RAWS

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Turkey’s first and only Garagepunkblues-Arkestra!

Zugegeben, bei Fachsimpeleien mit „Szenekollegen“, die eher auf der Anarchistenpunk- und Hardcore-Schiene unterwegs sind, geschieht es mir als Connoisseur primitiv-degenerierter LoFi-Trash-Garagenmucke der guten alten RIP OFFS- oder auch SUPERCHARGER-Schule nicht selten, dass ich zu hören bekomme, dies sei musikalisch ja durchaus wild und geil, inhaltlich jedoch, mal abgesehen von der nicht zu leugnenden D.I.Y.-Attitüde, recht anspruchsarmer, hedonistischer Schrott für nerdige „record collector assholes“ mit zu viel Kohle. „Werter Freund“, pflege ich sodann in Anbetracht derart ignoranter Fehleinschätzungen zu entgegnen, „ich möchte zur Entkräftung deiner Theorie nachdrücklich auf die RAWS verweisen!“ Drei saucoole, in Lack und Leder gekleidete Burschen aus den finstersten Winkeln von „Istanbuhell“, die den gesellschaftlichen und politischen Verhältnissen ihrer – trotz aller vermeintlichen Liberalisierungsbestrebungen – immer noch höchst frömmelnden und militärverseuchten Heimat, den berotzten Mittelfinger entgegenstrecken und einfach nur kompromisslos auf sämtliche Konventionen scheißen. Eben verflucht geiler Punkrock, mit Herzblut, Hirn und Leidenschaft! Meine Fragen beantwortete Schlagzeuger Pistol*B, der seinen richtigen Namen, angesichts der teils harschen Töne, die im Folgenden angeschlagen werden, dann doch lieber ungenannt wissen möchte.

Ihr bezeichnet euch ja selbst als „Turkey’s first and probably last garagepunkblues-arkestra ever“. Wie seid ihr also bitte mit dem „LoFi-Trash-Virus“ infiziert worden?


Ja, die RAWS sind definitiv „the first and worst garagepunkblues-combo from Turkey“. Die Band setzt sich zusammen aus Trash Wave und Bee Deadley an den Gitarren und mir, Pistol*B, dem Schlagzeuger. Begonnen hat alles vor drei Jahren, mit Unmengen von Efes-Bieren und Bergen billigen Rock’n’Roll-Vinyls. Es gibt zwei nach wie vor bestehende Vorgängerbands, zum einen NOT MADE IN CHINA, eine Punk-Band in der Trash Wave und Bee Deadly mitspielen, und RUMBLEFISH, eine Surfrock-Combo, bei der ich dabei bin. Jedenfalls hängen wir oft gemeinsam im wahrscheinlich einzig coolen Plattenladen Istanbuls ab und dort kamen wir mit den MONKS, MC5 oder CAPTAIN BEEFHEART in Berührung, lernten andererseits aber auch richtig dreckigen Blues von zum Beispiel Howlin’ Wolf, Screaming Jay Hawkins, Andre Williams oder auch Bo Diddley kennen. Als wir schließlich versuchten, unsere Kenntnisse mit Hilfe des Internets zu vertiefen, stießen wir auf all diese großartigen Garagepunk-Bands, unter anderem die fabelhaften MONSTERS, die STAGGERS aus Österreich, die MUMMIES und nicht zuletzt die legendäre 90er-Jahre-Garagepunkblues-Band THE GORIES aus Detroit, die auch der Grund dafür sind, dass wir selbst auf einen Bass verzichten. Jener unfassbar übersteuert-primitive Sound der GORIES mit dieser großartigen Blues-Komponente darin, der hat uns wirklich das Gehirn zerfetzt, Mann!

Wahrscheinlich seid ihr über das Internet dann auch mit der österreichischen Trashgranaten-Schmiede Squoodge Records in Kontakt gekommen? Was gibt es über eure bisherigen Veröffentlichungen dort zu berichten?

