ROGUE STEADY ORCHESTRA

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Do the Schurkenska!

„Deutschland ist ein Schurkenstaat – und wir sind das Staatsorchester“. Selbstbewusste Töne der neunköpfigen Band aus Göttingen, die seit 2002 unterwegs ist und im September 2008 ihr bereits drittes Album, „Ein Drittel Angst, zwei Drittel Wut“, auf Twisted Chords veröffentlicht hat. Auch behält sich das ROGUE STEADY ORCHESTRA vor, dem eigenen Genre vorzustehen – dem Schurkenska. Ihre betont kritische Haltung, nicht nur gegenüber den „üblichen“ Missständen, verpacken die neun RSOs in mitreißende, kurzweilige Songs, die irgendwo zwischen Reggae, beschwingtem 3rd-Wave-Ska und punkigen Riffs zum Grooven, Skanken und auch Pogen animieren. Nicht selten stehen dabei Vorstädte, staatlicher Überwachungsdurst, „Vollärsche“ und Neofaschismus im Fokus der Niedersachsen. Ausgeteilt wird heftig und „schuld sind immer die Anderen“ – Stadion-Ska geht definitiv anders. Basti von RSO beantwortete meine Fragen.

Herzlich willkommen im Licht der Szene-Öffentlichkeit. Was macht das RSO relevant für selbige, welchen Anspruch habt ihr an euer Publikum?


Wir sind relevant, weil unsere Ideen, wie sich Ska anzuhören hat, ausgemacht gute sind! Und weil wir dazu auch noch was zu sagen haben. Abgesehen von einem nazi- und auch sonst arschlochfreien Publikum hält sich unser Anspruch diesbezüglich in engen Grenzen. Was nervt sind die zwei, drei Stiernacken, die den Respekt für ihre 20 Quadratmeter Tanzfläche einfordern, den sie offensichtlich selbst nicht in der Lage sind anderen zuzugestehen. Natürlich wollen wir, dass das was wir machen gefällt und die Leute offen sind, sich auch auf Rhythmen jenseits von 08/15-Zappel-Ska einzulassen. Und sich vielleicht die Texte anhören und anfangen, sich selbst ein paar Gedanken zu machen.

Ich nehme an, ihr hattet trotz des Albumtitels eine Menge Spaß beim Einspielen der neuen Stücke und habt diesen auch heuer auf der Bühne?

Alben von uns gibt’s durchschnittlich nur alle 2,333 Jahre, denn uns geht’s vor allem um Konzerte. Live zu spielen ist uns wichtig, Konzerte sind keine CD-Marketingveranstaltungen, sondern der eigentliche Spaß – und den haben wir ohne Ende.

Eine gesunde Portion Angst ist wichtig, Wut entsteht oft von ganz alleine. Welche Motivation steckt hinter RSO – was gibt euch die Band?

Mit RSO Musik zu machen, verursacht zum Glück weder Angst noch Wut, sondern in erster Linie große Freude, manchmal einen Kater und ganz selten auch ein bisschen Stress. An den absurdesten Orten immer noch ein Jugendzentrum mit Menschen zu finden, denen die gleichen Dinge wie uns am Herzen liegen, ist immer wieder eine großartige Erfahrung. Die Mischung aus Angst und Wut, die da so seltsam gärt, ist eher außerhalb des Proberaums zu finden. Und „da draußen“ liegt auch eine wichtige Motivation, Musik mit politischen, linken Texten zu machen, auf inhaltsleeren Stadion-Ska zu scheißen und bei Gelegenheit gerne politische Initiativen zu unterstützen. RSO macht erstens Spaß und zweitens ist Musik nicht der schlechteste Weg, Leute zum nachdenken zu bewegen. Kein Songtext dieser Welt ersetzt ein Buch oder die Erfahrung, selbst auf eine Demo zu gehen, aber zu Hause beim nochmaligem Anhören festzustellen, dass nicht nur die Musik klasse ist, sondern auch die Texte. Da drauf drücken, wo es weh tut, hat wenigstens bei mir überhaupt erst mal dazu geführt, sich zu fragen, warum die „ganze Scheiße“ überhaupt so scheiße ist.

Das neue Album hat elf Stücke, welches davon liegt euch besonders am Herzen? Textlich scheint euch das Konstrukt Europa – die Menschen auf der einen, die Politik auf der anderen Seite – intensiv zu beschäftigen.

