MILEMARKER / AUXES

Foto

Es bleibt alles in der Familie

Drei Jahre sind seit "Ominosity" vergangen, dem letzten MILEMARKER-Studioalbum, aber noch länger war die letzte Tour her, so dass ich mich freute, Dave, Al und Co. im Sommer endlich mal wieder live sehen zu können. MILEMARKER aus Chapel Hill beziehungsweise Chicago sind für mich seit ihrem ersten Album "Future Isms" von 1998 eine der interessantesten Post-Hardcore-Bands, die sich von Anfang an von ausgetretenen Pfaden fern hielten, ihr ureigenes Ding machten: immer sehr noisy und düster, immer smart, immer wieder neu. Sie hätten das Zeug gehabt (wie GIRLS AGAINST BOYS auch), ein ganzes Stück größer zu werden, doch dafür wiederum waren sie wohl doch zu extrem, zu sehr dem D.I.Y.-Gedanken verpflichtet, nicht opportunistisch genug. Und sowieso scheint die Beteiligten eine eher familiäre Bindung zusammenzuhalten und nicht nur allein die Musik, besteht die Band, von Dave Laney und Al Burian mal abgesehen, aus einem wechselnden Kreis von Freunden, aus dem hier und da auch mal eine weitere Band geboren wird, siehe CHALLENGER sowie die aktuell mit einem neuen Album auf Lovitt in Erscheinung getretenen AUXES. Ich unterhielt mich vor dem Konzert im Dortmunder FZW mit Dave Laney (Gitarre, Gesang), Al Burian (Gesang, Bass, Keyboards), Ben Davis (Bass, Keyboards) und John "J.B." Bowman (Schlagzeug).


Eure letzte Tour ist ewig her, man hat euch schon beinahe vergessen ...

Dave: Ja, die war zum "Satanic Versus"-Album, das 2002 auf Jade Tree erschien. 2005 kam dann unser bislang letztes Album auf Eyeball Records, von dem man in Europa aber wohl nicht viel mitbekommen hat, für das wir aber in den USA sehr lange auf Tour waren. Damals wohnten wir auch noch alle in Chicago, das machte die Sache einfacher, denn danach ging ich zurück nach North Carolina und wir spielten nur vereinzelt hier und da mal ein Konzert - und bis zu dieser Tour gab es sogar eine längere Pause.

Und was hat euch "reaktiviert"?

Al: Ingo, unser Tourbooker, hatte eine Anfrage für ein Festival, und so entstand dann die Idee einer Tour. Er fragte uns, wir sagten nein, und er fing an Konzerte zu buchen. Tja ...

Heißt das, dass ihr jetzt weitermacht wie zuvor? Platte, Tour, Platte, Tour ...

Al: Ich denke nicht. Manche von uns haben Familie, dann unsere Jobs und sonstigen Aktivitäten, so bleibt kaum Zeit. Es wäre da "unnatürlich", im Jahresrhythmus Platten zu machen, jedes Jahr eine US- und Europatour. Wir hatten das, jetzt lassen wir es lieber etwas ruhiger angehen und tun die Dinge dann, wenn sie sich anbieten.

Dave: MILEMARKER als Band sind für uns heute nicht mehr die oberste Priorität. Es ist aber nicht so, dass sich irgendwelche Werte verändert hätten, jeder von uns hat einfach auch noch viele andere Sachen am Laufen.

Ben: Insgesamt existieren derzeit zwölf Bands, an denen Leute von MILEMARKER beteiligt sind. Aber ich beispielsweise habe zwei Kinder, da kann ich eigentlich nicht mehr auf Tour gehen. Aber ich spiele in drei Bands - es ist also nicht so, dass Musik nicht mehr wichtig wäre für mich.

Dave: Wir waren mit MILEMARKER ja auch ständig auf Tour, wir haben also den Teil des Musikerlebens ausführlich mitbekommen und wissen jetzt, dass wir das nicht mehr ständig brauchen. Für uns stellte sich die Frage: "Was macht alle Beteiligten glücklich?", und die haben wir beantwortet.

John: Und durch die Mehrfachbesetzung mancher Positionen stehen wir uns auch nicht im Weg: Wer gerade Zeit und Lust hat, der spielt die Konzerte.

