LOVED ONES

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Alles nur Rock'n'Roll

Die LOVED ONES aus Philadelphia sind einen weiten Weg gegangen: Nach ihrer EP auf Jade Tree vor einer halben Ewigkeit, auf der sie noch KID DYNAMITE und PAINT IT BLACK nachfolgten, kam 2006 das erste Album auf Fat Wreck und man hatte sich zu HOT WATER MUSIC, AVAIL, LEATHERFACE und Co. vorgearbeitet. Mit dem neuen Album "Build & Burn" ist Anfang des Jahres das Meisterstück der runderneuerten Band erschienen, die sich vom aus Dave Hause (Gesang, Gitarre), Michael Sneeringer (Drums) und Michael Cotterman (Bass) bestehenden Trio zum Quartett entwickelt hat: exit Cotterman, enter Dave Walsh und Chris Gonzalez, die bis letztes Jahr und bis zu deren Auflösung noch bei THE EXPLOSION waren. Kein Wunder also, dass die LOVED ONES nun eine Spur anders klingen als bisher: geblieben sind Hauses heiserer Gesang und die hymnischen Melodien, hinzugekommen ist eine Öffnung gegenüber klassischem amerikanischen Rock, und dass an zwei Stellen die Freunde von THE HOLD STEADY aushelfen, ist ein deutlicher Wink mit dem Zaunpfahl. Dave Hause war für mich via Telefon zu sprechen.


Für eine Band ist die Phase zwischen Aufnahme eines Albums und seiner Veröffentlichung ja immer eine seltsame Zeit: Man selbst hat mit dem Album abgeschlossen, da draußen hat es aber noch kaum jemand gehört. Wie ist das bei dir?

Na ja, natürlich ist die Platte schon vor der Veröffentlichung im Internet aufgetaucht, und Leute, die sich sowas laden, haben sich bereits auf den Messageboards über die Platte geäußert. Ich denke, das Album wird die Leute polarisieren: Die einen werden sich positiv äußern, die anderen werden behaupten, wir hätten uns von unseren Punk-Wurzeln entfernt. Aber damit haben wir gerechnet, das passiert eben, wenn man als Band wächst und sich verändert. Ich brenne derzeit nur darauf, endlich wieder auf Tour gehen zu können und die neuen Songs live zu spielen. Wir haben die Platte gemacht, die wir machen wollten, sie kommt von Herzen, wir fühlen uns gut damit, und mehr als das kann man als Musiker nicht leisten.

In der Tat habt ihr euch als Band seit den frühen EPs sehr verändert, seid mit dem neuen Album schon sehr "erwachsen" geworden.

Danke, ich fasse das als Kompliment auf. Ich finde es wichtig, sich als Songwriter wie als Band weiterzuentwickeln. Ich denke, keiner, der sich als Fan unserer Band bezeichnet, will wirklich, dass wir immer so bleiben, immer die gleichen Songs schreiben. Spannender ist es, eine Band wachsen zu sehen, und letzten Endes erwartet dein Publikum, dass du in dem, was du tust, ehrlich bist, dass du Dinge tust, die für dich spannend sind. Denn das wiederum überträgt sich direkt in eine Energie, die auch das Publikum spürt. Blieben wir dagegen in einer Ecke, die man uns irgendwann mal zugewiesen hat, würde die Leute mit der Zeit unweigerlich das Interesse an der Band verlieren.

Zeitgleich mit eurem neuen Album ist auch das von PAINT IT BLACK erschienen: Zum einen könnten beide Platten unterschiedlicher nicht sein - PIB ganz im traditionellen Hardcore verwurzelt, eure sehr im Post-Punk -, zum anderen verbinden euch die Zeit in einer gemeinsamen Band, die Herkunft aus Philadelphia und eine alte Freundschaft.

Das neue PAINT IT BLACK-Album ist echt cool, Dan Yamins Texte sind klasse, aber ich denke, musikalisch verbindet heute beide Bands nichts mehr, und das fängt schon damit an, dass ich damals, als ich bei PIB spielte, dort keine Songs schrieb, sondern versuchte, den Liedern etwas Melodie zu verpassen. Okay, auf der ersten Platte habe ich auch gesungen, aber in einer ganz bestimmten Weise, um der Band so zu einem etwas "rockenderen" Hardcore-Sound zu verhelfen. Ich merkte dann aber, dass PIB nicht den Sound machten, der mich wirklich interessierte, und als es mit den LOVED ONES dann immer besser lief, wurde mir klar, dass das wirklich meine Band ist, dass ich mich da zu Hause fühlte, während ich bei PIB eher einem Freund aushalf.

Was für eine Vision hattest du denn im Hinterkopf, als ihr euer neues Album aufgenommen habt? Eine Vision, die ihr, die du mit Bands wie THE HOLD STEADY oder AGAINST ME! teilt und die man so vor zehn Jahren im Punkrock-Bereich nicht kannte?

