MILLENCOLIN

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Örebrö sucht den Superstar

Wäre man ein Elternteil von Mathias Färm oder Nikola Sarcevic, man wäre sicher stolz auf seinen Nachwuchs. Schließlich hatte der es mit seiner Anfang der 1990er gegründeten Band weit über die Grenzen des schwedischen Heimatnestes Örebrö hinaus geschafft und war mit MILLENCOLIN schon quer durch die Welt getourt. Nun, weder sind wir ein Elternteil der beiden noch kommen wir aus Örebrö, dennoch dürfen wir uns über den neuesten Output einer der dienstältesten europäischen Punkrock-Bands freuen. Wobei, Punkrock? Diesen Stempel wollten sich die Schweden ja schon mit dem 2002er "Home From Home" nicht mehr aufdrücken lassen. Und selbst der Nachfolger "Kingwood" (2006) trug noch genug Rockelemente in sich, um stilistisch gekonnt zwischen den Stühlen zu sitzen, und gerade nicht wie eine Neuauflage der Frühwerke der Band zu kwww.millencolin.comlingen. In der Gegenwart angekommen und anhand des neuesten Albums "Machine 15" zeigt sich auch heute: MILLENCOLIN gehen diesen Weg weiter, sie weichen einer Kategorisierung ihres Sounds aus und zementieren genau damit ihre Stärke. Denn "Machine 15" lebt von seiner Vielseitigkeit, von der Poppigkeit von "What's done is done", vom schmissigen Dreiminüter "Turnkey paradise" und schließlich den melancholischen Strecken in "Saved by hell". Man mag zwar auch auf "Machine 15" Punkrock-Momente hören, sie sind in 2008 aber nur ein Element bei MILLENCOLIN. Diese Band ist mittlerweile zu einem Verbund versierter Songwriter gewachsen, der gerade - und das darf man nach unzähligen Durchläufen von "Machine 15" sagen - eines seiner besten Alben gemacht hat. Darüber und über einiges mehr gaben Sänger Nikola Sarcevic und Gitarrist Mathias Färm bereitwillig Auskunft.


Was genau hat es mit dem "MILLENCOLIN Music Award" auf sich?

Färm: Das ist ein Musikpreis, mit dem Nachwuchsbands aus Örebrö, unserer Heimatstadt, ausgezeichnet werden. Die Idee, diesen Preis zu stiften, ging von der Stadt Örebrö aus, die einerseits den musikalischen Nachwuchs fördern wollte, andererseits aber nach einem geeigneten Schirmherren suchte, damit es nicht irgendein Preis wurde, sondern klar war, dass die Stadt es mit dieser Auszeichnung ernst meinte. Wir sind ja, ohne irgendeine Selbstbeweihräucherung betreiben zu wollen, mehr oder weniger die einzige Band, die es auf einem größeren Level aus Örebrö heraus geschafft hat und auf der ganzen Welt getourt ist. Daher kam die Stadt auf uns zu, und fragte uns, ob wir nicht die Schirmherren des Ganzen sein wollen. Wir fanden, es ist eine großartige Idee, Nachwuchsmusiker auf diese Weise zu fördern. Also machten wir sofort mit.

Und was ist eure Aufgabe bei dem Preis?

Färm: Es läuft so, dass sich Bands bewerben können, und dann aus allen Bands, die sich bewerben, fünf ausgewählt werden, die in der Endauswahl gegeneinander antreten. An der Stelle reden wir dann mit und haben ein Votum, ob eine Band in die Endauswahl kommt oder nicht. Sobald die Endauswahl aber beginnt, stimmt allein die Öffentlichkeit über die Gewinner ab. Wir übergeben dann nur noch die 2.500 Euro Preisgeld.

Anfang dieses Jahres habt ihr einen Manager angeheuert, nachdem ihr euch jahrelang selber gemanagt habt. Was bewog euch zu diesem Schritt, und was ist jetzt anders als früher?

