MAROON

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Im Kampf mit den Einflüssen

MAROON aus Nordhausen haben sich seit 1998 zu einer der erfolgreichsten und härtesten Bands im Spannungsfeld zwischen Hardcore und Metal entwickelt. Von Anfang an machte die Band um Frontmann Andre Moraweck keinen Hehl daraus, dass man vegane Ernährung und ein drogenfreies Leben für wichtig hält, und untermauerte das durch Musik, die in ihrer kompromisslosen Härte einerseits in klarer Hardcore-Tradition steht, gleichzeitig aber auch dazu taugte, neue Hörerschaft in Metal-Kreisen zu erschließen und so in Sachen Popularität weltweit in Bereiche vorzustoßen, die bislang undenkbar schienen. So was sorgt für Kritik, manche Fans der Frühwerke „Antagonist“ (2002) und „Endorsed By Hate“ (2004) wendeten sich ab, doch die Alben „When Worlds Collide“ (2006), „The Cold Heart Of The Sun“ (2007) und ganz aktuell „Order“ zeigen, dass MAROON vor allem eines tun: ihr eigenes Ding durchziehen. Ich unterhielt mich mit Andre Moraweck über Einflüsse, Entwicklungen – und den Alltag.

Bei der Vorbereitung dieses Interviews fiel mir auf, dass ich mich vor vielen Jahren mal an der Uni mit „Maroons“ beschäftigt hatte, mit der Kultur der entlaufenen, ehemaligen schwarzen Sklaven in der Karibik, die etwa auf Jamaika erbitterten Widerstand gegen die Kolonialmacht England geleistet haben.

Ja, wir wissen um diese Bedeutung des Namens, hatten den aber damals aus ganz anderen Gründen ausgesucht. Der Name war gut, wir waren froh, ihn gefunden zu haben, mussten uns aber noch eine gute Bedeutung einfallen lassen. Da passt dieser Hintergrund natürlich gut, aber auch die Bedeutung, damit jemanden zu bezeichnen, der auf einer einsamen Insel ausgesetzt wurde, oder einen Schiffbrüchigen. Und ganz besonders passt es, dass diese Leute in der Karibik ganz autonom lebten, ohne eine Regierung, sich selbst versorgt haben. Dieser Aspekt hat uns gut gefallen, weshalb wir seitdem das als Grund für die Namenswahl angeben.

Diese Maroon-Kultur ist natürlich eine sehr strikte Gesellschaft, die ein ganz eigenes Weltbild hat.

Ich denke mal, das hat was damit zu tun, dass das eine sehr autonome Kultur war oder ist. Da ist es wichtig, geschlossen und als feste Gemeinschaft aufzutreten. Und das ist wiederum nur möglich, wenn es in einem Kollektiv, in einer Gruppe einen oder mehrere gibt, die das etwas ordnen. Wenn man sich nach außen so autonom gibt, autark lebt, nach innen aber jeder machen kann, was er will, dann bricht das irgendwann zusammen. Je mehr man nach außen hin locker, lässig und frei sein will, desto besser muss das Ganze organisiert sein. Und so ist das bei uns auch: Wir sind eine gut organisierte Band, eine gut aufgestellte Band mit klaren Regeln, und gerade deshalb können wir uns fern von allen Grenzen bewegen, unser Ding durchziehen.

Was meinst du mit klaren Regeln?

Bei uns ist genau festgelegt, wer in der Band welche Aufgabe hat. Und auch unser Lebensstil, den ja jeder kennt. Wir haben uns da selbst Regeln für unser Leben gesetzt: Dass wir nicht saufen, keine Drogen nehmen, uns im Hinblick auf Tierschutz vegan ernähren.

Und wie sind die Aufgaben in der Band verteilt?

