SNAILHOUSE

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Musikgeschichte zum Kaffee

Mike Feuerstack ist schon lange musikalisch aktiv. Mit Bands wie THE WOODEN STARS oder BELL ORCHESTRE war und ist er ein fester Teil der Musiklandschaft seiner Heimatstadt Montreal. Seit einigen Jahren veröffentlicht der Songwriter seine Stücke vorrangig unter dem Namen SNAILHOUSE und konnte für dieses Projekt bereits zahlreiche Freunde begeistern, die bei recht bekannten Bands ihre Kunst ausüben. So finden sich etwa Mitglieder von MARITIME oder ERIC’S TRIP gerne im Hause Feuerstack ein, um gemeinsam mit Mike zu musizieren. Zu hören sind die einnehmenden, folkigen Lieder des Kanadiers unter anderem auf dem unlängst erschienenen Album „Lies On The Prize“, welches von Jeremy Gara (THE ARCADE FIRE) auf klanglichem Höchstniveau produziert wurde. Im Rahmen eines Auftritts in Bonn gastierte dieser beeindruckende Songschreiber, der zudem ein äußerst netter und eloquenter Mensch ist, auf meinem bescheidenen Gästesofa. Während des gemütlichen Kaffees am Tag nach dem gelungenen Auftritt packt beim Blick ins Plattenregal ein Album seine Aufmerksamkeit. Es handelt sich um das Rerelease von „Return Of The Giant Slits“ und Mike begann sich zu erinnern ...

Welchen Eindruck haben die SLITS damals bei dir hinterlassen?


Ich habe „Cut“ zum ersten Mal als Teenager in einem Plattenladen gesehen. Auf dem Cover sind sie fast komplett nackt und vollkommen mit Matsch bedeckt. Und dann machten diese drei wunderschönen „Bad ass“-Frauen auch noch eine derart interessante Musik. Es hat mich einfach umgehauen, ich hatte so etwas noch nie zuvor gehört oder gesehen. Es ist die eine Sache, halbnackte Frauen zu sehen, wenn man ein 14-jähriger Junge ist, aber Frauen zu hören, die Punkrock spielen, war ein total anderes Ding. Die Musik war mir damals allerdings noch ein bisschen zu sonderbar, um direkt einen Zugang zu finden. Allerdings erregten sie mein Interesse und ich lernte, diese Songs zu lieben.

Welches waren denn die Bands, die dich in den Punkrock eingeführt haben?

Das Einzige, was ich gehört hatte, bevor es bezüglich Punk bei mir „klick“ machte, waren THE POLICE und PLATINUM BLONDE. Ich liebte zwar Musik, aber ich stand nur auf diese beiden Bands. Mein älterer Bruder hatte eine Menge Platten, mit denen ich damals nichts anfangen konnte, wie zum Beispiel LED ZEPPELIN oder RUSH und meine ältere Schwester hörte ABBA. Das Erste, was mich richtig aufgerüttelt hat und die Lust weckte, selbst Musik zu machen, war das „99 red balloons“-Cover von den 7 SECONDS. Ich hatte nie die Dringlichkeit und Botschaft des Stückes verstanden, so lange es mir als Popsong präsentiert wurde. Es klang einfach trashig und harmlos. Dann nahmen 7 SECONDS das Lied und brutalisierten es. Es war noch immer melodiös und hatte die Aspekte, die man an einem Popsong mag, aber jetzt gab es all diese Ecken, Kanten und dunklen Abgründe. Jetzt war es aufregend und furchteinflößend. Ich hatte das Stück auf einem Tape von einer Freundin meiner Schwester und darauf waren außerdem BAD RELIGION, THE CLASH und THE CRAMPS. Durch diese Kassette erhielt ich einen ersten Einblick und fing dann an, selbst für Stunden in Plattenläden zu verschwinden. Die einzige Möglichkeit, damals an neue Musik zu kommen, war das Album für etwa zehn Dollar zu kaufen, und ich hatte nicht so viel Geld. Es war also ein eher langsamer Prozess, aber ich liebe diese Musik noch immer. Erst vor einigen Tagen noch habe ich mir eine BLACK FLAG-CD gekauft. Punk ist ein großer Teil meiner musikalischen Vergangenheit und Entwicklung.

