LESS THAN JAKE

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Zur Ökonomie des DIY

Als ehemaliger Labellenker von Fueled By Ramen Records brachte Pokerface Vinnie Fiorello PANIC! AT THE DISCO und weitere Jungspunde in die Top-Positionen der weltweiten Verkaufslisten. Als Drummer und wesentlich auch Vordenker von LESS THAN JAKE hat er aber auch die andere Seite des Geschäfts kennen gelernt. Von Kleinstlabels ging es Mitte der Neunziger für LESS THAN JAKE gleich mit dem zweiten Album "Pezcore" zu EMI/Capitol, von dort aus zwei Alben später zu Fatwreck, ein Album später zu Sire Records/Warner und von dort aus in die Eigenständigkeit. Sleep It Off Records heißt das noch junge Label, das Fiorello - genährt mit seinen Erfahrungen als Labelmacher und als in die Geschäftslogik vieler Labels eingebundener Musiker - gemeinsam mit den anderen LESS THAN JAKEs gegründet hat, um dort deren neues Album "GNV FLA" zu veröffentlichen, nachdem er Anfang dieses Jahres bei Fueled By Ramen ausgestiegen war. Und spricht man mit ihm, dann merkt man es deutlich, dass dieser Mann einerseits weiß, was er will, er andererseits aber auch verstanden hat, nach welcher Logik weite Teile der Musikwelt ticken. Sympathisch dabei: Fiorello ist alles andere als ein Pseudo-Consultant mit grundrechnerisch fundierter Pseudo-Wirtschaftskenntnis, sondern er wendet das, was er weiß, aus Sicht einer etablierten Band, LESS THAN JAKE, und aus Sicht eines Musikfans an. Scheint plausibel und nötig bei jemandem, der in Eigenregie noch ein weiteres Label - Paper + Plastick -, eine schrullig-nerdige Spielzeugfirma - Wünderland War - und eine Managementagentur betreibt.


Vinnie, "GNV FLA" erscheint auf eurem eigenen Label Sleep It Off Records, das erst vor kurzem gegründet wurde. Warum geht ihr in diesen Zeiten einer derart schweren Weg und gründet ein eigenes Label? Euch standen doch alle Türen offen, zu einem für LESS THAN JAKE passenden, etablierten Indie zu wechseln.

Dass wir Sleep It Off Records gegründet haben, liegt daran, dass die Musikindustrie sich erheblich verändert hat. Alles in allem hat die Digitalisierung alles auf den Kopf gestellt und vor allem die Rolle aller Plattenfirmen entwertet. Und das ist noch lange nicht vorbei, die technologischen Entwicklungen gehen ja weiter, was sicher noch die eine oder andere Überraschung bereit halten wird. Jedenfalls denken wir als Band, dass heute nicht mehr die Labels die wesentlichen Kräfte der Musikbranche sind, sondern, dass es in dieser Industrie immer wichtiger wird, dass du dich als Band selber vermarktest, weil dir die Digitalisierung alle Wege dazu öffnet. Warum solltest du also angesichts der Möglichkeit, deine Songs selber und problemlos vertreiben zu können, noch ein Label einbinden? Labels sind in der heutigen Situation nur noch Banken mit gewissen Vertriebsmöglichkeiten. Entsprechend finanzieren sie die Distribution deiner Musik. Wenn du die aber selber machen kannst, warum zu einer Bank gehen? Und da ist es ganz egal, ob du zu einem Indie oder zu einem Major gehst - beides sind gewissermaßen Geldhäuser, die in dieser Situation keine wirklich Aufgabe mehr erfüllen, sondern lediglich zwischen dich und die Vermarktung deiner Musik geschaltet sind. Deswegen schien es uns nicht sinnvoll, zu einem Indie oder zu einem Major zu gehen.

Aber wenn die Rolle von Plattenfirmen derart irrelevant ist, warum hast du dann mit Paper + Plastick obendrein noch ein eigenes Label gegründet?

