OX 20: USCHI HERZER

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... trägt eigentlich keine roten Pyjamas

Mein erster Kontakt mit einem Fanzine war 1986 auf Klassenfahrt in Berlin. Da kaufte ich mir die „Bierfront“, ein bis heute aktives Heft, dessen einer Macher, Frank Castro, heute gelegentlich fürs Ox schreibt. Davor kannte ich an „alternativen“ Heften nur die Spex, und die fand ich damals schon beschissen. 1987 aber lernte ich Uschi kennen, und die hörte nicht nur interessante Musik namens „Hardcore“ – Punk kannte ich ja schon –, sondern kannte auch in ganz Deutschland Leute, die Labels machten, mittels kleiner kopierter Listen Platten per Postversand verkauften, in Bands spielten – und sie machte ein Fanzine, das heißt, als wir uns kennenlernten, hatte sie den Spaß daran eigentlich schon wieder verloren und ich musste sie fast zwingen, mit mir zusammen eine letzte Ausgabe zu machen. So wurde die letzte Ausgabe von „Sie trägt rote Pyjamas“ mein „Gesellenstück“, bevor Ende 1988 der Entschluss gefasst wurde, das Ox zu starten. Uschi begleitet seitdem das Ox als „Consultant“, als Buchhalterin, als Lebensgefährtin, als Stütze in allen Lebenslagen. Klar also, dass neben Biggi Häußler und Thomas Hähnel auch endlich mal sie zu den Anfängen und der Entwicklung des Ox befragt werden musste.

Bitte stell dich vor.

Uschi Herzer, Jahrgang 1963, geboren und aufgewachsen in einem 5.000-Seelen-Kaff in Bayern. Anfang der 1990er ins Ruhrgebiet gezogen, noch das eine oder andere Mal umgezogen und schließlich 2007 in Solingen gelandet.

Was machst du, um deinen Lebensunterhalt zu verdienen, wie war der Weg dorthin?

Nach der Realschule habe ich bei uns am Ort eine Ausbildung zur Apothekenhelferin angefangen. Das war 1980. Ende der Achtziger bin ich in der Möbelbranche gelandet und habe dort ein paar Jahre im Verkauf gearbeitet. Irgendwann kamen mir dann doch Zweifel, ob das alles gewesen sein kann, und beschloss, noch mal die Schulbank zu drücken. Mit 30 habe ich dann angefangen, mein Abitur nachzumachen, und habe im Anschluss daran Sozialpädagogik studiert. Seit sechs Jahren arbeite ich als Assistentin der Geschäftsführung in einem Trainings- und Beratungsunternehmen. Ist das mein Traumjob? Keine Ahnung. Was ist das überhaupt? Mir macht meine Arbeit Spaß, sie ist sehr abwechslungsreich, ich habe mit vielen unterschiedlichen Menschen zu tun, stehe jeden Tag vor neuen Herausforderungen, kann reisen und habe einen Chef, der meine Arbeit schätzt. Was mich bei der Berufswahl motiviert hat? Meinen Teil dazu beizutragen, dass diese Welt ein bisschen gerechter und lebenswerter wird. Pathetisch, ich weiß.

Wie „punkrock“ ist dein Job, wo gibt es Berührungspunkte zu deinen privaten Interessen bzw. zu Punk-Idealen, worin liegen die „Inkompatibilitäten“?

Es ist ein Job, mit dem ich meinen Lebensunterhalt bestreiten kann. Ich gehe morgens ohne Magenschmerzen aus dem Haus und muss mich nicht betrinken, wenn ich abends nach Hause komme. Also alles gut.

Wie bist du einst zu Punk/Hardcore gekommen?

