(INTERNATIONAL) NOISE CONSPIRACY

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Wie radikal ist diese Band eigentlich?

Was würde passieren, wenn man Hans Magnus Enzensberger, Dennis Lyxzén und Lars Strömberg ein Wochenende lang zusammen einsperren würde? Würde sich ein Generationenkonflikt zwischen dem 78-jährigen Literaten und zwei Jungspunden aus der schwedischen Linken auftun? Ich denke, man könnte eher eine Übereinstimmung zwischen dem scharfsinnigen Enzensberger und dem THE (INTERNATIONAL) NOISE CONSPIRACY-Sänger Lyxzén sowie seinem Gitarristen Strömberg erwarten, weil alle drei, obwohl sie sich wahrscheinlich nicht persönlich kennen, mehr oder weniger auf einer Wellenlänge zu liegen scheinen. Denn Enzensberger gibt in der Presse mittlerweile den geerdeten Marxisten, und auch Lyxzén und Strömberg wirken anno 2008 weniger anarchistisch als zu Zeiten ihres letzten, 2004 erschienenen Albums „Armed Love“. Kein Wunder, schließlich profitierte die eigene Band trotz gewisser Labeleskapaden mit dem amerikanischen Partner American Recordings über die letzten Jahre in nicht unerheblichem Maße vom kapitalistischen Wirtschaftssystem und wuchs in Europa zu einer beachtlichen musikalischen Institution heran.

In den USA verlief es indes weniger erfreulich. Zwar erschien „Armed Love“ mit Ach und Krach ein Jahr später als in Europa in den USA auf American/Universal, doch im Anschluss daran wechselte der kauzige American-Eigentümer, die Produzentenlegende Rick Rubin, munter die Majorvertriebe. Von Universal ging es zu Warner und von dort zu Sony BMG, wo allerdings keiner so richtig von T(I)NC angetan war. Das Resultat: mangelnder Toursupport und schließlich die Ansage, das neue T(I)NC-Album „The Cross Of My Calling“ passe nicht ins SonyBMG-Programm – Goodbye! Entnervt entschieden Rubin und Lyxzén kurzerhand, das neue Album „The Cross Of My Calling“ in den USA an Vagrant zu lizenzieren, während die Platte in Europa wie gehabt auf Burning Heart erschien.

Das neue Album, das auch wieder von Rubin produziert wurde, stellt, so kann man es interpretieren. die poppige Weiterentwicklung von „Armed Love“ dar. Mancher mag darin aufgrund der teilweise opulenten Instrumentierung und des seit „Armed Love“ gesteigerten Popappeals den absoluten Ausverkauf sehen, aber ist es nicht eher ein musikalischer Befreiungsschlag? Time will tell ...

Zum Interview: Wer die als Garagenrocker gestartete Band und ihr im Grunde radikales, irgendwie linkes Anliegen kennt (man erinnert sich an den „Capitalism is organized crime“-Banner hinter der Bühne), der weiß, wie sehr sich Dennis Lyxzén in Rage reden kann, wenn man ihm nur die richtigen Themen liefert. Daneben wirkt Lars Strömberg geradezu wie ein Ruhepol. Ein interessantes Duo saß mir da also gegenüber, und doch fragte ich mich nach gut 40 Minuten Interview: Wie radikal ist diese Band eigentlich noch?


Dennis, Lars, welches Thema sollte man vermeiden, wenn man dieser Tage mit euch spricht?

