ANTI-FLAG

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Post-Major Breakout

Chris Barker ist eigentlich ziemlich schlagfertig. In bisherigen Interviews entpuppte sich der als #2 bekannte ANTI-FLAG-Bassist immer als redefreudig und auch im persönlichen Gespräch abseits von ANTI-FLAG ist der Gute eigentlich niemand, der einem eine Antwort schuldig bleibt. Entsprechend flüssig und entspannt verläuft auch unser mittlerweile drittes Interview. Bis die Frage aufkommt, wie man das letzte ANTI-FLAG-Album „The Bright Lights Of America“ (2008) retrospektiv in die Bandgeschichte einordnen solle. Einerseits wuchs die Band mit dem Album, andererseits kehrte man nach dem Album doch lieber zu den bewährten ANTI-FLAG-Songwritingprinzipien zurück und kreierte mit „The People Or The Gun“ ein neues Album, auf dem man wieder die altbekannten ANTI-FLAG-Elemente findet: Geradlinigen Punkrock, gute Melodien und hochpolitische Texte.

Gegenüber dem „Wachstum“ vom sehr rockigen „The Brights Lights Of America“ also wieder ein Rückschritt? Chris vermeidet die genaue Antwort und windet sich raus. Was völlig okay ist, denn eigentlich ist es auch gar nicht wichtig, welches der Alben man hier jetzt als Wachstum, als Fort- oder als Rückschritt bezeichnet. Fakt ist nämlich, dass ANTI-FLAGs Hintergründe und Motivationen mindestens genauso interessant sind wie die Musik der Band selber. Da ist zum einen ihr mittlerweile beendeter Majordeal mit Sony, der die Alben „For Blood And Empire“ sowie das besagte „The Bright Lights Of America“ hervorbrachte, und der die Band immer wieder mit dem Dilemma aus politisch motivierter Kunst und ihrer kommerziellen Verwertung konfrontierte. Zum anderen passierte im vergangenen Jahr, in dem sie an „The People Or The Gun“ schrieben, sehr viel: Barack Obama wurde Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika, die Finanzkrise schlug auf der ganzen Erde mit erschütternder Wucht zu und mittendrin trennten ANTI-FLAG wieder von Sony, um bei SideOneDummy unterzukommen. Ich sprach mit Chris über genau diese Ereignisse, die auch auf dem neuen ANTI-FLAG Album ihre Spuren hinterlassen haben.

Chris, wir sprachen das letzte Mal anlässlich eures letzten Albums „The Bright Lights Of America“ auf Sony miteinander. Damals hast du die nach wie vor andauernde, finanzielle Schieflage von Majorlabels damit begründet, dass sie jede Band signen, von der sie auch nur den kleinsten kommerziellen Erfolg erwarten, obwohl nur ein Bruchteil der gesignten Bands tatsächlich diese Erwartung erfüllen kann. Nun hat sich „The Bright Lights Of America“ recht bescheiden verkauft und ihr seid nicht mehr bei Sony unter Vertrag – wurdet ihr selber zu einer Band, die die Erwartungen nicht erfüllen konnte?


Nein, das genaue Gegenteil war der Fall, denn Sony hat unsere Erwartungen nicht erfüllt. Als wir 2005 bei Sony unterschrieben, hatten wir volles Vertrauen in die Leute, die bei dem Label für uns arbeiten würden. Unser erstes Sony-Album „For Blood And Empire“ lief ja auch gut und bis dahin waren wir zufrieden damit, wie das Label half, ANTI-FLAG zu promoten. Was „The Bright Lights Of America“ betrifft, gab es von Seiten des Labels einige tief greifende Veränderungen. Die wichtigste und gleichzeitig die für ANTI-FLAG schlimmste Veränderung war, dass sehr viele der Leute, die zu Zeiten von „For Blood And Empire“ bei Sony für uns gearbeitet hatten, gefeuert wurden – kurz bevor „The Bright Lights Of America“ raus kam. Es wurden dann zwar neue Leute eingestellt, aber sie kannten ANTI-FLAG kaum, waren mit der Band und ihren Hintergründen nicht vertraut. Daher konnten sie auch gar nicht einschätzen, wie sie angesichts der musikalischen Veränderungen auf „The Bright Lights Of America“ mit dem Album hätten umgehen müssen müssen. Infolgedessen wurde die Bearbeitung des Albums durch das Label zu einem Desaster.

Wann habt ihr das konkret bemerkt?

