RADIUS SYSTEM

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Schrägpuzzler Gregory Hoepffner im Gespräch

Die französischen Soundtüftler RADIUS SYSTEM verbinden in ihren Songs die dramatische Dynamik des Postrock mit düster-glamourösem artsy Rock der Marke DREDG. Während sie musikalisch die Brücke zwischen mainstreamkompatiblem Weichspülgeseier und gehaltvoller Unterhaltungsmusik schlagen und somit immer noch knapp „drin“ sind, stellen sie sich in fast allen anderen Dingen nicht nur bewusst quer, sondern auch ganz weit nach „draußen“. Es folgt ein Gespräch mit Gregory Hoepffner, als Spurensuche nach Motivationen, Inspirationen, An- und Absichten.

Greg, es kommt mir vor, als wärest du mit etwa eintausend musikalischen Projekten beschäftigt, als würdest du nichts anderes tun als atmen, essen, trinken und Musik machen. Ich habe mittlerweile irgendwie den Überblick verloren. Kannst du mich vielleicht aufklären, welche Bands und Projekte derzeit aktuell sind?

Haha, die Erklärung dafür ist eigentlich ganz simpel: Ich habe einfach keinen Job. Ich bin vor einigen Monaten mit meinem Studium fertig geworden; es geht mir da also gerade wie vielen Uni-Absolventen. Ich nutze diese Zeit nun, um soviel Musik wie nur möglich zu machen. Neben RADIUS SYSTEM spiele ich derzeit noch Bass in der Post-Hardcore-Band TIME TO BURN, spiele Bass und singe in einer aus den selben Leuten bestehenden noisigen Powerpop-Band namens BRIGHTON, spiele Schlagzeug in der Indie/Mathrock-Band DAWNSHAPE sowie bei PAINTING BY NUMBERS. Dann hab ich noch mein eigentliches Soloprojekt TEMPLATE, welches eher elektronisch-cineastisch orientiert ist und wo ich all das machen kann, womit mein RADIUS SYSTEM-Partner Axel Dallou nicht einverstanden ist. Außerdem arbeite ich derzeit noch mit Mathieu Artu an seinem Projekt RQNT. Das Debütalbum sollte demnächst fertig sein.

Ich hab kürzlich auf eurer Website gelesen, dass auch RADIUS SYSTEM von nun an so was wie dein Soloprojekt ist. Warum die Trennung von den anderen Jungs?

RADIUS SYSTEM bestand eigentlich nur aus Axel und mir, war aber immer schon so was wie mein Quasi-Soloprojekt. Eddy, unser bisheriger Live-Gitarrist, der übrigens auch bei BRIGHTON und TIME TO BURN dabei ist, hatte nur einige Gitarrenideen auf „Escape/Restart“ eingebracht, mehr nicht. Wir haben RS eigentlich nie als Kollektiv begriffen. Wir wollten nur eine Rockband machen und Konzerte spielen. Aber wir waren sehr jung und wirklich schüchtern, weshalb wir einfach nur in unserem Freundeskreis herumfragten, ob jemand mit uns spielen wollte. Es war aber niemals so, dass ich den Trent Reznor gemimt habe und jedem gesagt habe, was er zu tun hätte. Eigentlich hätte ich es gern gehabt, wenn es genau andersherum gewesen wäre, wenn jeder seinen Beitrag zur Idee und Musik der Band hätte einbringen können, aber dafür bedarf es Zeit und Leidenschaft. Der einzige Grund, warum ich den Großteil der Musik schreibe und aufnehme, ist der, dass ich da einfach mehr drinstecke. Die anderen Jungs haben einen Job oder Familie, um die es sich zu kümmern gilt. Ich habe nur die Musik, also stellt sich bei mir da gar keine Frage: Ich muss es tun, und es muss einfach gut sein.

Das 2008er RADIUS SYSTEM-Album „Escape/Restart“ gehört zum Besten, was ich in den letzten Jahren in dieser Richtung gehört habe. Es ist irgendwie eine perfekte Mischung aus verschiedenen Indie-Musik-Ansätzen der letzten Dekaden. Die Musik klingt anspruchsvoll, innovativ und auch irgendwie vertraut. Würdest du mir beipflichten, wenn ich behauptete, dass den Stücken eine sehr starkes Gefühl von „Ausdruckszwang“ innewohnt?

