HAVE HEART

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Something More Than Ink

Es gibt nicht viele Hardcore-Bands, die mich in den letzten Jahren so beeindruckt haben wie HAVE HEART. Seit 2002 hat die in New Bedford, Massachusetts gegründete Band HAVE HEART nur ein Ziel vor Augen – ehrlichen Hardcorepunk mit einer eindeutigen Message: Straight Edge. 2004 veröffentlichte man die EP „What Counts“, damals noch auf Think Fast! Records, die mit großartigen Stücken wie „Something more than ink“ oder „Lionheart“ aufwarten konnte. 2006 erschien das viel beachtete Debüt „The Things We Carry“ auf Bridge Nine Records, das vielerorts als Hardcore-Platte des Jahres gefeiert wurde. Patrick Flynn, der charismatische Sänger von HAVE HEART, beantwortete meine Fragen.

Patrick, mit „Songs To Scream At The Sun“ ist euer zweites Album auf Bridge Nine Records erschienen. Würdest du es als ein typisches HAVE HEART-Album bezeichnen?


Ja, würde ich sagen. Wenn du dir unsere Veröffentlichungen ansiehst, auch unsere Demos, wird dir auffallen, dass sich unser Stil immer ein wenig verändert hat. Zweimal denselben Song zu schreiben, kommt für uns nicht in Frage, das ist nicht unsere Art. Ich habe immer Bands bewundert, die sich nicht wiederholen und nicht zweimal das gleiche Album aufnehmen, aber trotzdem dem echten Hardcore treu bleiben. Als wir uns daran machten, „Songs To Scream At The Sun“ aufzunehmen, waren wir allerdings an einem Punkt angelangt, wo uns unsere traditionellen Einflüsse musikalisch nicht mehr weiterbringen konnten. Wir hatten zu dem Zeitpunkt eben schon so viele Songs geschrieben, die direkt von diesen traditionellen Hardcore-Bands beeinflusst waren. Es war an der Zeit, unser Blickfeld zu erweitern, das Spektrum zu vergrößern und über den Tellerrand zu blicken. Deshalb haben wir uns dazu entschieden, viele Bands, die uns ebenfalls beeinflusst haben, mit in unser musikalisches Spektrum einzubeziehen. Und dazu gehören eben Bands wie FAR, HELMET, die DEFTONES und JAWBOX. Wir sind aber nicht die Art von Band, die sagt: „Hey wir wollen wie YOUTH OF TODAY klingen, oder wie HELMET“. Wir wollen eben unsere Musik machen. Ich glaube, uns ist es gelungen, auf „Songs To Scream At The Sun“ alle unsere traditionellen Hardcore-Einflüsse zu behalten, unseren Sound aber zu erweitern.

Hatte die Zusammenarbeit mit Kurt Ballou Einfluss auf „Songs To Scream At The Sun“?

Nein, er hatte nichts mit dem Songwriting zu tun. Im Aufnahmeprozess hat er uns aber das eine oder andere Mal geraten, diese oder jene Stelle zu überarbeiten oder ganz wegzulassen. Kurt Ballou war im Endeffekt nur beim eigentlichen Aufnehmen anwesend.

Der Wikipedia-Eintrag zu HAVE HEART spricht von euch als den „poster boys for the Straight Edge-Scene today“ und von dir als dem „King of the Edge“. Was denkst du, wenn du so etwas liest?

Ich denke, dass das ein ziemlich blöder Scherz ist, den sich Kei Yasui erlaubt hat. Ich wünschte, dieser Eintrag würde nicht existieren.

Manchmal hat man den Eindruck, dass sich viele Straight-Edge-Bands selbst ein wenig zu ernst nehmen. Da fehlt meines Erachtens manchmal eine gewisse humoristische Ader, die Fähigkeit, sich trotz all dem durchaus berechtigten Pathos auch einmal über sich selbst lustig machen zu können. GOOD CLEAN FUN sind da fast eine Ausnahmeerscheinung.