Ich bin sozusagen das Sprachrohr, unterhalte mich mit dem Management, mit der Plattenfirma, mit dem Booker, mache Interviews, beantworte Anfragen aller Art. So weiß jeder, an wen er sich bei MAROON wenden muss. Mein Bruder Tom ist für das Geld zuständig, er hat das Konto im Blick, und da braucht man jemand, der sehr strikt ist und den Überblick behält und auch mal mit eiserner Faust sagt, wenn sich was nicht rechnet. So fliegen wir jetzt im August nach Japan auf Tour, und Tom sagte, das sei mehr ein Urlaub, als dass sich das wirklich rechnen werde, und fragte, ob wir das denn wirklich machen wollen. Dafür müssen wir zwei Festivals in Deutschland absagen, mit denen wir richtig Geld verdient hätten. Sebastian, der Gitarrist mit den kurzen Haaren, kümmert sich um alles, was mit den Sponsoren zu tun hat und sorgt beispielsweise dafür, dass die immer schöne Fotos von uns bekommen. Er fährt auf Musikmessen, schüttelt Hände, und so weiter. Und unsere beiden „Neuen“, die ja auch schon fünf Jahre dabei sind, kümmern sich um unser MySpace-Profil und beantworten E-Mails, und so hat jeder was zu tun – und weiß auch, dass er verantwortlich ist, wenn es in dem Bereich nicht klappt.

Ihr habt aber auch noch einen Manager.

Ja, der spricht dann nach außen mit den Leuten. Es ist halt immer schwierig, wenn man das als Band selbst macht. Besser ist es, wenn man da einen Puffer hat. So ein Tourmanager ist dann halt auch mal dem Veranstalter gegenüber das Arschloch, und das ist besser, als wenn immer die Band als Motzer dasteht. So ein Tourmanager kann eben klarstellen, dass solch ein veganes Essen nicht okay ist, dass da was Vernünftiges stehen muss. Er macht das ja nicht wie ein Arschloch, aber er setzt sich schon durch.

MAROON sind also ein richtiges mittelständisches Unternehmen.

Ja, auch wenn wir eigentlich noch eine Punkband sind. Wir machen das halt alles so, dass wir gerade über die Runden kommen. Wir fahren keine dicken Autos, bauen uns nicht drei Häuser und machen nicht Urlaub auf Jamaika. Es ist einfach so, dass das Rock’n’Roll-Leben in unserer Größenordnung nicht so glamourös ist. Dafür muss man schon AC/DC oder METALLICA sein. Aber wir wollen uns auch nicht beklagen, wir kommen gut über die Runden und mal ist es schwerer, mal leichter. Und steuertechnisch musst du als Band einfach irgendwann eine Firma gründen, sonst sitzt du schnell wegen Steuerhinterziehung im Knast. So bürokratisch ist das eben in Deutschland.

Dennoch ist die Wahrnehmung so mancher Fans eine andere: Sobald eine Band entsprechend große Touren und Konzerte spielt, wird vermutet, dass da ja unglaublich viel Geld verdient wird. Den alltäglichen Kampf, um über die Runden zu kommen, sieht dabei kaum jemand.

Ja, aber ich war früher doch auch nicht anders, bin auch heute noch in erster Linie Musikfan. Große Bands, die ich ganz früher schon mochte, habe ich später persönlich kennen lernen dürfen und merkte dann, dass die auch nur mit dem Zug reisen und in der Economy Class fliegen. Das sind nicht alles Multimillionäre, auch wenn es sich schon mal lohnt. Es ist einfach so, dass man mit Plattenverkäufen als Band nichts mehr verdient, oder nur wenig. Und live rumzutingeln will auch gut geplant sein, sonst will dich irgendwann keiner mehr sehen. Natürlich haben wir einen gewissen Status, natürlich sind wir froh, so viele Leute als Fans oder Freunde bezeichnen zu können, aber dennoch sind wir die fünf Jungs aus Nordhausen geblieben – und sind nicht aus Steuergründen nach Miami ausgewandert. Wir sind immer noch die, die wir immer waren, und darauf sind wir auch stolz. Auch darauf, dass wir Erfolg haben, und zwar mehr, als wir je erwartet haben. Und wir haben Sachen erlebt, die wir uns nie erträumt hätten. Wenn es allerdings ums Geld geht, sollte besser jeder seine Lehre zu Ende machen – das nur mal als Hinweis an Leute, die mit dem Gedanken spielen, mit ihrer Band so richtig reich zu werden.