Ich stimme dir absolut zu. Das ist im Grunde genau das, was wir versuchen zu erreichen: Musik, die herausfordert, mit der man sich aber auch leicht identifizieren kann. Es ist gut, wenn du die Dringlichkeit des Ausdrucks bemerkst, ich muss sagen, ich fühle das nicht mehr so. Die Stücke sind einfach zu alt. Wir haben seit 2005 ungefähr vier komplett verschiedene Versionen des Albums aufgenommen. Ich glaube, es reicht uns nicht einfach, einen guten Song zu machen. Er muss das gewisse Etwas besitzen, damit er interessant wird, etwas, das wir vorher noch nicht gemacht haben und dann wahrnehmen wollen. Das Stück „Bestsellers“ gibt es zum Beispiel bereits seit vielen Jahren. Wir mochten den Song immer, aber es hat ewig gedauert, bis wir dieses „gewisse Etwas“ gefunden hatten, um ihn wirklich großartig zu machen.

Was inspiriert dich?

Ich bin wie ein Schwamm. Ich sauge alles auf, was ich sehe und höre. Aber ich mache die Musik nicht nur zum Spaß; sie kommt irgendwie als Notwendigkeit aus mir heraus. Meine Bandkollegen sagen mir oft, dass sie sich bewusst von einem „Zuviel“ an Musik fern halten, um nicht irgendwie beeinflusst zu werden, und lieber etwas „Eigenes“ zustande zu bringen. Damit bin ich aber so gar nicht einverstanden, Indie-Musik ist doch phänomenal zur Zeit! Klar gibt es viel zu viel, um alles verarbeiten zu können, aber es gibt so viel gutes Zeug, in jedem Genre. Ich glaube, als Musiker muss man sich einfach nur im Klaren sein, wo man musikalisch hin möchte. Wenn erst mal eine „Mental-Skizze“ existiert, ist es doch ganz einfach, dieser zu folgen. Einige Bands oder Künstler, die in den letzten Jahren meine Wahrnehmung von Musik verändert haben, sind AUTECHRE, SILO, SHORA, OCEANSIZE und YOURCODENAMEIS:MILO. Diese Leute haben es geschafft, konkrete Emotionen in völlig abstrakte Soundlandschaften zu packen und dabei noch völlig menschlich zu klingen. Sie holen dich wirklich für ein paar Minuten weit aus deinem kleinen, lächerlichen Leben heraus. Wenn man dann zurückkehrt, fühlt man sich gestärkt. So blöd wie es klingt: Das ist pure Energie, Kommunikation, ein Geschenk. So etwas will ich auch erreichen.

Ihr habt euch entschieden, RADIUS SYSTEM nicht über die üblichen Kanäle zu veröffentlichen. Stattdessen bietet ihr Gratis-Downloads über ein Net-Label an. Was ist die Motivation dahinter? Desinteresse der konventionellen Plattenfirmen?

Ja, das ist so was wie unsere Antwort darauf. Aber es ist nicht so, dass wir uns völlig von dem konventionellem Weg distanzieren würden und wir greifen auch keine Labels an, nur weil sie uns nicht rausbringen wollten. Es wird heutzutage einfach viel zu viel Musik veröffentlicht; unsere Stücke sind wahrscheinlich einfach kein Label-Material. Wir haben uns dann für die Gratis-Variante entschieden, weil wir einfach nicht mehr warten wollten. „Work In Progress“ war zum Beispiel seit 2005 fertig, wurde aber erst 2007 veröffentlicht. Viel zu spät, da hatten wir schon die Schnauze voll davon, haha! Ein Gratis-Release ist ein guter Neuanfang. Es ist der beste Weg, die Musik zu teilen. Wir haben es lieber, wenn 5.000 Leute die Sachen herunterladen, als wenn 50 Leute unsere CD kaufen.

