FINDUS

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Anarchismus im Comicformat

Spätestens seit „Anarchy in the U.K.“ von den SEX PISTOLS ist Punk für viele zum Synonym von Anarchismus geworden. Noch heute sind Anarchismussymbole im Punk präsent, aber es scheint mir, dass kaum jemand wirklich genau über Ursprung und Philosophie des Anarchismus Bescheid weiß. Interesse wecken und leicht verständlich informieren soll eine Publikation vom Verlag Graswurzel, die in diesen Tagen erscheint. Der Titel des Comics: „Kleine Geschichte des Anarchismus“. Findus nennt sich der Karikaturist, ist dreißig, kommt aus dem Münsterland und lebt mittlerweile in Berlin.

Wer ist Findus?

Den Namen habe ich der bekannten, schwedischen Kinderbuchreihe „Petterson und Findus“ von Sven Nordqvist entlehnt. Ich liebe diese Bücher, besonders den Kater Findus. Die gewaltfreie, libertäre Monatszeitung Graswurzelrevolution, GWR, für die ich hin und wieder Karikaturen zeichne, ist staatskritisch. Da bleibt es nicht aus, dass Mensch von Repression, Diffamierung und Stigmatisierung bedroht ist. Deswegen schreiben die meisten AutorInnen unter Pseudonym in der GWR. Wenn Mensch als Zeichner einen einigermaßen eigenen Stil hat, ist es schwer, klandestin zu bleiben. Ich versuche es trotzdem. Das Pseudonym ist ein Selbstschutz. Ich zeichne für Projekte, die ich für emanzipativ und unterstützenswert halte. Neben der GWR sind das unter anderem die Utopia, Direkte Aktion/DA, Labournet, das Anarcho-Kabarett „Der blarze Schwock“ aus Münster oder der Fair-Trade-Onlineshop Bekleidungssyndikat.

Hat man dich diffamiert und musstest du dich mit Repressionen auseinandersetzen?

Überall und ständig. In libertären Zusammenhängen braucht Mensch niemandem erzählen, was Anarchismus ist. Abseits davon wird nur noch von Anarchie als chaotischem Zustand gesprochen. Selbst an der Uni, in den Sozialwissenschaften, wo Mensch annehmen sollte, die ProfessorInnen wüssten, wovon sie sprechen, wird der Begriff stigmatisierend verwendet.

Seit wann interessierst du dich für Anarchismus?

Es hat mit Anti-Atom-Arbeit angefangen. Da wusste ich schon, was ich nicht will, aber noch lange nicht, was ich will. Freunde und Bücher haben mir dann die Idee des Anarchismus näher gebracht. Mir ist es wichtig, mich nicht bloß einer politischen Idee unterzuordnen. Als Karikaturist beobachtest du deine Umwelt, ziehst deine Schlüsse daraus und versuchst diese in konzentrierter Form zu Papier zu bringen. Da ist es nur hinderlich, ein allzu festes Weltbild zu vertreten. Ich denke, wenn Mensch aufhört, kritisch zu sein, hat er schon verloren. Das gilt nicht nur dem Bestehenden, sondern auch der eigenen Utopie gegenüber. Anfangs hatte ich eine recht emotionale Anti-Haltung gegenüber ganz unterschiedlichen Dingen. Sie fühlten sich irgendwie falsch an. Erst später bekam das Ganze Substanz. Ich meine, heute besser verstehen zu können, warum sich bestimmte Dinge nicht nur „falsch“ anfühlen, sondern schlicht falsch sind. Das ist so Grundlegendes wie Krieg oder Ungleichverteilung von Arm und Reich.

Wie kam es zu „Kleine Geschichte des Anarchismus“?