Habt ihr noch einen Plan B, habt ihr noch „richtige“ Jobs neben der Band?

Ja, jeder von uns: Schlagzeuger Nick war mal Elektriker und für den Fall, dass die Band nicht mehr existieren sollte, würde er sein Geld mit Schlagzeugunterricht verdienen. Sebastian Rieche, der langhaarige Gitarrist, ist ewiger Student und wird sicher irgendwann mal fertig sein, oder auch nicht. Der hätte Spaß daran, als Gitarrenlehrer zu arbeiten. Der Sebastian mit den kurzen Haaren ist Kfz-Mechaniker und arbeitet im kleinen Autohaus seines Vaters mit. Mein Bruder Tom studiert Geschichte und Soziologie und ist sicher irgendwann mal fertig. Ich selbst bin Physiotherapeut, und zusammen mit Tom habe ich unlängst Music For Masses gegründet, eine Booking- und Management-Agentur, mit der wir alle Arten von Konzerten buchen, Tourneen machen, und so weiter. So können wir die Kontakte, die wir mit MAROON geknüpft haben, auch anderen zugänglich machen. Wir machen nicht nur Metal oder Punk, sondern auch viel Electro, EBM und Gothic, denn in dem Sektor kenne ich mich auch gut aus. Viel Zeit haben wir da zwar nicht, aber wir nutzen jede freie Minute. Es macht viel Spaß, aber ist manchmal auch ganz schön stressig. Aber das haben wir uns ja selbst so ausgesucht. Wir müssen MAROON also nicht noch zwanzig Jahre weiter machen um jeden Preis, und so gibt es eben auch Plan B. Ich selbst werde bald 35 und bin nicht der Typ, der mit fünfzig noch auf der Bühne stehen will.

Andererseits ist es ja nicht so, dass MAROON vor fünf Jahren oder so ihren Höhepunkt hatten, vielmehr hat man das Gefühl, als würde es für euch mit jeder Platte noch ein Stück weitergehen. Wie geht man mit diesem Widerspruch um?

Erstmal sind wir dankbar, dass es so ist. Wir wissen ja, dass es Bands gibt, die nach ein paar Jahren ihren Höhepunkt haben, und dann geht es wieder abwärts. Wir haben bislang mit jeder Platte einen stetigen Aufstieg erfahren, und ich glaube, das liegt daran, dass wir versuchen, uns mit jeder Platte neu zu erfinden, die Leute nicht zu langweilen. Wir wollen das mit dem Blick des Musikliebhabers sehen, versuchen zu ergründen, was wir selbst von unserer Lieblingsband erwarten würden. Und es ist schwierig, diese Erwartungen mit unseren eigenen Ideen in Einklang zu bringen, denn man will sich ja in erster Linie selbst verwirklichen. All das zusammen ergibt dann, dass wir immer frisch und jung bleiben und immer eher sprunghaft sind. Und so sind wir eben nicht auf Death-Metal-Touren angewiesen, können auch Hardcore-, Emo- oder Punk-Touren machen. Denn es ist immer wichtig, sich ständig neue Leute aus den verschiedensten Musikrichtungen zu erschließen. Und so hat uns noch nie jemand mit Bierbechern von der Bühne getrieben, denn wir geben immer Vollgas und machen immer eine gute Live-Show. Und so lange es geht, machen wir die Band eben weiter, sind einerseits professionell, haben aber andererseits Spaß zusammen. Denn das Wichtigste ist, dass man sich untereinander versteht – geht die Freundschaft kaputt und der Spaß verloren, kann das auch der größte Erfolg nicht ersetzen.

Ihr habt einen großen musikalischen Horizont, doch macht ihr als Band einen sehr klar definierbaren Sound. Wie kommt das?