Um ehrlich zu sein, ich kenne nicht allzu viele gegenwärtige Straight-Edge-Bands. THE MONGOLOIDS sind eine humoristische Straight-Edge-Band. Die haben ein paar exzellente Moshparts, die wirklich Spaß machen. Persönlich muss ich aber sagen, dass ich nie ein großer Fan von „silly hardcore“ war. So bin ich eben. Ich nehme Hardcore immer ernst. Aber nicht in der Art und Weise, dass ich in meinem Kopf und meinen Gedankenkonstrukten gefangen wäre und nichts anderes zählen würde. Ich finde die MONGOLOIDS bieten das Beste aus beiden Welten, nämlich gute, ironische Songs, die einfach Spaß machen, aber trotzdem eine aggressive, ernsthafte Note haben. Ich mag diesen passiv-aggressiven, aber trotzdem sarkastischen Stil. Deshalb habe ich auch XFILESX so geliebt, bevor sie sich aufgelöst haben.

Was sind deine größten Vorbilder in der Hardcore-Szene, damals und heute?

Ich hatte nie Idole im eigentlichen Sinne. Ich war immer ein Fan von Ray Cappo. Er hat mich auf alle Fälle beeinflusst. Ich kam allerdings bald dahinter, dass es keinen Sinn macht, jemanden in blinder Verehrung auf ein Podest zu heben. Das ist unnötig und kann nur zu einer Enttäuschung führen. Nur weil jemand plötzlich seinen Lebensstil ändert, ist das kein Grund enttäuscht zu sein. So ist nun mal der Lauf der Welt. Es liegt eben in der Natur des Menschen, sich zu verändern, andere Wege zu beschreiten und neue Entscheidungen zu treffen. „Leben und leben lassen“, ist mein Kommentar dazu.

Worum geht es in dem Song „Bostons“?

In diesem Song geht es um die drei Generationen von Flynns. Genauer gesagt, geht es um ein Treffen dieser drei Generationen, bei dem jede Generation über die Handlungen der anderen Generationen urteilt und richtige und falsche Handlungsweisen zur Sprache bringt. Mein Großvater war nicht imstande, ein echter Vater zu sein, vor allem wegen seiner Arbeit und seiner Verpflichtungen. Mein Vater wuchs mehr oder weniger in Armut auf und ohne seinen eigenen Vater oft zu Gesicht zu bekommen. Ich selbst bin nicht wirklich in einer extrem reichen Familie aufgewachsen, aber auch nicht in einer armen Familie. Ich würde sagen, meine Familie war richtig guter Mittelstand und ich habe das als ziemlichen Segen empfunden, vor allem weil ich immer die benachbarten Ghettos vor Augen hatte, wo die Jugendlichen in derselben Armut aufwuchsen wie einst mein Vater. Ich begann mich damals irgendwie schuldig zu fühlen, ich glaubte, ich würde diesen mittleren Wohlstand gar nicht verdienen. Also schrieb ich den Song „Bostons“, um eine gewisse Dankbarkeit auszudrücken, für die abgesicherten Umstände, unter denen ich in Boston aufwachsen durfte. Es geht um Dankbarkeit meiner Mutter und meinem Vater gegenüber, für all das, was sie mir und meinen Geschwistern ermöglicht haben. Aber auch um meine Fähigkeit, Boston wieder als eine wundervolle Stadt zu sehen, ohne dabei Schuldgefühle zu haben, dass ich behüteter aufwachsen konnte als andere. Angesichts einer Hardcore-Szene, in der sich sehr viele gerne als am Hungertuch nagend darstellen, in Wahrheit aber echte Wohlstandsjugendliche sind, schien es mir vor allem wichtig, eine Sache klarzustellen: Es ist nichts Schlimmes daran, in eine reiche Familie hinein geboren worden zu sein. Nur eine Sache zählt, nämlich nicht zu vergessen, wo man herkommt und wie man dahin gekommen ist, wo man heute steht.