Lyxzén: Ehrlich gesagt habe ich keine große Lust mehr, über die amerikanischen Wahlen zu sprechen, das Thema ist einfach uninteressant! Okay, Barack Obama hat die Wahlen gewonnen, aber ich verstehe nicht, warum so viele Menschen denken, dass sich die Welt jetzt verändern wird. Sie wird sich auch unter Barack Obama nicht wesentlich verändern. Diese komische Denkweise, diese Hoffnung, dass ein US-Präsident alles verändern wird, die hat mich schon immer irritiert. Als John Kerry 2004 gegen George W. Bush antrat, war das ja schon genauso. Die Menschen waren der Ansicht, dass die Welt über Nacht zu einem besseren Ort werden würde, wenn John Kerry die Wahl gewinnt. Was für eine Illusion! Nur weil jemand die Wahl gewinnt, der vielleicht keine ganz so katastrophale Politik macht wie George W. Bush, sind doch noch lange nicht alle Probleme der USA und dieser Welt beseitigt. Genau das haben die Menschen aber 2004 von John Kerry erwartet. Hätte man ein bisschen nachgedacht, hätte einem aber damals schon klar werden müssen, dass auch ein demokratischer US-Präsident kein Wunderheiler ist. Komischerweise waren aber auch weite Teile der Punkszene diesem Irrglauben verfallen. Als wir 2004 auf der „Warped Tour“ spielten, haben viele der US-Bands diese standardisierten Anti-Bush-Ansagen gemacht. Irgendwann haben wir dann angefangen, nicht nur Anti-Bush-, sondern auch Anti-Kerry- und Anti-Nader-Parolen auf der Bühne loszulassen. Einfach, weil es so genervt hat, dass John Kerry in der Szene so gehypet wurde, ohne dass sein Programm wirklich kritisch reflektiert wurde. Und genau dasselbe ist bei der diesjährigen Wahl passiert: Obama wurde einfach akzeptiert. Die vielen Punkte, die an seinem Programm kritisch sind, haben fast keinen interessiert, was ziemlich bedauerlich ist. Wer aber glaubt, dass Obama die amerikanische Außen- und damit die Kriegs- sowie Weltpolitik nachhaltig zum Positiven verändern wird, der irrt meiner Meinung nach.

Also wird „Washington bullets“, der wohl politisch explizitste Song von „The Cross Of My Calling“, der den Einfluss der USA auf andere Länder behandelt, auch unter Obama seine Geltung behalten?

Lyxzén: Klar! Im Text geht es um die die Verbindungen im weltweiten Wirtschaftssystem, die nun mal von den USA ausgehen. Einerseits hängen die Volkswirtschaften der meisten Länder der Welt von der Wirtschaftskraft der USA ab. Andererseits nutzen die USA dies ganz klar als Machtbasis, um andere Volkswirtschaften zu kontrollieren. Daraus folgt dann eine Reihe von Dominoeffekten: Sobald die USA einen Schritt tun oder dort etwas außer Kontrolle gerät, folgen mitunter katastrophale Konsequenzen auf der ganzen Welt. „Washington bullets“ ist eine Metapher für die Gefahren des weltweiten Wirtschaftssystems. In einigen Jahren könnte man einen ähnlichen Song schreiben, der dann vielleicht „Peking bullets“ heißen könnte.

Wie ist das zu verstehen?

Lyxzén: Klar ist doch, dass die weltpolitische Machtbasis der USA schwächelt. Die Konsequenzen der Finanzkrise treffen nicht nur Zentraleuropa und andere Regionen. Auch die USA, von wo aus die Krise im Sommer 2007 ja ausging, sind stark von ihr betroffen und die wirtschaftliche Leistung Nordamerikas nimmt immer mehr ab.

Strömberg: Gleichzeitig bauen sich im fernen Osten neue wirtschaftliche Machtzentren auf. Bestes Beispiel: China. Daher kann es doch durchaus sein, dass dort ein neues wirtschaftliches Machtzentrum entsteht, von dem die Welt eines Tages in gleicher Weise abhängt wie heute von den USA.

Lyxzén: Davon mal abgesehen zeigt sich langsam, dass Politiker in der ganzen Welt den USA wesentlich kritischer gegenüber stehen als noch vor sechs Jahren. Beim Irakkrieg hat George W. Bush gemacht, was er wollte. Er ist einfach in den Irak einmarschiert und sein Vorgehen wurde damals auf der ganzen Welt hingenommen. Heute wäre das nicht mehr möglich, weil sich mehr Staaten trauen, einem US-Präsidenten Kontra zu geben. So befinden wir uns in einer sehr interessanten Zeit: die Finanzkrise wirbelt die wirtschaftliche Ordnung durcheinander, während politische Entwicklungen die Vormachtstellung der USA ebenfalls in Frage stellens.

Für viele Menschen ist diese Entwicklung aber alles andere als angenehm: Die Finanzkrise vernichtet Existenzen und Jobs – nicht nur in den USA.