Das Ganze war ein mehr oder weniger schleichender Prozess. Die ersten Personalwechsel haben uns Unbehagen bereitet, und je klarer es wurde, dass diese Personen keine Ahnung von ANTI-FLAG haben, desto unzufriedener wurden wir mit der ganzen Situation. Dennoch haben wir erst einmal die Zähne zusammen gebissen und haben, so denke ich, alles getan, was unsererseits möglich war, um „The Bright Lights Of America“ so gut es angesichts der Situation ging zu bewerben. Sprich wir sind sehr viel getourt, um unsere Musik bis in die letzte Ecke der Welt zu transportieren. Trotzdem war klar, dass es so nicht weiter gehen würde. Deswegen haben wir uns nach Abschluss der Touren zu „The Bright Lights Of America“ zusammengesetzt und überlegt, wie es mit ANTI-FLAG weiter gehen soll. Der Vertrag mit Sony war mit „The Bright Lights Of America“ glücklicherweise erfüllt, so dass es klar war, dass wir nicht mehr mit Sony arbeiten würden.

Darf man also das altbewährte Szenemantra bemühen, dass Majors böse und Indies gut sind?

Nein, eine solche Schwarz-Weiß-Malerei halte ich für nicht zeitgemäß und würde daher auch keine Aussage dieser Art machen. Wie gesagt, das Team, das bei Sony „For Blood And Empire“ promoted hat, war toll! Bei dem Album haben wir wirklich großartigen Support bekommen. Gleichzeitig wurden wir auch schon von einem Independentlabel mächtig über den Tisch gezogen. So hat Go-Kart Records USA über 100.000 Kopien unseres zweiten Albums „A New Kind Of Army“ verkauft und uns nie einen Cent dafür gegeben. Wir haben dem Label die Rechte an dem Album dann einfach weggenommen und es später selber auf unserem Label A-F Records raus gebracht. Daher kann man überhaupt nicht sagen, dass die Majors nun allein die bösen sind.

Auf eurem Bandblog unter nowarwithourwarriors.blogspot.com las ich einen Post von dir, der mit „We have not yet begun to fight“ überschrieben war. Wie ist das bei einer Band wie euch zu verstehen, die seit mehr als 15 Jahren politisch aktiv ist?

Mit diesem Statement wollte ich zum Ausdruck bringen, dass trotz der Wahl von Barack Obama zum Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika noch sehr viel zu tun ist, um die Missstände in dieser Welt zu beheben. Denn obwohl ich es als unschätzbar großen Erfolg sehe, dass Obama gewonnen hat, sehe ich in seiner Wahl auch die Gefahr, dass die Menschen wieder unpolitischer werden. George W. Bush hat in seiner Amtszeit so viele Fehler gemacht, dass er unzählige Menschen gegen sich aufgebracht hat. Seine Fehler sind keinesfalls schön zu reden, aber unter ihm hat man gemerkt, welche politische Kraft von hier unten ausgehen kann, von Menschen wie dir und mir. Allerdings sehen viele Menschen in Obama so eine Art Messias, der alle Probleme, die sein Vorgänger verursacht hat, heilen wird, ohne dass sie selber noch aktiv werden müssen. Deswegen drohen viele Menschen auch wieder unpolitischer zu werden, weil sie meinen, dass Obama mit allen Missständen aufräumen wird. Man muss sich aber klar machen, dass das nicht so sein wird. Denn Obama ist ganz nüchtern betrachtet auch nur etwas besser als John McCain. Das heißt, dass die Veränderungen, die von ihm ausgehen werden, auch nur kleine Verbesserungen gegenüber der republikanischen Politik sind. Folglich darf man jetzt nicht aufhören, für gewisse Ziele und Veränderungen zu kämpfen, nur weil jemand Präsident geworden ist, der eine etwas bessere Politik verspricht als John McCain.

Aber ist es nicht jetzt, da Obama Präsident geworden ist, schwerer denn je, eine solche Botschaft zu vermitteln?

Definitiv, deswegen reite ich ja so darauf rum, dass noch lange nicht alle Missstände der Welt beseitigt sind. Ich kann dir auch ganz genau sagen, wie einige Leute auf „The People Or The Gun“ reagieren werden. Sie werden uns sagen, dass wir zu hohe Forderungen stellen und dass Barack Obama sich nur auf die Lösung eines Problems zur Zeit konzentrieren kann und wir deshalb bitte nicht mit dem Finger darauf zeigen dürfen, dass es da noch andere ungelöste Probleme gibt. In der Vorstellung vieler muss Barack Obama nämlich Aufgaben abarbeiten, sprich er soll sich erst um die Finanzkrise kümmern und danach dafür sorgen, dass es in Amerika eine gesetzliche Krankenversicherung gibt. Und da die Finanzkrise aufgrund ihrer Globalität absolute Priorität hat, muss das Anliegen mit der gesetzlichen Krankenversicherung erst einmal warten.

