SAMIAM

Es ist immer wieder ein erfreuliches Ereignis, ein neues Lebenszeichen von SAMIAM zu hören. Mit "Astray", ihrem neuen Album, haben die Kalifornier mal wieder ein kleines Meisterwerk abgeliefert, das man sich in aller Ruhe vor der heimischen Stereoanlage reinziehen sollte.

Ja, ich gebe es ja zu, dass ich ein großer SAMIAM-Fan bin! Dementsprechend gespannt war ich natürlich auf die neue Scheibe, die mich dann auch in keinster Weise enttäuscht hat. Eine tolles Stück Musik, das auf ganzer Linie überzeugen kann. James Brogan hat es sich am anderen Ende der Leitung bequem gemacht, so dass wir direkt loslegen können.

Was hat sich musikalisch geändert, wenn er die neue Platte mit dem bereits drei Jahre alten Vorgänger "You Are Freaking Me Out" vergleicht? "Wir haben immer ganz bewusst versucht, uns weiterzuentwickeln, uns musikalisch zu verbessern. Wir arbeiten hart an uns, weil wir immer das Beste aus uns und unserer Musik rausholen wollen. Aber deswegen werden wir noch lange nicht damit anfangen, ein ganzes Orchester zu verpflichten - das wäre verrückt! Wir versuchen nur, das Songwriting kontinuierlich zu verfeinern, so dass jede neue Platte ein wenig besser als die letzte Platte klingt. Ich hoffe, dass man das auch dem neuen Album anhört!" So hundertprozentig hat er meine Frage damit zwar nicht beantwortet, aber vielleicht kommt das ja noch.

Fest steht, dass es zum ersten Mal eine richtige Ballade von SAMIAM zu hören gibt: "Curbside". Wie ist dieses Stück entstanden? "Wir haben einfach die verschiedensten Sachen ausprobiert, wobei sich "Curbside" von Anfang an sehr gut angehört hat. Deswegen ist es auch auf dem Album gelandet! Wir wollten nicht nur schnelle Songs aufnehmen, sondern verschiedene Geschwindigkeitsbereiche ausloten. Es gibt nicht nur schnelle Songs zu hören, sondern auch einige Midtempo-Tracks, die für mehr Abwechslung sorgen." Da kann ich nur zustimmen - "Astray" ist in der Tat der abwechslungsreichste Longplayer, den der Fünfer bis jetzt auf den Markt gebracht hat.

Hat der Titel "Astray" (die deutsche Übersetzung lautet "vom rechten Weg ab" oder "auf dem Irrweg") eigentlich eine tiefere Bedeutung? "Der Titel reflektiert den Zustand der Gesellschaft, in der wir momentan leben. Alles wird verrückter und verlogener, die Menschen gehen nur noch ihre eigenen, egoistischen Wege." Und welches der zwölf Stücke ist sein ganz persönlicher Favorit? "Oh, da gibt es einige Favoriten. Ich mag "Sunshine", "Super Brava" und "Mexico" sehr gerne. Und natürlich "Mud Hill", die erste Single." Wird es zu "Mud Hill" auch ein Video geben, harke ich nach: "Ja, wir haben den Clip bereits in Los Angeles abgedreht, wobei wir auch gleich noch ein Video zu "Sunshine" gemacht haben. Dabei war der selbe Regisseur am Werk, der damals auch schon das "She Found You"-Video gemacht hat - er hat nicht nur für uns hervorragende Arbeit geleistet, sondern auch schon für Bands wie BLINK 182 und PENNYWISE." Glaubt James, dass ein SAMIAM-Video eine Chance bei MTV hat? "Das weiß ich nicht", antwortet er, "MTV ist grundsätzlich sehr schwer zu durchschauen. In den Staaten zeigen die in letzter Zeit sowieso nur noch irgendwelche Gameshows wie zum Beispiel "Real World". Für eine kleine Band wie uns ist es extrem schwer, ein Video bei MTV unterzubringen. Aber wir schielen ohnehin viel mehr auf das Radio, weil wir dort wesentlich größere Chancen haben."