Hast du auch selbst in Punkrock-Bands gespielt?

Meine erste Gruppe war eine großartige Hardcore-Band namens THE UNDERDOGS, zu der auch Rick White gehörte, der später bei ERIC’S TRIP spielte. Ich konnte damals noch gar kein Instrument spielen, deshalb fungierte ich als Sänger und schrieb die Texte. Rick spielte Bass und wir beide schrieben alle Songs und machten das ganze Artwork. Wir waren total D.I.Y. und spielten auf Kellerpartys. Das hat mir geholfen, zu erkennen, dass ich in der Lage bin, Songs zu schreiben und selbst Musik zu machen, ohne ein Virtuose zu sein. Wenn du etwas zu sagen hast, dann sag es! Es hat mir gezeigt, dass, wenn man seine Sache mit Überzeugung macht, dir die Leute auch gerne zuhören werden.

Diese Einstellung erinnert mich an Billy Bragg.

Ich bin ein großer Fan von ihm. Auf dem zweiten Tape, das ich von dieser Freundin erhielt, befanden sich auch einige seiner Lieder. Es war wohl so 1986 oder ’87, als ich diese wundervollen Liebeslieder entdeckte. Er ist einer der wenigen Songwriter, der politische Ideen mit sehr emotionalen Themen verbinden kann. Es gibt viele gute politische Songwriter, aber kaum jemand schafft es, so besonders zu klingen. Billy Bragg ist vielleicht nicht der beste Gitarrist der Welt, aber er hat auch musikalisch einiges zu bieten. Ich denke, das Wichtigste dabei ist, dass Leute, wenn sie über Punkrock reden, oft vergessen, dass man zwar kein Virtuose sein, aber wirklich Musik machen wollen muss. Es gibt Leute, die zwar einiges zu sagen haben, aber die Musik dazu ist einfach furchtbar. So etwas hat mich noch nie interessiert, da würde ich dann lieber einen Essay lesen. Aber bei Bands wie BLACK FLAG sind die Lieder einfach auch musikalisch sehr spannend. Sie sind vielleicht aggressiv, laut, wütend, ungeschliffen oder auch naiv, doch auch dort steht ein musikalisches Konzept hinter allem. Bis zum heutigen Tag ist es noch immer diese Mischung aus textlicher und musikalischer Aussage, die mich an guten Songs reizt.

Wenn man schließlich man noch einen Schritt zurück geht, steht vor Billy Bragg sicher Bob Dylan in der Ahnenreihe und der wiederum folgte Woodie Guthrie. Siehst du dich in dieser Tradition?

Tatsächlich entdeckte ich genau so diese Musiker. Als junger Mensch habe ich Billy Bragg gehört, dann in meinen 20ern lernte ich Bob Dylan lieben und durch ihn kam ich schließlich auf Woodie Guthrie. Der erste Guthrie-Song, den ich je hörte, war zudem eine Coverversion von Billy Bragg. Ich sehe mich also schon irgendwie in dieser Tradition, aber das bedeutet nicht, dass ich mich für besonders wichtig in dieser Reihenfolge halte.

Bei deinem Auftritt gestern hast du „The man in me“ von Dylan gespielt, das viele sicher vom Soundtrack zu „The Big Lebowski“ kennen.

Das Lied stammt ursprünglich von „New Morning“. Meine Liebe für den Film und meine Liebe zu dem Song sind allerdings zwei paar Schuhe. Ich mochte das Lied schon vorher, und als es dann im Film lief, war es die perfekte Kombination. Ich habe den Film sehr, sehr oft gesehen.