SHINS

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Zucken in der Nacht

Die SHINS sind eines der seltsamen Phänomene der gegenwärtigen Popkultur: Mit "Chutes Too Narrow", ihrem vor drei Jahren erschienenen zweiten Album, wurden sie in den USA für Sub Pop zum neben POSTAL SERVICE bestverkaufenden "Act", und sind genau das nicht: Keine abgezockte Rockband, keine Pophuren, keine Festival-Dauergäste, sondern eine grundsympathische kleine Indieband, die allerdings schon Hunderttausende glücklich machen durfte. "Wincing The Night Away" ist nun der Nachfolger, ein schönes, aber nicht ganz dem Vorgänger folgendes Album, zu dessen Entstehung und Texten ich Sänger, Songwriter und Gitarrist James Mercer befragte - und der erstaunlich offen antwortete.

James, wie geht es dir nach acht Interviews? Hast du noch ein paar Worte für mich übrig?

Na klar doch. Ich glaube, ich werde allmählich zum Interviewprofi.

Na komm ... Die Band gibt es schon ein paar Jahre, das hast du doch schon lange drauf.
Okay, ich gebe zu, ich bin schon ein Veteran im Interviewgeschäft.

Dann beantworte mir doch mal die Frage, was es mit deinen Texten auf sich hat. Im Gegensatz zu vielen anderen Bands, deren Texte ziemlich klar verständlich sind, ergeben deine für mich keinen wirklichen Sinn.
Nun, ich schreibe sehr metaphorisch, und oft beziehen sich die Metaphern auf idiomatische Redewendungen, die ganz speziell dem amerikanischen Englisch entstammen. Und da kann es schon vorkommen, dass Außenstehende die nur schwer verstehen können, wobei ich glaube, dass manchmal auch Amerikaner Schwierigkeiten haben, meine Texte zu verstehen. Ich benutze gerne Metaphern, um ein bestimmtes Gefühl zu vermitteln und um nicht gleich alles preiszugeben, was ich ausdrücken möchte. So kann ich auch meine Privatsphäre wahren.

Wie gehen deine Bandkollegen damit um, fragen die dich auch, was die Texte bedeuten?
Nur ganz selten, das war bislang nur drei- oder viermal der Fall. Da kam dann eben die Frage, ob es da konkret um dies oder jenes geht, aber allgemein kümmern sie sich nicht um meine Texte.

Verletzt dich das?
Nein. Ich glaube, ich erwarte auch gar nicht, dass sie sich für meine Texte interessieren. Das hat was damit zu tun, dass ich weiß, dass ich einen anderen Ansatz habe als sie.

Wie meinst du das?
Ich denke, ich mag zu einem guten Teil andere Musik als sie, habe andere Interessen. Meine Texte sind stilistisch eher von Schriftstellern als von anderen Bands inspiriert. Und ich glaube einfach nicht, dass sich etwa Martin, unser Keyboarder, viele Gedanken über meine Texte und ihre Hintergründe macht.

Deine Texte sind also aus einer ganz anderen Welt als die simplen, schlagkräftigen Slogans typischer Punkbands - von denen die SHINS, zumindest von den Ursprüngen her, nicht so viel trennt.
Tja, warum ist das so? Ich denke, das hat was damit zu tun, dass ich viel lese und sehr inspiriert bin davon, wie stark Metaphern wirken können, wie effektiv sie sind. Wenn man Metaphern richtig verwendet, gibt dir das ganz andere Möglichkeiten eine Sache zu erklären, und manchmal lässt sich etwas erst durch die Verwendung einer guten Metapher verstehen. Und das fasziniert mich.

Hast du mal jemanden getroffen, der in der Lage war, deine Texte exakt so zu verstehen, wie du sie gemeint hast?
Ja, das passiert schon mal, und es ist jedes Mal schön und überraschend. Aber generell ist es einfach schwierig, solche Texte zu verstehen, und wenn sie jemand versteht, ist es purer Zufall. Und manche Texte sind auch straighter als andere.