Sarcevic: Im Grunde ist es eine große Erleichterung, dass wir jetzt einen Manager haben. Wobei ich betonen will, dass wir nicht irgendeinen Geschäftsmann angeheuert haben, sondern Kimmo, einen guten Freund von uns, den wir schon seit Jahren kennen. Er hat früher für "Songs and Stories", den Musikverlag von Burning Heart gearbeitet, und mich bereits als Manager bei meinen Solosachen betreut und ebenso auch FRANKY LEE, Mathias' zweite Band, gemanaget. Kimmo ist mit uns hundert Prozent auf einem Level, weiß, wie diese Band tickt, was sie will und wie man sie betreuen muss. Im Gegensatz zu früher ist es also eigentlich nur, als nähme ein sehr guter Freund dir einige Aufgaben ab und du kannst dich dabei auf das Wesentliche konzentrieren: die Musik. Kimmo ist, so gesehen, auch mehr ein fünftes Bandmitglied als ein Manager. Er kommt auch mit auf Tour, macht dort Tourmanagement und so weiter.

Ihr müsst doch in der Vergangenheit immer wieder von Managementagenturen angesprochen worden sein, ob sie euch nicht managen können, oder?

Färm: Man könnte das aufgrund des Status, den MILLENCOLIN erreicht haben, meinen, aber, nein, uns hat nie ein Management angesprochen, ob wir sie anheuern würden. Es wäre für unsere Band auch ziemlich dumm gewesen, wenn wir irgendeine Agentur hätten, die dann 15 Prozent von allen unseren Einnahmen bekommt. Nur als wir unseren aktuellen Plattenvertrag verhandelt haben, also vor "Kingwood", hatten wir eine Art Manager, der für uns den besten Vertrag rausholen sollte. Aber das war ein Fehler, weil es so eine 15-Prozent-Regelung war und ja im Endeffekt klar war, dass wir bei Burning Heart bleiben würden. Und den Vertrag mit dem Label hätten wir auch von vornherein selber machen können. Entsprechend haben wir den, nun ja, Manager damals auch wieder gefeuert.

Sarcevic: Man muss dazu sagen, dass wir in der Vergangenheit auch deswegen keinen Manager brauchten, weil Burning Heart Records sehr viele dieser typischen Management-Aufgaben für uns übernommen hat. Heute operiert das Label aber mit sehr viel weniger Personal und damit weniger Power als früher. Was bedeutet, dass sie uns bei weitem nicht mehr so viel abnehmen können wie früher. Auch daher war es wichtig, dass es nach wie vor jemanden gibt, der diese Arbeit für uns macht. Und das ist eben Kimmo.

Burning Heart, du hast es bereits angedeutet, ist von den Entwicklungen in der Musikindustrie in den vergangenen zwei Jahren mächtig mitgenommen worden. Das deutsche Büro des Labels wurde geschlossen und einige Mitarbeiter entlassen. Wie geht es euch als Burning Heart-Band der ersten Stunde mit diesen Entwicklungen?

Färm: Es war traurig, glaube mir, mir fiel es alles andere als leicht, das mitzuerleben. Es kam, glaube ich, einfach zuviel zusammen. Allgemein litt die ganze Branche unter in sich zusammenbrechenden Verkaufszahlen. Und bei Burning Heart lommt dazu, dass ein paar Alben sich wohl nicht so gut verkauft haben, wie man erwartet hatte. So spitzte sich die ganze Situation zu und es folgte eben die Entlassung mehrere Mitarbeiter und so weiter.

Sarcevic: Für mich ist das Schicksal des Labels so etwas wie ein Signal, wie schlecht es der ganzen Branche geht. Denn ganz ehrlich: Burning Heart war kein kleines Label, in Schweden war es sogar eines der bekanntesten Labels überhaupt, und in Europa zählte es zu den erfolgreichsten Indies. Selbst als andere schwedische Labels schon die Hälfte ihrer Mitarbeiter feuerten, lief Burning Heart noch gut. Dass sich eine ziemlich erfolgreiche Firma jetzt verkleinern musste, zeigt, dass die Lage doch weitaus komplizierter ist, als man manchmal glauben will.