Weil ich Paper + Plastick nicht unbedingt in dem Kontext sehe, den ich gerade zu beschreiben versucht habe. Bei klassischen Labels ist es ja so, dass die Digitalisierung, die sie notwendigerweise als Vertriebsweg nutzen müssen, um zu überleben, ihre Existenz immer weniger legitimiert. Die Bands können ja eben alles selber machen. Paper + Plastick ist aber ein Liebhaberlabel. Es kommt hier nicht auf groß angelegten Vertrieb in digitaler Form an, sondern die Alben werden physisch erscheinen und ich lege großen Wert auf schön gestaltetes Artwork - wir bringen sozusagen das klassische Ritual des Musikgenusses zurück. Mit tollem Packaging, Alben zum Anfassen und so weiter.

Und warum machst du das nicht einfach via Sleep It Off?

Weil wir bei Sleep It Off fünf Leute mit unterschiedlichen Meinungen und Vorstellungen sind. Bei Paper + Plastick kann ich hingegen alles selber bestimmen, und muss niemandem erklären, wann ich die SHOOK ONES oder nun endlich das schon verschollen geglaubte letzte THE EXPLOSION-Album veröffentlichen werde.

THE EXPLOSION haben der Welt ja eindrücklich vorgeführt, wie man in den Konzernstrukturen von EMI zermahlen werden kann. Siehst du vor dem Hintergrund eurer Majorlabel-Vergangenheit Parallelen zwischen THE EXPLOSION und LESS THAN JAKE?

Nicht unbedingt. Du hast ja schon gesagt, und ich denke das passt im Fall THE EXPLOSION gut, dass die Band in den Mühlen einer großen Firma zermahlen wurde. So etwas ist bei LESS THAN JAKE ja nicht annähernd passiert. Bei uns war es eher so, dass wir immer weniger zu Sire Records passten. Wenn du bei einem Major bist, musst du dir ganz klar darüber sein, was du willst: Willst du auf MTV, willst du Radio-Airplay, oder ist dir das alles egal? Einige von uns wollten diese Dinge, andere nicht. Es brauchte da unser letztes Sire-Album "In With The Out Crowd", um diese bandinternen Differenzen aufzudecken und einmal klaren Tisch zu machen, um wieder eine gemeinsame Vision davon zu entwickeln, was wir als LESS THAN JAKE eigentlich wollten.

Siehst du Unterschiede zwischen eurem Umgang mit Sire Records und der Art, wie andere "Punkbands" mit einem Majordeal umgehen?

Sicherlich, weil ich denke, dass wir einige Fehler nicht gemacht haben, die aber komischerweise gerade manche Punkbands zu machen scheinen, wenn sie sich in die große weite Welt der Majors begeben. Wenn du dich als Band mit einem Punkrockhintergrund in dieser Welt bewegst, dann muss dir klar sein, wo deine Band herkommt und was sie ausmacht. Denn du wirst sicher an den Punkt kommen, an dem versucht wird, an dir herumzudoktern. Lässt du das zu, wird dir schnell die Logik dieser Firmen eingetrichtert und du verlierst nicht nur deine Fans aus den Augen, sondern hebst auch total ab.

Vor Sleep It Off und Paper + Plastik warst du Teilhaber von Fueled By Ramen, dem Label, das PANIC! AT THE DISCO, FALL OUT BOY, THE ACADEMY IS… und zahlreiche andere Bands aufgebaut hat. Letztes Jahr hast du deinen Anteil an Atlantic/Warner verkauft, aber warum eigentlich?

Das hatte zwei Gründe: Zum einen hatte ich das Gefühl, Fueled By Ramen sei am absoluten Höhepunkt angelangt; alle von dir genannten Bands sowie auch die GYM CLASS HEROES waren unglaublich erfolgreich und angesichts der damals schon unsicheren Lage von Labels empfand ich, dass 2007 genau der richtige Zeitpunkt war, um meine Beteiligung zu verkaufen. Allerdings - und das ist der zweite Grund - wurde meine Entscheidung auch wesentlich davon beeinflusst, dass ich nicht mehr wirklich an die Musik glaubte, die das Label rausbrachte. John, mein damaliger Partner, wollte immer mehr von diesen jungen Popbands signen, woran ich bis heute absolut kein Interesse habe. Deswegen stand ich vor der Wahl: verkaufen, oder John meine Sichtweise aufzwingen und so das Label nach und nach in eine Sackgasse führen, weil John und ich uns auf irgendeinen halbgaren Kompromiss einigen, hinter dem am Ende keiner von uns beiden so richtig steht.