Von diesem Virus infiziert wurde ich 1982 oder 83, als sie im ZDF einen Wohnzimmerauftritt der DIE TOTEN HOSEN zeigten, bei dem wild rumgepogt wurde. Total fasziniert habe ich an das ZDF geschrieben, um mehr über diese Band zu erfahren. Über 1000 Umwege bin ich dann schließlich an die „Opelgang“ gekommen, mit einem handgetippen Brief von Campino. Den habe ich übrigens heute noch ... Kurze Zeit später habe ich in der Zeitschrift „Musikszene“, die ich damals gelegentlich gekauft habe, eine Kleinanzeige von Frank Wozniak aus Köln gelesen, die sehr spannend klang. Der hat damals das „Jinx“ Fanzine gemacht und Wunschmusiktapes für andere Leute aufgenommen. Großartig! Tja, und danach ging alles ganz schnell. Punk/Hardcore hat mich förmlich überrollt. Das Landleben war eher langweilig, ich war nicht wirklich ausgelastet und so verbrachte ich von nun an jede freie Minute mit Briefe schreiben, andere Fanziner kontakten, Fanzines lesen, neue Musik hören usw. Es war eine geile Zeit, ich war mittendrin in dieser aufbrodelnden Hardcorebewegung und fands einfach nur spannend. Ich war lange Zeit auf der Suche nach „meinem“ Platz und habe ihn schließlich hier gefunden. All die Dinge, die mich damals sehr beschäftigt haben, interessierten plötzlich auch andere: Fünf Kilometer von meinem Wohnort hatten die Amis ein Pershing-Lager, Wackersdorf war eine ständige Bedrohung, Ölpest und Boykott von Texaco usw. Ich habe Freunde im Ruhrgebiet kennenglernt, die ich oft besucht habe, mit denen ich hitzige Debatten zum Thema Vegetarismus, Tierrechte usw. geführt habe und die mich letztendlich davon überzeugt haben, keine Tiere mehr zu essen (hallo Erika, KC und Till!). Irgendwann wollte ich dann auch ein eigenes Fanzine haben und habe mal eben mit „Sie trägt rote Pyjamas“ losgelegt. Ich war damals eine der wenigen Frauen, die aktiv etwas gemacht haben. Ausser mamü aus Frankfurt und ein paar Mädels aus der Ecke von München (hallo Rosi!) gab’s nicht viele. Aber da hat sich auch heute nicht viel geändert. Schade!

Wie reagierte dein Umfeld auf deine Punkrock-Vorliebe?

Privat war und ist das kein Thema. Beruflich wusste fast keiner was von meinem Privatleben und meine Eltern haben das, glaube ich, nie so richtig verstanden und checkten auch gar nicht, was ich da eigentlich so gemacht habe. Aber das ist in Ordnung. Lustigerweise spielte mein Cousin bei den Ewings, einer sehr geilen Oldschool-Hardcore-Band aus Süddeutschland. Komischerweise habe ich das lange Zeit gar nicht gewusst, da keiner von uns beiden groß etwas mit der Verwandtschaft zu tun haben wollte.

Punk war mal eine Jugendbewegung. Wie lässt sich das mit deinem Alter vereinbaren? Für immer jung, für immer Punk? Oder manchmal doch das schleichende Gefühl, für irgendwas zu alt zu sein?

Klar war das mal eine Jugendbewegung, aber das bedeutet doch nicht, dass ich mit 45 Jahren nichts mehr damit zu tun haben darf, oder? Vielleicht lässt es sich ja so beschreiben, dass ich mit Punk/Hardcore eine organische Verbindung eingegangen bin und die Ideale, wie ich sie verstanden habe, absorbiert habe, die mich geprägt haben und zu einem Teil meiner Lebensphilosophie geworden sind. Für mich war das Äußerliche nach der anfänglichen Faszination eher zweitrangig. Wirklich interessiert haben mich ganz andere Dinge und das sind auch die Sachen, die über die Jahre geblieben sind: mach dein eigenes Ding, „no gods no masters“, ein Leben zu führen, mit dem ich der Welt, in der wir leben, möglichst wenig Schaden zufüge, mit offenen Augen durch die Welt zu gehen, neugierig zu sein, den anderen zu respektieren, Toleranz und Mitgefühl zu zeigen. Untrennbar damit verbunden ist die Musik, die vieles davon ausdrückt, transportiert und mir hilft, mit manchen Dingen besser klarzukommen – die wie ein guter Freund zu mir ist.

Bei welcher Gelegenheit hast du angefangen, über Musik zu schreiben?

Richtig über Musik geschrieben habe ich immer nur ansatzweise. Mal eine Besprechung, mal ein Bandinterview, aber im Großen und Ganzen waren die roten Pyjamas eher so ein Egozine-Ding mit Gedichten, Geschichten, Kollagen, Konzertberichten und ähnlichem. Fanzines waren damals mehr ein Kommunikationsmedium und weniger Fan-Musikjournalismus; zumindest war das bei den Kleinen so. Man verschickte das an seine Freunde und Bekannten und tauschte mit anderen Fanzinemachern. Ich glaube, verkauft habe ich davon die wenigsten Hefte. Wie ich das gemacht habe? Mit der gelben Triumph-Reiseschreibmaschine getippt, mit der Schere ausgeschnitten, zusammengeklebt und im Copyshop 200-mal vervielfältigt. Ich habe von dem Heft in unregelmäßigen Abständen vier Ausgaben gemacht und danach war das Thema für mich durch. Ich hatte den Spaß daran verloren und der Reiz war irgendwie weg.