Überrascht es euch, dass es am Ende doch auch die Indies so heftig erwischt hat? Eine Zeit lang dachte man ja, die Fanbasis und die Indie-Ethik könnten Independentlabels vor dem Einknicken bewahren.

Sarcevic: Ja, das dachte man damals wirklich. Aber aus heutiger Perspektive gesehen, frage ich mich, warum man das dachte. Denn es ist doch glasklar: die Indies und ihre Bands trifft es am allerhärtesten. Einer Künstlerin wie Madonna kann das alles herzlich egal sein. Aber Bands und ihre Labels auf unserem Level, oder meinetwegen genau unter unserem Level, denen bricht durch illegale Downloads alles weg. Nimm die meisten Burning Heart-Bands: Als es dem Label und der Branche insgesamt gut ging, konnten sie gerade von der Musik leben, wenn sie viel getourt sind. Jetzt verkaufen sie fast gar nichts mehr und müssen sich gezwungenermaßen auflösen oder den Bandbetrieb sehr stark reduzieren.

"Machine 15" ist ein Album geworden, mit dem ihr vor allem die Details eurer Songs weiter entwickelt habt. Man könnte meinen, ihr seid immer noch auf der Suche nach dem MILLENCOLIN-Sound.

Sarcevic: Genau, und dass wir ihn noch nicht gefunden haben, das macht für mich den Reiz des Albums und von ganz MILLENCOLIN aus. Ehrlich, wenn ich einen Song schreibe, und merke, dass er zu sehr nach der Neuauflage von "Mr. Clean" oder irgendeinem anderen Song klingt, dann verwerfe ich die Idee und versuche, ein komplett neues Stück zu schreiben. Sich zu wiederholen, darum ging es bei MILLENCOLIN nie, auch wenn sich unser Sound natürlich in gewissen Bahnen bewegt. Dennoch treibt uns bis heute beim Schreiben eines Albums das Gefühl an, dass wir musikalisch noch etwas anders machen können und wollen als zuvor.

Zum Beispiel durch den Einsatz der Streicher in "Saved by hell", "What's done is done" und "Ducks and drakes?

Färm: Definitiv! Die Streicher sollten eines dieser Details sein, das du auf "Machine 15" findest, das vorher aber nicht in den MILLENCOLIN-Sound eingeflossen war. Besonders mit klassischen Instrumenten ist das aber so eine Sache - es ist gar nicht leicht, sie so zu gestalten, dass sie dezent klingen. Wenn man sie einsetzt, übertönen sie schnell alles andere und in einem Song wie "Saved by hell", in dem Streicher vorkommen, läufst du Gefahr, dass sie den Rest des Stückes übertünchen. Genau das wollten wir aber verhindern, was eine der größten Herausforderungen beim Mixen war.

Sarcevic: Wobei wir den Effekt in "What's done is done" gerade umdrehen. In dem Song haben die Streicher ja einen ganz deutlich hörbaren eigenen Part. Es ging bei ihrem Einsatz auf dem Album also so gesehen nicht per se darum, sie dezent einzusetzen. Sondern vielmehr, sie passend zu dem jeweiligen Song in das Arrangement aus Bass, Drums, Gitarren und Gesang einzubetten. Manchmal ist dieses "passend" dann eben dezent, manchmal sehr deutlich.

Färm: Es wird sicher auch einige Leute geben, die wegen der drei Songs mit klassischen Elementen auf "Machine 15" irritiert sein werden, weil sie das nicht für Punkrock halten. Aber das ist okay, für mich das ist nicht so richtig relevant, ob sich da jetzt irgendwer dran stößt oder nicht. Uns ging es darum, ein gutes und interessantes Album zu schreiben. Und ich denke, dass wir das geschafft haben.

Sarcevic: Irgendwo ist es doch auch schon wieder Punkrock, Streicher einzusetzen. Einfach, weil es etwas ganz anderes ist als so ein konventionelles Rock-Arrangement.