Hast du viele Erfahrungen von Fueled By Ramen zu Sleep It Off und Paper + Plastick mitgenommen?

Na klar, Fueled By Ramen war insgesamt ein wahnsinniger Lernprozess für mich. Die Lektion, die mir zeigte, wie man ein wirklich erfolgreiches Label aus dem Nichts aufbauen kann. Wir starteten mit 3.000 Dollar und ich schied aus, als wir Bands hatten, die Millionen Alben verkauften. Insofern bin ich guten Mutes, dass mir die Zeit mit Fueled By Ramen sehr viel für die Zukunft von LESS THAN JAKE mitgegeben hat. Was jedoch Paper + Plastick angeht, so sagte ich ja schon, dass ich das Label eher als Liebhaberding ansehe. Entsprechend habe ich nicht den Ehrgeiz, die nächsten PANIC! AT THE DISCO oder so zu finden. Von daher weiß ich nicht, ob die vielen und oft auch geschäftsbezogenen Erfahrungen von Fueled By Ramen hier hilfreich sein werden.

Wie viel Business tut denn der Musik gut?

Heutzutage musst du als Musiker auch Geschäftsmann sein, sonst kommst du weder voran noch verstehst du wirklich, in welchem Umfeld du dich bewegst. Die heutige Situation der Musikindustrie bietet sich bestens dafür an, dass Bands wirtschaftlich selbstständig werden. Warum sollten sie weiterhin Geld irgendwelchen Firmen schenken, die einer Band faktisch kaum noch nutzen? Entsprechend wird es immer wichtiger, dass eine Band auch in Geschäftsdimensionen denkt, sie allerdings darauf bezieht, wie sie sie für sich selber nutzen kann. Zudem bist du in der Musikbranche schon ein ganzes Stück weiter, wenn du dir nur einmal die wirtschaftlichen Grundlogiken und die Spieler vor Augen führst. Das Musikgeschäft hat nun mal "Geschäft" im Namen, was unmittelbar klar macht, dass es vorrangig großen Firmen nur um eines geht: Geld. Sonst hieße es nicht Musikgeschäft sondern "Verein zur Kreativitätsförderung" oder so. Das realisieren viele erst einmal nicht, was wiederum erklärt, warum einige Bands auf Majors stranden: sie kennen diese Logik nicht und können dementsprechend nicht auf sie reagieren.

"GNV FLA" ist ein Album geworden, das sich wieder sehr an eurer Frühphase orientiert. Man könnte meinen, ihr seid einen Schritt zurück gegangen.

Ganz im Gegenteil, ich sagte ja, dass es "In With The Out Crowd" brauchte, damit wir erkannten, was wir wollten. Aber was ist an einer solchen Erkenntnis zurück gewandt? Wir haben uns selber gefunden und schauen gestärkt nach vorne.

Und habt insgesamt ein doch recht melancholisches Album geschrieben.

Klar, ich verstehe diese Sicht, jedoch würde ich das Album nicht unbedingt als sehr melancholisch bezeichnen. Der melancholische Grundtenor des Albums kommt zwar daher, dass wir in den Songs die Momente behandeln, in denen Träume platzen. Aber wir stellen denen sehr hoffnungsvolle Momente gegenüber.

Hast du den Moment schon kommen sehen, in dem dein Traum zerplatzt?

Nein, zum Glück nicht. Wenn du in einer Band spielst, kannst dich ein Stück weit von dem typischen Alltagsleben isolieren, deswegen mache ich nach wie vor meist das, was ich will. Was aber nicht heißt, dass dieser Moment nie kommen wird.