Squoodge Records und Papa Roland, was für ein verrückter Bastard ... Wir hatten vor einiger Zeit ein paar erste Aufnahmen, die wir innerhalb einer Nacht und komplett ohne Schlagzeug mittels eines Phillips-Kassettenrekorders aufgenommen haben, auf unserer MySpace-Seite gepostet. Gerade mal einen Monat später erhielten wir eine Mail von Roland und er war absolut begeistert davon. Schon kurz darauf befanden wir uns gemeinsam mit dem Reverend Beat-Man und MAN MADE MONSTER auf einem auf 66 Kopien limitiertem Stück Vinyl. Was für eine verdammt großartige Sache für uns – seit über einem Jahr haben wir die Sachen vom Beat-Man ununterbrochen rauf und runter gehört und plötzlich teilen wir eine Single mit diesem Kerl! Letzten Oktober, kurz vor unserer Deutschlandtour, erschien schließlich unsere Debüt-7“ „Let’s Have A Bondage Blues“, natürlich wieder auf Squoodge. Die vier darauf enthaltenen Songs wurden im Laufe von sieben Stunden live mit gerade mal zwei Mikrofonen und billigem Equipment aufgenommen. Really LoFi!

Wo du schon die Deutschlandtour erwähnst: Wie war es eigentlich für euch? Es war ja das erste Mal, dass ihr außerhalb der Türkei gespielt habt, nicht wahr?

Die Deutschlandtour war geil! Wir spielten neun Konzerte im Verlauf von 16 Tagen, nur zwei davon leider ohne den fantastischen DEAD ELVIS & HIS ONE MAN GRAVE. Dead Elvis ist der lustigste Bastard, auf den wir jemals getroffen sind, und wir hätten uns wirklich keinen großartigeren Kameraden wünschen können, um überall die Bühnen zu teilen. Er erzählt wirklich jedem, der es nicht wissen will, er sei der tote Rockstar-Geist von Elvis und käme direkt aus Disgraceland – hahaha, was für ein verrückter Kerl! Unsere lustigste Anekdote haben wir auch mit ihm gemeinsam erlebt, in Frankfurt am Main. Der Besitzer von dem Laden, in dem wir spielen sollten, war ein ziemlich schräger Vogel. Man warnte uns zwar bereits vorher, dass es sich bei ihm um einen echten Elvis Presley-Fanatiker handeln würde, aber wir nahmen das zunächst noch nicht allzu ernst. Als wir dort schließlich zum Soundcheck eintrafen, wurde uns jedoch alles klar: Der ganze Club war gefüllt mit religiös anmutenden Ikonenbildern vom „King“ und dann untersagte der Inhaber unserem toten Elvis doch allen Ernstes, bei ihm aufzutreten! Wahrscheinlich ein Mitglied der „Church of Elvis“. Wie wir später noch hörten, verbietet dieser Kerl sogar jedem, der bei ihm auftritt, Elvis-Songs zu covern, hahaha! Ansonsten waren fast alle, auf die wir trafen, ziemlich cool und die Leute schienen sehr viel mehr an unserer Musik interessiert zu sein, als bei uns in der Türkei. Nur in Chemnitz war das Publikum ein wenig lahmarschig.

Was könnt ihr über die Punk-Szene in Istanbul und Anatolien, abgesehen von euch und euren bereits angesprochenen Nebenprojekten, noch Nennenswertes erzählen?

Nun, speziell in den drei größten Städten, Istanbul, Ankara und Izmir, existieren eine Menge so genannter „Punk“-Bands, nur leider sind diese fast ausnahmslos dem grässlichen Emo-Genre zuzuordnen oder sie bevorzugen irgendeinen hirnamputierten Teenager-Macho-Oi!-Style. Einer der wenigen Orte, an denen wir überhaupt auftreten können, ist der Peyote Club, laut Selbstbezeichnung „das Herz der Istanbuler Underground- und Kunstszene“. Doch ehrlich gesagt: auch dieser Laden ist ein Haufen Scheiße! Hauptsächlich spielen dort diese grauenhaften, modernen, „Oriental Fusion-Postpsychedelic“-Bands, mit Songs, welche die Zehn-Minuten-Grenze kaum unterschreiten. Manche dieser Gruppen, wie zum Beispiel REPLIKAS oder BABA ZULA, könnten euch Deutschen durch den Film „Crossing The Bridge bekannt sein. Aber wir haben die Schnauze voll von dieser europäischen Verzückung gegenüber angeblich türkischer Kultur. Dennoch gibt es auch noch andere Bands, die wir, abgesehen von unseren eigenen, empfehlen können: Zum einen die OFFICEBOYS, die einen wirklich energiegeladenen Oldschool-Hardcore spielen, und natürlich ART DIKTATOR, einer unserer engsten Freunde, der als One-Man-Gothic-Industrial-Band auftritt – ein absolut abgedrehter Typ!