Kein Wunder, schließlich konnte ihr kleiner Underground-Hit "She Found You" alleine in den Staaten über 25.000 Einsätze verzeichnen, was nicht gerade wenig ist. Dabei stellt sich natürlich die Frage, was sich das Quintett aus der East Bay Area von "Astray" erwartet. Hohe Verkaufszahlen? Oder noch mehr Airplay-Einsätze? "Natürlich erwarten wir uns einiges von dem neuen Album", erklärt James ganz offen. "Wir möchten schon noch etwas bekannter werden und neue Hörerschichten ansprechen. Es wäre schön, wenn wir in größeren Hallen spielen könnten. Aber das hat meiner Meinung nach nichts mit Ausverkauf oder totalem Kommerz zu tun. Ich hoffe, dass wir auch endlich mal nach Südafrika und Australien kommen." SAMIAM waren noch nie in Australien? Das überrascht mich jetzt doch ein wenig. "Wir sollten mal mit GREEN DAY in Australien spielen, aber da ist damals leider etwas dazwischengekommen. Zu diesem Zeitpunkt war unsere Single gerade ins Radio gekommen, weshalb wir uns vorwiegend auf Auftritte in Amerika konzentrieren mussten." Apropos Amerika: Dort sind die Jungs mittlerweile bei Hopeless Records untergekommen, wo noch einige andere geniale Combos wie zum Beispiel MUSTARD PLUG, AGAINST ALL AUTHORITY oder DILLINGER FOUR beheimatet sind. Wie kam der Kontakt zu Hopeless Records zustande? "Hauptsächlich durch Mund-zu-Mund-Propaganda", berichtet James. "Weisst du, wir waren schon auf so vielen verschiedenen Labels wie zum Beispiel Ignition Records, wo wir nicht besonders gut unterstützt wurden. Aber bei Hopeless Records habe ich echt das Gefühl, dass wir mit offenen Armen aufgenommen wurden. Die Leute dort sind sehr nett und kompetent. Und sie stehen hinter uns, wodurch uns die Wahl nicht schwer fiel."

In Europa stehen SAMIAM hingegen nach wie vor - und wieder - bei Burning Heart Records unter Vertrag. Ist man mit der Arbeit von Burning Heart immer noch zufrieden? "Auf jeden Fall", lautet die schnelle Antwort. "Die haben verdammt viel für uns in der Vergangenheit getan, wofür wir auch sehr dankbar sind. Mittlerweile haben sie sich auch die Rechte am "Clumsy"-Album gesichert, indem sie die Rechte daran Atlantic Records abgekauft haben. Das hat für uns den Vorteil, dass man das Album auch problemlos in Europa kaufen kann, denn das war früher nicht unbedingt der Fall."

Gab es denn eigentlich auch Anfragen von Major-Labels? "Ja, die gab es tatsächlich. Aber die würden kaum richtig mit uns umgehen." SAMIAM sind gebrannte Kinder, man erinnere sich bloß an das Desaster mit Atlantic Records, wo die Band nach "Clumsy" eiskalt abserviert wurde, obwohl der nächste Longplayer ("You Are Freaking Me Out") bereits im Kasten war, aber nicht veröffentlicht wurde. Erst als Burning Heart ein hübsches Sümmchen zahlten, sahen SAMIAM wieder Land. Wie stehen sie heute ganz allgemein zu großen Plattenfirmen? "Eine schwierige Frage", holt James aus, "Man weiss nie, was passiert, wenn man bei einem Major-Label unter Vertrag steht. Wenn du nicht über 300.000 Platten verkaufst, dann klatschen sie dich unter Umständen an die Wand." Etwas verwundert hat mich allerdings die Tatsache, dass SAMIAM nicht bei Fat Wreck Chords unterschrieben haben, weil ich gelesen habe, dass Gitarrist Sergie für Fat Mikes Label arbeitet. Nicht als Musiker, sondern als Graphiker, der für die Gestaltung zahlreicher Booklets verantwortlich ist. "Ja , das ist schon richtig, aber Sergie arbeitet nicht nur für Fat Wreck, sondern auch für Burning Heart und Hopeless. Er ist ein freischaffender, unabhängiger Graphiker." Und ich dachte, dass er ausschließlich für Fat Wreck arbeiten würde, so dass ein Vertrag mit Fat Wreck aus meiner (unwissenden) Sicht auf der Hand lag. "Nein, nicht unbedingt. Fat Mike ist wohl nicht der größte SAMIAM-Fan, obwohl wir uns gut mit ihm verstehen. Bei Fat Wreck hätte vermutlich das letzte Fünkchen Begeisterung und Enthusiasmus seitens des Labels gefehlt, um uns wirklich nach vorne zu bringen."

