ACROSS THE BORDER

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Loyal zu sich selbst

Dass der badische Folkpunk-Torpedo ACROSS THE BORDER (ATB) nach siebenjähriger Abstinenz wieder zusammenfindet, hätten sicher wenige gedacht. Umso erstaunlicher ist es, dass das neue Werk „Loyalty“ (Twisted Chords, Review #82) mit dem bisherigen Output – unter anderem „If I Can’t Dance, It’s Not My Revolution“ (1999) und „Crusty Folk Music For Smelly People“ (1996, beide Wolverine Records) – nicht nur locker mithalten kann, sondern eingängiger, ausgereifter, einfach besser ist! Die fünf Mann (Jochen: Gesang; Kölsch: Akkordeon, Gesang; Roger: Gitarre; Bieber: Bass; Massimo: Drums) und die Dame (Nicole: Geige) verbinden Tanzbares mit Nachdenklichem, haben das Herz am richtigen Fleck und auch über die Musik hinaus einiges zu berichten. Dass ATB auch in Zeiten politischer Verwässerung für eindeutige Standpunkte stehen, ein klar linksalternatives Selbstverständnis haben, soll nicht unerwähnt bleiben. Mehr als genug Gründe also für ein längst überfälliges Interview mit Bandleader und Wirbelwind Jochen, der sich stellvertretend für die Band meinen Fragen annahm.

ATB sind zurück – die Flamme brennt wieder! Was brennt dir diesbezüglich auf den Lippen, wie wichtig ist/war die Band für die „Szene“, persönlich?

Dass es wieder brennt, war im Nachhinein eine logische Entwicklung. Die Gründe, die 2002 zum Split geführt haben – Beruf, Familie, Umzüge – sind heute so nicht mehr vorhanden, beziehungsweise wir gehen anders damit um. Eigentlich war es nicht geplant, die Band wieder ins Leben zu rufen, aber nachdem uns das Kupferdächle in Pforzheim gebeten hat, zum 25-jährigen Jubiläum zu spielen, nahm das Schicksal seinen Lauf. Das Konzert war grandios und ausverkauft, bevor die Plakate gedruckt waren! Alle waren da, es war wie ein großes fröhliches Familientreffen. Da wurde uns bewusst, was wir geschaffen haben und wie viel Spaß es macht, wieder auf der Bühne zu stehen. Wir ließen das dann erst mal eine Weile auf uns wirken und redeten dann über die Konsequenzen einer Reunion. Es stellte sich heraus, dass alle derselben Meinung waren und so sind wir wieder von den Scheintoten auferstanden. Nach kurzer Zeit stieg dennoch unser langjähriger Geiger David aus. Das war ein Tiefschlag, doch kurz darauf meldete sich Nicole von PADDY GOES TO HOLYHEAD – ein grandioser Zufall, denn ohne Geige ist ATB unvorstellbar! Nun passt es besser als zuvor, ein neuer Wind weht, aber man muss sich jetzt besser benehmen im Proberaum. Wichtig für die Szene? Die „Szene“ gab es ja auch in den Jahren unserer Abstinenz. Von daher hat sich eine Antwort beinahe erledigt. Als aber bekannt wurde, dass die NPD ein Schulungszentrum in Karlsruhe plant, kamen wir ins Spiel. Es war eine wunderbare Veranstaltung, mit über tausend Leuten, und ein NPD-Zentrum wird es hier nicht geben. Es erfüllt einen schon mit Stolz, einen Teil dazu beigetragen zu haben. Wichtig ist ATB aber am meisten für uns als Menschen. Es macht Spaß, wieder ins Studio zu gehen, neue Lieder zu schreiben, an Orte aus „alten Zeiten“ zu fahren, Leute von „früher“ zu treffen. Auf der Bühne alles zu geben, die Leute tanzen und singen zu sehen, das schüttet Unmengen Endorphine aus.

Wie definierst du für dich Loyalität – zu wem, zu was und wo sind deine Grenzen?