Al: Außerdem tötet das Touren dein Hirn: Du findest kaum Zeit, mal was zu lesen oder zu schreiben, der Alkohol ... du wirst mit der Zeit ein ganz anderes Wesen, wenn du das ständig machst. Ich habe auf Touren schon "Zombie-Bands" getroffen, die elf Monate im Jahr auf Tour waren, die waren total fertig, die hatten kaum noch Kontrolle über sich. Und wenn du dann irgendwo in einem besetzten Haus sitzt, um dich herum lauter coole, verrückte Leute, du aber merkst, dass du richtig schlecht drauf bist, dann musst du einfach kürzer treten. Wir haben erkannt, dass andere Dinge wichtiger sind als ständige Konzerte: Spaß zu haben, nette Leute zu treffen, mit ihnen in Verbindung zu bleiben, Freundschaft.

Dave: Wenn du ständig auf Tour bist, stellst du dir auch irgendwann die Frage, inwiefern sich dein Verhalten mit deinem politischen und gesellschaftlichen Anspruch verbinden lässt: Du fährst einen großen Van, der ohne Ende Sprit von Shell säuft, du verkaufst T-Shirts, die irgendwo in asiatischen Sweatshops hergestellt werden, und so weiter. Als tourende Band musst du so viele Kompromisse machen, dass es auf Dauer schwer fällt, die hinzunehmen.

Das klingt alles total reflektiert und erwachsen - für viele junge Bands jedoch ist das Tourleben, das euch zu viel geworden ist, das Größte. Wie hat sich diese Veränderung angekündigt?

Al: Wenn du mit einer Sache anfängst, ist alles neu und aufregend. Junge Bands gehen mit großen Augen durch die Welt, aber alles, was du über einen gewissen Zeitraum wieder und wieder machst, hört auf, neu und spannend zu sein, und dann stellt sich die Frage, wie man etwas für sich selbst weiterhin spannend und aufregend gestaltet. Und so muss man Menschen eben zugestehen, dass sie sich verändern. Ein Beispiel: Ich liebe BLACK FLAG, aber das Klischee, das jede Punkband zu erfüllen versucht, ist ja, mehr zu touren als damals BLACK FLAG. Und da finde ich es wichtig, diesem Klischee nicht zu entsprechen. Oder nimm unsere Vorband heute Abend: Die haben nur zwei Sampler, keine Gitarren, gegen die wirken wir richtig konservativ.

Dave: Wir haben aber auch bei guten Freunden erlebt, wie die mit ihrer Band rasch größer wurden, einen Majordeal bekamen - und dann implodierten die einfach, hörten ganz auf, Musik zu machen. Wir dagegen versuchten immer, die Band auf einem Level zu halten, auf dem wir unser Leben weiterhin selbst bestimmen können, so dass wir auch länger durchhalten können als nur drei, vier, fünf Jahre. Dazu ermutigt haben uns auch viele Freunde in Europa, denn da gibt es viele Leute in der Szene, die da auch noch mit über 40 aktiv sind - und nicht nur während der Zeit als Student. Da erkennt man, dass Punk nicht nur etwas ist, was man zwischen dem 20. und 25. Lebensjahr macht.

Al: Die Musikindustrie ist aber der natürliche Feind dieser Sichtweise. Die braucht alle sechs Monate eine neue Sensation, und wer sich selbst zerstört, der macht schon von alleine Platz für den Nächsten. Ich habe über die Jahre gelernt, sehr gut zu unterscheiden, wer wirklich dein Freund ist und wer nur so tut, wer dir zwar die Hand schüttelt und lächelt, aber nur sein eigenes Interesse im Sinn hat.

Die kulturellen Unterschiede zwischen Europa und den USA werden ja immer wieder betont, aber ist es wirklich so "schlimm", wie ihr beschrieben habt, dass Punk und Hardcore im Gegensatz zu hier mit dem Ende des Studiums und dem Eintritt ins Berufsleben aufhören eine Bedeutung zu haben?

Ben: Es gibt die Erwartung, dass du dich ab einem bestimmten Alter deinem Beruf und deiner Familie widmen solltest.

Dave: Der große Unterschied zwischen Europa und den USA ist einfach, dass viele öffentliche Einrichtungen so wie hier gar nicht existieren. Ich meine jetzt nicht nur, dass es keine besetzten Häuser gibt, sondern auch Jugendzentren, Theater, Kindergärten und so weiter - öffentlicher Raum in der europäischen Form existiert nur in einem ganz geringen Umfang. Es gibt dafür einfach keine historischen Vorbilder in den USA.

