melodic. Eigentlich ist unsere Musik eine sehr heterogene Mischung. Jeder für sich hört ganz unterschiedliche Musikrichtungen, und was dabei herauskommt, ist ein Mix all unser Vorlieben. Das lässt sich an einer Band allein nicht festmachen.

Eure Band ist eigentlich aus Moskau, eines der Mitglieder wohnt aber in St. Petersburg. Was für Beziehungen habt ihr zur Hardcore-Szene in Petersburg und wie sieht es mit Kontakten in andere Städte aus?


Lange Zeit war die Hardcore-Szene auf drei Städte beschränkt: Moskau, Petersburg und Kirov. Inzwischen gibt es Hardcore-Szenen in viel mehr Städten: in Petrosavodsk, Ufa, Kasan, Perm - dort gibt es lokale, antifaschistische Szenen, was sehr gut ist. Die engsten Beziehungen haben wir nach St. Petersburg. Wir lieben diese Stadt und wir mögen die Bands, die dort zur Hardcore/Punk-Szene zählen, und spielen selbst sehr gern dort. Konzerte in Petersburg sind für uns wie welche in Moskau: Wir fühlen uns dort wie zu Hause. Und so geht es uns auch mit Kirov. Das ist zwar weit weg, 1.000 Kilometer in Richtung Sibirien, aber wir fahren gern dorthin.

Im Februar fahrt ihr wieder nach Deutschland ...

Wir sind sehr froh darüber. Unsere erste Tournee hier, die vom Label ANR auf die Beine gestellt worden war, ist als gemeinsame Erfahrung für die Band und in Bezug auf die Kommunikation mit der deutschen antifaschistischen Bewegung sehr erfolgreich gewesen. Es war eine Benefiz-Tour und wir hatten sehr viel Infomaterial dabei. Wir zeigten einen Film und vor jedem Konzert gab es Informationsveranstaltungen, in deren Rahmen wir Fragen beantwortet haben. Das war eine gute Chance, den Leuten in Deutschland und Europa aus erster Hand zu vermitteln, was bei uns abgeht - ohne Umwege über Fernsehen oder andere Medien. Ich denke, die zweite Tournee wird ähnlich ablaufen. Wir werden nicht nur unsere Musik spielen, sondern auch den Leuten von der Situation in Russland und den Veränderungen berichten, die es gegeben hat.