Wie gehst du denn beim Songwriting vor? Ist erst der Text da oder erst die Musik?
Ich schreibe erst die Musik, auf der akustischen Gitarre, und dann fange ich an, die Musik zu interpretieren, überlege, warum ich das so oder so gemacht habe, warum das jetzt fröhlich oder traurig wirkt. Ich versuche herauszufinden, was in meinem Unterbewusstsein, in meinem Leben, das Lied inspiriert hat. Und dann versuche ich, mit Worten das zur Musik passende Bild zu malen.

Das klingt beinahe so analytisch, als habe das ein Musikjournalist gesagt.
Ja, das könnte man so sehen: Ich schreibe meine Texte so ähnlich wie andere ihre äußerst eloquenten Beschreibungen von Musik.

Wer sind denn deine Vorbilder in Sachen Songwriting?
Das ist schwierig ... Hm, lass mich überlegen ... Nein, da fällt mir jetzt spontan niemand ein. Ich denke, ich lasse mich da eher von Schriftstellern beeinflussen, und in letzter Zeit waren das Truman Capote und John Fowles. Die nenne ich deshalb, weil ich kürzlich Bücher von ihnen gelesen habe. Und es ist eben meist in Romanen, wo mich die Benutzung von Sprache am stärksten beeindruckt.

Was macht den Unterschied zwischen wirklichen guten Texten aus, die man nicht notwendigerweise verstehen muss, und solchen, die aufgeblasenes oder nichts sagendes Blabla sind?
Ein guter Text passt perfekt zum Gefühl, das die Musik vermittelt, und dafür sind die RAMONES ein gutes Beispiel: die hatten brillante Texte, die einfach funktionierten. Und wenn du mich nach guten Texten fragst, fallen mir auch NEUTRAL MILK HOTEL ein. Das ist eine Band, die ich textlich sehr schätze, nicht zu vergessen die SMITHS, die fand ich schon immer gut. Gefühl und Musik, die müssen perfekt zusammenpassen!

In Rezensionen der SHINS findet man immer wieder Verweise auf MY BLOODY VALENTINE. Kannst du die nachvollziehen?
Also ich schätze die schon sehr, und ganz besonders gefiel mir damals ihr Pop-Ansatz den SONIC YOUTH-Sound betreffend. Damals, zu Beginn der Neunziger, stand ich total auf so einen melancholischen Sound, irgendwie fand ich den total futuristisch. Es gibt in meinen Songs wohl auch immer wieder Momente, die von MY BLOODY VALENTINE beeinflusst sind, aber sicher viel mehr, hinter denen SONIC YOUTH stecken. Aber wie gesagt, das sind nur Momente, und eher Elemente in der Produktion, die diesen Vergleich auslösen. Auf jeden Fall haben mich MBV die ganzen Neunziger hindurch begleitet.

Ich habe gelesen, dass du auch mal eine Weile in Deutschland gelebt hast.
Ja, aber das ist lange her. Das war von der dritten bis zur fünften Klasse. Mein Vater war bei der Air Force, er war in Ramstein stationiert, und wir wohnten in Miesenbach, das ist in der Pfalz. Leider habe ich fast mein ganzes Deutsch wieder vergessen. Was blöd ist, da ich ja jetzt wieder öfter in Deutschland bin mit der Band. Immerhin lerne ich recht schnell wieder ein paar Brocken, irgendwas ist da also hängen geblieben.

"Wincing The Night Away" ist der Titel des neuen Albums - kann man den als Außenstehender verstehen?
Der Titel rührt daher, dass ich in letzter Zeit Schlafprobleme hatte, und ich habe festgestellt, dass die dann auftauchen, wenn ich mir zu viel Stress mache, nicht aufhören kann, über Dinge nachzudenken. Na ja, und so "zucke ich die Nacht hinweg", erschaudere ich immer wieder, wenn mein Gehirn mir Dinge in Erinnerung ruft, die ich hätte anders oder besser machen können.

Bist du so ein unglücklicher Mensch?
Haha, na ja, ich hatte echt unglückliche Phasen in den letzten drei Jahren, seit "Chutes Too Narrow" erschien.

