ADICTS

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Trau keinem über 21

Sie wurden 1975 in Ipswich in Suffolk, England gegründet, als Punk, wie wir ihn heute kennen, höchstens so was wie die erste Morgendämmerung am östlichen Horizont war. Doch im Gegensatz zu vielen anderen, die nach ihnen kamen, sind die ADICTS bis heute aktiv – und zwar in Originalbesetzung. 2008 nahmen und legten sie ihr erst 1981 erschienenes Debüt-Album „Songs Of Praise“ neu auf, tourten quer durch Europa und schmetterten unermüdlich ihre ewige Hymne „Viva la revolution“ ins Publikum, begleitet von einer wirklich bunten Bühnenshow mit jeder Menge Zirkus-Action. Für die nächsten Monate steht das neue Album an, und ich sprach vor dem Konzert in Bochum mit Frontmann Keith „Monkey“ Warren.

Ihr seid angeblich die älteste noch in Originalbesetzung aktive Punkband ...

Ja, soweit wir wissen.

Und, seid ihr damit im Guinnes-Buch der Rekorde?

Nee, aber so ein Kerl in Ipswich hat uns diese Woche einen Preis überreicht, der macht so eine Website mit allen Arten von seltsamen Rekorden, die er natürlich alle selbst innehat, hahaha.

Aber was ist euer Geheimrezept, es so lange zusammen auszuhalten?

Keine Ahnung, wie wir das schaffen, aber auch wir haben unsere Ups & Downs – wir sind da wie eine Familie. Am Ende kommen wir immer wieder irgendwie klar. Aber ehrlich gesagt weiß ich auch nicht, wieso wir immer noch zusammen sind. Vielleicht liegt es daran, dass wir sonst nichts anderes zu tun haben.

Aber ihr macht die Band ja nicht als Vollzeitbeschäftigung.

Nein, wir haben alle Jobs, manche auch Familie, ich lebe in den USA, die anderen in England. Von den ADICTS leben können wir nicht.

Ihr seid also keiner dieser Band-Dinosaurier wie U.K. SUBS, die scheinbar ständig auf Tour sind.

Oh nein, und wir haben auch keine riesigen Häuser und machen auch nicht endlos viel Geld – manche Kids haben einfach seltsame Vorstellungen von einer Band ...

Zumindest wenn man den Film „Punk’s Not Dead“ gesehen hat, in dem ihr auch auftaucht, sollte man das etwas klarer sehen. Wie gefällt dir der Film?

Gut, aber Susan Dynner, die Regisseurin, ist auch eine gute Freundin. Ich bin an sich kein Freund von Dokumentarfilmen, die funktionieren für mich nur, wenn man von dem Thema wirklich vereinnahmt wird, und ich finde es recht schwer, sich als Außenstehender mit diesem Film zurechtzufinden.

Punk war – oder ist? – eine Jugendbewegung, aber gerade auch bei diesem Film sieht man eine Menge Leute über 40 und sogar über 50. Warum ist Punk dennoch immer noch relevant?

Wenn es nach mir ginge, sollte sich niemand über 21 oder so noch Punk nennen. Für die Leute, die älter sind, sollte man sich ein andere Wort ausdenken. Punkrock ist für die Kids, die richtig ausrasten können ...

... die einfach Spaß haben und nicht über alles nachdenken?

Ja genau, das finde ich wirklich wichtig. Ich selbst habe diese Verrücktheit nicht mehr in mir, außer auf der Bühne. Ich bin eigentlich ganz normal.

Und was machst du im normalen Leben?

Ich bin Archäologe. Ich lebe in Kalifornien und beschäftige mich mit den Überresten der spanischen Besiedlung in Kalifornien. Ich leite Ausgrabungen, schreibe Berichte und all so was. Ich habe das nicht studiert, aber ich fing schon in England an, in diesem Bereich zu arbeiten, und als ich dann nach Kalifornien umzog, habe ich in dem Beruf weitergearbeitet. Ich mache das jetzt schon seit 20 Jahren.

Bei Kalifornien denkt man nicht zuerst an eine reiche Fundgrube für Archäologen.