Tolga Güldalli, einer der Macher des Buches „An Interrupted History...“, beschreibt, dass es sich bei der Punk-Szene in der Türkei hauptsächlich um ein reines Teenager-Ding handele und spätestens, wenn der Wehrdienst anstünde, die meisten Leute der Szene verloren gingen, zumal es kaum möglich sei, sich dem gesellschaftlichen Druck zu entziehen, eine Familie zu gründen und diese auch zu ernähren. Wie sieht das bei euch aus: Musstet ihr euren Wehrdienst schon absolvieren und wie schlagt ihr euch jobmäßig so durchs Leben?

Es ist absolut richtig, was Güldalli sagt: Punk in der Türkei zu sein, bedeutet in der Regel nicht viel mehr, als im Alter zwischen 18 und 25 Jahren einen zarten, naiven Teenagertraum zu leben. Dann gilt es, eine Familie zu gründen, einen Job zu finden, blabla; es ist wirklich hart, sich all diesen traditionellen Konventionen entgegen zu stellen. Was den Militärdienst betrifft: Jeder Türke im Alter ab 21 Jahren ist verpflichtet, an diesem Scheißdreck, dem größten, den dieses Land hervorgebracht hat, teilzunehmen. An uns ist der Kelch bislang zwar vorüber gegangen, da wir noch eingeschriebene Studenten sind, aber das Militär lauert schon an unserer Hintertür und es gibt keine verdammte Möglichkeit sich wie beispielsweise in Deutschland für Zivildienst zu entscheiden! Bee Deadley und Trash Wave sind ständig auf Jobsuche und haben auch schon den letzten Mist gearbeitet, zum Beispiel in einer Wäscherei, als Parkplatzwächter oder Haushaltswarenvertreter. Ich verdiene mein Geld, indem ich mich täglich für neun Stunden um bescheuerte Touristen in einem Hostel kümmere. Es ist verdammt hart, in der Türkei über die Runden zu kommen, erst recht, wenn man so eine Musik spielt wie wir.

Wie bewertet ihr denn – auch im Hinblick auf das bei uns immer wieder heiß diskutierte Dauerthema „EU-Beitritt“ – die politische Situation bei euch? Die Klischeevorstellung in Deutschland besagt ja, dass es innerhalb der türkischen Gesellschaft eine enorme Zerrissenheit gäbe, zwischen den eher liberal-säkular eingestellten Kemalisten und der islamistischen Hardliner-Fraktion?

Zu circa 70 Prozent ist es wahr, dass die türkische Gesellschaft zwiegespalten ist, zwischen extremen Moslems und den vermeintlich modern und säkular erscheinenden Kemalisten. Wir möchten ausdrücklich betonen, dass wir keine dieser beiden Ideologien unterstützen! Das türkische System basiert auf drei beschissenen Säulen: der Armee, den Ultra-Nationalisten und den traditionellen, muslimischen Fundamentalisten. Im Moment versucht sich die Regierung, von einer modernen, liberalen Seite zu zeigen, aber tatsächlich sind sie einfach nur verdammt gut organisiert und verfolgen insgeheim wirklich verrückte Ideen. Doch das größte Tabu in der Türkei stellt die Armee dar. Weder Volk noch Regierung können irgendetwas unternehmen, was die Armee nicht wünscht. Hier stinkt alles nach totalitärem Faschismus! Die Türkei ist ein Militärstaat und 40 Prozent der Steuern, die wir zahlen, fließen direkt in die Armee und die Verteidigung des Vaterlandes – dabei wissen wir immer noch nicht, wovor uns diese Leute zur Hölle überhaupt beschützen? Letztes Jahr wurden ca. 30 junge Leute von der Polizei umgebracht, ohne jeglichen Grund! Und kurdischen Kindern im Alter von gerade mal 12 bis 16 Jahren wird der Prozess gemacht, weil sie angeblich die PKK unterstützen würden! Wir leben in einem wirklich unheimlichen Land. Es heißt immer, Anatolien wäre so berühmt für seine Tradition der Toleranz – bullshit! In Wahrheit hegt die Mehrheit der türkischen Bevölkerung eine ultrarassistische Einstellung gegenüber allen nicht-muslimischen Minderheiten, seien es nun „Zigeuner“, Griechen oder Armenier. Doch das Schlimmste daran ist, dass sich der Großteil dieser Wahnsinnigen aus jungen Leuten rekrutiert, vor allem den vermeintlich gebildeten Studenten. Es handelt sich also mitnichten um nur im traditionalistischen, älteren Milieu verankerte Ideen. Und das ist wirklich gefährlich!