Lyxzén: Ich wollte das auch gar nicht beschönigen. Wenn du im Moment in Schweden ein Haus bauen willst, kannst du es vergessen, einen Kredit zu bekommen. Die Zinsen der Banken sind einfach zu hoch, als dass ein normaler Bürger sie zahlen könnte. Außerdem ist die Situation vieler Rentner in Schweden ein absolutes Desaster. Früher gab es in Schweden mit 65 Jahren eine staatliche Rente. Diese Versorgung existiert in dieser Form nicht mehr. Vielmehr spekuliert der Staat mit Geld, dass für die Renten seiner Bürger geplant war. Und es kann doch nicht sein kann, dass das Geld, was der sozialen Sicherung von Menschen dient, dem Risiko der Spekulation ausgesetzt wird. Rentner stehen nun unter Umständen vor dem Nichts, weil das ihnen zustehende Geld im Zuge der Finanzkrise verpufft ist. Das kann ich einfach nicht akzeptieren, weil es die soziale Absicherung der Bürger gefährdet.

Dennis, als wir 2004 miteinander sprachen, hast du auf den Zusammenbruch des Kapitalismus gehofft. Findet der jetzt statt?

Lyxzén: Das hoffe ich sehr.

Strömberg: Na ja, der Kapitalismus wird nicht zusammenbrechen, zumindest nicht aufgrund der Finanzkrise. Wenn man sich die ökonomische Entwicklung der Welt anschaut, wird klar, dass sich die Finanzzentren der Welt im Laufe der Zeit verschoben haben. Erst war Amsterdam ein zentraler Finanz-Standort, dann wurde Paris der Mittelpunkt des Geldverkehrs, später London, New York, Tokio, dann wieder New York und so weiter. Das heißt, es gab Verschiebungen der Zentren des Kapitalismus, die meist von einer Rezession ausgelöst wurden. Gleichzeitig verlangt ein Zusammenbruch des Kapitalismus aber danach, dass ein grundsätzlicher Wandel des Systems stattfindet. Deswegen ist es auch völlig falsch, im Falle der Finanzkrise vom Zusammenbruch des Kapitalismus zu sprechen. Die Finanzkrise kann viele Volkswirtschaften in eine Rezession schicken, klar, doch die Folge ist eine weitere Verschiebung des Zentrums des Kapitalismus. Dieses Mal vielleicht nach Shanghai oder, wie Dennis vorhin andeutete, nach Peking. Das System selbst wandelt sich dadurch aber nicht, dafür ist die Finanzkrise trotz ihrer Tragweite ein zu oberflächliches Phänomen, weil sie nicht die Wurzeln des Systems wandelt.

Lyxzén: Okay, vielleicht habe ich etwas übertrieben, vielleicht wird die Finanzkrise nicht der Zusammenbruch des Kapitalismus sein, da mag Lars recht haben. Gleichzeitig kann es durch sie aber passieren, dass ein Bewusstsein für die Mechanismen und die Probleme des Kapitalismus auf breiter Basis entsteht. Denn diese Krise betrifft letztlich sehr viele Menschen auf einer sehr alltäglichen Ebene. Folglich schärft sich ihre Sicht auf das System, in dem wir leben. Das heißt aber auch, dass mehr Menschen als zuvor diesem System kritisch gegenüber stehen.

Mag sein, dass die Menschen einige Aspekte des Kapitalismus verstehen werden, aber das heißt noch lange nicht, dass sie das System an sich kritischer betrachten oder es gar ablehnen werden.

Strömberg: Natürlich nicht. Wir sind seit Jahren eine neoliberale Politik gewöhnt. Die Menschen haben diese schon weitgehend verinnerlicht, weshalb sie den Kapitalismus als Selbstverständlichkeit verstehen und ihn nicht hinterfragen. Selbst im Fall einer Finanzkrise wie diese stellen sie das System an sich nicht in Frage. Ich denke sogar, dass die Finanzkrise durchaus auch Nährboden für konservatives und rechtes Gedankengut ist, und zwar aus dem Grund, weil du den Leuten in einer solchen Situation verkaufen kannst, dass man zu konservativen Werten und einer konservativen Wirtschaftspolitik zurückkehren sollte. Leider scheinen das recht viele zu glauben, denn wenn man sich in Europa umschaut, findet man viele rechtskonservative Regierungen. Man sollte eine vermeintlich kritische Haltung gegenüber dem Kapitalismus nicht zwingend mit einer eher linken Haltung gleichsetzen.