Al: Vor einem Jahr war ich als Roadie mit einer anderen US-Band in Europa unterwegs, und die spielten auch in all den Jugendzentren, besetzten Häusern, und so weiter. Und die wunderten sich, warum da überall Banner, Sticker und so mit Sätzen wie "Fight fascism!" drauf hingen - da sei doch sowieso jeder dagegen. Ich fand den Satz aber sehr interessant, denn er zeigt, dass hier mehr auf dem Spiel steht. Es geht hier in Europa um richtige Politik - in den USA hast du keine Nazis, die auf der Straße marschieren. Die Politik in den USA ist viel weiter von den Menschen entfernt, und die wenigsten Leute sehen, dass Punk als Kultur über eine Mode hinaus mit irgendwas "Echtem" und "Realem" verbunden ist, das tatsächlich dein Leben verändern kann. Entsprechend hat Punk da auch keine Langlebigkeit, es ist oftmals nur Mode und Musik.

Dave: Ich denke, die US-Gesellschaft ist im Grunde genauso politisch wie die europäische, aber der große Unterschied ist die Basis der Politik: In den USA bezieht sie sich auf die Wirtschaft, und nicht auf die Diskussion zwischen Rechts und Links und der Mitte. Der politische Kampf in den USA, der nicht als solcher kategorisiert wird, basiert aber eben auf wirtschaftlichen Gründen - und nicht auf Diskussionen, die etwa aus Kulturzentren in die Gesellschaft getragen werden. In den USA geht es für viele Menschen um das nackte Überleben auf niedrigstem Niveau, sie versuchen irgendwie die Miete zu bezahlen, haben keine Krankenversicherung, müssen mit gebrochenen Knochen leben, weil sie sich das Krankenhaus nicht leisten können. Die Szenerie ist also eine ganze andere.

Al: Ja, ich denke einfach, die Menschen in Westeuropa haben es leichter. Hier gibt es ein soziales Sicherheitsnetz, und um es ganz simpel auszudrücken: Es ist leichter, seinen alternativen Werten treu zu bleiben, wenn man sich auf sein Arbeitslosengeld verlassen kann. In den USA gehst du einfach vor die Hunde, krepierst auf der Straße, es kümmert sich keiner um dich.

John: Dabei muss ich sagen, dass sich Europa in den letzten zwölf Jahren, seit ich hier auf Tour gehe, auch verändert hat: Die Anzahl besetzter Häuser hat sich verringert, die soziale Lage ist schwieriger geworden - der Kapitalismus zeigt viel deutlicher sein Gesicht.

Dave: Dennoch: Anders als in Europa ist in den USA die Chance, dass du einen Künstler triffst, der vom Staat irgendeine Unterstützung bekommt, verschwindend gering. Wir verwenden unser Geld eben lieber dafür, andere Länder zu bombardieren.

Denkt ihr denn, dass man die USA und Europa überhaupt nach den gleichen Standards beurteilen kann, so dass am Schluss eine Wertung wie "gut" oder "schlecht" möglich ist?

Al: Wir werden das öfter gefragt. Es kommen eine Menge guter Bands aus den USA, und wenn man sich mal historisch etwas mit dem Thema beschäftigt, stellt man fest, dass schwierige gesellschaftliche Situationen oft gute Musik hervorbringen.

Dave: Es gibt überall gute Künstler, Schriftsteller, Philosophen ... Ich denke nicht, dass irgendein Land besser ist als ein anderes, nicht die USA, nicht Frankreich, nicht Deutschland. Aber sie sind anders, und ich habe das Gefühl, meinen - alternativen, vom Mainstream abweichenden - Lebensstil könnte ich besser und leichter in Deutschland pflegen. Meinen Vorstellungen, wie ich gerne leben würde, entspricht das also eher. Aber ich bin nun mal in den USA geboren und aufgewachsen, und ich kenne mich da aus, weiß, welche Kämpfe ich da auszufechten haben - in Deutschland weiß ich das nicht.

John: Ich wünschte, die USA würden einige Ideen aus Deutschland übernehmen. Viele Freunde, die mittlerweile Kinder haben, stehen vor dem Problem, dass einer der beiden Elternteile deswegen seinen Job aufgeben muss, denn die Ganztagsbetreuung würde so viel kosten, wie man im Monat verdient. Das ist doch lächerlich! Kindertagesstätten gibt es in den USA so gut wie nicht, und ich fürchte, wenn man das einführen würde, wären die Leute erstmal misstrauisch - sein Kind anderen Leuten anvertrauen, das geht doch nicht. Und das unter seinen Nachbarn zu organisieren? Vergiss es! Der Anwalt von nebenan würde niemals dem Punker-Ehepaar sein Kind überlassen.

