TINY GHOSTS

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Winzige Geister ganz groß

Es geht oft ungerecht zu auf unserem blauen Planeten. Vor allem in der glamourösen Welt des Showbusiness. Da liegen Welten zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Da wird gepusht und gehypet, was irgendwie „marktfähig“ ist. Aber wem erzähle ich das? Kleine Wunder und nicht geahnte Perlen rechtfertigen letztendlich aber die längste Suche in muffigen Proberäumen, auf verrauchten Kneipenbühnen und in den Weiten des WWW nach echter Musik von echten Menschen. Man muss sie eben „nur“ finden. Denn Qualität und gute Arbeit zahlen sich doch irgendwann aus! Vorhang auf für die TINY GHOSTS aus dem sächsischen Freiberg. Eine Band, die euch hiermit wärmstens ans Herz gelegt sein soll und deren Universum bisher leider von den beengten Räumlichkeiten des Proberaumes und einer überschaubaren Anzahl von Auftritten im regionalem Umfeld geprägt wurde. Aber besser spät als nie. Die nachfolgenden Zeilen sollen also klären, warum die Musikwelt erst im ausklingenden Jahr 2007 von den mitreißenden Songs, irgendwo zwischen HÜSKER DÜ und GUIDED BY VOICES, Kenntnis bekommen sollte. Ich traf mich also mit den Herren Bibi (Gesang, Gitarre), Kleener (Drums), Jörg (Gitarre) und Münze (Bass), um das Geheimnis der „winzigen Geister“ zu lüften. Und wie von Geisterhand nahm inmitten der Plätzchen- und Stollenzeit ein höchst angenehmes Gespräch über Band, Musik im Allgemeinen und dem Miterleben stetiger Veränderungen der Szenelandschaft seinen wohlwollenden Lauf.

Wie kommt man denn im Erzgebirge mit der Punk- und Underground-Kultur in Kontakt, was gab den Ausschlag selber Musik zu machen?

Bibi: Also, wie wir hier so sitzen, machen wir schon seit einer halben Ewigkeit Musik. Der Kleene und ich, haben schon in den späten 80er Jahren angefangen mit der Band, zuerst natürlich versucht, übers Covern den eigenen Helden nachzueifern, sind dann mit den Jahren irgendwie dabeigeblieben. Und hier sind wir nun. Unzählige Besetzungswechsel, fehlende Proberäume, wechselnde Bandnamen und ein bisschen auch der Glaube an uns selbst haben uns jedenfalls bisher schon ganz schön ausgebremst. Mit Münze kam im August 2006 ein völlig neuer Wind in die Geschichte. So kam es auch, dass wir im Oktober 2007 für sechs Tage die Oldenburger Tonmeisterei aufgesucht haben, um „Everytime We Write A Love Song“ einzuspielen. Die Arbeit im professionellen Studio bedeutete für uns natürlich schon Neuland. Aber mit dem Ergebnis sind wir echt zufrieden. Würden wir so gerne noch mal machen. Vielleicht noch ein paar Tage länger, um wirklich alles aufnehmen zu können, was so durch den Proberaum geistert. Aber das liebe Geld ...

Kleener: Bereits zu DDR-Zeiten knüpften wir erste Kontakte zu „Westbands“, lasen Fanzines von der anderen Seite, ein reger Tonträgeraustausch entbrannte. Schon spannend. Seitdem begleiten mich Bands wie RUDOLFS RACHE, DIOXIN und WALTER ELF. In den 90er Jahren gab es hier in Freiberg eine richtige Institution in Sachen Underground-Kultur, das Schloss, und dem einen oder anderen sicher noch gut bekannt. Da kamen die Leute extra zu uns, um zu feiern. Mittlerweile ist das alles leider Geschichte, aber gerade das Schloss hat maßgeblich dazu beigetragen, die nötige musikalische „Bildung“ zu erfahren und sich auch mal so richtig im Dreck zu wälzen. Das prägt schon! Und da auch in unseren Familien Musik seit jeher wichtig ist, war es nur eine Frage der Zeit, selber Musik zu machen.

Bibi: Seit meinem 15. Lebensjahr verspürte ich ein verstärktes Interesse an der Punk- und Underground-Kultur. Die weitere Entwicklung wurde von Magie, Plattensucht, Euphorie, unendlich viel gefahrenen Kilometern, guten Freunden und persönlichen Erkenntnissen geprägt. Äh, der Bandname? Wir fühlen uns dem Unscheinbaren, Dezenten verbunden. Wie kleine Geister aus dem Nichts, die plötzlich da sind. Das liegt uns mehr, als mit der Tür ins Haus zu fallen. Vielleicht hat das auch was mit dem Alter zu tun?

Ohne gängige Schubladen zu bedienen, kann man euren Sound schon in die Richtung 80er Post-Punk schieben. Ein Sound, der sich bewusst aktuellen Trends entzieht und vom reduzierten Einsatz technischer Möglichkeiten lebt. Welchen Stellenwert messt ihr diesbezüglich eurem Equipment bei?

Jörg: Wir sind schon ein wenig equipmentverrückt, ganz ehrlich! Da fließt viel Erspartes rein. In erster Linie zählt für uns Authentizität, das „dirty feeling“ muss da sein. Wir hatten auch überlegt, unsere Platte live aufzunehmen. Haben wir dann aber so nicht gemacht, eher ein bisschen live hier und ausgewählte Gesangs- und Rhythmusspuren da. Größtenteils auch Verzicht auf Overdubs. Hat irgendwie Charme, auf altgedienten Equipment zu spielen, gerade bei unserem eher antiquierten Sound.