Lyxzén: Wobei es ziemlich paradox wäre, wenn die Konservativen großen Zulauf bekommen würden. Ihre Kritik am System kann man nicht ernst nehmen. Am Beispiel Schweden, das konservativ regiert wird, kann man das recht gut zeigen: Mag sein, dass sich die Regierung nun als sozial darstellt und allerlei Versprechen macht, sie werde die Menschen besser behandeln. In der Tat aber war sie es, die viele Aspekte des Turbokapitalismus hervorgebracht hat. Zum Beispiel wurden die Rechte der Arbeiter und der Gewerkschaften unter dieser Regierung massiv beschnitten. Von daher ist es zynisch, wenn die Konservativen sich nun als eine Partei darstellen. die sich um das Wohl der Menschen sorgt.

Was hat all das für eine Band wie THE (INTERNATIONAL) NOISE CONSPIRACY zur Folge, die ein durchaus radikales Selbstverständnis besitzt?

Lyxzén: Die Einsicht, dass du wenigstens einen kleinen Einfluss hast, wenn du zur Wahl gehst. Die Sozialdemokraten sind zwar kaum besser als die Konservativen, aber sie richten nicht ganz soviel Schaden an wie die derzeitige schwedische Regierung. Trotz einer grundsätzlichen Ablehnung aller etablierten Parteien würde ich daher sagen, dass es doch eine gewisse Bedeutung hat, wen man wählt.

Man könnte meinen, eure Definition von „Radikalität“ hätte sich geändert.

Strömberg: Das stimmt auch. Früher habe ich die Welt schwarz-weiß gesehen – dort war das Gute und hier das Böse. Heute sehe ich viele Dinge differenzierter, während ich es früher schon als radikal verstand, „fuck the cops“ zu sagen und irgendwas kaputt zu machen.

Lyxzén: Ich muss auch zugeben, dass man sehr viel dazu lernt, wenn man älter wird. Du lernst verschiedene Sichtweisen kennen und kannst dich nach und nach immer besser in die Lage verschiedener Menschen hinein versetzen. Viele Leute nutzen das aber als Grund oder gar als Entschuldigung, um ihre einst radikale Meinung heute nicht mehr mit derselben Radikalität zu vertreten wie früher. Das ist – bei allem Verständnis für andere Menschen – bei mir nicht so. Im Gegenteil, je älter ich werde, desto mehr werde ich in meiner politischen Meinung aus Jugendtagen bestärkt. Klar, damals hat man anders debattiert und argumentiert. Man ist wahrscheinlich auch sehr viel undifferenzierter vorgegangen als heute und hat sich auf jede Debatte eingelassen, was ich heute nicht mehr tue. Zwischen dem Dennis Lyxzén vor 15 Jahren und der Person, die ich heute bin, besteht ein großer Unterschied. Trotzdem ist der Kern meiner Meinung eine radikal sozialistische Haltung, die über die letzten 15 Jahre gleich geblieben ist. Damals hatte ich dieses Gefühl im Bauch, dass irgendwas falsch läuft, ich wusste nur noch nicht, was es war. Je älter ich wurde und je mehr ich durch die Welt gereist bin, umso klarer wurde mir, dass mein Bauchgefühl richtig gewesen war. Heute habe ich viele Dinge gesehen, gelesen und erlebt, ergo, ich weiß, was falsch läuft, so dass sich meine Ahnung aus Jugendtagen bestätigt hat. Deswegen sehe ich manche Dinge auch heute noch schwarz-weiß.

Aber wie kann man die Welt ausschließlich schwarz-weiß sehen?

Lyxzén: Weißt du was? Die Schweden können ein ermüdendes Völkchen sein. So ein Typ Mensch, der immer nur Konsens will, der dich immer versteht und sich nicht mit dir streiten will. Ehrlich, so was macht mich rasend! Allein um die Sache interessanter zu machen, nehme ich deswegen in einer Debatte, in einem Interview oder wenn ich einen Song schreibe, gerne eine extreme Position ein. Ich suche mir eine Seite und argumentiere knallhart aus einer Richtung. Ohne abzuwägen, was die Argumente der Gegenseite sein könnten. Es ist einfach Quatsch, große Grauzonen zu kennen, wenn du ein Argument rüber bringen willst.

Bisher hast du aber recht differenziert gewirkt ...

Lyxzén: Klar, weil wir hier mehr oder weniger persönlich miteinander reden. Wenn wir beide uns über ein Thema austauschen, dann sehe ich durchaus Grautöne und versuche, Themen differenziert zu betrachten. Aber wenn es darum geht, eine Position darzulegen und zu verteidigen, dann ist es Quatsch, dauernd übermäßig differenziert zu sein. Damit kommst du einfach nicht weit.

