MASTODON

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Der Himmel ist noch lange nicht das Limit

MASTODON ist die Band der Stunde – zumindest in Amerika. Zwar sind die einstigen Sludge Metaller von ihrem ursprünglichen Stil im Laufe der Jahre Stück für Stück abgewichen und haben einen Weg Richtung Prog eingeschlagen, ihren Idolen wie KING CRIMSON, GENESIS, aber auch den MELVINS folgend. Mit dem Unterschied, dass die Musik, die der Vierer aus Atlanta spielt, immer noch unter dem Schlagwort Metal zu finden ist. Demnach sind Touren mit Genregrößen wie SLAYER, CONVERGE, CANNIBAL CORPSE aber auch den QUEENS OF THE STONE AGE nichts Fremdes für die Band, die seit 2000 existiert. In den Staaten lassen sich damit respektable Erfolge feiern, haben MASTODON sich unter anderem schon Chartplatzierungen, einen Grammy und den Respekt der Musikwelt eingehandelt, und auch einen Vertrag bei Reprise Records, einem Sublabel des Majors Warner Music. Nur in Deutschland, da lässt der Erfolg verwunderlicherweise immer noch auf sich warten. Vielleicht öffnet aber das nunmehr vierte Album „Crack The Skye“ der Band die Tore zum alten Kontinent. Dass die Interviewtermine im Kölner Hilton stattfanden, zeigt zumindest schon einmal, dass man Großes mit der Band vorhat – auch wenn Drummer Brann Dailer noch recht morgenmuffelig und lustlos wirkte, als er mir morgens um kurz vor elf an einem verregneten Tag auf dem Hotelflur entgegen schlenderte. Mit ein wenig Verspätung, aber dafür ein wenig vitaler kam Sänger und Bassist Troy Sanders hinzu, bepackt mit Früchten, die er zum Frühstück verzehrte und der positiv überrascht war, dass in Deutschland tatsächlich die Getränke meist in Wasserflaschen und nicht in Aludosen serviert werden.

Alle eurer vier Alben sind spezifischen Konzepten untergeordnet, nämlich den vier Grundelementen der griechischen Philosophie. Auf eurem zweiten Werk „Leviathan“ habt ihr die Geschichte von „Moby Dick“ vertont, demnach spielt das Element Wasser die tragende Rolle. „Blood Mountain“ erzählt von der Erde, und eurem Debüt „Remission“ habt ihr im Nachhinein die Bedeutung Feuer zugeschrieben. Da bleibt für „Crack The Skye“ nur noch das Element Luft übrig, so, wie es auch der Titel suggeriert.

Brann:
Nicht ganz, denn wir beziehen uns auf die daoistische fünfgliedrige Elementenlehre, welche zu den vieren noch Äther hinzuzieht, das fünfte Element des Okkulten. Man muss dabei bedenken: es gibt sehr viele verschiedene Kulturen, die ihre eigenen Elementketten haben. Es gibt nicht nur die vier, die wir in unserer Kultur kennen, .zum Beispiel haben die Chinesen in ihrer noch Holz.

Zu dem Konzept fügt ihr noch die Wurmloch-Theorie des Astrophysikers Stephen Hawkings hinzu. Wie kommt ihr zu dem Thema?

Brann:
Die Theorie der Wurmlöcher handelt von Zeit im Weltraum. Sie verbindet zwei parallele Raumzeiten in verschiedenen Multiversen miteinander, welche man durchbrechen kann. Alle Zeit existiert in derselben Ebene. Wenn du ein Wurmloch durchbrichst, kommst du auf einer anderen Seite raus, in einer ganz anderen Zeit. Generell erklärt diese Theorie, wie Zeitreisen überhaupt möglich sein könnten. Wurmlöcher habe ich mindestens seit „Bill und Teds verrückte Reise durch die Zeit“ im Hinterkopf, hehe. Wenn man damit anfängt, eine Geschichte zu schreiben, hat man eine Hauptfigur und mit dee beginnt man. Unsere ist querschnittsgelähmt und seine einzige Möglichkeit, die Welt frei und ungehindert zu erfahren, sind Experimente mit astralen Reisen. Er nutzt dafür die goldene Nabelschnur, das ist die Verbindung von der spirituellen zur materiellen Welt: Ohne deinen Körper bist du nicht tot, sondern Geist.