Ihr spielt derweil keine Live Shows mehr. Geht es darum, etwas unbedingt anders zu machen, mit den verkrusteten Strukturen westlicher Musikpraxis zu brechen?

Das mit den Konzerten war von Anfang an ein heikles Thema bei RADIUS SYSTEM. Wir waren nie wirklich zufrieden mit unseren Shows und es war irgendwie schwierig, Gigs zu bekommen. Deswegen haben wir uns irgendwann entschieden, lieber ganz damit aufzuhören, als zwei, drei mittelmäßige Konzerte pro Jahr zu spielen. Man sollte es einfach lassen, wenn es nicht hinhaut. Es macht doch keinen Sinn, es krampfhaft zu versuchen. Trotzdem, ich würde lügen, wenn ich sagte, dass ich diese Musik nie mehr live spielen wollte. Es ist schon auch irgendwie wie du sagst; es ist ein Versuch, diesem klassischen Klischee der „Suburban Rock Band“ zu entkommen und stattdessen irgendetwas anderes zu wagen. Wir würden gern mal etwas komplett anderes ausprobieren, als dieses typische Gitarre/Bass/Schlagzeug-Ding. Ich denke derzeit viel über einige Möglichkeiten nach. Die Zeit wird zeigen, ob irgendwas davon klappt ...

Du sagst, es war schwierig für euch, Gigs zu bekommen. Wie ist denn die Situation in Frankreich bezüglich Veranstaltungsorten, Veranstaltern und Publikum?

Ich glaube, die Situation ist so wie überall woanders auch: Es ist schwer, einen guten Gig zu bekommen, solange man keinen etablierten Namen hat. Veranstalter gibt es viele und denen mangelt es sicher nicht an Motivation. Das Problem ist, dass deine Musik dieser bestimmten Gruppe von Leuten passen muss. Das war es, was bei uns falsch lief. Unsere Musik passte in keine spezielle Szene oder so, wir waren immer „zu krachig“ oder eben „nicht brutal genug“. Dennoch, wenn der Sound den Vorstellungen einer bestimmten Szene entspricht und man halbwegs gut ist, dann kann es schon klappen. Ich selbst bekomme das ja seit Jahren bei TIME TO BURN mit. Da ist es das genaue Gegenteil: wir sind seit Monaten inaktiv, bekommen aber immer noch Gigs angeboten. Ich persönlich glaube ja, dass das Publikum sich eigentlich gar nicht um diesen ganzen Kram kümmert. Wenn man eine gute Pop-Band mitten in eine Hardcore-Show wirft, ist es immer noch eine gute Pop-Band, Punkt! Dieses ganze Drama um die Szenen weicht doch eh immer weiter auf. Die Leute haben via Internet Zugang zu jeglicher Art von Musik; wirkliche Musikliebhaber sind neugierig genug, um an der Entdeckung neuer Musik interessiert zu sein. Veranstalter sollten also endlich die Eier in der Hose haben, das zu veranstalten, was sie für gut befinden, nicht das, wovon sie denken, dass es den Leuten gefallen könnte!

In deinem Lebenslauf beschreibst du RADIUS SYSTEM als Institution zur „Erschaffung und Verbreitung visueller und klanglicher Arbeiten“. Hattet ihr nie die Absicht, RS als „richtige Band“ zu betreiben?

Dieses „Radius System“ bezieht sich auf etwas anderes. Axel und ich haben vor kurzem eine Firma mit demselben Namen gegründet, eine Art Grafik-Kollektiv. Antoine Ollivier, Bandkollege bei PAINTING BY NUMBERS und DAWNSHAPE, macht da auch noch mit. Da wir drei nach denselben Jobs als Grafikdesigner und Videokünstler suchen, haben wir uns entschlossen, unsere Arbeiten etwas professioneller anzubieten. Den Namen werden wir aber wahrscheinlich noch ändern, das stiftet einfach zu viel Verwirrung. Im letzten Jahr haben wir bei einigen Wettbewerben mitgemacht, hauptsächlich mit Musikvideos, unter anderem für M83, WAX TAILOR und TIME TO BURN. Es sollte demnächst eine Website geben, wo man sich dann über all das informieren kann.