Nein, aber die Entwicklung des Westens der USA ist dennoch sehr interessant. Zu Beginn hatte ich als Engländer, der natürlich viel ältere Überreste gewohnt ist, auch meine Zweifel, aber mittlerweile habe ich auch an der spanischen Geschichte mein Interesse gefunden.

Das Markenzeichen der ADICTS war und ist die Übernahme von Elementen von Alex’ Droogs-Gang aus Stanley Kubriks Film „A Clockwork Orange“. Wie kam es dazu?

Ehrlich gesagt waren die anderen in der Band viel größere Fans des Films als ich, die haben mich da eingeführt. Als der Film rauskam, war ich viel zu jung, um ihn im Kino zu sehen, ich habe erst recht spät eine schlechte Videokopie zu sehen haben. Das Image dieser Gang war für uns als Jugendliche recht attraktiv, es lag einfach auf der Hand und passt zu unserem rebellischen Lebensgefühl. Wir waren Anti-Establishment, und so haben wir uns eben weiß und nicht schwarz gekleidet.

Wart ihr denn damals die einzige Band, die diese attraktive Vorlage kopiert hat, die sich ja bis heute in Punk- und Skinhead-Kreisen einer gewissen Beliebtheit erfreut?

Zuvor waren wir auch große Fans von THE COCKNEY REBEL, und die waren die erste „Clockwork Orange“-Band. Außer uns bedienten sich auch MAJOR ACCIDENT und BLITZ an dieser Symbolik. Wir wussten ja, dass wir diesen Look gestohlen haben.

Ihr habt dieses Jahr euer „Songs Of Praise“-Album, das ursprünglich 1981 erschienen war, neu eingespielt. Wieso?

Ich weiß auch nicht mehr genau, wann und wo die Idee dazu aufkam, jedenfalls steckten wir plötzlich mittendrin in den Aufnahmen. Es war eine Art Experiment. Wir waren damals nicht wirklich zufrieden mit dem Album, die Art, wie es aufgenommen wurde, und so haben wir uns dieser Songs einfach noch mal angenommen, und ich denke, sie haben keinen Schaden erlitten. Wir gingen mit moderner Technik und einer anderen Sichtweise an sie heran.

Und mit rechtlichen Problemen hat das nichts zu tun?

Aaaach ... wenn ich nur daran denke, bekomme ich schon Kopfschmerzen. Wir haben jedenfalls niemand gefragt, ob wir das dürfen oder nicht, denn es sind ja unsere Songs.

Ein neues Album steht aber auch bevor.

Ja, parallel zur Neuaufnahme von „Songs Of Praise“ haben wir auch ein neues Album eingespielt, und das kommt Anfang 2009 auf People Like You Records raus. Es ist etwa mehr Old School-Punkrock als die Alben davor, soviel kann ich schon sagen.

Gut zu hören, denn ihr habt ja 1986 auch mal ein Album aufgenommen, das mit dem Punk, den man von euch erwartet, rein gar nichts zu tun hat.

Du sprichst von „Fifth Overture“, ich weiß schon. Nun, wäre es das einzige Album, das wir je aufgenommen haben, wäre ich stolz darauf. Es ist nicht Punkrock, aber warum hätten wir das nicht machen sollen? Es zeigt eben mehr unsere Pop-Seite, die aber auch auf allen anderen Platten vorhanden ist, nur nicht so deutlich.

Wären die ADICTS eine Pop-Band, würde man euch als „One Hit Wonder“ bezeichnen, denn letztlich denkt bei ADICTS jeder an „Viva la revolution“. Deshalb: Ist der Song für euch ein Fluch oder ein Segen?

Zuerst mal muss ich sagen, dass der Song nie ein Hit war. Aber wir haben auch kein Problem mit dem Lied, wir haben immer noch Spaß, es zu spielen. Es ist einfach ein zeitloser Song über ein interessantes Thema: Wenn es zu einer Revolution kommt, sind die Leute erstmal glücklich – bis sie feststellen, dass das neue Regime genauso ist wie das alte.