Was du für nicht plausibel hältst, nehme ich an?

So ist es, weil diese Argumentation nur auf den ersten Blick plausibel ist! Es ist doch so, dass alle diese Dinge unmittelbar miteinander verwoben sind. Ich denke, dass vor allem zwei Dinge ausschlaggebend für die Finanzkrise waren: Gier, sowie eine mangelnde gesetzliche Krankenversorgung in den USA. Beide hängen insofern miteinander zusammen, als sich in den letzten Jahren eine immense Gier nach mehr Wachstum, mehr Profiten und mehr Gewinnen im kapitalistischen Wirtschaftssystem etabliert hat. Daraus entstand ein Wettlauf zwischen verschiedenen Unternehmen darum, Kosten zu sparen und immer noch ein bisschen effizienter zu sein als die Wettbewerber. Das hat sich insbesondere in den letzten 20 Jahren aber auf fatale Art und Weise auf die arbeitende Bevölkerung ausgewirkt, weil die Menschen immer mehr geknechtet wurden, ihre Löhne sanken und sich ganz allgemein ihre Arbeits- und Lebensbedingungen und damit auch ihre gesundheitlichen Bedingungen verschlechtert haben. Entsprechend führte die erhöhte körperliche Belastung dazu, dass immer mehr Menschen auf gesundheitliche Versorgung angewiesen waren. In den USA musst du diese Versorgung jedoch selbst bezahlen. Gleichzeitig haben viele Menschen aber immer weniger verdient. Entsprechend hatten sie nicht nur weniger Geld insgesamt zur Verfügung – sie mussten auch einen immer größeren Teil ihres Geldes dafür aufwenden, überhaupt gesund zu bleiben, um weiter arbeiten zu können und ihre Familien so durchzubringen. Der Zusammenhang zur Immobilienkrise folgt nun direkt aus dieser Entwicklung, denn je mehr Geld ich dafür ausgeben muss, um das Grundbedürfnis gesund zu sein befriedigen zu können, desto weniger werde ich doch Geld dafür haben, Immobilienkredite abzuzahlen. Ergo, es wurden immer weniger Kredite beglichen, je mehr die Menschen von ihrem Einkommen für ihre eigene Gesundheit ausgeben mussten. Allein dieser Zusammenhang zeigt, dass das Argument, Barack Obama müsse erst eine Aufgabe erledigen und danach die zweite vollbringen, viel zu kurz greift. Es wird nichts bringen, einen Brandherd zu löschen, solange man das Problem nicht an der Wurzel angeht. Solange man diese grundlegenden Dinge ignoriert, werden auch Konjunkturpakete und derlei nichts bringen.

Ist das nicht ein Widerspruch zu eurem Song „The economy is suffering ... let it die“ auf „The People Or The Gun“? Laut eurem Sänger Justin Sane drückt der Song aus, dass die Vorstandsmitglieder großer Konzerne Schuld an der Finanzkrise seien.

Es ist in der Tat schwer, die Schuld an dieser Krise nur einer Gruppe von Menschen in die Schuhe zu schieben. Dennoch sehe ich zum Beispiel in der Bush-Administration durchaus Menschen, die eine gewisse Schuld an der Krise haben. Wichtig ist hier aber auch, anzuerkennen, dass wir alle eine Teilschuld an dieser Krise tragen. Denn die unmenschlichen Arbeitsbedingungen, die ich in der vorherigen Antwort ansprach, entstehen ja meist nur, weil wir Konsumenten immer die billigsten Nahrungsmittel, die billigsten Klamotten und die billigste Unterhaltungselektronik kaufen wollen. Wir bedenken dabei nicht, dass zum Beispiel Klamotten und Unterhaltungselektronik in China unter Bedingungen gefertigt werden, die für die Arbeiter katastrophal sind. Und dass die Nachfrage nach billigen Lebensmitteln genau dazu führt, dass Mitarbeiter in amerikanischen Lebensmittelbetrieben ebenfalls unter die Räder des Kostendrucks geraten. Diese Dinge sollte man bedenken, wenn man über die Krise spricht und darüber nachdenkt, was man dagegen tun kann.

Nutzt ihr T-Shirts für euer Merchandising, die nicht unter solchen Bedingungen gefertigt wurden?