In dem musikalischen Bereich, in dem wir uns bewegen, ist das, was wir machen, schon sehr gewagt. Das neue Album „Order“ ist so vielfältig wie noch keine andere Platte zuvor, da finden sich sehr viele Einflüsse und es gibt keine Band, die mit uns auf Augenhöhe ist, die sich, na ja, so viel „traut“. So eine Halb-Ballade wie „Bleed“ beispielsweise würdest du nicht auf einer HEAVEN SHALL BURN-Platte hören, denn die sind noch kompromissloser als wir – weshalb sie wohl die derzeit angesagteste Band in dem Bereich sind. Die machen eben ganz straight ihr HEAVEN SHALL BURN-Ding. Ich denke, weil wir in unserem Geschmack so breit gefächert sind, ist es schwierig, all diese Einflüsse in die Musik einzubinden. Ich komme aus der Gothic- und Punk-Richtung, und wenn ich dann ankomme und vorschlage, doch ein paar JOY DIVISION-Einflüsse einzubringen, dann schauen mich die anderen natürlich an und fragen, wie das denn bitte gehen soll. Solche Einflüsse verarbeite ich dann eben textlich, lasse mich von der Atmosphäre der Platten solcher Bands inspirieren, von den Ideen, vom Artwork.

Solche Einflüsse sind also eher im Umfeld versteckt als dass man sie direkt heraushören kann.

Genau. Bei „Bleed“ oder bei „Schatten“, den beiden etwas herausstechenden Songs kann man schon heraushören, dass sie in diese „dunkle“ Richtung gehen. Das ist schon eher „Gothic Metal“, wobei so ein Begriff natürlich doof ist, da denkt ja jeder an NIGHTWISH und so einen Müll. Das ist aber schon eher dunkler Metal als straightes Hardcore-Geballer wie AGNOSTIC FRONT oder MADBALL. Und Death Metal wie DISMEMBER oder SUFFOCATION ist es auch nicht. Wir versuchen zwar, so viele Einflüsse wie möglich unterzubringen, aber das ist schwierig, wie man auch bei unseren Freunden von FEAR MY THOUGHTS und deren krassem Wandel von der vorletzten zur letzten Platte sieht. Ihre letzte Platte ist ihre beste, sie ist sehr visionär und sehr gut, sie wollten sie so, haben aber viele alte Freunde verprellt und sich damit keinen Gefallen getan. Also muss man aufpassen, wie groß der Schritt ist, den man wagt. Und wenn wir eine Achtziger-Wave- oder Punk-Platte rausbringen und auf einmal wie EA80 klingen würden, dann würden das uns die Punks nicht abnehmen, und die alten Fans würden sich fragen, was der Scheiß denn soll. Und somit würde man zwischen den Stühlen sitzen. Da ist es konsequenter, sich ein Projekt mit anderen Leuten zu suchen und sich da entsprechend ausleben – wie ich das ja auch mache. Zu MAROON passt es nur ansatzweise, da kann man mit einem Lied mit deutschem Text wie „Schatten“ zeigen, was für Einflüsse man sonst noch hat.

Wie so oft sind viele der Leute, die eine Band hören und ihre Konzerte besuchen musikalisch konservativer als die Bandmitglieder selbst.

