CARDIACS

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Häuser, in denen es nur Küchen gibt

Die CARDIACS sind eine englische Band aus Kingston, Surrey und gründeten sich 1976, damals noch unter dem Namen THE FILTH beziehungsweise CARDIACS ARREST. 1980 nannte man sich in CARDIACS um. Neben einem Mix aus Punk, Ska, 70er-Jahre-Progressivrock, Fanfaren, Pop und einem wüsten Humor sind vor allem die vielen seltsamen Tempo-, Rhythmus- und Harmoniewechsel innerhalb der Musik besondere Kennzeichen der Band. Ob man dies nun als genial oder anstrengend empfindet, ist sicherlich Geschmackssache, aber wenn eine Band Kritiken erntet wie "One CARDICAS track can contain enough ideas for most other band's careers" und erst 1988, nach über zehn Jahren (bis dato gab es von den CARDIACS in Sammlerkreisen sehr begehrte Singles, EPs und Kassettenalben), ein offizielles Debütalbum "A Little Man And A House And The Whole World Window" veröffentlicht, dann ist das schon etwas Besonderes. Warum die CARDIACS einen Kultstatus haben - unter anderem beeinflussten sie Bands wie RADIOHEAD, BLUR oder FAITH NO MORE -, würde aber den Rahmen dieser Einleitung sprengen. Von der Urbesetzung sind auf der aktuellen MCD "Ditzy Scene" noch Tim Smith, Gitarre und Gesang, sowie sein Bruder Jim am Bass übrig geblieben. Der Schlagzeuger Bob Leith ist seit 1994 dabei und Kavus Torabi, Gitarre, stieß 2003 dazu.


Eure 2001 veröffentlichte "Best of"-Collection "Greatest Hits" enthält mit "Faster than snakes with a ball and a chain" einen Titel von "the forthcoming album with no title yet". Wann wird es denn nun endlich veröffentlicht?

Tim: Ich weiß es nicht. Jedes Mal, wenn wir versuchen, etwas aufzunehmen, geht etwas kaputt oder irgendeiner gerät in Schwierigkeiten.

Kavus: Wer weiß? Es gibt keine Eile, zumindest nicht für uns. Wie auch immer, es ist unwahrscheinlich, dass "Faster than snakes ..." auf dem in Kürze erscheinenden Album zu finden ist, obwohl ...

Warum gibt es von euch so wenige Live-Shows?

Kavus: Das passiert nicht absichtlich. Wir haben damit begonnen, unsere Live-Aktivitäten wieder hochzufahren. Ich denke, keiner von uns hatte erwartet, dass die letzte UK-Tour soviel Spaß macht ... Sie machen eigentlich immer Spaß, aber es war das erste Mal seit Jahren, dass wir so umfangreich tourten. All diese Konzerte waren fantastisch, man vergisst manchmal, wie sehr die Leute die Band lieben.

In Interviews tauchen regelmäßig Fragen nach euren musikalischen Einflüssen auf. Was erwarten sich die Leute davon?

Kavus: Ich vermute, die Frage wird deshalb oft gestellt, weil die Leute dies einfach als eine Möglichkeit ansehen, um den Bandsound zu enträtseln. Ich fühle mich befugt, dies zu sagen, denn bevor ich Bandmitglied wurde, war ich bereits ein großer Fan. Die Musik der CARDIACS ist etwas besonderes. Ich vermute, wenn du mit etwas sehr eng verbunden bist, wirst du immer versuchen herauszufinden, wie es wirklich funktioniert. Vielleicht ist dies die Art und Weise, mit der sich einige Leute der Musik nähern. Mich stört es nicht, wenn ich deren Quelle kenne, denn Tims Musik ist viel mehr als die Summe seiner Einflüsse. Diese Art der Herangehensweise, etwas ganz genau zu analysieren, bringt dich in diesem Fall nicht weiter. Die Menschen mögen die CARDIACS, weil die Songs so ein umfassendes Gefühlspektrum besitzen. So eine Stimmung hast du in keiner anderen Band.

Tim, in einem alten Interview hast du mal gesagt: "God forbid if anyone thought that we were a crazy ‚fusion‘ of punk and prog. If a word is needed then I would use ‚psychedelic‘ if anything."