Ja, ANTI-FLAG war sogar eine der ersten Bands, die Shirts von „American Apparel“ genutzt hat und sie bis heute nutzt. „American Apparel“ produziert seine Shirts ja unter fairen Bedingungen und ist mittlerweile zu einem beachtlich großen Unternehmen geworden, das auf der ganzen Welt Läden unterhält. Allerdings habe ich auch mit dieser Firma so meine Probleme. Denn ehrlich gesagt hasse ich den Gründer und Eigner des Ladens, er wurde einige Male wegen sexueller Belästigung angeklagt und das ist für mich Grund genug, keinen Respekt vor ihm zu haben. Dennoch will ich nicht, dass unsere Shirts aus Sweatshops in Asien oder sonst woher kommen, wo unter grausamen Bedingungen gearbeitet wird. Aber du siehst, zu einem Heiligen macht das mich oder uns als Band noch lange nicht.

Im Internet gibt es ein neues Foto von euch, auf dem ihr vor einer Wand steht, auf die der Spruch „No Sympathy for the Wealthy“ gesprüht ist. Nun gab es vor „For Blood And Empire“ eine Bieterschlacht der Majorlabels um ANTI-FLAG und euer Deal mit Sony wurde gemeinhin als „Rekorddeal“ bezeichnet. Ohne dich angreifen zu wollen, aber wie ernst kann man Sprüche wie „No Sympathy for the Wealthy“ meinen, wenn es ein offenes Geheimnis ist, dass man selbst finanziell nicht allzu schlecht da steht?

Ich verstehe deinen Punkt, muss aber vorher etwas zu meiner Verteidigung sagen, ehe ich näher auf die Frage eingehen werde. Das Foto entstand an einem Nachmittag, als wir mit einem Fotografen unterwegs waren, um Pressefotos für „The People Or The Gun“ zu machen. Wir kamen dann an dieser Mauer vorbei und der Fotograf war ganz wild darauf, dieses Foto mit uns zu machen, weil er fand, dass der Spruch so gut zu ANTI-FLAG passen würde. Uns war aber nicht so ganz wohl dabei, weil wir das Statement aus den von dir genannten Gründen selber nicht ganz passend fanden, auch wenn es grundsätzlich zur Attitüde der Band passt. Deswegen haben wir uns dann auf einen Kompromiss geeinigt und Grimassen auf dem Foto gemacht, um zu vermitteln, dass wir uns an dieser Stelle mit einem kleinen Augenzwinkern sehen. Aber jetzt genauer zu deiner Frage. Ich würde die Gruppe der Wohlhabenden tatsächlich etwas differenzieren und nicht per se etwas gegen alle „Wealthy people“ haben. Insofern ist das Statement auf der Mauer vielleicht auch etwas sehr plakativ. Ich habe allerdings etwas gegen die Wohlhabenden, die keinen Sinn für die Gemeinschaft haben. Es gibt ja reiche Leute, die sich zum Beispiel gegen jede kleinste Steuererhöhung wehren, die eingeführt werden soll, um ärmeren Menschen zu helfen. Dabei geht es nur darum, dass sie ein bisschen von ihrem Wohlstand abgeben sollen, so dass Menschen geholfen werden kann, die nicht soviel Geld haben. Aber auch dagegen wehren sich manche aus reiner Sucht danach, nichts von ihrem ohnehin großen Einkommen einzubüßen. Dafür habe ich dann in der Tat keine Sympathien.

Abschließend noch eine ganz andere Sache: Verstehst du dich eigentlich als Patriot, viele politische US-Bands sehen sich ja als „kritische Patrioten“?

Nein, ich verstehe mich nicht als Patriot. Ich will sicherlich keine Band angreifen, die das tut, denn ich verstehe ihren Ansatz, wenn sie sagen, dass sie eine kritische Haltung gegenüber der Regierung und das Hinterfragen ihrer Politik als patriotisch verstehen. Und ich schätze diese Denkweise auch. Aber ehrlich gesagt habe ich einfach zu blöde Assoziationen mit dem Begriff „Patriot“, die mich davon abhalten, mich als solchen zu sehen. Ich stelle mir immer eine eigentlich völlig ahnungslose US-Mittelstandsmutti vor, wenn ich „Patriot“ höre. Die Mutti hat keine Ahnung von Politik – Politik interessiert sie auch gar nicht. Allerdings holt sie an jedem Nationalfeiertag und bei jeder Parade die amerikanische Fahne raus und beteuert, wie sehr sie zu Amerika steht. Dabei durchblickt sie eigentlich nichts. Allein wegen dieser Assoziation möchte ich mich nicht als Patrioten bezeichnen. Ich sehe aber auch, dass viele dieser US-Mittelstandsbürger eigentlich nichts dafür können, dass sie so sind, wie sie sind. Denn die Medien haben ganz bewusst ein solches Publikum heran gezüchtet, das nur konsumiert, aber nicht hinterfragt.