Wenn man all diese Elemente in eine Linie setzt, hat man die Reihenfolge Feuer, Wasser, Erde und den Himmel, beziehungsweise den Äther. Frei nach dem Sprichwort „The sky is the limit“, was in etwa „Alles ist möglich“ bedeutet, gibt es auch kein Limit mehr für MASTODON. Nun aber frage ich mich, wie es weitergeht. Kommt beim nächsten Album das Element Liebe, frei nach „Captain Planet“? Darf man auch in Zukunft Konzeptalben erwarten?

Brann:
Ich würde sagen: ja. Aber man weiß nie, was passieren wird. Es hilft uns, ein Konzept zu haben, und es macht irrsinnigen Spaß, eine Geschichte dazu zu schreiben.

Troy: Bei vier Platten haben Konzepte geklappt. Wir haben aber immer noch die Freiheit, das zu ändern. Es ist nicht leicht für uns, jetzt schon an die nächste Platte zu denken, da wir anderthalb Jahre an dieser hier gesessen haben.

Brann: Und dann werden wir mit dieser erst einmal anderthalb Jahre auf Tour sein. Und erst dann werden wir die nächste Platte schreiben. Aber wir haben tatsächlich schon ein paar Songteile in der Hinterhand, die von dieser Platte übrig geblieben sind.

Die Covergestaltung hat, wie auch auf euren anderen drei Alben und euren Singles, wieder Paul Romano übernommen. Wie verhält sich das Cover zu dem Konzept?

Brann:
In der Mitte des Covers sieht man ein Portal, das die Öffnung zum Wurmloch darstellt. Zur Linken und zur Rechten stehen diese zwei seltsamen Typen. Sie repräsentieren russisch-orthodoxe Geistliche, zu denen auch Rasputin gehörte.

Und was haben die mit dem Wurmloch zu tun ...?

Brann:
Also, es fängt an mit dem kleinen verkrüppelten Junge, der astrale Reisen unternimmt. Da er dabei ähnlich wie Ikarus zu nah an die Sonne gerät, verbrennt aus Versehen die Nabelschnur. Dadurch wird er in das Wurmloch gezogen, das ihn in nicht materielle Gefilde sendet. Als er dort ankommt, muss er diesen beiden Geistlichen erklären, was er getan hat, und sagt ihnen, dass er so eigentlich nicht weiter existieren will. Er will zurück in seinen Körper, ansonsten ist er verloren. Also entscheiden sich die zwei, ihm zu helfen und ihn in eine Wahrsagung zu integrieren. Die Prophezeiung ist hauptsächlich eine Séance, eine spiritistische Sitzung. Wenn man so eine abhält, dann versucht man mit den Toten und Geistern darüber zu sprechen, was die Zukunft mit sich bringt. Sie finden heraus, was mit ihm vorgeht, und sie wollen ihn in Rasputins Körper stecken. Rasputin ist hier eine Art weiser Mann und in der Lage, den Geist des kleinen Jungen wieder sicher zurück in seinen Körper zu verfrachten. Rasputin wird anschließend hingerichtet und die zwei Geistlichen reisen aufwärts. Durch diese ganze Reise wurde der Junge seine Behinderung los. Ein schönes Hollywood-Ende also.

Ihr solltet daraus einen Film machen.

Brann:
Das wäre eine Idee!

Eure Texte spielen in fantastischen Welten, jenseits der hiesigen Realität. Für eine einstige Sludge/Metal-Band ist das ungewöhnlich. Wie definiert ihr euren Stil und warum habt ihr euch entschieden, irreale Welten zu besingen?

