BARRA HEAD

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Lasst euch vermöbeln!

Immer wieder mache ich den Fehler, Dänemark zu unterschätzen. Ich hab das Land einfach nicht auf der Indie-Landkarte, und das, obwohl doch immer mal wieder ein paar Leckerbissen den Weg südwärts über die Grenze finden. Ein Beispiel dafür sind LACK, die in der letzten Ausgabe schon zeigen konnten, welch kreatives Potenzial und welch politisches Bewusstsein in diesem kleinen Königreich schlummert. BARRA HEAD kommen aus demselben Umfeld und sind so etwas wie der ältere, vernünftige Bruder: leiser, aber nicht weniger engagiert. Obwohl die Band schon seit 16 Jahren existiert, kam das erste ernstzunehmende zaghafte Lebenszeichen erst 2004 in Form des zweiten Albums "We Are Your Numbers". Heuer scheint es das Trio aber richtig wissen zu wollen, hat erlesene Helfer um sich geschart und mit "Go Get Beat Up" mal eben das wahrscheinlich lässigste Intellektuellenrock-Album des Jahres rausgehauen.


Punkrock in Kopenhagen - wie sieht das aus?

Jakob: Punkrock ist für mich mehr eine Denkweise als ein Musikgenre, quasi sich eine eigene Realität erschaffen, wenn einem die aktuelle nicht passt - und es gibt viele Wege, das umzusetzen. Momentan nehmen viele Leute hier Instrumente in die Hand und versuchen ihr Glück im Tourbus, und das ist großartig. Wir brauchen aber noch viel mehr Leute, die sich dieser Feuerprobe unterziehen. Gleichzeitig gibt es viele etablierte Bands, die ihre Sache toll machen, viele Leute, die ihre ganz eigenen Wege dahin gefunden haben, wo sie jetzt sind. Um den Punkrock in Kopenhagen ist es also sehr gut bestellt, finde ich.

In dem Song "Common ground" geht es um das Ungdomshuset, ein Kulturzentrum in Kopenhagen, das leider mittlerweile geschlossen wurde. Was verband euch damit?

Jakob: Es war für uns sehr wichtig - auf einem konkreten wie auf einem symbolischen Level. Seit wir sehr jung waren, hat sich unser kulturelles Leben dort abgespielt. Wir haben dort eine Menge großartiger Konzerte gesehen und auch selbst ein paar Mal da gespielt. Die bloße Existenz eines solchen Ortes hat gezeigt, dass freies Denken in unserer Stadt willkommen war.

Und warum sollten wir uns alle vermöbeln lassen?

Mikkel: Du hast ja keine andere Wahl! Die Welt ist ein komplizierter Ort, und sobald du versuchst, dich darin zurechtzufinden, gerätst du in Schwierigkeiten. Du wirst in Konflikte verwickelt, musst dich für eine Seite entscheiden, ob du es nun willst oder nicht. Manchmal erwächst aus den Konflikten Fortschritt, aber viel häufiger bringen sie Kriege, Armut und verfahrene Situationen. Also: Lass dich vermöbeln und hoffe auf Fortschritt.

Die Band gibt es schon seit 1992. Was haben BARRA HEAD von damals und die von heute noch miteinander gemein?

Arvid: Nun, die Musiker, haha. Von der Tatsache mal abgesehen, dass ich erst 1994 dazu gestoßen bin. Aber ernsthaft. Wir als Personen haben uns verändert, unsere Musik auch, nicht aber die Gründe dafür, weshalb wir Musik machen und was sie bewirken soll. Es geht uns noch immer um den Kontakt zu Menschen und darum, eine bestimmte Perspektive auf die Welt mit ihnen zu teilen, und das in einer Sprache, die wir drei alle lieben. Ich habe Musik immer dazu benutzt, wie mit einer Lupe auf das Leben zu schauen, und ich hoffe, unsere Musik kann dasselbe für andere Menschen tun.