Ich denke, die Musik existierte schon, man nannte sie nur anders. 1998, da spielten auch HOT WATER MUSIC schon, da war dieser "Fat Wreck-Sound" noch groß, aber die Musik, die wir heute spielen, ist viel näher dran an den Wurzeln des amerikanischen Rock'n'Roll. Ich bin 1978 geboren, wuchs in den Achtzigern auf, hörte Bruce Springsteen, Tom Petty, die REPLACEMENTS, und als ich dann Ende der Achtziger, Anfang der Neunziger zum Punk kam, nahm ich diese Einflüsse mit - und es sind ja immer diese frühen Einflüsse, die einen letztlich am stärksten prägen. Und da meine Eltern viel BEATLES und ROLLING STONES gehört haben, gehört das auch bei mir dazu, genau wie DIRE STRAITS, die ich als Kind gehört habe. Wenn man dann als Songwriter reift, kann man aus den verschiedensten Quellen schöpfen, und all die eben genannten Einflüsse können die Leute heute meiner Musik anhören - "von DIRE STRAITS bis MINOR THREAT", wie ich immer gerne sage, und hey, es ist doch alles nur Musik. All dieses Genre-Hopping-Diskussionen, all diese Gespräche über Einflüsse verstehe ich letztlich aber auch irgendwie gar nicht, denn ich selbst war nie ein Die-Hard-Punkrocker, kümmere mich um solche Diskussionen auch gar nicht. Ich denke, die Punk-Szene ist cool, aber Bands wie THE CLASH, ich meine, die haben Reggae gespielt und kamen damit durch - worüber soll ich denn dann bei uns diskutieren? Damals, zu Zeiten von THE CLASH und THE STRANGLERS kam es darauf an, sein eigenes Ding zu machen, anders zu sein. Dieses Gefühl, dieses Verständnis ist über die Jahre etwas verloren gegangen, viele Leute wollen Bands in eine Kiste packen, und da steht dann "Straight Edge", "Hardcore", "Streetpunk" oder sonstwas drauf. Und ganz ehrlich, dieser ganze Scheiß ist mir völlig egal. In dem Augenblick, da man eine Band so simpel einordnen kann, habe ich schon das Interesse verloren. Nimm einfach mal die REPLACEMENTS, was waren die denn? Einfach nur eine Rock'n'Roll-Band.

Ganz meine Meinung - und das macht die Songs der REPLACEMENTS so zeitlos, so zeitlos wie hoffentlich auch eure neuen Songs. Und die kann man sich dann auch in zehn Jahren noch anhören, im Gegensatz zu so mancher Metalcore- oder Emo-Band, die heute nur Klischees verbreitet.

Ja, und ich denke, dass auch nur ein paar wenige dieser Emo-Bands es schaffen, zeitlose Songs zu schreiben. MY CHEMICAL ROMANCE würde ich da übrigens als Ausnahme ansehen, denn die sind eine richtige Rock'n'Roll-Band geworden, im Gegensatz zu so vielen andere Bands, die ich habe groß werden sehen. Und bei denen hat man es dann eben nicht mit klassischen Rock'n'Roll-Nummern zu tun, sondern mit einer temporären Herangehensweise, die ich mit Achtziger-Bands wie GREAT WHITE oder RATT vergleichen würde. Das war alles nur aufgeblasen, da steckte nichts dahinter. Mir ist es wichtig, dass meine Songs auch dann gut klingen, wenn man sie nur mit akustischer Gitarre spielt, und dass ich hoffentlich auch in fünf Jahren noch Spaß daran habe, sie zu spielen. Auch halte ich es für gefährlich, zu sehr mit einem bestimmen Genre, einer bestimmten Szene in Verbindung gebracht zu werden, denn das kann dich daran hindern, einfach nur du selbst zu sein.

Andererseits hat man so aber auch die Unterstützung einer starken Community hinter sich.

Das stimmt schon, aber auch in dieser Community gibt es die unterschiedlichsten Menschen, und STRIKE ANYWHERE und THE LOVED ONES sind sehr verschiedene Bands, und auch die BOUNCING SOULS und PAINT IT BLACK. Doch das sind alles unsere Freunde, wir bestärken uns gegenseitig, unser eigenes Ding zu machen, und so sind das alles einzigartige Bands. Und hinter all diesen Bands steht eine "Familie" von Freunden, die sich unterstützen, und das ist extrem cool. Dieses Gemeinschaftsgefühl ist für mich das Beste an der Punk-Szene - jedoch immer im Wissen darum, dass auch die Gefahr besteht, dass diese Community versucht dir zu vorzuschreiben, dieses oder jenes sei nicht cool - dann bin ich raus.

Eben erwähntest du Bruce Springsteen als wichtigen frühen Einfluss. In letzter Zeit hört man recht oft, dass Leute sich zu ihrer Springsteen-Begeisterung bekennen - vor ein paar Jahren wäre das noch undenkbar gewesen. Hast du eine Erklärung, woher das kommt?