Loyalität bedeutet für mich, zu seinen Idealen zu stehen, zeit- und altersunabhängig, und nicht stehen zu bleiben. Positive Veränderung! Und diese gehört meiner Familie, meinen Freunden und ja, der so genannten „linken Szene“. Meine Grenze verläuft ganz klar bei nationalistischer, rassistischer und patriotischer Gewalt, Dummheit und Arroganz. Da gibt es keine Grauzone oder Kompromisse.

Die Nachricht, dass ATB mit neuen frischen Songs zurück ist, überrascht sicher einige. Wie sind denn nach all den Jahren so die Reaktionen? War die Labelsuche schwierig?

Ich denke schon, dass die Reunion überraschend kam. Dass wir keine Band sind, die sich auf alten Kamellen ausruht, dürfte bekannt sein, und deshalb war auch eine Bedingung für eine Reunion von mir: wenn, dann nur mit neuer Platte. Die Labelsuche war einfach. Wir wollten diesmal mit jemand arbeiten, der in der Nähe ist, sprich: mit dem man sich auch treffen und quatschen kann. Tobi von Twisted Chords wohnt ein Dörfchen weiter und er hat schon die Live-Platte von uns gemacht. Wolverine Records, unser altes Label in Düsseldorf, ist uns mittlerweile zu weit weg. Die Reaktionen, die uns zu Ohren kamen, waren bis jetzt durchgehend positiv. Es gibt da sicherlich auch andere Meinungen, nur hört man die meistens nicht, oder überliest sie gerne.

Wie treffen die mantraartigen Zeilen aus „Your roots“ auf dich/ATB zu – wo liegen deine/eure Wurzeln, was sagt dabei das Herz, was der Verstand?

Da die Verantwortung anderen und mir gegenüber mit dem Alter und der Familiengröße wächst, bleibt nicht mehr soviel Zeit zur Verfügung, sich in oder für die Szene zu engagieren. „Früher“ habe ich oft Konzerte, kleinere Touren für Bands veranstaltet oder als DJ aufgelegt, aber mittlerweile muss ich schauen, dass ich noch auf die Demos gehe, deren Themen mir wichtig sind. Zeit ist seit der Geburt meines Sohnes eine andere Dimension. Aber das ist auch gut so. Für mich ist diese Zeit die schönste überhaupt, aber das lässt mich meine Wurzeln nicht vergessen. Diese sehe ich in „unserer“ Dorf-Punk-Szene, dem Schlauch in Pforzheim und der Steffi in Karlsruhe. Das Ganze fing für uns schon hier im Ländle an. Wir trafen uns immer abends auf dem Parkplatz des örtlichen Freibades, das war so um 1985 rum. Jeder war Teil einer Subkultur: Punk, New Wave, Psycho- oder Rockabilly. Das war ein buntes Völkchen, das sich hier zum Leidwesen der anständigen Dorfgesellschaft traf. Da fuhr man noch heimlich mit Fahrrad zu den TOTEN HOSEN nach Karlsruhe, weil die Eltern eine Band mit solch einem Namen nicht wirklich gut fanden. Da waren die noch mit dem „Wahren Heino“ unterwegs. Die Patches der Lieblingsband gestaltete man noch selbst, weil es ja in unseren Gefilden, selten Läden gab, die so was vertickten. Das sah sicher schön peinlich aus, war aber halt so. Man hatte so Fantasie-Punk-Klamotten an. Lederjacken und Nieten waren eher „Großstadtpunk“ und wären auf dem Dorf damals so nicht gegangen.

Wie sind durchs Älterwerden die eigenen als auch die Erwartungen an die Band gestiegen? Was meint dein Umfeld dazu?