Die bürgerliche Geschichtsschreibung hat den Anarchismus und seine konstruktiven Anteile an geschichtlichen Ereignissen weitgehend ignoriert. Diese Geschichte gilt es wieder hervorzuholen. Diesbezüglich gab es in der jüngeren Vergangenheit bereits einige hervorragende Publikationen wie zum Beispiel „Anarchismus“ von Degen und Knoblauch im Schmetterling Verlag. Insofern hätte es keiner weiteren Einführung bedurft. Ein Comic ist gezeichnet und bietet damit einen anderen, vielleicht auch lockereren, humorvolleren Zugang zur Materie als ein reines Textbuch. Ich kann mir vorstellen, dass der Comic besonders für jüngere Menschen interessant ist. Aber auch Menschen, die schon mehr über das Thema wissen, werden ihren Spaß daran haben. Vielleicht fühlen sich manche, denen der Anarchismus bisher fremd war, auch einfach durch die Zeichnungen angesprochen und erfahren so ein wenig mehr, was diese Idee ausmacht, dass sie durchaus konstruktive Anteile an geschichtlich bedeutenden Ereignissen hatte. Ein zweiter Grund, diesen Comic zu machen, betrifft die Diffamierung des Begriffes Anarchie. Chaos und Terror, so wie der Begriff häufig synonym verwendet wird, ist die Verkehrung der politischen Idee. AnarchistInnen streben eine Ordnung an – aber ohne Herrschaft. Und sie lehnen Terror in jeder Form ab – von unten wie von oben. Der Anarchismus, so wie ich ihn auffasse, fordert den Menschen auf, selbst zu denken, Herrschaft in Frage zu stellen, die Dinge kritisch zu hinterfragen. Quasi sich aus seiner „selbstverschuldeten Unmündigkeit zu befreien“. Das heißt auch, das anarchistische Weltbild nicht einfach anzunehmen, sondern es kritisch zu reflektieren und – wenn es nicht einleuchtet – es abzulehnen. Die Zapatisten aus Mexiko haben den richtigen Slogan vorgegeben, als sie meinten: „Fragend gehen wir voran ...“ Ich hatte nicht geplant, den Comic zu veröffentlichen. Es war eher so, dass ich mehr über die Idee wissen und eine „Geschichte des Anarchismus“ zeichnen wollte. Es gab mir die Möglichkeit, tiefer in die Materie einzudringen. Dann schlug mir jemand von Graswurzelrevolution vor, den Comic in ihrem Verlag zu veröffentlichen.

Ist Anarchismus utopisch, weil nur wenige Menschen mit uneingeschränkter Freiheit und Selbstverantwortung umgehen können?

Die Menschen sind Produkt ihrer Umwelt, der herrschenden Produktionsverhältnisse, der Kultur ... Wenn sie nicht mit uneingeschränkter Freiheit und Selbstverantwortung umgehen können, dann wurden sie ein Stück weit auch in dieser Unmündigkeit belassen. Wir müssen die Menschen aber zur Mündigkeit „erziehen“. Das ist aber wiederum nicht im Interesse des Staates – und das ist meine Kritik an ihm.

Und welche anarchistische Strömung scheint dir am ehesten realisierbar?

Ganz klar der Anarchosyndikalismus, wobei strittig ist, ob Mensch bei ihm überhaupt von einer Strömung sprechen kann, da er im Gegensatz zu den anderen Strömungen aus der Bewegung entstanden und nicht dem Hirn eines Theoretikers entsprungen ist.

Im Punk spielt in Teilen der Philosophie und Subkultur Anarchie eine Rolle.

Ich habe keinen engeren Bezug zu Punk, wenngleich ich Bands wie CLASH, CRASS, SEX PISTOLS oder DADDY LONGLEG aus Münster gerne höre. Einige Konzepte des Punk, wie D.I.Y., überschneiden sich mit anarchistischen Konzepten. Mir ist die Verweigerungshaltung des Punk sympathisch. Was libertäre Musik angeht, höre ich BLUMFELD, beziehungsweise nach deren Auflösung Jochen Distelmeyer.

Anarchismus und Punk werden oft als pubertäre Phasen abgetan. Als Erwachsener, der sich ernsthaft damit auseinandersetzt, wirkt man eher sonderbar.