Als das Ox ins Leben gerufen wurde, gab es dein Heft schon gar nicht mehr. Hat es dich nie gereizt, dich über die Rezeptseite und die „Hintergrundarbeit“ hinaus einzubringen?

Na ja, so ganz stimmt das ja nicht. Ab und an, wenn mich ein Thema interessiert, bringe ich mich schon ein; auch das eine oder andere Band-Interview ist von mir. Oder nimm die „Girlie-Seite“, die wir über ein paar Ausgaben gemacht haben. Das legendäre Adolf-Hitler-Gewürzbild werde ich nie vergessen ... Und nicht zu vergessen die Ox Kochbücher! Aber ganz ehrlich: ich glaube, alles, was mit einem dauerhaften Engagement zu tun hätte, wäre mir schlicht zu viel. Ich komme nicht vor 18:30 Uhr nach Hause, zwei- bis dreimal die Woche geht es dann noch auf eine Show. Da bleibt nicht mehr so viel an Zeit. Wenn ich dann unter Deadlinedruck etwas zustande bringen soll, verliere ich den Spaß daran und es wird krampfig.

Was ist heute ganz anders, was gleich geblieben im Vergleich zu den Achtzigern in Sachen Fanzinemachen?

Gleich geblieben ist sicherlich die Motivation, warum jemand ein Fanzine macht. Neu hinzugekommen ist ein anderes Medium – das papierlose Online-Fanzine. Finde ich persönlich aber nicht so sexy, da bis auf wenige Ausnahmen oftmals Geschriebenes publiziert wird, das nicht wirklich lesenswert oder informativ ist. Verändert hat sich in Zeiten von Internet und E-Mail sicherlich auch der Stellenwert als Kommunikationsmedium. Networking passiert heute in erster Linie über Newsletter, E-Mails oder tagesaktuelle Homepages.

Wie würdest du die Entwicklung des Ox über die 20 Jahre beschreiben?

Ich bewundere Joachim und die Ox-Crew für ihre Arbeit und ihr Durchhaltevermögen. Ehrlich. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass ich jemals eine Ausgabe in den Händen hatte, bei der ich dachte: „Na ja ... Das Ox ist über die Jahre hinweg zusammen mit allen gewachsen. Es ist in meinen Augen eines der wenigen Hefte, das äußerst professionell gemacht ist, mit unglaublich viel Herzblut und Liebe zu dieser Musik. Dabei gefällt mir besonders die Offenheit gegenüber anderen Genres und Themen, die man vielleicht in so einem Magazin nicht unbedingt erwarten würde. Und nein: Ich wurde nicht zu diesem Statement gezwungen.

Gab/gibt es ein Interview/einen Artikel, der dir besonders in Erinnerung geblieben ist, positiv wie negativ?

Auch nach längerem Nachdenken fällt mir da nicht wirklich was ein. Generell finde ich aber die Nicht-Band-Interviews interessanter, weil die Leute oft mehr zu sagen haben.

Welche Bands/Platten und Genres haben dich früher beeindruckt und beeinflusst, welche sind es heute?

Als ich mich Anfang der Achtziger für alternative Musik zu interessieren begann, hörte ich eher leicht zugängliche Bands wie CLASH, WIPERS, DIE TOTEN HOSEN, FEHLFARBEN. Mitte der Achtziger war das dann immer mehr Oldschool-Ami-Hardcore wie DAG NASTY, ARTICLES OF FAITH, SCREAM und die ganzen italienischen und skandinavischen Bands wie beispielsweise SO MUCH HATE und NEGAZIONE. An deutschen Bands mochte ich die SPERMBIRDS, RAZZIA, NEUROTIC ARSEHOLES. Die ganze Zeit begleitet haben mich EA80 und später die BOXHAMSTERS. Heute höre ich gerne Musik aus der neueren Hardcore-Schule wie CONVERGE, PAINT IT BLACK oder DEFEATER, die im Verhältnis zu den meisten Oldschool-Bands wesentlich derber und heftiger sind, aber gleichzeitig sehr intensiv und leidenschaftlich und mich genau deshalb ansprechen. Ich mag aber auch sehr gerne SAMIAM, DACKELBLUT oder eine der anderen Bands von Jens, und die EDITORS, etc.