Brann:
Mittlerweile sind wir eher eine crustige Prog-Band, Prog-Musik ist traditionell recht glatt. Bei uns ist das alles ein wenig dreckiger.

Troy: Für uns ergibt es mehr Sinn, Geschichten zu erzählen. Wir schließen lieber unsere Augen und kreieren eigene Welten. Alle unsere Themen auf unseren Platten faszinieren uns: Wale, prähistorische Elefanten wie Mastodonten, durch den Weltraum zu reisen, Kristallschädel wie im Song „Crystal skulls“ ... Wir können sehr schnell in solchen Themen versinken.

Brann: Wir wollen uns davon fern halten, zu konkret zu erzählen. Außerdem eröffnet uns das viele künstlerische Möglichkeiten, zum Beispiel für Videos und Artwork. Wurmlöcher, Séancen, die Idee, verloren im All zu sein, außerkörperliche Erfahrungen.

Dann stellt sich die Frage, ob ihr auch einen neuen Musikclip produziert habt.

Brann:
Ja, für „Divinations“, vor ein paar Wochen, in L.A.

Troy: Im Charlie Chaplin-Studio, in dem er alle seine Filme gemacht hat. Mittlerweile gehört es den Kindern von Jim Henson, dem früh verstorbenen „Muppets“-Erfinder. Es heißt jetzt Jim Henson-Studio und da gibt es alles, was dazugehört: Statuen von Kermit, dem Frosch, Fotos von Charlie Chaplin.

Brann: Im Video sind Troy, Bill Kelliher, unser Gitarrist, und ich Forscher auf einem riesigen Berg. Auf dem Weg nach oben finden wir prähistorische Werkzeuge wie Äxte, ausgehöhlte Schädel und so ein Zeug. Plötzlich kommt ein Flashback, wie diese Werkzeuge in irgendwelchen früheren bizarren Zeremonien genutzt wurden. In dieser Rückblende trinke ich Blut aus dem Schädel und es gibt als Höhlenmenschen verkleidete Mädchen, die an Monolithen gefesselt sind. Schließlich kommen wir zum Gipfel des Berges und finden Brent Hinds, Gitarrist und Sänger, verkleidet als Eismensch und gefangen in einem gefrorenen Eisblock. Wir ziehen daraufhin eine Gibson Flying V-Gitarre, halten sie hoch in seine Richtung und aus der Gitarre schießen plötzlich Blitze hinaus. Darauf schmilzt der Block, Brent kommt hinaus und spielt ein Gitarrensolo am Ende des Songs. Anschließend tötet er uns und isst uns auf an einer Feuerstelle. Im Anschluss wird er selbst von einem Yeti getötet.

Troy: Es ist urkomisch, hehe.

„Crack The Skye“ ist nicht euer erstes Album mit Überlänge. Diesmal ist die Spielzeit allerdings auf nur sieben Songs verteilt. Ist das vor allem bedingt durch euren inzwischen deutlich progrockigeren Sound?

Brann:
Nein, beim Schreiben kann man auf keinen Song ein Zeitlimit setzen. Man fühlt einfach, wann eine Nummer die richtige Länge erreicht hat. Ich weiß noch, dass wir dumm angemacht wurden von den Kids, die uns bei der Veröffentlichung von „Blood Mountain“ vorgehalten haben „Wo ist der lange, epische Song?“, hehe. Wir gehen nicht hin und sagen uns: „Kommt Leute! Wir brauchen noch den langen Song fürs Album!“

Troy: Zu „Blood Mountain“ haben unserer Meinung nach keine überlangen Songs gepasst. Hätten wir eines der Lieder auf zehn Minuten ausgedehnt, wäre es zu repetitiv, das hätte die Songs gekillt.

Brann: Ich denke auch nie über die Länge eines Songs nach, bis wir ihn aufgenommen haben. Dann erst kommt die eigentliche Länge zum Vorschein.