Al: Mann, klingen wir jetzt erwachsen ... Reden im Interview über Kindertagesstätten ... Man kann Deutschland und die USA nicht vergleichen: Alleine Texas ist größer als ganz Deutschland. Und Deutschland ist ein recht reiches Land, während große Teile der USA wirklich sehr arm sind.

Dave: Unglaublich arm sogar! Ich war in den USA schon in Orten ... solch extreme Armut habe ich nirgendwo in Westeuropa gesehen.

Al: Von daher ist es fairer, die USA mit der EU zu vergleichen, denn in Bulgarien oder Rumänien gibt es ja auch sehr arme Gegenden.

Das Bild von den USA, das medial vermittelt wird, ist eher das von New York, Los Angeles, Hollywood und so weiter.

Dave: Das Bild, das die Medien verbreiten, hat nichts mit den USA zu tun, die wir erleben. Und dann triffst du in Europa Leute, die dich mit den Worten begrüßen "Nice to meet you, I hate your country." Na toll, denke ich mir dann, willkommen im Club. Was, bitteschön, hasst du an den USA? Die Politik der Regierung? Die hasse ich auch zum größten Teil. Und dann unterhältst du dich mit den Leuten, und die sind verwundert, dass sie in Europa eigentlich nie US-Amerikaner treffen, die Bush gewählt haben. Ja, was erwarten die denn? Die Leute, die für Bush gestimmt haben, touren nicht mit Bands durch Europa, die machen kein Backpacking, die triffst du in Europa eigentlich nicht - höchstens in irgendwelchen Luxushotels. Oder um es auf den Punkt zu bringen: There are cool people that live in a fascist country. And living there does not make you a fascist. Hast du mal "Texas Chainsaw Massacre" gesehen? Da unten in Mississippi gibt es Orte, die sind so wie der Ort in dem Film. Nein, die Leute rennen da nicht mit Kettensägen rum, aber der Rassismus ist dort so greifbar. Das kannst du nicht mit New York, Chicago oder sonst einer Großstadt vergleichen.

Sprechen wir aber zum Schluss des Interviews doch noch über eure verschiedenen Bands. Was geht außerhalb von MILEMARKER?

Dave: Ich bin auch noch in einer Band namens AUXES, und im Herbst touren wir in Europa. Die Band wurde vor zwei Jahren gegründet, das Album ist gerade auf Lovitt erschienen, und sie entstand, als ich aus Chicago zurück nach North Carolina gezogen bin. Auf dem Album habe ich alle Instrumente selbst eingespielt, ich singe selbst, und so was wollte ich schon längst mal machen. Bei den bisherigen Shows war die Besetzung jedes Mal eine andere, und das gefällt mir. Ben hat auch schon bei AUXES gespielt, kann aber nicht touren, und so kommt Pete von CHALLENGER mit.

John: Ich spiele auch noch bei KERBLOKI, einer Oldschool-Rap-Band, und der AUXES-Drummer spielt auch bei den KERBLOKI-Liveshows. Und Al und ich haben auch eine neue Band zusammen namens PRISMS. Und Al spielt auch Solo-Konzerte.

Al: Ja, unter dem Namen ILL EAGLE oder auch mal ILL EGO. Und in Europa als ILL EGAL, haha. John hat früher übrigens auch mal bei RIGHTS RESERVED gespielt, einer der besten Bands, die jemals aus North Carolina kamen. Das ist ein echter Geheimtip, wenn du das Album mal irgendwo findest, kauf es.

Aus North Carolina kamen doch auch CORROSION OF CONFORMITY.

Al: Ja, genau, und ich bin auf dem Cover der "Six Songs With Mike Singing"-EP zu sehen, auf dem ist ein Live-Foto von Bassist Mike Dean, und daneben, im Publikum, sieht man den kleinen, fünfzehnjährigen Al. Das hat natürlich ungeheuer zu meiner Beliebtheit in der Highschool beigetragen, hahaha. Und meine Frisur ... ich wusste ja damals gar nicht, was ein "Mullet", also ein Vokuhila-Schnitt ist. Aber das Foto ist der unleugbare Beweis, dass ich einen hatte. Aber wir waren bei unseren anderen Bands stehen geblieben: Ich und Pete Wagner von AUXES haben eine Band namens NEST OF ICE, und Ben sollten wir auch nicht vergessen..

Ben: Ja, ich spiele mit Jonathan Fuller von AUXES zusammen bei BEN DAVIES & THE JETT$, und BATS & MICE sollte ich auch nicht vergessen.

Jungs, danke, das reicht dann erst mal.