Gibt es über „Everytime We Write A Love Song“ hinaus noch weiteres Material, das auf seine Veröffentlichung wartet?

Bibi: Wie vorhin schon angesprochen, haben wir für unsere aktuelle CD, aufgrund knapp bemessenen Budgets, gar nicht alle Songs aufnehmen können. Vielleicht war das aber auch eine Art „natürliche Auslese“, wie ein Trichter, durch den in den sechs Tagen nur das passte, was schließlich auch auf der CD zu hören ist. Mittlerweile gibt es aber schon einiges an neuem Material. Die Aufnahmen aus Oldenburg bilden also eine Art Fundament. Dazu gibt es eben neue Songs wie auch alte Sachen, die wir immer mal wieder ausgraben.



Ihr habt euren aktuellen Tonträger in Eigenregie veröffentlicht - Prinzip oder Notlösung?

Bibi: Wir sind förmlich gezwungen worden, unseren Tonträger in Eigenregie zu veröffentlichen, da die Aufnahmen ansonsten sicher in der Versenkung verschwunden wären. Natürlich D.I.Y.! Wo es eben geht, oder halt muss. Im Moment ist es schon eine Art Zwangshaltung, um überhaupt wahrgenommen zu werden. Versucht haben wir es ja, aber bisher ist alles im Nichts verlaufen.

Münze: Da wir uns den alten Idealen verbunden fühlen, haben wir die CD in ein selbst gebasteltes Pappcover gepackt und alles bei kleinen privaten Firmen produzieren lassen. Das hatten wir so mal bei einem Bekannten gesehen und da war uns klar, wenn wir mal eine CD machen, dann so! Natürlich hätten wir am liebsten auch eine Vinylversion gemacht. Aber aus finanzieller Sicht ist das natürlich Unsinn. Das Ganze ist uns auch eine Art Anliegen, der Kern der Sache eben. Bei Layout und Gestaltung werden wir auch in Zukunft soviel wie möglich selber machen.

Sind eure Texte persönlicher oder fiktiver Natur? Wie und wo entstehen die Songs?

Bibi: Unsere Texte sind teils schräge, fiktive Liebesgeschichten, die einen gewissen Anteil von persönlich Erlebtem haben, aber auch fiktive Inhalte besitzen. Paradoxe Gedanken sprudeln ständig durch meinen Kopf, das schlägt sich natürlich auch textlich nieder. Ganz bewusst klammern wir politische Inhalte aus. Da fehlt uns doch meistens die Poesie dabei, haha. Zwischen den Zeilen können aber durchaus mal gesellschaftskritische Töne auftauchen. Bei der Musik ist es meistens so, dass ich mit einer Art Grundstruktur im Proberaum auftauche und wir gemeinsam so lange daran schrauben, bis irgendwann alle mit dem Song zufrieden sind.



Digitale Tonträger, Shop ’til You Drop und Rückzug vor den heimischen PC. Wie empfindet ihr derartige Entwicklungen?

Münze: Das wird einem förmlich aufgedrängt mit dem digitalen Zeug. Irgendwie nutzen wir diese Medien ja auch, sei es unsere Homepage oder eben dieses MySpace-Ding. Man kann sich dem heutzutage nicht entziehen, will man erreichbar sein. Wiederum kann es aber nicht sein, dass manche Menschen es nicht mal für nötig halten, E-Mails zu beantworten. Schon komisch, das Ganze.

Bibi: Mit der Szene ist das auch so eine Sache. Wir versuchen jedenfalls, so gut es geht Konzerte zu besuchen, die Plattenläden der Region zu beehren. Konzerte organisieren und ein eigener Plattenladen standen auch mal im Raum. Unterstützung durch die Stadt Freiberg? Fehlanzeige!

Kleener: Das mit den Kids heutzutage ist schon anders, ein Einstieg auf andere Art, sind ja andere Vorraussetzungen als bei uns damals. Aber jeder fängt irgendwie mal an, und wenn sie dabei bleiben, wird sich das schon entwickeln.



Musik ist das eine, das „normale Leben“ das andere. Seht ihr die Musik als eine Art Flucht vor den Wirrungen des Alltags, wie wichtig ist euch eure Band?

Jörg: Sehr wichtig! Es ist irgendwie „unsere Oase“. Am Wochenende geht es in den Proberaum, dann erstmal ein bissel schwätzen. Die ersten Minuten sind dem gegenseitigen Herzausschütten gewidmet, hihi. Dann wird recht konzentriert losgelegt. Früher haben wir oftmals, außer Quatschen, bisserl Rumschreddern und Bier vernichten nicht viel auf die Reihe gekriegt. Heute sind wir da disziplinierter. Es ist auch eine gewisse Verantwortung, den Bandkollegen gegenüber. Man versucht, sich die Zeit freizuschaufeln, also wollen wir die auch nutzen. Das erfordert schon ein straffes Zeitmanagement.

Wie wird eure Band im privaten Umfeld wahrgenommen?

Bibi: Durchaus positiv, denke ich. Dafür kann ich mit Sicherheit für uns alle sprechen. Musik begleitet uns schon so lange, unsere Familien wissen also, was es bedeutet, einen Großteil seiner Freizeit für die Band zu „opfern“. Sie kennen unsere eingeschworene Männerrunde schon ganz gut. Der eine schraubt an alten Autos herum, wir machen eben Musik. Natürlich kann ich heute noch nicht genau abschätzen, wie das zukünftig, unter veränderten Voraussetzungen, aussehen wird. Einfach mal abwarten. Generell sind uns Band und Musik überhaupt schon sehr wichtig. Wir hoffen da auf unsere Partner und Familien.