Warum hat es denn bis zum ersten Album so lange gedauert? Man könnte ja sogar fast meinen, eure Karriere würde gerade erst starten.

Arvid: Es dauert eben so lange, wenn man darauf besteht, alles selber zu machen. Relativ kurz, nachdem wir die Band gegründet hatten, sind wir ausgewählt worden, ein Demo aufzunehmen, gesponsort vom dänischen Radio. Das war eine ziemlich große Sache, und alles hätte damals richtig gut losgehen können. Leider hatten die Leute, mit denen wir aufgenommen haben, andere Vorstellungen von Ästhetik als wir. Wir konnten uns nicht mit dem identifizieren, was sie mit unserer Musik angestellt haben. Das hat die Band buchstäblich für eine Weile in Winterschlaf versetzt. Wir wussten nicht, ob wir jemals Alben machen sollten, wenn da immer ein paar clevere Trendspotter ankämen, die unsere Musik in etwas verändern, das sich verkauft. Eine Zeit lang haben wir beinahe allergisch auf Leute reagiert, die mit uns zusammenarbeiten wollten, also haben wir es ruhig angehen lassen und überlegt, wie wir fortfahren wollten. Schließlich haben wir alles selbst gemacht, aber das braucht nun mal seine Zeit ...

Diesmal habt aber ihr den umgekehrten Weg gewählt und mit ein paar ausgewiesenen Experten zusammengearbeitet: Alan Douches, Tim O'Heir und J. Robbins.

Arvid: Nach "We Are Your Numbers" haben wir gemerkt, dass es eine Bürde sein kann, wenn die Band eine bestimmte Größe erreicht hat und man trotzdem noch alles selbst unter Kontrolle behalten möchte. Wir mussten viel zu viel Zeit investieren für Buchhaltung, Booking, Promotion, Presse und so weiter - bis es sich irgendwann negativ auf unsere Musik ausgewirkt hat. Bei diesem Album haben wir uns also dazu entschlossen, ein bisschen Kontrolle abzugeben und uns wieder mehr auf die Musik und Tourneen zu konzentrieren. Und da war es nur logisch, dass wir die besten Leute für den Job finden. Wir haben also nach Leuten gesucht, deren Arbeit wir schätzen, damit sie mit ihrem Sachverstand das Beste aus unserer Musik holen. Nebenbei haben wir bemerkt, dass Zusammenarbeit mit anderen keinen Integritätsverlust bedeutet. Im Gegenteil: Es kann ein Album noch weiter nach vorne bringen und ganz neue Perspektiven eröffnen.

Eure Tourneen haben euch in der Vergangenheit sogar in Krisenherde Europas geführt. Hat das eure Musik und euer Denken beeinflusst?

Jakob: Vor ein paar Jahren waren wir im ehemaligen Jugoslawien, und das hatte definitiv eine große Wirkung auf uns. Wir haben dort auf sehr praktische Weise erfahren, wie Grenzen und Aufteilung nach ethnischen und nationalen Gesichtspunkten funktioniert, und wie es ist, über Grenzen von Ländern zu reisen, die heiß darauf sind, ihre Macht über ihr Territorium zu demonstrieren. Wir halten uns für ziemlich informierte Leute und wir sind mit einer Menge Hintergrundwissen dorthin gefahren, dennoch wurde uns schnell klar, dass wir doch nur verdorbene weiße Mittelstandskids aus Dänemark sind und dass viele unserer Ansichten über das Leben dort einfach nicht funktionierten. Im Gegenteil, da unten war Scheiße einfach Normalität. An den Grenzen hatten wir einige Furcht einflößende Begegnungen mit den Autoritäten, und diese Erlebnisse haben auch ihren Weg auf das Album gefunden. Aber allein die Atmosphäre in diesem Nachkriegsgebiet hat unsere Wahrnehmung von uns und der Welt nachhaltig verändert.