Dennis, heute erst las ich ein Interview mit dir, in dem du gefragt wurdest, wie man am besten Politik in einem Song thematisiert. Deine Antwort war damals: „Ideology is the enemy.“ Widersprichst du dir da nicht, wenn du die Annahme einer Ideologie verweigerst, aber sagst, es sei gut, beim Schreiben eines Songs eine radikale Position einzunehmen?

Lyxzén: Ich halte Ideologien für gut und hilfreich, weil sie dabei helfen, Systeme wie zum Beispiel den Kapitalismus in einen Kontext zu setzen und sie zu verstehen. Gleichzeitig sind die Ideologien, die von verschiedenen Philosophen eingeführt wurden, im Wesentlichen Theorien. Sie stellen mehr oder weniger abstrakte Handlungsanleitungen dar, die wir Menschen irgendwie in die Tat umsetzen müssen. Das Problem vieler Menschen in der linken Bewegung ist aber, dass sie komplett in diesen Theorien gefangen sind und keine guten Ansätze haben, um diese Theorien auch tatsächlich in die Tat umzusetzen. Für uns als Band stand es daher immer im Vordergrund, mit unseren Texten möglichst konkret zu werden und den Leuten etwas Greifbares mitzugeben. „Ideology is the enemy“ sollte damals zum Ausdruck bringen, dass es in unseren Texten nicht darum geht, abstrakte Theorien wiederzukäuen, sondern politische Ideen umsetzbar darzulegen.

Einerseits mag das in Texten der direkteste Weg sein, politische Gedanken greifbar auszudrücken, andererseits führt das doch zu mehr oder weniger krassen Widersprüchen in eurem Handeln, wie es sich zum Beispiel in eurem Plattendeal mit American und den entsprechen Majorlabel-Verflechtungen zeigte.

Lyxzén: Natürlich, das Leben besteht aus Kompromissen und aus Widersprüchen. Seien wir ehrlich, die politischen Ideen, die wir haben und über die wir singen, und die Realität unseres Lebens decken sich nur sehr selten. Natürlich versuchen wir, unsere Ideale in die Praxis umzusetzen. Gerade als Band, die von der Musik lebt, musst du aber haufenweise Kompromisse in Kauf nehmen. Nimm beispielsweise nur mal die ganzen großen Festivals, bei denen wir aufgetreten sind. Bei denen hängen die Bühnen ja voll mit Werbung. Und am Ende unseres Sets stehen wir vier alle am vorderen Bühnenrand, heben die Fäuste in die Luft und aus den Boxen kommt John Lennons „Power to the people“. Natürlich sieht das komisch aus, wenn im Hintergrund ein Pepsi- oder irgendein anderes Werbe-Banner hängt. In solchen Momenten musst du gewissermaßen einen „Tausch“ machen. Du nutzt ein großes Festival, um vielen Menschen deine politischen Gedanken mitzuteilen. Auf der anderen Seite spielst du vor den Werbebannern der Großindustrie. Mir wird in solchen Momenten klar, dass wir uns gerade sehr weit von unseren textlichen Idealen entfernen, aber so ist das Leben. Du kannst dich einfach nicht davon frei machen, dir zu widersprechen.

Auch nicht als Privatmensch Dennis Lyxzén?

Lyxzén: Nein! Und ich habe persönlich auch gar keine Lust, ein völlig widerspruchsfreies Leben zu führen, weil das bedeuten würde, auf allerlei Sachen zu verzichten, die ich gerne mache. Ich gehe zum Beispiel gerne ins Kino und unterstütze damit immer wieder große Entertainment-Konzerne. Viele Leute in der linken Szene verstehen sich jedoch als Märtyrer. Sie versuchen krampfhaft, Widersprüche zu vermeiden, indem sie auf allerlei Dinge verzichten. Diese Dinge würden sie aber eigentlich gerne tun. In ihren Augen legitimiert der eigene Verzicht, nun die zu verurteilen, die keine Lust auf diesen Verzicht haben. Und das mag ich an vielen Linken nicht, diese Arroganz und dieses Denken, dass du andere verurteilen darfst, nur weil sie nicht derart krampfhaft an dem Versuch festhalten, widerspruchsfrei zu leben. Nimm die Widersprüche deines Lebens einfach in Kauf und leiste den politischen Beitrag, den du leisten kannst und willst. Ich denke, dass das eine gesunde Einstellung für ein bewusstes politisches Leben ist.