Warum? Du hast eine exzellente Band, deren Platten sich phantastisch verkaufen?
Ich musste lernen, dass das rein äußerliche Erscheinungen sind. Meine Probleme hatten "innere" Ursachen, waren in bestimmten Beziehungen mit anderen Menschen begründet. Und dafür waren die äußeren Bedingungen, der Erfolg, weder hilfreich noch haben sie die Sache positiv beeinflusst. Manchmal fällt es schwer, seine Freundschaften unverändert beizubehalten in solch einer Situation: Dein ganzes Leben verändert sich, du versuchst aber, es unverändert zu erhalten, und das hat ein paar deutliche Veränderungen in meiner Beziehung zu anderen Menschen verursacht.

Was also einen Höhepunkt deines Musikerlebens darstellen kann, hat sich für dich privat als Tiefpunkt dargestellt.
Ja, aber andererseits wurden so auch Sachen geklärt, die wohl geklärt werden mussten. Und scheinbar hätte ich mich mit manchen Leuten wohl gar nicht erst anfreunden sollen, was mir aber erst klar wurde, als ich mit dem Erfolg der Band immer mehr Selbstbewusstsein erlangte und gleichzeitig ihr Frust wuchs.

Euer neues Album ist durchaus anders als "Chutes Too Narrow". Klar, man erkennt sofort die Handschrift der SHINS, aber der gesamte Sound ist ein anderer. Was ist geschehen?
Wir wollten, ich wollte, dass das Album eine neue Richtung einschlägt, dass wir neue Sounds ausprobieren. Von daher: Ja, es klingt anders. Was denkst du darüber?

Beim ersten Mal war ich etwas enttäuscht, doch mit jedem weiteren Hören gefällt es mir jetzt besser. Dein Gesang, die Gitarre, irgendwas an den Melodien ist dann doch immer wieder typisch SHINS und begeistert.
Gut, gut. Es hat dir also mit jedem Hören besser gefallen? Das freut mich, denn so ging es mir auch. Ich wollte mit dem Album die Melodien betreffend etwas Neues ausprobieren, etwa bei "Sleeping lessons" und "Black wave". Aber was das Songwriting anbelangt, so habe ich diesmal nichts anders gemacht als bei den beiden Platten davor. Ich setzte mich mit der Gitarre hin oder ans Klavier und legte los, wie immer. Der Unterschied zu früher liegt in der Produktion von manchen Songs.

War das Absicht oder Zufall?
Nein, das war schon Absicht, und ich habe die Platte ja weitgehend alleine produziert. Joe Chiccarelli hatte eher Verantwortung für den Sound an sich. Es ist also alles Absicht, es gab keinen Einfluss von außen, der die Platte "anders" gemacht hat.

Erstaunt bin ich bei deiner Band immer wieder, wie viele Songs in irgendwelchen Filmen und TV-Produktionen auftauchen - die Liste bei eurem Wikipedia-Eintrag ist erstaunlich lang. Wie kommt es dazu?
Das ist eigentlich ganz einfach: Die "Music Supervisors" der entsprechenden Produktionsfirmen sind auf uns zugekommen, die wollten SHINS-Songs, und wir haben dann eben okay gesagt. Aber eigentlich habe ich auch keine Ahnung, warum diese Leute so auf uns stehen, das ist einfach passiert. Der Höhepunkt war sicher "Garden State", aber das ging auch davor schon los. Und irgendwie hat sich unsere Musik dann in der Entertainment-Branche von Celebrity zu Celebrity verbreitet, warum auch immer.

Und, bringt euch das was?
Oh ja! Wenn Jack Black in einer Talkshow erwähnt, dass er uns mag, dann hat das schon eine gewisse Wirkung. Und wenn Leute im Fernsehen eines unserer T-Shirts tragen sicher auch.

Hat euch das denn wenigstens Einladungen zu coolen, exklusiven Partys beschert?
Haha, bislang leider nicht. Das wäre cool, dann hätten wir mal ganz direkt was davon. Vielleicht haben die ja Angst, dass wir uns besaufen und dann total daneben benehmen.

Wann wird man euch wieder in Europa erleben können?
Nach dem Albumrelease stehen erst mal die USA auf dem Programm, aber später im Frühjahr oder spätestens im Sommer sollte dann auch Europa klappen.

James, danke für das Interview.