Was hat sich deiner Meinung nach in der Szene in der Zeit, die du dabei bist, am maßgeblichsten verändert, sowohl positiv wie negativ?

Ich werde echt sentimental, wenn ich anfange darüber nachzudenken. Wir waren jung und die Idee von D.I.Y. war so ziemlich das Coolste, was uns passieren konnte. Wir haben alles selber in die Hand genommen oder besser gesagt: nehmen müssen, denn es war ja nicht wirklich viel an Infrastruktur da. Es hat unglaublich Spaß gemacht, an diesem kreativen Prozess mitzuwirken und einfach zu machen. Und heute? Ich weiß nicht, ob mich diese Szene 2009 noch so in den Bann ziehen würde wie 1984. Unvorstellbar wäre 1985 wahrscheinlich gewesen, dass sich christliche Hardcore-Bands in der Szene breit machen können. In meinen Augen ein absolutes Oxymoron, aber wir sind ja alle so unglaublich tolerant. Und schließlich ist da noch die bittere Erkenntnis, dass in meinem Subkultur-Mikrokosmos heute dieselben Mechanismen greifen wie in unserer „normalen“ Gesellschaft. Kapitalismus ist so perfide und zerstörerisch und das macht auch vor meiner kleinen heilen Welt keinen Halt mehr.

Was ist heute das größte Ärgernis in Zusammenhang mit Musik?

Dass heute wirklich jeder die Möglichkeit hat, eine CD zu veröffentlichen, egal, wie gut oder schlecht die Musik ist. Das führt in meinen Augen dazu, dass es seit geraumer Zeit unheimlich viel Schrott gibt, der mir manchmal den Spaß an der Musik verleidet. Es ist bei der vielen Mittelmäßigkeit teilweise echt schwer, wirklich gute und interessante Musik zu finden, die mich berührt, mich umhaut oder verzaubert. Daneben finde ich Musik-Downloads einfach unsäglich. Da hat die Musik echt ihr Herz und ihre Seele verloren. Kein Booklet zum Anfassen, kein schönes Plattencover, keine Texte, minderwertige Qualität ...

Wie wichtig waren dir früher Äußerlichkeiten, wie sieht das heute aus?

Diese Dinge waren mir früher schon sehr wichtig. Ich wollte mit den normalen und langweiligen Leuten nichts am Hut haben und mich von ihnen abgrenzen. Natürlich sehr zum Leidwesen meiner Eltern. Wobei ich aber sagen muss, dass ich nie so klischeepunkig war. Ich hatte keinen Iro oder eine Nietenlederjacke. Aber irgendwie anders musste schon sein. Bestimmte Dinge sind bis heute geblieben: Chucks, Doc Martens und Kapu.

Wie groß/klein ist deine Plattensammlung, wie wichtig ist sie dir, welche Formate bevorzugst du?

Ich würde mal sagen: klein, aber fein! Aber ich bin kein Nerd und brauche keine zig verschiedenen Pressungen von ein und dem selben Tonträger. Ich bevorzuge natürlich Vinyl, auch wenn CDs manchmal einfach praktischer sind. Meine Platten sind mir sehr wichtig, deshalb sind sie in den einundzwanzig Jahren, die ich mittlerweile mit Joachim zusammen bin, nie in der Ox-Sammlung aufgegangen. Ich würde auch nie etwas davon weggeben, weil sie einfach ein Teil von mir sind.

Wie steht es um dein Konsumverhalten? Wie viel Geld hast du früher für Platten ausgegeben, wie viel heute?

Ich habe früher vielleicht 60 Mark im Monat für Platten ausgegeben oder was halt gerade möglich war. Heute gebe ich extrem wenig dafür aus, da natürlich in unserem Haushalt ein großer Fundus vorhanden ist, auf den ich gerne zurückgreife. Hin und wieder kaufe ich mir aber tatsächlich noch selber Musik; immer dann, wenn ich etwas unbedingt selber besitzen möchte.

Gibt es heute Wichtigeres in deinem Leben als Punkrock, wie gehst du mit eventuellen Interessenkonflikten um?

Das ist eine lustige Frage! Punkrock umgibt mich immer und überall, zumindest dann, wenn ich nicht bei der Arbeit bin. Natürlich ist Punk/Hardcore immer noch wichtig in meinem Leben, weil er einfach ein Teil davon ist, weil meine Freunde da sind. Ich habe das Glück, dass mein ganzes Umfeld gut passt und deshalb kaum Kompromisse gemacht werden müssen.