Man sagt als Musiker immer so leicht dahin, man mache die Platten in erster Linie für sich allein. Aber wenn man ganz ehrlich in sich hineinhört, dann schielt man immer darauf, wie ein Song ankommt, was die Fans darüber denken, wird der live funktionieren? Natürlich läuft das dann nicht so, dass man überlegt, ob bei dem Takt alle tanzen oder bei jenem Break ein „Wall of Death“ losbricht, aber mir kann keine Band sagen, dass ihr alles scheißegal ist und sie nur genau die Platte macht, auf die sie Bock hat, ob die nun zehn oder tausend Leute hören. Denn ich gebe zu, wir sind süchtig nach Publikumsreaktionen – speziell ich, ich brauche das! Ich brauche das Wechselspiel, ich will Leute sehen, die Spaß haben, sich total verausgaben. Wenn man dann als Band eben sieht, dass die Leute so viel Spaß miteinander haben, dann ist das pures Adrenalin. Doch wenn ich jetzt eine komplett andere Platte schreiben würde, die nur mir, aber nicht unserem Publikum gefällt, und wo die Leute dann reihenweise aus dem Saal gehen, das würde mir nicht gefallen. Von daher kann man sich also als Musiker nicht davon freisprechen, immer ein kleines bisschen zu schielen, was die Leute wohl so über eine Platte denken.

Leute, die Spaß haben, sind das eine, doch das andere sich heute vielfach dumme Kampfsportler, die denken, sie müssten vor der Bühne alberne HipHop-Moves aufführen und damit für den Großteil des Publikums das Konzert versauen. Sorry, ich bin oldschool, für solches Pack habe ich kein Verständnis.

Jetzt weißt du, wie es mir geht. Ich bin genauso oldschool, höre diese Musik seit zwanzig Jahren, habe es aber dann mit Leuten zu tun, die unsere Fans sind und zu unserer Musik diese Moves da machen. Ich bin da sehr zwiegespalten. Einerseits bin ich versucht, das stoppen zu wollen, denn das kann und will ich nicht sehen, also bitte Schluss, doch andererseits glaube ich, dass die Jungs gar nicht so schlimm sind, dass man sie nur ein bisschen bremsen muss. Im Nachhinein ärgere ich mich aber dann, dass ich nicht vehementer eingreife. Wir haben in Weinheim beispielsweise mal ein Konzert abgebrochen wegen eines solchen Verhaltens, haben gesagt, dass wir nicht der Soundtrack dazu sind, dass Leute verletzt werden, die damit nichts zu tun haben wollen. Und wenn wir auf einem Festival spielen oder ein großes Konzert und da tausend Leute sich so bewegen wollen, dann ist das okay, aber wenn das nur fünf Typen sind, die in einem kleinen Raum in HipHop-Manier ihr Ding durchziehen, dann geht das nicht. Da interessiert sich doch keiner mehr für die Band.

Klar, denn die Leute in den ersten Reihen stehen mit dem Rücken zur Bühne.

Nee, da braucht man keine Band mehr, da geht diese Verbindung zwischen Fans und Band völlig verloren. Ich versuche die Leute immer dazu zu animieren, sich in altbekannter Weise zu bewegen, denn beim Circle Pit machen alle mit. Oder sie sollen von der Bühne springen, oder mitsingen, das mag ich besonders gerne. Und hinten stehen dann die anderen. Das machen HATEBREED ja schon lange so, ich habe mir das in den USA auf Tour mit denen mal angeschaut. Da hatten die HipHop-Kloppertypen irgendwo hinten ihren eigenen Pit, denn die brauchen ja keinen Kontakt zur Band, die singen nicht mit, die schauen ja nichtmal auf die Bühne. Das hat da wunderbar funktioniert. Abgesehen davon, weiß ich natürlich auch, dass wir Musik machen, die sowas hervorruft. Ich kann zwar sagen, dass ich das nicht will, aber wir machen halt nunmal solche Musik, die solche Leute anzieht, die die entsprechenden Breakdowns hat, solche brutalen Parts. Solange das also alles in einem gewissen Rahmen bleibt, und das sehe ich ja von oben, kann man das kontrolliert durchgehen lassen, solange nicht andere Leute in Mitleidenschaft gezogen werden. Es gibt nichts Schlimmeres als ein Konzert, wo sich wegen ein paar solcher Typen vor der Bühne ein riesiges Loch bildet.

Redest du mit denen, vorher oder nachher, kennst du die?