Tim: Ehrlich gesagt weiß ich nicht, was ich dazu sagen soll. Wir spielen einfach Melodien, die wir mögen. Ich wünschte, ich könnte alles in einem passenden Ausdruck zusammenfassen, aber meine Gedanken springen hin und her und ich bin nicht sehr gut darin, überhaupt irgendetwas zu erklären. Ich denke auch nicht, dass Dinge immer erklärt werden müssen. Auf eine gewisse Weise stört es auch, wenn das immerzu versucht wird.

Kavus: Also mir gefällt der Begriff "Psychedelic" schon. Bedauerlicherweise verbinden viele Leute mit diesem Wort Perlenketten und Lavalampen. Ich habe vor kurzem herausgefunden, dass "Psychedelic" aus dem Griechischen kommt und einen Zustand bezeichnet, in dem die Seele offenbart wird. Das ist großartig. In der Musik geht es nicht darum, Erfahrungen zu beschreiben, sondern die Musik ist die Erfahrung. Somit passt es perfekt auf die CARDIACS.

In einem anderen Interview hast du erzählt, dass du als Inspiration für das Album "Heaven Born And Ever Bright" ältere CARDIACS-Stücke rückwärts gehört hast.

Tim: Ich glaube, das habe ich seit 25 Jahren nicht mehr gemacht. Wie auch immer, eine kurze Melodie auf "Heaven Born ..." stammt tatsächlich von einem alten Stück, nur eben rückwärts gespielt, aber ich verrate dir nicht, um welchen Teil es sich handelt. Ich habe eine Vorliebe für diese etwas bizarre Logik, dass sich Dinge zurückentwickeln.

Ist es eigentlich in Ordnung, wenn ich sage, ihr macht Popmusik?

Kavus: Popmusik ist ausgezeichnet. "Popmusic, die die Seele offenbart" wäre eine lustige Genre-Bezeichnung, es klingt so unbeholfen. Vielleicht könnten wir so etwas erfinden.

Und was bedeutet Popmusik für dich?

Kavus: Popmusik ist für mich alles, was Vers, Refrain, Schlagzeug und Gitarre besitzt und bei dem du mitsingen kannst. Schlagzeug und Gitarre sind natürlich nicht zwingend notwendig, aber für mich ist es mit dieser Konstellation Pop. Mitunter braucht es noch nicht einmal Gesang.

Tim: Wenn ich darüber nachdenke, was Popmusik ist und wo sie geblieben ist ... Popmusik hat so viele Veränderungen erfahren, und wenn du dir ihre Geschichte anschaust, wer sagt denn, dass du damit nicht das machen kannst, was du machen willst? Wir machen damit, was auch immer wir wollen!

Im Internet besitzt ihr eine treue Anhängerschaft, die anscheinend alle Aktivitäten rund um die CARDIACS registriert und in Foren austauscht. Ist es für euch nicht ein komisches Gefühl zu wissen, dass so viele Leute alles aufnehmen, was ihr macht und vielleicht auch sagt?

Kavus: Es ist sehr schmeichelhaft und auch irgendwie überwältigend. Allerdings kannst du das nicht allzu lange mitmachen, mit Musikmachen hat das nichts mehr zu tun. Die Leute lieben die Musik und vielleicht noch unsere Idee dahinter, aber wenn sie etwas Zeit in unserer Band verbringen müssten, dann würden wir ihnen wahrscheinlich schnell unglaublich auf die Nerven fallen. Ich finde, Interviews sind eine so unnatürliche Angelegenheit, gerade wenn darüber gesprochen wird, was wir machen oder was wir noch nicht gemacht haben und wie wir über bestimmte Dinge oder Musik denken. Der Teil in unserem Kopf, der Musik macht, unterschiedet sich komplett von dem Teil, der für den Alltag und das rationale Handeln zuständig ist. Und wenn du durch die Musik etwas erschaffst, erzeugt das eben ein besonderes Gefühl. Es ist aber nicht mit dem Bau eines Hauses vergleichbar, wo bestimmte Kriterien erfüllt werden müssen, etwa dass es eine Eingangstür oder ein funktionierendes Badezimmer gibt. In der Musik schaffst du Häuser, in denen es nur Küchen gibt, mit einer kleinen überflüssigen Tür zum Dach. Ich denke, wenn es möglich wäre, Gefühle, die einen zum Musikmachen inspirieren, wirklich in Worte zu fassen, dann würden viel mehr Leute das beschreiben können.

Kay Wedel