Themawechsel: Welchen Stellenwert nehmen eigentlich die Texte bei SAMIAM ein? Und wer schreibt sie überhaupt? "Die meisten Texte stammen aus der Feder von Jason, unserem Sänger, aber auch Sergie, der andere Gitarrist, hat schon einige Sachen geschrieben. Ich selbst habe das früher auch versucht, aber Jason ist darin einfach viel besser. Deshalb lasse ich das mittlerweile auch lieber bleiben! Ich konzentriere mich mehr auf die Musik. Inhaltlich dreht es sich in den Lyrics hauptsächlich um tägliche Erfahrungen, die man in Beziehungen oder in der Arbeit macht. Bei uns findet man keine seltsamen Fantasy-Lyrics oder politische Aussagen - es geht nur um Alltagsprobleme." Probleme hatten SAMIAM auch immer mit ihren Schlagzeugern, von denen im Laufe der Jahre einige verschlissen wurden. Im Booklet von "Astray" findet man auch diesmal wieder einen neuen Namen: Johnny Cruz. Wer verbirgt sich hinter diesem Namen? "Johnny hat vorher bei LIMP gespielt, die aus unserer Gegend stammen. Wir sind echt glücklich, dass wir ihn gefunden haben, weil er bei uns in der Nähe wohnt, was bei unseren letzten vier Schlagzeugern nicht der Fall war. Da wurde das Proben zu einem echten Problem. Johnny ist ein sehr netter und lustiger Typ, der viel Humor hat. Und außerdem ist er auch noch sehr engagiert, wenn er sich beispielsweise beim Songwriting beteiligt." Soviel zum neuen Drummer.

Kommen wir auf James selbst zu sprechen: Stimmt es, dass er gerade ein Buch schreibt? "Ja, das stimmt! Ich schreibe ein Buch, das hauptsächlich witzige Tour-Geschichten beinhalten wird. Die Leute fragen mich immer wieder nach den besten Geschichten, die ich auf Achse erlebt habe. Ich spiele jetzt seit 18 Jahren in Bands, weshalb es doch eine ganze Menge zu erzählen gibt. Ich habe in dieser Zeit viele verrückte Leute getroffen und einige bizarre Sachen erlebt." Zum Beispiel? "Da gibt es zum Beispiel diese eine Geschichte, die in Chicago passiert ist, als wir mit den SUPERSUCKERS und BAD RELIGION spielten. Wir waren die erste Band des Abends. Plötzlich traf mich mitten in einem Song etwas am Bein, das ich im ersten Moment nicht richtig identifizieren konnte. Als ich das Teil dann näher betrachtete, stellte ich fest, dass mich der abgehackte Kopf eines Eichhörnchens getroffen hatte! Und es flogen noch weitere Eichhörnchenköpfe auf die Bühne! Ich war total platt - da stand ein Typ im Publikum, der uns mit Eichhörnchenköpfen bewarf! Das muss man sich mal vorstellen! Ich bin dann nach der Show zu dem Typen gegangen, um in zu fragen, was das soll. Der Kerl sah total verwirrt und gefährlich aus, fast wie Charles Manson! Und unter dem Arm hat er eine ganze Tüte voll mit Eichhörnchenköpfen! Er antwortete bloß, dass er LSD genommen hat. Und dass er die Dinger eigentlich auf die SUPERSUCKERS werfen wollte, weil denen das angeblich gefällt. Und weil ihm langweilig war, warf er halt auch ein paar davon auf uns. Der hat die armen Viecher in der Toilette auseinander genommen, wie ich später feststellen musste. Überall an den Wänden klebte Blut und irgendwelche Eichhörnteile." Und dann? "Dann habe ich dafür gesorgt, dass man den Spinner rausschmeißt."