Ich komme von der Ostküste, aus einer Working-Class-Familie, und da war eine Springsteen-Platte wie "Born In The USA" aus den Achtzigern ständig auf dem Plattenspieler. Und wie Dylan, die BEATLES und ROLLING STONES hat sich auch Springsteen in mein kindliches Herz gespielt. Als Teenager ist das ja eine ganz andere Sache, da will man nicht das hören, was die Eltern hören, da sucht man sich irgendwas Gegenkulturelles. Und mit Hardcore hatte auch ich da meine Phase, habe aber auch bald bemerkt, dass mir Hardcore rein musikalisch nicht so viel gegeben hat, die Musik wurde bald wieder langweilig, es war eher die Szene an sich, die mich hielt. Und wenn man dann älter wird, sich mit sich selbst wieder wohler fühlt als zu Teenagerzeiten, steht man dazu, was man liebt. Mit Anfang zwanzig bekannte ich mich auch wieder zu Springsteen und seiner Musik. Übrigens ist Springsteen in politischer Hinsicht und was sein gesellschaftliches Engagement anbelangt aktiver als viele Leute aus der Punk-Szene.

Inwiefern hat das neue Line-up den Sound des neuen Albums beeinflusst?

Dave und Chris dabei zu haben, hat die Band definitiv gestärkt. Wir sind ja schon seit Jahren befreundet, THE LOVED ONES waren mit THE EXPLOSION auf Tour, und als die beiden dann zu THE LOVED ONES stießen, hat die Chemie zwischen uns von Anfang an gestimmt. Die beiden sind einfach ideal, sie wissen, wie man Songs schreibt, sie wissen, wie man gute Live-Konzerte spielt, sie kennen sich im Studio aus. Sie wissen einfach, worauf es ankommt, und wir sind jetzt eine richtige Gang, bei uns herrscht dieses "Highschool-Band-Feeling", das sind wir vier gegen die Welt, das ist großartig. Wir arbeiten als Team wunderbar zusammen, egal, was wir tun.

Dave und Chris haben mit THE EXPLOSION aber auch schon sämtliche Höhen und Tiefen einer Band miterlebt: der Aufstieg mit den Jade Tree-Releases, dann der verkorkste Deal mit Virgin und schließlich die Auflösung der Band. Hat auch das geholfen?

Sagen wir es so: Viele Entscheidungen, die wir als THE LOVED ONES getroffen haben, haben mit Entscheidungen zu tun, die THE EXPLOSION anders getroffen haben. Dave hat an solchen Punkten also ganz klar seine Meinung geäußert. Wir sind natürlich auch schon von diversen Managern und Majorlabels kontaktiert worden, haben uns aber entschieden, diesen Weg nicht zu gehen, was ich für eine kluge Entscheidung halte. Und ich denke, Dave und Chris fühlen sich wohl mit dieser Arbeitsweise. Außerdem haben sie aus der Zeit mit THE EXPLOSION einige gute Kontakte, und nachdem unser Vertrag mit Fat Wreck mit diesem Album erfüllt ist, müssen wir dann mal sehen, wie es weitergeht.

Der Albumtitel "Build And Burn" lädt zu Interpretationen ein, wofür steht er - Brücken, die man aufbaut beziehungsweise hinter sich abbrennt?

Letztlich geht es auf diesem Album um Entscheidungen und wie diese dein weiteres Leben beeinflussen. Es ist ein metaphorischer Titel, und wir wollten ein Album über die Möglichkeiten machen, die sich einem Menschen in seinem Leben stellen. Jeden Tag trifft man Entscheidungen, die Altes zerstören und Neues schaffen, und jeder hat beide dieser Welten in sich.

Euer Name ist ja nicht wirklich einzigartig, beispielsweise in den Sechzigern gab es in Australien schon mal eine Band gleichen Namens.

Ja, ich weiß. Aber als wir das dann herausfanden, hatten wir unseren Namen bereits beim zuständigen Copyright-Amt schützen lassen, und dachten uns, das sei dann auch egal. Außerdem war die Band längst aufgelöst. Ebenso wie die Band gleichen Namens, die ein paar Mitglieder der Popband CAKE irgendwann einmal hatten, von denen hatten wir allerdings grünes Licht bekommen.

Um nochmal auf Bruce Springsteen zurückzukommen: Ihr habt euer Album zum Teil in Asbury Park in New Jersey aufgenommen, also einer Kleinstadt, die eng mit Springsteen verbunden ist. Ein Zufall?

Ja. Die eine Hälfte haben wir dort aufgenommen, weil wir dort im Keller unserer Freundin Kate aufnehmen konnten - und sie wohnt eben dort. Es war also eher den günstigen Umständen geschuldet. Wir haben Drums, Bass und zum Teil Keyboards in New York City aufgenommen und die Gitarren dann in Asbury. Es hat großen Spaß gemacht, und witzigerweise war Springsteen zur gleichen Zeit in Asbury, hat dort mit seiner Band geprobt und auch ein paar kleine Testkonzerte gespielt. Bei einem waren wir, und ich habe ihn im Coffeeshop getroffen. Das war cool und hat dem Album sicherlich auch noch eine gewisse "Würze" gegeben ...