Das liegt daran, dass sich die wenigsten etwas unter Anarchismus vorstellen können. Sie reduzieren den Begriff auf einen Nonkonformismus oder schlimmer noch, sie benutzen das Wort synonym für Chaos und Terror. Niemand würde behaupten wollen, Albert Camus, Leo Tolstoi, Noam Chomsky oder Simone Weil seien sonderbar oder pubertär. Und trotzdem haben sich diese Personen mit libertären/anarchistischen Gedanken auseinandergesetzt oder sich gar als AnarchistIn bezeichnet. Im Prinzip ist der Begriff Anarchismus verbrannt. Er birgt zu viele negative Assoziationen und zu viele Missverständnisse. Deswegen bezeichnen sich viele AnarchistInnen lieber als Libertäre.

Wie kann man als Punk oder Anarchist in einem ihm/ihr gegenüber ablehnend aufretenden System mit seinen/ihren Grundsätzen/Idealen leben?

Diese Frage stelle ich mir andauernd. Ich habe noch keine richtige Antwort darauf gefunden. Ich denke, zum einen muss Mensch darauf bedacht sein, für sich Freiräume zu bewahren und wo sie nicht sind, sie sich auch erkämpfen. Dieser Kampf um ein „richtiges Leben“ macht das „falsche Leben“ schon ein wenig erträglicher. Das Ideal des Anarchismus ist eine Gesellschaft ohne Herrschaft. Wie das zu verstehen, aber auch wie das zu erreichen ist, zumindest theoretisch, wurde von den verschiedenen AnarchistInnen unterschiedlich beantwortet. Auch darum geht es in meinem Comic.

Warum spielen AnarchistInnen in der Wirtschaftskrise keine Rolle? Wäre nicht gerade jetzt der Moment günstiger denn je, ins Geschehen einzugreifen?

Es ist überhaupt verwunderlich, weshalb Menschen angesichts der Ereignisse äußerlich so ruhig bleiben. Ich vermute, viele denken heute sehr fatalistisch und haben sich diesem vermeintlichen Schicksal gefügt. Sie glauben nicht, dass es sich lohnt, für etwas Besseres zu kämpfen, vielleicht weil sie keine Vision davon haben oder die angebotenen Alternativen nicht für realistisch halten. Im Gegenteil: Die meisten Menschen fürchten wohl das Risiko mehr, das jede Veränderung in sich birgt, als dass sie die Chancen sehen. Zugegeben, angesichts der deutschen Geschichte ist das nicht ganz unangebracht.

Anarchistische Aktionen der Neuzeit, und so endet auch dein Comic, sind globalisierungskritische und ökologische Bewegungen. Wo siehst du den Anarchismus der Zukunft?

Das Postanarchistische ist eine Strömung, die in meinem Comic fehlt und die ich gerne noch aufnehmen würde, sollte es eine weitere Auflage geben. Dabei geht es nicht darum, dass der klassische Anarchismus überholt ist, sondern dass der Diskurs offen sein muss für neue Ideen, wie beispielsweise von Butler, Foucault oder Derrida. Zudem sehe ich viel Potenzial im Syndikalismus. Nachdem die anarchosyndikalistischen Gewerkschaften vor dem Zweiten Weltkrieg als Massenphänomen galten, sind sie heute marginalisiert. Aber sie sind erneut im Wachstum begriffen. Und es lohnt sich, einen Blick nach Mexiko zu den Zapatistas zu werfen. Wenngleich umstritten ist, ob Mensch sie unter Anarchismus einordnen kann, haben sie doch einige interessante Neuerungen in die Debatte eingebracht.

Warum ist es so schwer, ein ethisch vertretbareres, vernünftigeres Leben, wie dies auch in der einen oder anderen anarchistischen Strömung wiederzufinden ist, anzustreben?

Gegen den Strom zu schwimmen ist anstrengender als mit ihm. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass das mit anderen zusammen leichter geht. Sich mit anderen zusammenzuschließen, ist immer eine gute Sache. Persönlich finde ich es wichtig, viel zu lesen, um verstehen zu können, was um einen herum passiert und warum.