Der Film „American Hardcore“ hat die heutige Wahrnehmung der frühen amerikanischen Hardcore-Szene, vor allem für die Hardcore-Kids in Europa, mit Sicherheit beeinflusst. Persönlich war ich teilweise ein bisschen enttäuscht, dass viele meiner Idole auf eine andere Art dargestellt wurden, als ich mir das vielleicht gewünscht hätte. Außerdem standen damals sinnlose Schlägereien in der Szene offenbar oft mehr im Vordergrund als eine eindeutige Botschaft.

„American Hardcore“ hat nicht wirklich viel für die Kids hier in den USA gebracht. Ein paar von ihnen haben vielleicht ein wenig mehr Information über diese frühe Ära des Hardcore vermittelt bekommen. Möglicherweise haben einige gelernt, ihre Szene mehr zu schätzen. Vor allem, weil „American Hardcore“ ihnen vielleicht vor Augen geführt hat, wie viele Opfer in der damaligen Szene doch gebracht werden mussten. Das war eben eine Zeit, in der Hardcore-Bands noch nicht in den großen, angenehmen Clubs spielen konnten, mit all den Bequemlichkeiten. Ich glaube, es war notwendig, diese oft sinnlosen Aktionen zu zeigen, weil Gewalt damals tatsächlich sehr häufig im Zentrum stand. Zumindest ist das der Eindruck, den ich über all die Jahre hinweg gewonnen habe. So ärgerlich es auch sein mag, so war es nun einmal und es macht keinen Sinn, diese Zeit zu glorifizieren. Vielleicht war es auch gut, diese negativen Seiten zu zeigen, um den Jugendlichen von heute bewusst zu machen, wie positiv unsere heutige Hardcore-Szene doch im Großen und Ganzen ist, und vor allem, wie viele von uns doch heute auf eine echte Botschaft fokussiert sind.

Straight Edge tendiert dazu oft ein wenig missionarisch zu wirken, manchmal in fast schon religiöser Weise. Glaubst du nicht, dass Punk von seiner ursprünglichen Idee her frei von jeglichem Dogmatismus sein sollte?

Ich glaube, Punk sollte sein, was immer du willst. Aber es wird immer ein gewisses Regelwerk geben, ein gewisse Struktur. Ein grundsätzliches Konzept an Richtlinien ist eben notwendig, um eine so spezielle Lebensweise zu bestimmen und bestimmbar zu machen.

Was waren deine Gedanken, als sich Dave Smalley von DAG NASTY als „conservative punk“ geoutet hat?

Ich will nicht unhöflich sein, aber diese ganze Sache interessiert mich überhaupt nicht. Überrascht dich das? Ich kann nur eines dazu sagen: Ich bin ganz gewiss nicht der liberalste Typ, aber ich bin mit Sicherheit nicht konservativ. Ich bin sehr speziell, wenn es um meine Ideologien geht und inwieweit ich mit anderen Menschen in diesen Punkten übereinstimme. Ich bin ein klassischer Unabhängiger. Ich versuche, anderen Menschen nie mit einer vorgefertigten Erwartungshaltung gegenüber zu treten. Viele Menschen haben das bei mir gemacht und lagen eigentlich immer falsch.

Man wird den Eindruck nicht los, dass für viele Kids Straight Edge ausschließlich ein „fashion statement“ geworden ist. Stört dich diese Entwicklung?

Ja, natürlich ist es schade, wenn Ideen gewissermaßen käuflich und verkäuflich sind. Aber das liegt nun mal in der Natur des Menschen. Ich verschwende ganz sicher nicht meine Zeit damit, mich über diese Entwicklung unnötig aufzuregen. Stattdessen mache ich etwas Positives daraus und schreibe einen Song darüber, nämlich „Dig somewhere else“.

Meine letzte Frage ist eher rhetorischer Natur, aber trotzdem: Bedeutet Straight Edge für dich eine lebenslange Verpflichtung?

Ja. Ich muss Straight Edge sein, um mein Leben so zu leben, wie es mir richtig erscheint. Und das bedeutet für mich eine lebenslange Verpflichtung.