In der Tat, das war eine wirklich bizarre Geschichte, die einen gespannt auf das ganze Buch macht. Wenn SAMIAM mal wieder in Deutschland spielen, dann tut ihnen bitte einen Gefallen: Bewerft sie nicht mit Leichenteilen! Der arme James, der nebenbei auch noch ein ausgesprochener Tierfreund und Vegetarier ist, kippt sonst ohnmächtig von der Bühne. SAMIAM sind KEINE Black Metal-Band, die auf Rituale dieser Art stehen könnte! Doch Spaß beiseite: Wann spielen die Jungs wieder in unseren Gefilden? "Voraussichtlich schon im September", gibt James bereitwillig Auskunft. Als Headliner? "Ja, als Headliner! Deutschland ist ein gutes Pflaster für uns." Mögen die Jungs das Touren? Oder ist es für sie eher ein Problem, wochenlang unterwegs zu sein? "Früher war es für mich persönlich schon ein kleines Problem, weil ich meine Freundin und meine Haustiere schnell vermisst habe. Auf der anderen Seite wissen wir natürlich, dass das Touren sehr wichtig ist, gerade, wenn man eine neue Platte aufgenommen hat. Wir lieben die Reiserei mittlerweile - wir wollen überall spielen und alles von der Welt sehen. Außerdem lernt man auch viele interessante Leute kennen, was für mich fast das Beste daran ist."

Besteht von seiner Seite aus auch Interesse an der europäischen Szene? "Ja, ich beobachte natürlich, wie sich die Szene an den verschiedenen Orten verändert und entwickelt. Es gibt so viele neue Bands zu entdecken, die man unterstützen sollte." Zumal die Welt durch das Internet immer kleiner wird. Wie stehen SAMIAM zum Internet? "Das Internet ist für uns eine tolle Sache, weil die Kommunikation mit den Fans sehr viel einfacher wird. Man schreibt einfach eine E-Mail und umgeht den normalen Postweg. Und außerdem kann man darin seine Musik sehr gut präsentieren, wobei das Internet allerdings auch einen fetten Nachteil hat - du hast sicherlich schon was von dem ganzen Wirbel um Napster gehört, oder?" Sicher, aber was stört ihn denn so sehr an Napster? "Die Tatsache, dass dort Copyrights verletzt werden, und zwar ohne die Erlaubnis der Künstler. Diese ganze Sache schadet nicht nur den großen Bands, sondern vor allem auch den kleinen Bands, zu denen ich uns auch zähle. Ich finde MP3-Tracks gut, wenn sie von Künstler abgesegnet wurden, aber nicht, wenn sie ohne das Wissen der Musiker im Netz landen. Auf unserer Website www.gosamgo.com gibt es auch MP3-Tracks. Wir geben diese Sachen gerne frei, aber nur, wenn wir auch darüber die Kontrolle behalten." Irgendwie verständlich, viele Musiker vertreten mittlerweile diese Meinung - von irgendwas müssen die Bands ja auch leben. Mal abwarten, wie die ganze Napster-Debatte vor Gericht ausgeht.

Eine Frage liegt mir noch auf der Zunge: Wie würde James den Sound von SAMIAM eigentlich beschreiben? Fühlt er sich (und seine Band) einer ganz bestimmten Szene oder Musikrichtung zugehörig? "Am Anfang wurden wir immer gerne als Post Punk-Band bezeichnet. Oder als eine der ersten Emo-Bands überhaupt. Ich kann dazu nur sagen, dass wir immer versucht haben, unseren ganz eigenen, individuellen Sound zu kreieren. Ich denke, dass man uns in verschiedene Schubladen wie Punk, Rock oder Emo stecken kann, wenn man unbedingt möchte. Aber letztendlich tun wir nur das, was wir tun: SAMIAM-Musik machen." Und welche Musik hört er in seinen eigenen vier Wänden? "Ich muss zugeben, dass ich durch das Musizieren mit SAMIAM nicht besonders viel Zeit habe, Musik zu hören. Aber grundsätzlich mag ich alten Punkrock wie zum Beispiel THE CLASH, THE JAM oder THE DAMNED sehr gerne. Für das ganze Zeug im Radio interessiere ich mich nicht." Ein weises Schlusswort.