Ja, denn viele sind MAROON-Fans der ersten Stunde, die diesen neuen „Tanzstil“ für sich entdeckt haben. Wenn ich die vor dem Konzert sehe, bitte ich sie schon mal, sich entsprechend zu benehmen. In manchen Gegenden haben wir viele Metaller im Publikum, die mit diesem Tanzstil gar nichts anzufangen wissen – und das auch nicht müssen. Und manchmal fruchtet das, wenn ich mit denen spreche, dann hat jeder seinen Spaß und ich finde das voll gut. Aber es ist schon schwierig geworden, das stimmt, denn manche Leute haben auch keinen Bezug mehr zu den Platten: Die laden sich irgendwas runter, was gut nach Beatdown klingt, und dann gehen die auf Konzerte und kloppen sich. Da geht völlig verloren, was mir als altem Vinylsammler so wichtig ist, also sich was kaufen, die Texte lesen, das Artwork betrachten – das geht immer mehr verloren, und stattdessen hast du diese Selbstdarsteller.

In Fuze #15 war ein Doppelinterview mit Karl Büchner von EARTH CRISIS und dir, in dem es bewusst nur um das Thema Straight Edge ging. Ist das denn ein Thema, das für dich in deinem Alltag noch so eine große Rolle spielt, oder gibt es da ganz andere Dinge, über die man viel mehr nachdenkt?

Thomas Renz vom Fuze hat diesen Artikel ganz bewusst so gemacht, einfach weil EARTH CRISIS in den USA und wir in Europa die Hauptvertreter des veganen Straight Edge-Hardcore seien. Deshalb fanden wir das auch gut. Aber ich gebe dir Recht, denn ich bin zwar seit 15 Jahren straight edge, lebe seit über zehn Jahren vegan, und das ist mein Lebensalltag. Ich stehe nicht morgens auf und lese dann erst mal in irgendeiner Veganbibel oder suche im Internet, ob ich eine Zigarette rauchen darf oder nicht – was ich natürlich nicht mache. Ich habe das alles so verinnerlicht, dass in meinem Leben jetzt andere Dinge viel wichtiger sind, etwa die Frage, in welchen Kindergarten ich meinen Sohn bringe, wie es mit der neuen MAROON-Platte läuft, was die Firma macht, wie ich den Umbau des Gartens meiner Eltern bewältige. Wir haben also ein Leben abseits der Band, in dem wir Privatleute sind, die eben vegan und straight edge leben. Zu Zeiten der ersten und zweiten MAROON-Platte waren wir wirklich sehr plakativ, aber das war eben unsere jugendliche Naivität. Wir hatten damals auch eine andere Power, denn die ist heute nicht weniger geworden, sie hat sich nur verändert. Und ich stehe immer noch für meine Werte ein, trete dafür ein, gehe aber nicht jeden in Interviews oder bei Auftritten so aggressiv an. Und es gibt ja auch noch andere Themen auf der Welt, die man ansprechen muss. Abgesehen davon, kann Musik ja auch einfach mal nur schön sein, sie muss nicht immer politisch sein, und es gibt genügend Bands, die einfach nur unterhalten, die finde ich auch gut. Viele denken, Karl Büchner höre nur Vegan Straight Edge-Bands den ganzen Tag und drucke dabei illegale Flugblätter – aber so ist das nicht. Selbst ein Kerl wie Karl, der in dem Interview ja noch militanter rüberkommt als ich, ist eigentlich ein ganz normaler Familienvater, der im Architekturbüro seines Vaters arbeitet. Und wir sind ja auch in erster Linie eine Musikband, die aber eine starke Message hat, die wir wieder und wieder besser verpacken. Deshalb ist es auch wichtig, dass die Leute zwischen den Zeilen lesen, was wir zu sagen haben. Denn das geht weit hinaus über Slogans wie „Go vegan!“ und „Brennt alle Schlachthäuser nieder!“ Das steht zwar noch da, aber nicht mehr so deutlich und eindeutig. Wir verraten deshalb keine Ideale, und nur weil wir jetzt älter und gesetzter sind, stehen wir dennoch hundertprozentig hinter ihnen.