Das Schöne am „Alter“ ist, finde ich, dass man gelassener wird und Erwartungen eher kleiner werden. Aufgrund der Lebenserfahrung wird mehr Unwichtiges aussortiert. Das Leben reduziert sich aufs Wesentliche, was bei mir eben Familie, Freunde, Beruf und Musik ist. Sich an sich langweilige Abende schön zu trinken, gehört der Vergangenheit an. Aber wie es in „Loyalty“ heißt: „Getting old, thank god, does not mean to get wise!“ Meine Erwartung ist jetzt, keine zu haben, das Leben in vollen Zügen genießen – auch musikalisch! Wir müssen uns nichts mehr beweisen, machen nur das, worauf wir Bock haben. Auch in diesem Bereich hat sich eine schöne Gelassenheit und gleichzeitig Selbstbewusstsein breit gemacht. Wir lassen uns von niemanden reinreden und unser Umfeld mag uns so, wie wir sind! Wie sagte einst T.V. Smith: „Wenn man älter ist, ist es noch viel schöner, Teenager zu sein.“

In welchen neuen Songs steckt für dich das meiste Herzblut? Wie bekommst du den Spagat hin zwischen „privatem Glück“ und „großer Politik“?

In „Reclaim our needs“ steckt schon viel Herzblut. Ich hatte dieses Stück schon vor über zehn Jahren angefangen zu schreiben. Der Auslöser war damals die Abriegelung des Stephanplatzes in Karlsruhe. Dies war damals noch kein „Verschnauf-Platz“ für gestresste Einkaufswütige, sondern in erster Linie trafen sich hier Menschen, die durch die Netze der Gesellschaft gefallen sind. Eines Abends ist hier ’ne Hundertschaft Kampfroboter aufmarschiert und hat die Leute vertrieben und den Platz abgeriegelt – es gab Platzverweise im Namen von „Kampf den Drogen“. Manche von denen, die in einem Substitutionsprogramm waren, konnten anfangs nicht mal ihre Dosis abholen, da die zuständige Arztpraxis in der „Sperrzone“ lag. Jetzt steht da übrigens ein schicker Konsumtempel. Wieder aufgegriffen habe ich das Thema vor zwei Jahren, als in Freiburg ein Alkoholverbot für die Innenstadt erlassen wurde. So können wunderbar Leute, denen kein Geld zur Verfügung steht, aus den Innenstädten gedrängt werden. Zentrale öffentliche Plätze bleiben somit betuchten, konsumierenden Bürgern vorbehalten. Diese Verordnung kann ja sehr frei und willkürlich sein. Auch „Shame on you“ liegt mir am Herzen, da ich mich oft wundere, wie hier im Großraum Karlsruhe/Pforzheim tausend Leute zu unseren Konzerten pilgern, fast jedes Wort mitsingen, aber auf Demos sieht man dann nur einen Bruchteil. Ganz wichtig: „Alerta antifascista“, ein klares Bekenntnis zum aktiven Antifaschismus und gegen die von Seiten der Politik so populär gewordene „Links/Rechts“-Gleichstellung. Mein Fave ist aber „Like a ray“, über die Geburt meines Sohnes. Der erwähnte Spagat ist eigentlich keiner für mich. Ich singe nur über Dinge, die mich berühren. Sei es jetzt Liebe, privates Glück oder Streit, Weltgeschehen oder sonst was. Komisch finde ich, wenn Leute nur über „Politisches“ singen, Privates außen vor lassen. Wir sind nun mal in erster Linie Lebewesen mit primären Bedürfnissen wie Liebe und Anerkennung.

ATB erfordert viel Kreativität und Zeit – was bleibt für AHEAD TO THE SEA (ATTS) über?

Im Moment liegt der künstlerische Fokus sogar auf ATTS, wir proben jeden Monat einen ganzen Tag, schreiben fleißig neue Songs. Das neue Album ist fest auf dem Schirm und es wird richtig geil! Bei ATTS gehen ja auch Dub und Mestizo, bei ATB eher „Heftigeres“, obwohl es sich auch mal überschneidet. Live läuft aktuell aber nur ATB.

Nun, „Was bleibt“ fixiert euer bisheriges Werk, also kurze Rede: „Was kommt?“

Ja, also unser zwanzigjähriges Band-Jubiläum steht 2011 an und wir wollen da auch etwas Besonderes bringen. Auch wenn „Was bleibt“ den Kreis auf gewisse Weise geschlossen hat: so lange wir aktiv sind, geht es auch kreativ weiter!