An MASTODON gefällt mir, dass ihr gerne Gitarreneffekte, Vokalsynthesizer und ähnlich ungewöhnliche Spielereien in eure Musik integriert. Auf „Crack The Skye“ ist zudem erstmalig Keyboarder Rich Morris zu hören. Im Internet stehen zudem Fotos, auf denen du, Troy, zusätzlich zum Bass noch Basspedale nutzt. Was habt ihr sonst noch für ungewöhnliches Equipment benutzt?

Troy:
Ich habe diese Basspedale nur dezent eingesetzt, die klingen aber großartig.

Brann: Wir versuchen immer so viel zu nutzen, wie es nur geht. Allerdings ist es dann auch wieder eine Frage des Geschmacks, wie viel wirklich gut ist

Troy: Wir wollten auch schon immer einmal Keyboards hinzufügen.

Brann: Bis jetzt hat das Material aber nie danach geschrien, da es immer zu schnell und abgedreht war und deswegen Keyboards nicht gepasst hätten. Die neuen Songs sind aber ein wenig klarer geworden und es gibt erstmals Raum für Klavier und Keyboards.

Brann, du als Metal-Schlagzeuger spielst zwar auf einem rudimentären Drumkit, holst aber das Meistmögliche aus ihm heraus. Das erinnert mich an Dale Crover von den MELVINS. Warum hältst du dein Schlagzeug so klein?

Brann:
Das resultiert aus der Notwendigkeit. Als Jugendlicher hatte ich das obligatorische, riesige Drumset mit zwei Bassdrums, vielen Toms und noch mehr Becken. Es hat aber nie in den Wagen gepasst, den wir für die Fahrt zu Konzerten genutzt haben. Daher musste ich es reduzieren und habe den elementaren Aufbau gewählt, den ich heute immer noch nutze. Ich mag es aber, drei Tom Toms zu haben, da ich viele Wirbel spiele. Für ein größeres Drumset habe ich einfach keine Verwendung.

Ihr seid für technisch anspruchsvolle Musik bekannt, beispielsweise werden eure Gitarristen in vielen Musikerzeitschriften gelobt. Versucht ihr im Sinne des Anspruchs auch immer besser zu werden?

Troy:
Wir haben den Punkt hinter uns gelassen, dass wir zeigen wollen, wie gut wir sind an unseren Instrumenten. Der technische Aspekt resultiert aber trotzdem daraus, dass wir uns gegenseitig anspornen.

Brann: Im Prinzip muss es erst einmal zum Song passen. Andererseits wollen wir uns musikalisch immer mehr pushen, ohne dass es zu weit hergeholt und merkwürdig wird. Wir achten aber darauf, dass wir diese feine Linie zwischen Technik und eingängigen Songs nicht überschreiten. Am Anfang gutes Songwriting, danach kommt das Feuerwerk. Mit meiner alten Band LETHARGY, Anfang der Neunziger, haben wir es einfach nur übertrieben. Wir haben getestet, wie weit wir gehen können und wie verrückt die Musik werden kann, dank Bands wie MR. BUNGLE. Dazu kommen Bands wie GENESIS, KING CRIMSON, YES. Wir versuchen, den Hörer ein wenig mehr zu fordern, als er es gewohnt ist und uns selbst dazu anspornen, etwas Neues zu erfinden.

Aber wie könnt ihr denn solche Songparts wie den Mittelteil von „Capillarian crest“ im Kopf behalten? Das ist unglaublich.

Troy:
Konzentrieren, konzentrieren, konzentrieren! Das ist auch nicht der Teil während der Show, bei dem man darüber nachdenkt: „Soll ich meine Freundin heute Nacht anrufen? War sie sauer auf mich? Verdammt!“ Bei bestimmten Parts in den Songs braucht man sich nicht so stark konzentrieren, da denkt man dann Sachen wie „Ich kann kaum die nächste Episode meiner Lieblingsfernsehserie erwarten“, und in anderen Songs muss man alles andere in seinem Kopf abschotten, sehr genau hinhören und sich konzentrieren.