Das stimmt. Natürlich ist auch Deutschland ein Scheißland. Aber Europa als werdende Weltmacht deshalb als Projekt der Völkerverständigung misszuverstehen, ist leider nicht richtig. Und die an den Außengrenzen dieses ganzen Schlamassels zu Tausenden sterbenden Flüchtlinge bringen uns nicht erst seit diesem Album auf die Barrikaden. Mein liebstes Lied ist dennoch ein anderes, nämlich „Kunst des Verlierens“. Darin heißt es: „Schluss mit haben haben / Schluss mit ich ich ich / Das klingt sozial / Obwohl sich der Verdacht erhärtet / Sie verschlanken das Budget / Und sie meinen dich“. Nicht so „gierig“ zu sein, nicht so „egoistisch“, das ist nicht nur ein Missverständnis in der Szene, sondern auch der nationalistische und neoliberale Sirup, der zum Wohl von Volk und Standort gelöffelt werden soll. Aber weder für einen Szenekodex und noch viel, viel weniger für dieses Land und diesen Wirtschaftsstandort lasse ich mir den Spaß nehmen. Wenn man den „Egoismus“ ernst meint, muss man sich ohnehin zusammentun und dafür sorgen, dass das alles anders wird. Wenn ich ein gutes Leben will, gehört dazu eine andere Welt. Und für die zu kämpfen, kann man von mir aus auch „egoistisch“ und „gierig“ nennen.

Die Welt dreht sich fleißig weiter, wir uns mit. Der Ska-Szene scheint jedoch derzeit ein wenig das Feuer zu fehlen.

Ska ist eine ziemlich alte Spielart des Offbeat, die – so zumindest mein Eindruck – immer schneller geworden ist, dabei musikalisch jedoch mit wenig veränderten Stilelementen, die gleichzeitig in Sachen Attitüde und Inhalt immer neue Niveautäler durchschreitet. Das gilt natürlich nicht für das ganze Genre, es gibt nach wie vor großartigen Ska und einige Bands, welche die Schnittstellen zu anderen Stilen austesten, wie beispielsweise zu Swing, Punk, Rock’n’Roll, Jazz oder Dub, Drum&Bass und Balkanbeats, und großartige Sachen machen. In Deutschland sehe ich davon allerdings nicht allzu viel, hier ist noch lange nicht die letzte Band mit Ballermann-Texten, Uffta-Uffta-Attitüde und „witzigem“ Ska-Namen gegründet worden.

Heutzutage fällt es häufig schwer, den oftmals sehr hoch gesteckten Erwartungen und Ansprüchen an sich selbst gerecht zu werden. Ethik hier, Konsum da – aus welcher Zwickmühle kommt ihr so schnell nicht mehr heraus?

Bühne hier, Monitorboxen da. Backstage hier, Bierkasten da. Gute Laune hier, Publikum da. Im Ernst: Bewusst durchs Leben zu gehen und vermeidbaren Blödsinn zu lassen, ist wichtig. Nicht nur für ausgebeutete Kaffeebauern und arbeitende Kinder, sondern auch für uns, als Erinnerung, dass wir es sind, die die Gesellschaft machen. Umgekehrt macht aber die Gesellschaft auch uns, und dafür ein schlechtes Gewissen zu haben, ergibt keinen Sinn. Besser den Arsch hochkriegen und die ganze Bäckerei übernehmen, anstatt „nur“ Fairtrade-Brötchen zu kaufen. Dann klappt es auch mit dem guten Gewissen.

Gibt es auch Tage, an denen ihr es satt habt, stets integre, engagierte und ethisch korrekte Revoluzzer zu sein?

Solange das Verhältnis aus einem Drittel Angst und zwei Dritteln Wut bestehen bleibt und solange man sich nicht selbst vorlügt, dass das hier schon alles klargeht, solange ist noch nichts verloren. Klar wird man müde – hier den aufrechten Helden zu markieren, ist zu billig. Stets integer sind wir bestimmt nicht und immer noch kommt erst das Fressen und dann die Moral. Aber mit ein bisschen Verständnis, vor allem für die eigenen Schwächen, muss man deswegen noch lange nicht vergessen, worum es eigentlich geht.

Wenn ihr eure eigene persönliche Entwicklung betrachtet, reagiert ihr mittlerweile gelassener auf Dinge, die um euch herum geschehen, oder gibt es andererseits auch Bereiche, in denen ihr keine Kompromisse mehr eingeht?

Wir sind heute gelassener, was stumpfe – aber richtige – Parolen angeht. Gelassener, was jugendliche Begeisterung für stumpfen – aber richtigen – Ska angeht. Gelassener, was die Frage „true or not?“ angeht. Gelassener, was SzenepolizistInnen angeht. Aber im Bermudadreieck aus Patriotismus, Männerwitzen und Soldatencharme verschwindet bei uns immer noch jede Kompromissbereitschaft.